TE Vfgh Beschluss 1999/6/16 G38/99, G80/99

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Veröffentlicht am 16.06.1999
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
ÄrzteG 1998 §118
ASVG §153 Abs3
ASVG §575 Abs16a
ASVG §343c

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags der Ärztekammer auf Aufhebung sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen über den Abschluß von Gesamtverträgen betreffend die in Zahnambulatorien erbrachten Leistungen; keine rechtliche Betroffenheit der antragstellenden Interessenvertretung

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. §153 Abs3 letzter Satz ASVG lautet seit der Novelle BGBl I 138/1998:

"In gesamtvertraglichen Vereinbarungen (§§341, 343c Abs1 Z1) nicht vorgesehene Leistungen dürfen in den Zahnambulatorien nicht erbracht werden; in den Zahnambulatorien dürfen aber jedenfalls jene Leistungen erbracht werden, die Gegenstand des letztgültigen Vertrages gemäß §341 bzw. §343c Abs1 Z1 sind oder waren."

§343c ASVG lautet samt Überschrift:

"Gesamtvertrag über den Tätigkeitsumfang der Zahnambulatorien und über Richttarife für den festsitzenden Zahnersatz

343c. (1) Zwischen dem Hauptverband und der Österreichischen Ärztekammer ist ein Gesamtvertrag abzuschließen, der

1. den Tätigkeitsumfang der Zahnambulatorien, soweit dieser über den in den Satzungen und Verträgen (§341) festgesetzten Tätigkeitsumfang hinausgeht, eingrenzt und

2. Richttarife festsetzt, die dem Versicherten von Vertragsärzten (Vertragsdentisten) für Leistungen des festsitzenden Zahnersatzes in Rechnung gestellt werden dürfen.

(2) Die gemäß Abs1 Z2 festgesetzten Richttarife sind für alle in einem Vertragsverhältnis stehenden freiberuflich tätigen Ärzte bzw. Dentisten verbindlich."

Durch Art1 des BGBl. I 1999/15 wurde in das ASVG ein §575 Abs16a eingefügt:

"(16a) Besteht am 1. Jänner 1999 kein Gesamtvertrag gemäß §343c Abs1 Z1 und 2, so dürfen die Zahnambulatorien ab diesem Zeitpunkt Leistungen des festsitzenden Zahnersatzes so lange erbringen, als kein solcher Gesamtvertrag besteht. Die Krankenversicherungsträger haben sich bei der Leistungserbringung des festsitzenden Zahnersatzes auf ständige Ambulatoriumspatienten, auf Patienten mit besonderen medizinischen Indikationen sowie auf Patienten mit geringen Einkommens- bzw. Vermögensverhältnissen zu konzentrieren. Die Krankenversicherungsträger dürfen in den Zahnambulatorien im Bereich des festsitzenden Zahnersatzes keine kosmetischen Luxusleistungen, ebenso keine umfangreichen festsitzenden Zahnersatzkonstruktionen erbringen, die als Gesamtarbeit wegen ihrer Größe ein außergewöhnliches Risiko darstellen."

II. In ihren vorliegenden, auf Art140 B-VG gestützten Individualanträgen wenden sich die Österreichische Ärztekammer und die Bundeskurie der österreichische Zahnärzte gegen die zitierten Bestimmungen der §§153, 343c und 575 Abs16a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) und beantragen deren Aufhebung als verfassungswidrig. Die antragstellenden Interessenvertretungen sehen sich durch diese Bestimmungen unmittelbar in ihrer Rechtssphäre betroffen und in ihren Grundrechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums und Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Zur Antragslegitimation beruft sich die Österreichische Ärztekammer auf ihren gesetzlichen Wirkungsbereich, der sie unter anderem zur Wahrnehmung aller Angelegenheiten berufe, die die gemeinsamen beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen von zwei oder mehr Ärztekammern berühren. Die Bundeskurie der österreichischen Ärztekammer versucht ihre Antragslegitimation aus §126 Abs5 Z2 Ärztegesetz herzuleiten, wonach zu ihren Aufgaben insbesondere "der Abschluß und die Lösung von Verträgen zur Regelung der Beziehungen der Zahnärzte zu den Trägern der Sozialversicherung und Krankenfürsorge" gehören. "Ihre" Rechtssphäre sehen sie insoweit verletzt, als "der Berechtigungsumfang von kasseneigenen Zahnambulatorien verfassungswidrigerweise erweitert" werde bzw. damit "eine Einschränkung des Berechtigungsumfanges der niedergelassenen Zahnärzte und ihrer beruflichen Interessenvertretungen" verbunden sei.

