TE Vfgh Erkenntnis 1999/6/15 B137/99

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.06.1999
beobachten
merken

Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG 1997 §47 Abs4
FremdenG 1997 §48 Abs1
FremdenG 1997 §49 Abs1
FremdenG 1997 §114 Abs3

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes infolge denkunmöglicher Anwendung der Bestimmungen des FremdenG 1997 für begünstigte Drittstaatsangehörige; Zeitpunkt des Staatsangehörigkeitserwerbs durch den Ehegatten des begünstigten Fremden ohne rechtliche Bedeutung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit S 27.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer (nach der Aktenlage allenfalls: mazedonischer) Staatsangehöriger, befindet sich seit 1981 in Österreich; er heiratete in diesem Jahr und lebt mit seiner erwerbstätigen Ehegattin, welcher mit Wirksamkeit vom 30. Mai 1996 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, und den beiden gemeinsamen (1985 bzw. 1989 in Wien geborenen) Kindern im selben Haushalt. Im Juni 1996 erließ die Bundespolizeidirektion Wien wegen zweier strafgerichtlicher Verurteilungen gegen ihn ein unbefristetes Aufenthaltsverbot, das er jedoch verspätet bekämpfte. Der vom Beschwerdeführer am 23. September 1996 gestellte Antrag auf Aufhebung dieses Aufenthaltsverbotes wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. Feber 1997 abgewiesen. Die dagegen eingebrachte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hatte keinen Erfolg.

b) Am 19. November 1997 beantragte der Beschwerdeführer - im Hinblick auf das Inkrafttreten des Fremdengesetzes 1997, BGBl. I Nr. 75/1997 (im folgenden: FremdenG 1997) - neuerlich die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes. Diesen Antrag wies die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 30. Juli 1998 gemäß §114 Abs3 iVm §48 Abs1 FremdenG 1997 ab.

2. Die gegen diesen Bescheid der Bundespolizeidirektion erhobene Berufung blieb erfolglos. Im abweisenden Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 7. Dezember 1998 wird begründend ua. ausgeführt, daß §48 (Abs1) FremdenG 1997 in diesem Fall keine Anwendung finde. Im einzelnen legte die Berufungsbehörde mit Beziehung auf diese Gesetzesstelle folgendes dar:

"Danach ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, nicht zulässig. Für Ehegatten von EWR-Bürgern gilt dies nur, wenn sie mehr als die Hälfte der Zeit mit einem EWR-Bürger verheiratet waren. Zweifelsfrei erfüllt der Berufungswerber dieses Kriterium nicht. Zwar war er seit mehr als zehn Jahren in Österreich niedergelassen und noch länger verheiratet, seine Gattin wurde jedoch erst achtundzwanzig Tage vor Erlassung des Aufenthaltsverbotes österreichische Staatsangehörige und somit EWR-Bürgerin. Zum Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes war der Berufungswerber daher nicht mit einer EWR-Bürgerin mehr als fünf Jahre verheiratet. Entgegen dem Berufungsvorbringen kommt es daher nicht darauf an, dass die Gattin des Berufungswerbers zum Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes bereits österreichische Staatsangehörige ist. Vielmehr hätte sie - um §48 leg.cit. auf den Berufungswerber anwendbar zu machen - während zumindest fünf Jahren Österreicherin (d.h. EWR-Bürgerin) sein müssen. Dies entspricht auch dem Wortlaut des §48 Abs1, letzter Satz, weshalb von einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung - wie vom Berufungswerber behauptet - keine Rede sein kann. Einer Deutung der genannten Bestimmung im Sinne des Berufungsvorbringens steht bereits die Wortwahl durch den Gesetzgeber entgegen. Bereits durch die zweimalige Verwendung des Wortes 'EWR-Bürger' im letzten Satz des §48 Abs1 leg.cit. ergibt sich eindeutig der oben dargelegte Inhalt dieser Bestimmung. Nach der Rechtsansicht des Berufungswerbers hingegen wäre das zweite 'EWR-Bürger' entbehrlich und durch ein Pronomen ersetzbar. Da dem Gesetzgeber eine derartige legistische Fehlleistung nicht unterstellt werden kann, ist dem Versuch des Berufungswerbers, die genannte Bestimmung unter Heranziehung des Staatsbürgerschaftsgesetzes umzudeuten, jegliche Grundlage entzogen."

II. 1. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

2. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

III. Die Beschwerde, deren

meritorischer Erledigung Verfahrenshindernisse nicht entgegenstehen, erweist sich als gerechtfertigt.

