TE Vwgh Erkenntnis 2002/5/16 2001/20/0551

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Veröffentlicht am 16.05.2002
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des FA in M, geboren am 10. Oktober 1960, vertreten durch Dr. Bernd Illichmann, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 50, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Juni 2001, Zl. 218.522/0-VIII/22/00, betreffend §§ 7, 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste am 29. Mai 2000 nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, er habe vor vier bis fünf Jahren als Schauspieler an der Aufführung eines regimekritischen Theaterstückes mitgewirkt und sei deshalb verhaftet worden. Man habe ihn zwar damals nach kurzer Zeit wieder freigelassen, ihm aber gesagt, sollte er dies noch einmal machen, so würde er "Probleme bekommen". In der Folge habe er bis zum März 2000 als Bodenleger gearbeitet, sei aber dann von einem Freund überredet worden, bei der Hochzeitsfeier des Bruders dieses Freundes im April 2000 das Theaterstück "Samad zieht in den Krieg" von Parviz Sayyad aufzuführen. Dieses 1982, am Höhepunkt des iranischirakischen Krieges, geschaffene und auch verfilmte Theaterstück sei im Iran bis heute verboten; schon der Besitz der Videokassette werde mit dem Tod bestraft. Bei der Hochzeit seien Sicherheitsbeamte anwesend gewesen. Nach der Hochzeit sei der Bräutigam verhaftet worden, worauf der Beschwerdeführer befürchtet habe, wegen der Theateraufführung bei der Hochzeit und wegen des Vorfalles vor fünf Jahren, bei dem er sich habe verpflichten müssen, nicht mehr Theater zu spielen, ebenfalls vom Geheimdienst verhaftet und umgebracht zu werden.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 3. August 2000 den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran fest. Es ging davon aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers über seine Inhaftierung wegen der Mitwirkung an einem kritischen Theaterstück vor ca. fünf Jahren glaubwürdig sei. Hingegen sei es gänzlich unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer wegen der Aufführung eines Theaterstückes bei einer Hochzeitsfeierlichkeit verfolgt würde. Diesbezüglich habe sich der Beschwerdeführer in Widersprüche verwickelt.

Mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung erlassenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Sie stellte fest, der Beschwerdeführer sei vor etwa fünf Jahren wegen Spielens eines "(indirekt) regimekritischen Stückes" angehalten und gegen Abgabe einer "Erklärung, dass er in Zukunft so etwas nicht mehr tun dürfe und bei Zuwiderhandeln mit schwersten Strafen zu rechnen habe," entlassen worden. Daraufhin habe er aber - entgegen seinem Vorbringen im Asylverfahren - "nicht mehr Theater gespielt". Damit ging die belangte Behörde insbesondere nicht davon aus, dass der Beschwerdeführer bei einer Hochzeit das Stück "Samad zieht in den Krieg" von Parviz Sayyad - in dem nach den getroffenen Feststellungen u.a. der verstorbene Revolutionsführer Khomeini lächerlich gemacht wird - aufgeführt habe und deshalb in Schwierigkeiten geraten sei. Allein wegen der Stellung eines Asylantrages und illegaler Ausreise drohten ihm nach den weiteren Feststellungen der belangten Behörde bei einer Rückkehr in den Iran keine unter den Gesichtspunkten der §§ 7 und 8 AsylG erheblichen Repressionen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerde kritisiert in erster Linie die Beweiswürdigung der belangten Behörde und ist damit im Ergebnis im Recht. Die belangte Behörde hat ihre differenzierende, den behaupteten Ausreisegrund im Gegensatz zu dem schon länger zurückliegenden, der Art nach ähnlichen Vorfall als unglaubwürdig erachtende Beweiswürdigung auf Argumente gestützt, die der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (vgl. zu dieser etwa die hg. Erkenntnisse vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053, und vom 17. November 1992, Zl. 92/08/0071) nicht standhalten.

Dies gilt zunächst für die Ansicht der belangten Behörde, die Aussagen des Beschwerdeführers seien "voll von Widersprüchen". Die diesbezüglichen Ausführungen in der Bescheidbegründung betreffen die Angaben des Beschwerdeführers über seine Schauspielausbildung und über die Anwesenheit von Geheimdienstmitarbeitern bei der Hochzeit im April 2000.

