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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des PO in Mödling, geboren am 24. Juni 1973, vertreten durch Dr. Silvia Franek, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Am Fischertor 5/1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 8. April 1999, Zl. 205.222/0-XII/37/98, betreffend §§ 7, 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 25. Juli 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 28. Juli 1998 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er im Wesentlichen an, im November 1995 von Studenten gezwungen worden zu sein, sich an einer Demonstration zu beteiligen; in der Folge sei er verhaftet, misshandelt und ohne Gerichtsverfahren bis Juli 1998 inhaftiert worden. Seine Freilassung sei nicht im Zuge der ab Juni 1998 erfolgenden Freilassung politischer Gefangener nach dem Tod des Militärmachthabers General Abacha erfolgt. Vielmehr sei ihm im Juli 1998 von einem ihm nicht näher bekannten Polizeioffizier namens D. im Zuge von Unruhen, die im Anschluss an den Tod des damals kurz vor der Freilassung gestandenen Oppositionspolitikers Abiola im Gefängnis ausgebrochen seien, die Flucht ermöglicht worden. Der Beschwerdeführer gab an, im Falle einer Rückkehr nach Nigeria drohe ihm - ungeachtet der zwischenzeitigen Änderung der politischen Verhältnisse - neuerlich Haft, vielleicht würde man ihn sogar töten.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 3. September 1998 den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 AsylG für zulässig. Das Bundesasylamt begründete seine Entscheidung damit, der Gefängnisaufenthalt von 1995 bis Juli 1998 habe "nicht verifiziert werden" können; es sei nicht glaubhaft, dass ein nicht näher bekannter Offizier dem Beschwerdeführer die Flucht aus dem Gefängnis ermöglicht habe. Überdies befinde sich Nigeria "offensichtlich auf dem besten Weg zu demokratischen Verhältnissen". Besondere Umstände, aus denen hervorgehe, dass der Beschwerdeführer individuell verfolgt werde, hätten nicht festgestellt werden können.
In der Berufung wandte sich der Beschwerdeführer ausführlich gegen die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides, insbesondere gegen die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes. Er brachte vor, das Bundesasylamt habe es unterlassen, die von ihm "eigentlich als Fluchtgründe angegebenen Angaben überhaupt zu erwähnen". Er führte unter anderem aus, dass er davon ausgehe, der Polizeioffizier, der ihm die Flucht aus dem Gefängnis ermöglicht habe, habe ihn als verstorben gemeldet, um seine Flucht zu vertuschen. In seiner Heimat sei auf Grund des geschilderten Geschehens seine Freiheit und sein Leben bedroht und er habe auf Grund seiner Flucht im Falle einer Rückkehr mit dem Tod zu rechnen.
Im Rahmen des Berufungsverfahrens brachte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 29. Jänner 1999 die politische Entwicklung in Nigeria bis zum Jänner 1999 zur Kenntnis. Die belangte Behörde hielt dem Beschwerdeführer in diesem Schreiben vor, dass es nach dem Tod des Militärmachthabers Abacha zu einer Demokratisierung des Landes gekommen sei, dass politische Gefangene frei gelassen worden seien und im Dezember 1998 Kommunalwahlen sowie im Jänner 1999 Parlamentswahlen in 20 nigerianischen Staaten durchgeführt worden seien. Nach den für Februar 1999 angesetzten Parlaments- und Präsidentenwahlen planten die Militärs im Mai 1999 endgültig die Macht an einen frei gewählten zivilen Präsidenten abzugeben. Auf Grund dieser geänderten Verhältnisse würden die Gründe, welche den Beschwerdeführer zum Verlassen seines Heimatlandes bewogen hätten, nicht mehr vorliegen.
Der Beschwerdeführer trat mit Schriftsatz vom 17. Februar 1999 diesem Vorhalt damit entgegen, dass bisher nur Personen frei gelassen worden seien, welche "im Blickpunkt des Interesses der Weltöffentlichkeit" stünden, nach wie vor würden aber Gefangene ohne Grund in Hochsicherheitsgefängnissen festgehalten. Auf Grund seiner Flucht aus einem solchen Hochsicherheitsgefängnis sei seine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr "mehr als nur wahrscheinlich". Diese Furcht sei auch "hochbegründet", da "oftmals und erwiesenermaßen" Angehörige des Staates Nigeria nach deren Rückkehr in ihre Heimat unmenschlich behandelt, geschlagen, gefoltert und sogar getötet worden seien. Die von der belangten Behörde bei ihrer Einschätzung einer Besserung der Lage in Nigeria u.a. herangezogene Auskunft von Amnesty International, wonach alle im Zusammenhang mit dem vermeintlichen Putsch von 1995 verurteilten Personen aus der Haft entlassen worden seien, sage nichts darüber aus, dass auch andere Personen, deren Verhaftung auf Grund späterer Demonstrationen erfolgt sei, ebenfalls aus der Haft entlassen worden seien.
In der Folge erließ die belangte Behörde ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung den angefochtenen Bescheid, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen wurde. Begründend stützte sich die belangte Behörde in erster Linie auf die Ermittlungen im Berufungsverfahren, die ergeben hätten, dass auf Grund der seit der Flucht des Beschwerdeführers eingetretenen wesentlichen Änderung der Situation in Nigeria asylrelevante Verfolgungen nunmehr auszuschließen seien. Es seien nicht nur einzelne, im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit stehende Personen aus der Haft entlassen worden, sondern seien "laut Angaben von Amnesty International" seit der Machtübernahme durch General Abubakar auch Journalisten und Menschenrechtsaktivisten frei gelassen worden. (Ein solcher Bericht von Amnesty International ist in den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten allerdings nicht enthalten.) Im Übrigen begnügte sich die belangte Behörde damit, bezüglich des die Flucht des Beschwerdeführers aus dem Gefängnis betreffenden Vorbringens auf die erstinstanzliche Beweiswürdigung zu verweisen und "die diesbezüglichen Angaben des erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides" zu erheben.
