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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des Z (auch Z) M in W, geboren am 2. Oktober 1969, vertreten durch Mag.DDr. Paul Hopmeier, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rathausstraße 15, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. Mai 1998, Zl. 202.040/0-V/14/98, betreffend §§ 7, 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste am 22. Jänner 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am 24. Jänner 1998 einen Asylantrag. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 3. Februar 1998 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen Folgendes an:
Er habe seinen Militärdienst nicht geleistet, weil er Angst davor gehabt habe, von den Islamisten - so wie viele andere Soldaten - umgebracht zu werden. Weil er dem Einberufungsbefehl nicht nachgekommen sei, habe er immer wieder von seiner Arbeitsstelle flüchten müssen, wenn irgendwo die Polizei aufgetaucht sei. Allerdings habe er den Einberufungsbefehl bereits vor neun Jahren erhalten und sei seither nie erwischt worden, sodass er mehr oder weniger problemlos habe leben können. Im Jänner 1998 seien die allgemeinen Lebensbedingungen in Algerien so schwierig geworden, dass man seiner Arbeit nicht mehr geregelt nachgehen könne. Jeden Tag gebe es Tote. Auch im Heimatort des Beschwerdeführers gebe es Kämpfe; die Unruhen hätten dort vor etwa zehn Jahren begonnen. Er selbst habe zwar noch keine Probleme mit den Behörden seines Heimatlandes oder mit den Islamisten gehabt, jedoch könne er in Algerien auf Grund der ständigen Unruhen und Kämpfe "kein normales Leben mehr führen". Die Frage, ob er wegen der Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles konkret gesucht worden sei, verneinte der Beschwerdeführer. Vor etwa drei Jahren habe er problemlos einen Reisepass ausgestellt bekommen; zwischen der Ableistung des Militärdienstes und der Ausstellung eines Reisepasses bestehe kein Zusammenhang.
Auf die Frage, was er bei einer eventuellen Rückkehr in seine Heimat befürchte, gab der Beschwerdeführer an, er müsse "mit allem rechnen". Möglicherweise würde er Probleme mit den Behörden bekommen, weil ihm diese eine Zugehörigkeit zu den Fundamentalisten vorwerfen könnten. Da er seinen Militärdienst nicht abgeleistet habe, würde man ihn wahrscheinlich rekrutieren. Er könne von Glück reden, dass man ihn bisher nicht erwischt habe.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 5. Februar 1998 den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz ab und stellte gemäß § 8 Asylgesetz fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien zulässig sei. Das Bundesasylamt sprach dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Asylrelevanz ab, weil diesem keine konkret gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgungshandlungen zu entnehmen gewesen seien. Was seine Furcht vor einer Einberufung zum Militärdienst betreffe, so sei eine allenfalls drohende Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung grundsätzlich nicht asylbegründend. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers seien keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen gewesen, dass mit seiner Einberufung eine asylrelevante Verfolgung beabsichtigt gewesen wäre.
In seiner sehr ausführlichen Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer unter anderem Folgendes vor:
"Ich gehöre sowohl als 'francophone' wie auch als Vertreter eines moderat-islamischen Lebensstils zum akut gefährdeten Personenkreis. Die Drohung der (bewaffneten islamistischen Gruppe) GIA, sie werde diejenigen bestrafen, die nicht auf ihrer Seite stehen, musste infolge dessen von mir in besonderer Weise ernst genommen werden und besteht daher im Fall einer Rückkehr die immanente Gefahr, Übergriffen der bewaffneten Oppositionsgruppen ausgesetzt zu sein. (...)
Medienberichten zufolge häufen sich Vermutungen, wonach zumindest Teile der Armee die Mörder gewähren lassen. Obwohl die jüngsten Massaker in unmittelbarer Nähe von Militärkasernen stattfanden, griff das Militär nicht zum Schutz der Zivilbevölkerung ein.
Die Zivilbevölkerung wird weder durch die Sicherheitskräfte noch durch die Milizen geschützt. Es geschieht im Gegenteil häufig, dass Personen, die den Schutz der staatlichen Behörden suchen, verdächtigt werden, die bewaffneten islamistischen Gruppen zu unterstützen. So zögern Personen nach Berichten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe beispielsweise, den Diebstahl ihres Autos bei der Polizei anzuzeigen, um nicht in falschen Verdacht zu geraten. Erstatten sie jedoch keine Anzeige, so können sie erst recht der Unterstützung islamistischer Gruppen verdächtigt werden.
Umgekehrt bin ich aber auch seitens der Regierung, des Militärs bzw. der Sicherheitskräfte akut gefährdet, welche wiederholt ihre Entschiedenheit betont haben, die islamistischen Gruppen auslöschen (zu wollen). Den Sicherheitskräften wird vorgeworfen, hunderte extralegale Hinrichtungen begangen zu haben, wobei diese gebraucht werden, um mögliche Unterstützer der Islamisten zu beseitigen, um Verdächtige zu eliminieren sowie um Unterstützer der Islamisten einzuschüchtern."
