TE Vwgh Erkenntnis 2002/5/24 2000/21/0046

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Veröffentlicht am 24.05.2002
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
41/04 Sprengmittel Waffen Munition;

Norm

FrG 1997 §104;
FrG 1997 §35 Abs2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
StGB §83 Abs1;
StGB §84 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
WaffG 1986 §36 Abs1 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des G in B, geboren am 18. März 1968, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh und Dr. Hanno Lecher, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 22. Februar 2000, Zl. Fr-4250a- 149/99, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 22. Februar 2000 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z 5 iVm §§ 37, 38 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies die belangte Behörde darauf, dass über den Beschwerdeführer mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 13. August 1998 wegen Schlepperei nach § 104 Abs. 1 und 2 Z 1 FrG eine Geldstrafe in der Höhe von S 10.000,-- verhängt worden sei. Diesem Straferkenntnis liege zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 9. April 1998 kurz nach Mitternacht in Lustenau beim Zollamt Schmitter vorsätzlich die rechtswidrige Ausreise eines Fremden aus dem österreichischen Bundesgebiet Richtung Schweiz gefördert habe. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der Kantonspolizei St. Gallen habe der Beschwerdeführer freiwillig angegeben, dass er von dem "Geschleppten" für die Förderung der Ausreise einen Betrag von SFr 400  in Feldkirch erhalten habe. Demnach stehe für die belangte Behörde fest, dass die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Z 5 FrG (Begehung von oder Mitwirkung an Schlepperei um seines Vorteils willen) erfüllt seien und dass gemäß § 36 Abs. 1 FrG die Annahme gerechtfertigt sei, der weitere Aufenthalt des Fremden gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder laufe anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider.

Verstärkt werde diese Annahme dadurch, dass gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 19. November 1993 ein rechtskräftiges Waffenverbot erlassen worden sei. Diesem liege eine rechtskräftige Verurteilung durch das Landesgericht Feldkirch vom 27. Oktober 1993 wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB und wegen des Vergehens nach § 36 Abs. 1 Z 2 WaffenG zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe zugrunde. Nach diesem Schuldspruch habe der Beschwerdeführer am 5. März 1993 seine Gattin, indem er ihr durch einen wuchtigen gezielten Faustschlag ins Gesicht den rechten unteren Schneidezahn ausgeschlagen habe, und im Anschluss daran eine andere namentlich genannte Person, indem er dieser einen wuchtigen Faustschlag ins Gesicht und einen kräftigen Fußtritt gegen die Brust versetzt habe, wodurch eine Gehirnerschütterung und Prellungen sowie während des Abtransportes durch die Rettung drei Atemstillstände mit Bewusstseinsverlusten eingetreten seien, am Körper schwer verletzt. Weiters habe er in der Zeit von Jänner 1993 bis 5. März 1993, wenn auch nur fahrlässig, eine Tränengasspraydose, mithin eine verbotene Waffe, unbefugt besessen. Das Gericht habe das Zusammentreffen von zwei Vergehen als erschwerend gewertet und als mildernd das Geständnis sowie die bisherige Unbescholtenheit. Unter Bezugnahme auf das diesbezügliche Vorbringen im Berufungsverfahren ging die belangte Behörde davon aus, dass für den Beschwerdeführer damals eine "gewisse gefühlsmäßige Ausnahmesituation" bestanden habe, die jedoch nicht den angeführten massiven Gewalteinsatz gerechtfertigt hätte. Auf Grund des diesen Verurteilungen zugrunde liegenden Sachverhaltes könne daher - so die belangte Behörde - sehr wohl eine negative Zukunftsprognose erstellt werden.

Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 20. Dezember 1996 "wegen § 164 Abs. 2 StGB" zu einer Geldstrafe (von 60 Tagessätzen) verurteilt worden. Schließlich lägen dem Beschwerdeführer noch fünf (nach der übertretenen Norm individualisierte) Verwaltungsübertretungen zur Last, für die er im Zeitraum zwischen 4. November 1996 und 19. Mai 1998 mit Geldstrafen zwischen S 500,-- und S 2.000,-- bestraft worden sei.

Der Beschwerdeführer halte sich seit dem 22. Jänner 1990 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf. In Österreich befinde sich auch seine Ehefrau und "angeblich" noch ein Kind. Trotz des dadurch bewirkten relevanten Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zulässig, weil es sich bei Schleppungen um schwere Verstöße gegen die Rechtsordnung sowie gegen die öffentlichen Interessen an einer überwachten und kontrollierten Wanderungsbewegung handle. "Allein schon aus diesem Umstand" sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (iSd § 37 Abs. 1 FrG) dringend geboten. Die Dringlichkeit der Maßnahme ergebe sich "zudem aus der in der Vielzahl der durch den Fremden begangenen strafbaren Handlungen zum Ausdruck kommenden krassen Missachtung der österreichischen Rechtsordnung sowie der sich auf Grund der Unbelehrbarkeit des Fremden auch hinkünftig ergebenden Gefahr."