Der Schauspielunterricht des Beschwerdeführers ist für sich genommen nicht von asylrechtlicher Bedeutung. Die vermeintlichen, eher geringfügigen Unstimmigkeiten in den darauf bezogenen Angaben ergeben aber auch kein nachvollziehbares Argument gegen die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers, wenn ausdrücklich festgestellt wird, er sei in der Folge "wegen Spielens eines (indirekt) regimekritischen Stückes" angehalten und für den Wiederholungsfall mit "schwersten Strafen" bedroht worden.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kann auch in Bezug auf die Anwesenheit von Geheimdienstmitarbeitern bei der Hochzeit nicht von "höchst widersprüchlichen" Angaben des Beschwerdeführers gesprochen werden. Bei der Herausarbeitung dieser "Widersprüche" bezieht sich die belangte Behörde zunächst auf die (von ihr selbst als sinnlos eingestufte) Angabe, die Beamten seien "eingeladen" gewesen, der in der erstinstanzlichen Niederschrift aber sogleich der Satz folgte, der Bräutigam sei offenbar "unter Beobachtung" gestanden. Über die Erklärung des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung, wonach es sich beim zuerst festgehaltenen Ausdruck "eingeladen" um eine Ungenauigkeit in der Übersetzung gehandelt habe, setzt sich die belangte Behörde wortlos hinweg. Sie unterlässt an dieser Stelle der Bescheidbegründung auch die Erwähnung des unmittelbar nachfolgenden Satzes in der erstinstanzlichen Niederschrift und legt stattdessen dar, der Beschwerdeführer habe "in der erstinstanzlichen Einvernahme" von einer Einladung der Beamten gesprochen und "dazu widersprüchlich" (erst) "in der Berufungsverhandlung" behauptet, die Beamten hätten sich in die Feier "hineingeschwindelt". Der zweite "Widerspruch" - dass nämlich der Beschwerdeführer erst in der Berufungsverhandlung Wert darauf legte, es habe sich nicht um "Sicherheitskräfte", sondern um "zivile Beamte des Nachrichtendienstes" gehandelt - lässt sich bei redlichem Verständnis überhaupt nicht gegen den Beschwerdeführer ins Treffen führen. Als dritter und letzter Punkt wird dem Beschwerdeführer vorgehalten, er habe "in seiner Berufung eindeutig" ausgeführt, "dass die Sicherheitskräfte einen Film anfertigten", während er in der Berufungsverhandlung von einem "von privater Seite" hergestellten Film gesprochen habe, den "möglicherweise die Sicherheitskräfte ... erhalten haben könnten". In diesem Zusammenhang versäumt es die belangte Behörde aber, darauf einzugehen, dass die Darstellung des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung mit seiner von der belangten Behörde hier nicht erwähnten erstinstanzlichen Aussage ("während der Hochzeit wurde gefilmt und der Sicherheitsdienst hat den Film bekommen") im Wesentlichen übereinstimmt und die Stelle in der - erkennbar nicht vom Beschwerdeführer selbst ausformulierten, in deutscher Sprache gehaltenen - Berufung, auf die sich die belangte Behörde zum Nachteil des Beschwerdeführers stützt, auf einer Aktenwidrigkeit im erstinstanzlichen Bescheid beruht (Seite 8, vierter Absatz des erstinstanzlichen Bescheides). Auch auf den Argumentationszusammenhang - Hervorhebung des fehlenden Wissens des Beschwerdeführers über den genauen Grund für die Anwesenheit von Beamten, und nicht Auseinandersetzung mit der Frage, wer den Film angefertigt habe - wird nicht Bedacht genommen.