III. Die Anträge sind unzulässig.

1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10353/1985, 11730/1988; vgl. zuletzt den B. vom 15. Juni 1998, V29/98, betreffend eine ärztliche Interessenvertretung).

2. Die antragstellenden Interessenvertretungen behaupten, daß die angefochtenen Gesetzesstellen "die Rechtsstellung und wirtschaftlichen Interessen aller österreichischen Zahnärzte" unmittelbar beträfen. Aus diesem Umstand in Verbindung mit ihrer - in den Anträgen näher dargelegten - Aufgabe, die gemeinsamen beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder wahrzunehmen, leiten die antragstellenden Interessenvertretungen ihre Antragslegitimation ab.

Durch die für die Österreichische Ärztekammer in §118 Abs1 Ärztegesetz 1998, für die Bundeskurie der Zahnärzte in §126 Abs5 leg. cit. geregelten Interessenvertretungsfunktion, wird es den antragstellenden Interessenvertretungen zwar zur Aufgabe gemacht, die genannten Interessen wahrzunehmen; eine derartige Interessenvertretungsfunktion vermag aber eine fehlende aktuelle und unmittelbare rechtliche Betroffenheit der Österreichischen Ärztekammer und der Bundeskurie der österreichischen Zahnärzte nicht zu ersetzen, und zwar selbst dann nicht, wenn ein Gesetz angegriffen würde, welches tatsächlich die Rechtssphäre der einzelnen Kammermitglieder unmittelbar gestaltete oder wenn die antragstellenden Interessenvertretungen selbst von den wirtschaftlichen Reflexwirkungen dieser Vorschriften betroffen wären (vgl. den Beschluss vom 3.März 1999, A2/99, G4/99, G5/99).

Auch eine Einschränkung des "Berechtigungsumfanges" der antragstellenden Interessenvertretungen kann aus den genannten Bestimmungen nicht abgeleitet werden. Auch eine - wie die antragstellenden Interessenvertretungen freilich an anderer Stelle behaupten - "Verschiebung der wirtschaftlichen Gewichte zwischen den Vertragspartnern eines Gesamtvertrages" bedeutete - selbst wenn diese Behauptung zuträfe, was aber hier nicht geprüft werden muß - noch keine unmittelbare Betroffenheit der antragstellenden Interessenvertretungen in ihrer Rechtssphäre (zur Unmaßgeblichkeit wirtschaftlicher Betroffenheit bei Prüfung der Legitimation zur Stellung eines Individualantrages vgl. VfSlg.11730/1988). Die der Österreichischen Ärztekammer (zwar nicht - wie sie meint - im Rahmen der Privatautonomie zustehende, wohl aber durch Gesetz) verliehene Befugnis zum Abschluß privatrechtlicher Normenverträge wird durch die angegriffenen Regelungen im übrigen in keiner Weise beschränkt.

3. Da somit die angefochtenen Regelungen aus dem Blickwinkel der Antragsbehauptungen keinen unmittelbaren Eingriff in eine den antragstellenden Interessenvertretungen gewährleistete Rechtssphäre bewirken und es daher beiden antragstellenden Interessenvertretungen an der Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz fehlt, waren die Anträge zurückzuweisen. Es kann dabei auch auf sich beruhen, ob die Behauptung der antragstellenden Interessenvertretungen zutrifft, daß die angegriffenen Gesetzesbestimmungen überhaupt unmittelbar die Rechtssphäre aller Zahnärzte oder ob sie nicht nur jene der in Betracht kommenden Krankenversicherungsträger gestalten.

IV. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Sozialversicherung, Ärzte, Ärztekammer

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:G38.1999

Dokumentnummer

JFT_10009384_99G00038_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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