Hinsichtlich der vorzunehmenden Interessenabwägung (nach § 37 Abs. 2 FrG) seien zugunsten des Beschwerdeführers sein langjähriger rechtmäßiger Aufenthalt, seine Beschäftigung (seit 1997 beim selben Arbeitgeber) und sein in Österreich geführtes Familienleben anzuführen. Diese Integration werde jedoch in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die Anzahl und Schwere der begangenen Delikte erheblich gemindert. Die familiären Interessen würden in ihrem Gewicht auch dadurch relativiert, dass zwei Kinder des Beschwerdeführers bei seinen Eltern in Jugoslawien lebten und dort zur Schule gingen sowie dass für das dritte Kind keine Aufenthaltsberechtigung für das österreichische Bundesgebiet mehr bestehe bzw. auch um keine Verlängerung angesucht worden sei. Auf Grund des erwähnten Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers seit 1993 lasse sich für ihn keine positive Zukunftsprognose erstellen. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, der Schutz der Gesundheit Anderer und die Verhinderung der Begehung weiterer strafbarer Handlungen stellten überaus gewichtige öffentliche Interessen - insbesondere im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Verhinderung von Schlepperei - an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes dar. Unter Berücksichtigung aller Umstände und Abwägung der gegenläufigen Interessen dränge daher das im hohen Maß bestehende öffentliche Interesse, den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu untersagen, dessen privates Interesse in den Hintergrund.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Nach § 38 Abs. 1 Z 2 iVm § 35 Abs. 2 FrG darf gegen Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen waren, nur mehr dann ein Aufenthaltsverbot verhängt werden, wenn sie von einem inländischen Gericht wegen Begehung einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt wurden und ihr weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden würde. Zum Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die belangte Behörde ausgeführt, das Aufenthaltsverbot werde auf Grund der vom Beschwerdeführer begangenen "Schleppung" im Jahre 1998 erlassen. Vor diesem Zeitpunkt habe er sich bereits acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei jedoch zulässig, weil der Beschwerdeführer zweimal gerichtlich verurteilt worden sei, wobei "zumindest" die Verurteilung durch das Landesgericht Feldkirch die geforderte Annahme (einer Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit) rechtfertige.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 35 Abs. 2 FrG (vgl. etwa das Erkenntnis vom 20. Februar 2001, Zl. 2000/18/0073, mwN) ist die in dieser Bestimmung enthaltene Wendung "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" so auszulegen, dass damit der Zeitpunkt vor Eintritt des ersten der in ihrer Gesamtheit für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände zu verstehen ist. Nach dieser Judikatur ist es jedoch nicht zulässig, auch ein solches Fehlverhalten dem Aufenthaltsverbot zu Grunde zu legen, das unter Berücksichtigung des seither verstrichenen Zeitraumes nicht (mehr) geeignet ist, eine relevante Vergrößerung der von dem Fremden ausgehenden Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen herbeizuführen.

Zu der von der belangten Behörde erstmals - die Erstbehörde hatte das Aufenthaltsverbot darauf noch nicht gestützt - herangezogenen Verurteilung durch das Landesgericht Feldkirch vom 19. November 1993 hat der Beschwerdeführer in seiner ihm eingeräumten Stellungnahme im Berufungsverfahren ins Treffen geführt, er habe die dem Schuldspruch zugrunde liegende Körperverletzung seiner Ehegattin und seinem "Nebenbuhler" zugefügt, nachdem er die beiden "in flagranti erwischt" habe. Die belangte Behörde hat dazu zwar keine Feststellungen getroffen, doch diesem Einwand insofern Rechnung getragen, als sie dem Beschwerdeführer das Vorliegen einer "gewissen gefühlsmäßigen Ausnahmesituation" zugestand. Unter Bedachtnahme auf diesen Umstand und bei Berücksichtigung der Tatsache, dass dieses Ereignis im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides fast sieben Jahre zurücklag und dass der Beschwerdeführer in der Folge auch kein einschlägiges Delikt mehr setzte, vermag dieses Verhalten - selbst wenn man das fahrlässig begangene Vergehen nach dem Waffengesetz einbezieht - nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes keine relevante Vergrößerung der Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen herbeizuführen. Die belangte Behörde hat daher die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zu Unrecht auch auf das dieser Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers gestützt. Angemerkt sei, dass sich andernfalls die Frage der Anwendung des § 35 Abs. 2 FrG und damit nach dem Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung gar nicht gestellt hätte.

Diese Ausführungen gelten aber auch für die von der belangten Behörde zur Stützung des Aufenthaltsverbotes weiters herangezogene Verurteilung wegen Hehlerei nach § 164 Abs. 2 StGB aus dem Jahre 1996, hinsichtlich der es die belangte Behörde dahingestellt ließ, ob die zugrunde liegende Tathandlung überhaupt eine Gefährdungsannahme rechtfertige.

Da in Anbetracht der vom Beschwerdeführer begangenen Schlepperei keine gerichtliche Verurteilung vorliegt, steht sohin § 35 Abs. 2 (iVm § 38 Abs. 1 Z 2) FrG der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im vorliegenden Fall entgegen. Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 FrG aufzuheben, ohne dass es eines Eingehens auf die weiteren Beschwerdeargumente bedarf.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501.

Wien, am 24. Mai 2002

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000210046.X00

Im RIS seit

22.07.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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