In seiner Beschwerde erneuert der Beschwerdeführer die schon im Berufungsverfahren vorgetragene Kritik hinsichtlich Beweiswürdigung und Änderung der politischen Lage in Nigeria. Insbesondere wird vorgebracht, dass sich die belangte Behörde nicht damit auseinander gesetzt habe, dass der Beschwerdeführer als entflohener Strafgefangener im Falle einer Rückkehr in seinen Heimatstaat Verfolgungshandlungen zu gewärtigen habe. Da es die belangte Behörde unterlassen habe, sich mit der derzeit herrschenden Situation im Heimatstaat des Beschwerdeführers ausreichend auseinander zu setzen, sei der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht hinreichend geklärt.
Über diese Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Beschwerdeführer hält auch in der Beschwerde daran fest, dass sein Vorbringen glaubwürdig sei, die belangte Behörde zu weiteren Ermittlungen verpflichtet gewesen wäre und die im angefochtenen Bescheid aus der Entwicklung in Nigeria gezogenen Schlüsse nicht zutreffend seien. Der Beschwerdeführer ist in seiner Berufung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung ausführlich entgegengetreten und hat auch im Berufungsverfahren gegen den schriftlichen Vorhalt der (weiteren) Besserung der Lage in Nigeria substanzielle Einwände vorgebracht. Davon ausgehend kann der angefochtene Bescheid der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle schon im Hinblick auf die Verletzung der Verhandlungspflicht wegen der konkreten Bestreitung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung in der Berufung und wegen der von der belangten Behörde im Berufungsverfahren gepflogenen und dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegten Ermittlungen nicht standhalten (vgl. zur Verhandlungspflicht die inzwischen ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Anschluss an die Erkenntnisse vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, und 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0339; zur Verhandlungspflicht im Falle von Sachverhaltsermittlungen im Berufungsverfahren vgl. insbesondere die Erkenntnisse vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0567, und 23. März 2000, Zl. 99/20/0002).
Hinzu kommt, dass die belangte Behörde sich im angefochtenen Bescheid mit den in der Berufung gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung vorgebrachten Argumenten in Bezug auf den Gefängnisaufenthalt und die Flucht des Beschwerdeführers nicht auseinander gesetzt hat und sich mit einem Verweis auf die erstinstanzliche Beweiswürdigung begnügt hat. Die belangte Behörde führt zwar - ohne Auseinandersetzung mit dem Berufungsvorbringen - aus, dass sie in Bezug auf die Unglaubwürdigkeit der Flucht des Beschwerdeführers aus dem Hochsicherheitsgefängnis die Feststellungen des erstinstanzlichen Bescheides übernehme, offen bleibt jedoch, ob die belangte Behörde den vom Beschwerdeführer behaupteten (und nach den Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid nur "nicht verfizierten") Gefängnisaufenthalt vom November 1995 bis Juli 1998 für glaubwürdig hält. Da die belangte Behörde es in Verletzung ihrer Begründungspflicht gemäß § 58 Abs. 2 und § 60 AVG unterlassen hat, sich mit den gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung im Berufungsverfahren vorgetragenen Argumenten des Beschwerdeführers auseinander zu setzen, ist auch nicht ausreichend nachvollziehbar, weshalb sie dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei nicht im Zuge der Demokratisierung nach dem Tod Abachas frei gekommen, sondern darüber hinaus inhaftiert gewesen und habe nur durch die Hilfe eines Gefängnisaufsehers flüchten können, keinen Glauben geschenkt hat. Dies ist schon deshalb von Bedeutung, weil von der belangten Behörde gegebenenfalls zu prüfen gewesen wäre, ob der Umstand, dass der Beschwerdeführer nach der eingetretenen Änderung der politischen Verhältnisse zumindest vorerst nicht freigelassen wurde, sondern aus dem Gefängnis geflüchtet ist, auch nach der Änderung der politischen Verhältnisse in Nigeria noch asylrelevante Verfolgung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten lässt.
Weiters ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde im gegenständlichen Fall das Vorbringen des Beschwerdeführers, es seien nur einzelne, "im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit stehende Personen" aus der Haft entlassen worden, mit einem Hinweis auf "Angaben von Amnesty International" abtut, welche in den vor Bescheiderlassung schriftlich vorgehaltenen Ermittlungsergebnissen nicht enthalten sind. Auch für den Verwaltungsgerichtshof sind diese von der belangten Behörde herangezogenen Angaben auf Grund der vorgelegten Verwaltungsakten nicht überprüfbar.
Schließlich fehlt im angefochtenen Bescheid jegliche Begründung des Ausspruches gemäß § 8 AsylG iVm mit § 57 Abs. 1 und 2 FrG, sodass die belangte Behörde auch in diesem Punkt ihre Begründungspflicht gemäß § 58 Abs. 2 und § 60 AVG verletzt hat.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verwaltungsgerichtshof-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 16. Mai 2002
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999200266.X00Im RIS seit
06.08.2002