§47 - welcher ebenso wie der im angefochtenen Bescheid bezogene §48 dem 1. Abschnitt des 4. Hauptstückes des FremdenG 1997 zugehört - bestimmt im Abs4, daß begünstigten Drittstaatsangehörigen, die ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, die weitere Niederlassungsbewilligung nicht versagt werden darf, und ordnet ferner - einschränkend - an, daß dies für Ehegatten (im Sinne des Abs3 Z1, mithin für solche Ehegatten, die als Angehörige eines EWR-Bürgers begünstigte Drittstaatsangehörige sind) nur gilt, wenn sie mehr als die Hälfte der Zeit mit einem EWR-Bürger verheiratet waren. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage beschreiben den Regelungszweck dieser Vorschrift (einschließlich der eben erwähnten Einschränkung für Ehegatten) wie folgt (685 BlgNR 20. GP, S. 78):

"Abs4 des Entwurfes begünstigt Drittstaatsangehörige von EWR-Bürgern nach 10 Jahren ununterbrochener Niederlassung in Hinblick auf ihre Aufenthaltsverfestigung. Eine Ausnahme bilden die Ehegatten, für sie gilt diese Begünstigung nur dann, wenn sie mehr als die Hälfte dieser Zeit mit dem EWR-Bürger verheiratet waren; diese Einschränkung dient der Hintanhaltung des Mißbrauchs der Bestimmung."

Es ist nun offenkundig, daß der befürchtete Mißbrauch der - eine weitreichende Begünstigung einräumenden - Regelung im Eingehen einer Scheinehe (vgl. zu diesem Begriff §8 Abs4) zwecks Schaffung der Anspruchsvoraussetzungen für den Aufenthaltstitel liegt. Das Vorliegen einer solchen ist nämlich u. U. - und zwar vor allem bei erst kurzer Dauer - nur mit erheblichen Schwierigkeiten feststellbar. Im Hinblick auf diesen Sinn der gesetzlichen Anordnung ist es aber im Fall, daß dem Ehegatten eines begünstigten Drittstaatsangehörigen die Staatsangehörigkeit eines EWR-Vertragsstaates erst während der Ehe verliehen wurde, völlig belanglos, wie lange (bei einer jedenfalls schon seit mindestens fünf Jahren bestehenden Ehe) der Zeitraum zwischen der Verleihung der Staatsbürgerschaft und der Gewährung der angestrebten Begünstigung ist. Ein Mißbrauch - wie lediglich der Vollständigkeit wegen angeführt sei - in der Richtung, daß der Staatsangehörigkeitserwerb durch den Ehegatten des die Begünstigung anstrebenden Fremden (ausschließlich oder hauptsächlich) in der Absicht unternommen wird, die Begünstigungsvoraussetzungen zu schaffen, erschiene abseits realistischer Erwägungen.

Wie die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des FremdenG 1997 weiters darlegen (aaO, ebenfalls S. 78), stellt der zweite Satz im §48 Abs1 "die korrespondierende Bestimmung zu §47 Abs4 (dar) ... und bestimmt, daß nach acht Jahren (- offenkundig gemeint: nach zehn Jahren -) ununterbrochener Niederlassungsdauer dem Drittstaatsangehörigen eines EWR-Bürgers nicht nur die Niederlassungsbewilligung nicht versagt werden darf, sondern er auch nicht mehr mit einem Aufenthaltsverbot belegt werden darf". Dies bestätigt die sowohl aus dem Wortlaut des §48 Abs1 als auch aus dem systematischen Zusammenhang mit §47 Abs4 zweifelsfrei abzuleitende Rechtsauffassung, daß (auch) im Anwendungsbereich des §48 Abs1 der Zeitpunkt des Staatsangehörigkeitserwerbs durch den Ehegatten des begünstigten Fremden ohne rechtliche Bedeutung ist. Hiezu ist im Hinblick auf jene Argumentation des angefochtenen Bescheides, welche die sprachliche Fassung des §48 Abs1, nämlich die Wiederholung der Worte "EWR-Bürger", in den Vordergrund rückt, noch anzumerken, daß sich diese Wiederholung zwanglos aus der dargelegten Parallele von §48 Abs1 zu §47 Abs4 erklären läßt. Im gegebenen Kontext ist schließlich festzuhalten, daß das Gesetzesverständnis der belangten Behörde auch mit dem übrigen Inhalt des §48 Abs1 (iZm der Umschreibung der begünstigten Drittstaatsangehörigen in §47 Abs3) in einem unter dem Aspekt verfassungsrechtlich gebotener Gleichbehandlung von Fremden untereinander nicht lösbaren Spannungsverhältnis steht, denn in Ansehung begünstigter Verwandter (Z2 und Z3 des §47 Abs3) erweist sich der Zeitpunkt des Erwerbs der Staatsangehörigkeit eines EWR-Vertragsstaates von vornherein als unerheblich.

Zusammenfassend folgt aus diesen Erwägungen (unter Bedachtnahme auf §49 Abs1 (wonach - abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen - die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt auf Angehörige von Österreichern anzuwenden sind) sowie auf §114 Abs3 (über die Verpflichtung zur Aufhebung vor dem Inkrafttreten des FremdenG 1997 erlassener Aufenthaltsverbote, wenn sie nach den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht erlassen hätten werden können)), daß die belangte Sicherheitsdirektion das Gesetz völlig verfehlt, nämlich geradezu denkunmöglich angewendet hat. Hiedurch ist der Beschwerdeführer im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (vgl. zB. VfSlg. 14448/1996).

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

IV. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 4.500,-- enthalten.

V. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Aufenthaltsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B137.1999

Dokumentnummer

JFT_10009385_99B00137_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten