TE Vwgh Erkenntnis 2002/5/24 99/21/0101

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Veröffentlicht am 24.05.2002
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des am 30. September 1961 geborenen V, vertreten durch Dr. Wolfgang Waldeck und Dr. Hubert Hasenauer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Doblhoffgasse 7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 3. Februar 1999, Zl. Fr 5567/98, betreffend Feststellung nach § 75 Abs. 1 FrG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 15. April 1997 war gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992 (FrG 1992), festgestellt worden, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, der Beschwerdeführer sei in Vietnam gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG 1992 bedroht. Dieser Bescheid war mit dem hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1998, Zl. 97/21/0867, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben worden. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, der Beschwerdeführer hätte vorgebracht, er wäre von August 1989 bis November 1991 unter Leitung eines vietnamesischen "Arbeitsführers" in der CSFR in einem Sägewerk als Arbeiter tätig gewesen. Ein (erster) Versuch, nach Österreich einzureisen, wäre gescheitert, sein "Arbeitsführer" hätte dem Beschwerdeführer daraufhin angedroht, ihn in Vietnam vor Gericht zu stellen. Außerdem hätte er ihm im August 1991 den Reisepass abgenommen, weil der Beschwerdeführer an einer Demonstration gegen die vietnamesische Regierung in Prag teilgenommen hätte. Der Beschwerdeführer wäre außerdem beschuldigt worden, Kontakte mit der Opposition gehabt zu haben, sodass ihm die vietnamesische Botschaft nach seiner Rückkehr nach Vietnam Strafe in Aussicht gestellt hätte. Die belangte Behörde habe dieses Vorbringen - so der Verwaltungsgerichtshof im genannten Erkenntnis weiter - nicht als unglaubwürdig qualifiziert; aber gemeint, dass damit keinerlei Verfolgung oder sonstige Übergriffe gegen die Person des Beschwerdeführers in ausreichender Intensität behauptet worden wären. Die belangte Behörde habe übersehen, dass das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers auf seinen Aufenthalt in der ehemaligen CSFR Bezug genommen hätte. Maßgeblich sei insoweit, dass ihm von staatlichen Autoritäten - zumindest die Botschaft sei als solche zu qualifizieren - wegen seines Verhaltens Strafe in Vietnam angedroht wurde, sodass er auf Grund seiner in dieser Hinsicht ausreichend konkretisierten Angaben als potenzieller Adressat staatlicher Sanktionen angesehen hätte werden müssen. Diese Sanktionen habe der Beschwerdeführer im Verfahren nach § 54 FrG 1992 dahingehend präzisiert, dass ihm "als Flüchtling" für den Fall seiner Abschiebung nach Vietnam Gefängnisaufenthalt und Folter, ja sogar Todesstrafe, drohten. Damit habe er eine Gefährdung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG 1992 dargetan. Vom Beschwerdeführer, der unbestritten bislang noch keine Verfolgung erdulden habe müssen und der daher insoweit keinen konkreten Geschehensablauf darzustellen vermocht habe, könne nicht verlangt werden, er müsse die ihm drohende, Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung oder Bestrafung belegen. Hingegen sei vor dem Hintergrund der die Behörde treffenden amtswegigen Ermittlungspflicht von dieser zu fordern, dass sie das Vorbringen des Beschwerdeführers durch Nachforschungen über die Behandlung von Personen in Vietnam, die sich in seiner Situation befänden, einer Überprüfung unterziehe. Als mögliche Informationsquellen kämen z.B. Anfragen an österreichische Vertretungsbehörden in der Region in Betracht.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 3. Februar 1999 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers neuerlich ab und stellte gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, fest, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in seiner Heimat gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei.