Die Beweiswürdigung gewinnt auch durch die nachfolgenden Plausibilitätserwägungen der belangten Behörde nicht an Schlüssigkeit. So wird etwa in Bezug auf die politischen Strömungen, mit denen der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge sympathisiert habe, nur auf deren Gegensätzlichkeit, aber nicht auf das ihnen wohl gemeinsame Merkmal der Ablehnung des im Iran herrschenden Regimes Bezug genommen. Dass, wie die belangte Behörde folgert, "überhaupt keine politische Überzeugung" des Beschwerdeführers "festgestellt werden" könne, ist im vorliegenden Fall (wie schon der Verlauf der Schauspielausbildung des Beschwerdeführers) ohne rechtliche Bedeutung. Das vom Beschwerdeführer selbst dargestellte Fehlen loyaler Bindungen an eine der oppositionellen Gruppen im Iran ergibt aber auch kein Argument gegen die Glaubwürdigkeit seiner asylerheblichen Behauptungen. Gegenteiliges könnte nur gelten, wenn die Darbietung des vom Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge gespielten Stückes eine politische Bindung der von der belangten Behörde vermissten Art voraussetzen würde. Das wird im angefochtenen Bescheid nicht dargetan und ist bei dem vom Beschwerdeführer genannten Stück von Parviz Sayyad wohl auch nicht ohne Weiteres anzunehmen. Die belangte Behörde hebt stattdessen hervor, weder den Monarchisten noch den Mudjaheddin (mit denen der Beschwerdeführer teils mehr, teils weniger sympathisiert haben will) könne "ein besonderes Engagement für die Freiheit der Kunst ... unterstellt werden". Wollte man diese Bemerkung als Versuch einer sachlichen Erwägung zur Beweiswürdigung verstehen, so wäre sie mit den Denkgesetzen nicht vereinbar, weil zwischen dem Engagement der erwähnten Gruppen für die Freiheit der Kunst einerseits und den Angaben des Beschwerdeführers über die ihm drohende Verfolgung und deren Gründe andererseits kein nachvollziehbarer Zusammenhang besteht. Im Übrigen ist auch nicht erkennbar, welches Faktenwissen der belangten Behörde in Bezug auf die Wertschätzung des genannten Autors durch die beiden Gruppierungen für eine darauf (statt auf das "Engagement für die Freiheit der Kunst") abstellende Argumentation zur Verfügung gestanden wäre.

Die weitere Plausibilitätserwägung, die Darbietung gerade des vom Beschwerdeführer erwähnten Stückes vor zahlreichen Hochzeitsgästen sei zu gefährlich gewesen und deshalb unglaubwürdig, entbehrt der in diesem Zusammenhang erforderlichen Auseinandersetzung mit der Erklärung des Beschwerdeführers, er habe sich gegen seinen anfänglichen Willen dazu überreden lassen und sei außerdem "verliebt in dieses Stück". Wenn die belangte Behörde schließlich noch meint, das Stück sei nicht lustig genug und u.a. deshalb als "unterhaltende Einlage" für eine Hochzeit "reichlich ungeeignet", so ist anzumerken, dass diese Einschätzung des Stückes (dessen vom Beschwerdeführer vorgelegte Verfilmung im Internet als "pure joy to watch with family members" beworben wird) in dem Hinweis, es handle sich um ein Antikriegsstück, keine ausreichende Begründung findet und die belangte Behörde auch auf die Popularität und den heiteren oder ernsten Charakter der ganzen "Samad"-Serie, auf die in einer solchen Argumentation Bedacht zu nehmen wäre, nicht eingegangen ist.

Die weiteren Ausführungen - nämlich im Wesentlichen die Ansicht der belangten Behörde, die Beamten hätten gegen die Aufführung "gleich einschreiten" müssen, die Annahme einer "Steigerung" des Vorbringens in Bezug auf Einzelheiten der Suche nach dem Beschwerdeführer, nach denen er zunächst nicht gefragt worden war, und der Hinweis auf einen nicht "sehr" glaubwürdigen Eindruck der belangten Behörde vom Beschwerdeführer - vermögen das Ergebnis der Beweiswürdigung für sich allein nicht zu tragen. Dass dem Beschwerdeführer im Iran auch bei Zutreffen seiner Angaben über den Verlauf und die Folgen der Hochzeitsfeier keine asylrelevante Gefahr drohe, nimmt die belangte Behörde selbst nicht an. Der mangelnden Schlüssigkeit der Argumente, mit denen die belangte Behörde den Angaben die Glaubwürdigkeit versagte, kommt daher entscheidungswesentliche Bedeutung zu.

Der angefochtene Bescheid war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verwaltungsgerichtshof-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil dem Beschwerdeführer infolge Gewährung von Verfahrenshilfe kein Aufwand in Höhe der verzeichneten Stempelgebühr entstanden ist.

Wien, am 16. Mai 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001200551.X00

Im RIS seit

26.08.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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