TE Vwgh Erkenntnis 2002/5/23 2002/05/0201

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Veröffentlicht am 23.05.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 30. Jänner 2002, Zl. Ib- 16303/365, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Gemeinde Oberlienz in Oberlienz 30, 2. Mag. Barbara Lassnig in Innsbruck, Schidlachstraße 9, bzw. in Oberlienz, Oberdrum 64), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die am 18. Mai 1975 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist (seit einem nicht aktenkundigen Zeitpunkt) in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters, Oberlienz (kurz: O), mit Hauptwohnsitz gemeldet, seit Oktober 1993 hingegen mit weiterem Wohnsitz in Innsbruck, wo sie studiert.

In ihrer Wohnsitzerklärung vom 20. Mai 2001 gab sie die Aufenthaltsdauer an diesen beiden Wohnsitzen mit "unterschiedlich" an, Mitbewohner sind jeweils nicht angeführt. Die Frage nach Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften wird für beide Wohnsitze verneint. Der Ausgangspunkt des Weges zur Studieneinrichtung ist "unterschiedlich".

Der erstmitbeteiligte Bürgermeister äußerte sich in einer Stellungnahme an die belangte Behörde vom 3. Dezember 2001 insbesondere dahin, die Zweitmitbeteiligte habe ihren "Familienwohnsitz" in O.

Die Zweitmitbeteiligte brachte in einer Stellungnahme vom 11. Dezember 2001 vor, es sei für sie notwendig, einen Nebenwohnsitz in Innsbruck zu haben, weil es für sie nicht möglich sei, jeden Tag zu pendeln. Sie verbringe aber möglichst viel Zeit in Osttirol, weil sich dort ihre familiären und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen konzentrierten. Sie plane außerdem, nach Abschluss ihrer Ausbildung ihren "beruflichen Schwerpunkt in Osttirol zu setzen".

Der erstmitbeteiligte Bürgermeister verblieb in einer weiteren Stellungnahme vom 17. Jänner 2002 bei seiner Auffassung, die Zweitmitbeteiligte habe ihren Hauptwohnsitz in O, und führte in diesem Zusammenhang aus, sie lebe dort "in der Unterkunft ihrer Eltern mit ihren Geschwistern".

Die belangte Behörde erhob weiters, dass der Bezug von Familienbeihilfe für die Zweitmitbeteiligte mit Ablauf des Monates Mai 2001 (Vollendung des 26. Lebensjahres) eingestellt wurde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters zurück. Dies wurde auf Grundlage des zuvor wiedergegebenen Vorbringens zusammenfassend damit begründet, der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, ausgesprochen, dann, wenn sich das Studium derart verzögere, dass die altersmäßigen Voraussetzungen für den Bezug von Familienbeihilfe nicht mehr gegeben seien, sei die Annahme gerechtfertigt, dass sich die Nahebeziehung zum Studienort so verdichtet habe, dass die Mittelpunktqualität des Heimatortes nicht mehr bejaht werden könne. Hier verhalte es sich anders. Zwar sei der Bezug der Familienbeihilfe eingestellt worden, doch könne angesichts des Umstandes, dass die Zweitmitbeteiligte bereits den akademischen Grad einer Magistra erworben habe, nicht von einer einschneidenden Verzögerung des Studiums gesprochen werden. Auch der Umstand, dass für sie Familienbeihilfe bis zum Erreichen der Altersgrenze bezogen worden sei, verbiete die Annahme, sie habe ihre "wesentlichen Lebensbeziehungen" vom Heimatort weg an den Studienort verlagert, was auch durch ihr Bestreben untermauert werde, nach Abschluss der Ausbildung in der näheren Umgebung ihres Heimatortes beruflich tätig zu sein. Es sei daher davon auszugehen, dass sie ausschließlich zu Ausbildungszwecken in Innsbruck Unterkunft genommen habe. Die Einbindung in den Familienverband und in den Heimatort sei daher weiterhin in so wesentlichem Ausmaß gegeben, dass dem Wohnsitz in O ein deutliches Übergewicht und jedenfalls die Qualität eines Mittelpunktes der Lebensbeziehungen zukomme, wohingegen dem Wohnsitz in Innsbruck keine Mittelpunktqualität zukomme.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Auch beide mitbeteiligte Parteien haben Gegenschriften erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides hatte die Zweitmitbeteiligte bereits das 26. Lebensjahr vollendet, sodass im Sinn des hg. Erkenntnisses vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, auf das gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, davon auszugehen ist, dass die Zweitmitbeteiligte zum Studienort so intensive Lebensbeziehungen geknüpft hat, dass der Mittelpunktcharakter des Studienortes nicht zu leugnen ist, wo hingegen der Mittelpunktcharakter des Heimatortes nicht mehr bejaht werden kann, zumal nicht hervorgekommen ist, dass eine neue familiäre Bindung (Ehe oder Lebensgemeinschaft) am früheren Heimatort besteht.

Die Argumentation der belangten Behörde, dies treffe im Beschwerdefall nicht zu, insbesondere weil die Zweitmitbeteiligte ihr Studium (ungeachtet der Überschreitung dieser Altersgrenze) zielstrebig fortsetze, verfängt nicht. Bei der im Reklamationsverfahren gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise ist davon auszugehen, dass die familiäre Bindung einer Person an die Eltern umso mehr in den Hintergrund tritt, je mehr sich ihr Alter vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat, wobei im Übrigen die Heimatverbundenheit einer Person kein Kriterium des § 1 Abs. 8 MeldeG ist (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2002, Zl. 2001/05/1163). Bei Berufstätigen führt die Erwerbstätigkeit zur wirtschaftlichen Selbständigkeit (zur Relevanz dieses Aspektes im Reklamationsverfahren vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2002, Zl. 2001/05/1070), bei Studenten hingegen besteht üblicherweise eine finanzielle Abhängigkeit von den Eltern. Bei der zuvor genannten generalisierenden Betrachtungsweise ist es daher sachgerecht, auf die im Familienlastenausgleichsgesetz 1967 normierte Altersgrenze von 26 Jahren unabhängig davon abzustellen, ob nun im Einzelfall das Studium tatsächlich zielstrebig fortgesetzt wird oder auch ob weiterhin eine solche finanzielle Abhängigkeit besteht oder nicht.

Das Reklamationsverfahren ist, wie sich aus § 17 MeldeG unzweifelhaft ergibt, gegenwartsbezogen ("...dort weiterhin den Hauptwohnsitz hat."), es kommt also nicht auf beabsichtigte Veränderungen (hier: auf die Absicht, in Osttirol berufstätig zu sein) an, weil jederzeit eine neue Meldung erfolgen kann bzw. muss. (Ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, dass im Hinblick auf diese Gegenwartsbezogenheit des Reklamationsverfahrens nicht zu prüfen war, wo die Zweitmitbeteiligte zum Stichtag der Volkszählung ihren Hauptwohnsitz hatte, was deshalb betont wird, weil sie ja erst drei Tage danach, nämlich am 18. Mai 2001, das 26. Lebensjahr vollendet hatte. Diese Frage mag allenfalls im Rahmen eines Verfahrens nach § 6a des Volkszählungsgesetzes eine Rolle spielen.)

Da die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass der Mittelpunktcharakter des Heimatortes noch bejaht werden könne, belastete sie ihren

Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 23. Mai 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002050201.X00

Im RIS seit

08.07.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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