Der Beschwerdeführer habe in einer Stellungnahme vom 14. Dezember 1998 ausgeführt, dass er nicht nur wegen seiner unrechtmäßigen Einreise nach Österreich mit einer Strafverfolgung in Vietnam rechnen müsse, sondern auch wegen Kontakten mit der Opposition und wegen Demonstrationen gegen die vietnamesische Regierung. Unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme gehe die belangte Behörde davon aus, dass dem Beschwerdeführer auf Grund seiner "lediglichen Flüchtlingseigenschaft" keine Gefährdung iSd § 57 Abs. 1 oder 2 FrG im Falle einer Rückkehr drohe. Hinsichtlich der von ihm vorgebrachten Teilnahme an Demonstrationen und Kontakten mit der Opposition werde ihm entgegengehalten, dass er zwar 1991 an einer Demonstration gegen die Regierung in Vietnam in Prag teilgenommen, jedoch sonst keinerlei politische Betätigung vorgebracht habe. Vielmehr dürfte er diesbezüglich, laut seinen asylbehördlichen Aussagen, in der CSFR offensichtlich entweder von seinem "Arbeitsführer oder von der Botschaft einfach so beschuldigt worden sein". Unabhängig davon, ob man nun von diesen bloßen, durch nichts nachvollziehbaren Behauptungen stichhaltige Gründe für eine Verfolgung iSd § 57 Abs. 1 oder 2 FrG ableiten könne oder nicht, führe dieser unsubstanzielle, sehr vage Sachverhalt zu keiner gelungenen Geltendmachung des Refoulement-Verbotes. Selbst auf eine Aufforderung durch die belangte Behörde hin habe der Beschwerdeführer nicht konkretisieren können, weshalb er in Vietnam vor Gericht gestellt würde und welche strafbaren Handlungen er sich außer der illegalen Ausreise zu Schulden kommen hätte lassen, sondern habe er nur auf die erfolgte Androhung der Verfolgung auf Grund politisch oppositioneller Tätigkeit hingewiesen. Inwieweit er wirklich politisch oppositionell tätig gewesen sei, habe er nicht dargelegt. Von einer bloßen Teilnahme an einer Demonstration in der CSFR im Jahre 1991 könne er keine Verfolgungsgefahr nach § 57 FrG ableiten. Es sei nicht nachvollziehbar, warum eine Person lediglich wegen der Teilnahme an einer Demonstration acht Jahre später bei einer Rückkehr in Vietnam verfolgt werden sollte, auch wenn es sich dabei um den vietnamesischen Staat handle. Dies entspreche auch den Mitteilungen des UNHCR, wonach Rückkehrern im Einzelfall Bestrafungen wegen Propaganda gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung drohen würden. Dies hänge vom Inhalt der jeweiligen politischen Aktivitäten und deren Öffentlichkeitsgrad ab. Ohne detaillierte Kenntnis der jeweiligen Aktionen und Publikationen der Betroffenen sei der Grad der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung nicht zu beurteilen. Insgesamt sei zu betonen, dass das vietnamesische Strafrecht auf einem Territorialitätsprinzip aufbaue, dessen Ziel der Schutz der vietnamesischen Gesellschaft sei. Dabei werde davon ausgegangen, dass Auslandsaktivitäten die vietnamesische Gesellschaft nur begrenzt berühren würden. Rückkehrer unterstünden im Übrigen allgemein dem vietnamesischen Strafrecht. Sollten vor der Ausreise in Vietnam Straftaten begangen worden sein, müsse mit einer Ahndung gerechnet werden. Nach den Erfahrungen des UNHCR würden sich die vietnamesischen Behörden bemühen, die Betroffenen vor ihrer Einreise entsprechend zu unterrichten. In Fällen, in denen eine Vorankündigung nicht erfolgt sei, hätten die für die Rückführung verantwortlichen Stellen keine Kenntnis über bei Provinzbehörden anhängige Verfahren. Abschließend könne man bei Auslandsaktivitäten behaupten, dass nur gravierende Angriffe gegen den vietnamesischen Staat zu einer Strafverfolgung in Vietnam führen würden.

Gehe man nun von dieser Lagebeurteilung des UNHCR aus, sei nicht im Geringsten davon auszugehen, dass gerade dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr eine Gefahr iSd § 57 Abs. 1 oder 2 FrG drohen würde. Jedenfalls würden seine Angaben diesbezüglich nicht ausreichen. Abschließend komme noch hinzu, dass er sich seit acht Jahren in Österreich befinde und seit 1989 nicht mehr in Vietnam gewesen sei. Bei einer derart langen Abwesenheit sei nicht ersichtlich, warum man gerade gegen ihn, der politisch nicht besonders auffällig gewesen sei, mit einer Verfolgung gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 FrG vorgehen sollte. Es bestünden somit keine Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer in Vietnam individuell oder aktuell gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht würde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte unter Verzicht auf die Abfassung einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren gemäß § 75 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt durch jene nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 FrG im Verfahren gemäß § 75 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 20. März 2001, Zl. 98/21/0392, m.w.N.)

Der Beschwerdeführer bekämpft den angefochtenen Bescheid deswegen, weil in Vietnam sein Leben bzw. seine Freiheit aus Gründen der politischen Ansicht bedroht wäre. Auch die Teilnahme an einer Demonstration sei unter den Begriff der "politischen Ansichten" des § 57 Abs. 2 FrG zu subsumieren. Maßgeblich sei zudem, dass dem Beschwerdeführer von staatlichen Autoritäten wegen seines Verhaltens in der ehemaligen CSFR Strafe in Vietnam angedroht worden sei, dieses Verhalten sei gemäß Art. 82 des vietnamesischen Strafgesetzbuches strafbar. Auch sei nicht klar, warum die Teilnahme an einer Demonstration und die behaupteten Kontakte zur Opposition nicht die von der belangten Behörde geforderten "gravierenden Angriffe" darstellen könnten. Eine - im angefochtenen Bescheid offensichtlich verwertete - Mitteilung des UNHCR hinsichtlich der Gefahr einer Bestrafung von Rückkehrern wegen politischer Aktivität im Ausland sei dem Beschwerdeführer niemals zur Kenntnis gebracht worden.

Damit zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, die zu seiner Aufhebung führt. Die Wahrung des Parteiengehörs ist eine der wichtigsten Sicherungen des rechtsstaatlichen Prinzips. Dieses Prinzip wird verletzt, wenn sich ein Bescheid auf Beweismittel stützt, die der Partei nicht zugänglich gemacht worden sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 96/20/0269, m.w.N.). Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde nach dem unbestrittenen Beschwerdevorbringen damit begnügt, den Beschwerdeführer mit Behauptungen darüber zu konfrontieren, was der UNHCR in einer Stellungnahme ausgeführt habe, wobei der Inhalt dieser Stellungnahme weder vollständig noch auszugsweise wörtlich wiedergegeben und der Beschwerdeführer auch über die Umstände ihrer Entstehung nicht aufgeklärt wurde. Auch in den vorgelegten Verwaltungsakten sind diese Ausführungen nicht enthalten. Der aufgezeigte Verfahrensmangel ist daher auch wesentlich, weil der angefochtene Bescheid insoferne nicht nachprüfbar ist.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Mehrbegehren war im Hinblick darauf abzuweisen, dass die Umsatzsteuer in den in der angeführten Verordnung festgesetzten Pauschbeträgen bereits enthalten ist.

Wien, am 24. Mai 2002

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Parteiengehör Parteiengehör Allgemein Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999210101.X00

Im RIS seit

22.07.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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