Neben verschiedenen Dokumenten zitierte der Beschwerdeführer auch einen Bericht der schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 28. Juli 1997, der zum Ergebnis gekommen sei, dass angesichts der in Algerien herrschenden Situation allgemeiner Gewalt keine Rückschaffungen abgewiesener Asylwerber vollzogen werden dürften. Dies müsse umso mehr für ihn gelten, weil auf ihn "mehrere der ausgeführten Risikofaktoren zutreffen". Die in erster Instanz geltend gemachte Verfolgung wegen Wehrdienstverweigerung wurde in der Berufung nicht mehr erwähnt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien zulässig sei. In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, dass die Angaben des Asylwerbers (gemeint - angesichts der Verweisung auf die Darstellung im erstinstanzlichen Bescheid - offenbar: vor der Behörde erster Instanz) als glaubhaft zu qualifizieren seien, sodass der Inhalt "dieser" Angaben als erwiesen angenommen werde. Da "sohin" der Sachverhalt aus der Aktenlage "in Verbindung mit dem Berufungsvorbringen" geklärt sei, habe gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden können. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer konkrete, gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen durch die Islamisten nicht behauptet habe, sei seinem Vorbringen nicht zu entnehmen gewesen, dass er den Versuch gemacht hätte, Hilfe durch staatliche Stellen zu erlangen und dass diese dazu nicht willens oder nicht in der Lage gewesen wären. So erscheine die behauptete akute Gefährdung seitens der Regierung, des Militärs bzw. der Sicherheitskräfte darin gelegen zu sein, dass der Beschwerdeführer sich neun Jahre lang der Einberufung entzogen habe und nun befürchte, der Wehrpflicht nachkommen zu müssen. Die Furcht vor einer wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion drohenden, unter Umständen auch strengen Bestrafung stelle keinen Grund für die Anerkennung als Flüchtling dar, sofern nicht Umstände hinzuträten, die die Annahme rechtfertigten, die Einberufung, die Behandlung während des Militärdienstes oder die Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes oder Desertion sei infolge eines der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe für den Asylwerber ungünstiger erfolgt. Dass die Einberufung des Beschwerdeführers einen in diesem Sinne asylrechtlich relevanten Aspekt hätte oder ihm aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen eine härtere Bestrafung als anderen Staatsangehörigen drohe, habe er nicht behauptet. Beim Vorbringen des Beschwerdeführers handle es sich daher lediglich um subjektive Furcht; Anhaltspunkte für weitere konkrete, gegen ihn gerichtete oder geplante Verfolgungshandlungen habe er nicht vorgebracht. Vielmehr ließen die Ausführungen des Beschwerdeführers darauf schließen, dass er durch keine in seiner Person gelegenen Merkmale einem erhöhten Gefährdungspotenzial im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt gewesen sei oder ein solches im Falle seiner Rückkehr zu befürchten hätte. Dafür spreche auch, dass er sich neun Jahre lang nach Erhalt seines Einberufungsbefehls in Algerien aufgehalten habe.
In Bezug auf § 8 AsylG führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer lediglich Befürchtungen geäußert habe. Konkrete in sich schlüssige Hinweise, dass er wegen einem in seiner Person gelegenen Merkmal einer erhöhten Gefahr ausgesetzt sei oder im Falle seiner Rückkehr eine erhöhte Gefahr zu befürchten hätte, könnten seinen Ausführungen nicht entnommen werden. Mangels konkreten, seine Person betreffenden substantiierten Vorbringens sei es dem Berufungswerber daher nicht gelungen, eine aktuelle Gefährdungs- bzw. Bedrohungssituation in Algerien im Sinne des § 57 Abs. 1 und 2 FrG glaubhaft zu machen.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde ist auf das ausführliche Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Berufung nicht eingegangen und hat die von ihm dazu beantragten Beweise nicht aufgenommen. Die belangte Behörde ist ohne weitere Ermittlungen und ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung davon ausgegangen, dass den nicht konkret gegen den Beschwerdeführer gerichteten Übergriffen durch Islamisten die Asylrelevanz fehle und hat diese Auffassung damit verbunden, dass der Beschwerdeführer nicht vorgebracht habe, sich an staatliche Stellen um Schutz gewendet zu haben. In der Begründung ihres Ausspruches gemäß § 8 AsylG hat die belangte Behörde in diesem Zusammenhang noch ausgeführt, das Vorbringen des Beschwerdeführers lasse darauf schließen, dass er in seiner Heimat keiner größeren Gefährdung ausgesetzt sei als alle anderen Bürger.
Der Beschwerdeführer hat jedoch in der Berufung vorgebracht, dass er sowohl wegen seines "moderat-islamischen Lebensstils" als auch wegen seiner Einstufung als "francophone" zu dem durch die Islamisten akut gefährdeten Personenkreis zähle. Von daher kann ohne einer auf entsprechenden Ermittlungen beruhenden Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer (nur) "befürchtet, der Pflicht, den Militärdienst zu leisten, nachkommen zu müssen" und (sonst) keiner Verfolgung ausgesetzt wäre (vgl. die Algerien betreffende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, z.B. die Erkenntnisse vom 19. Juni 2001, Zl. 2000/01/0170, vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256, und vom 24. März 1999, Zl. 98/01/0380).
Da die belangte Behörde sich mit dem in der Berufung erstatteten - über die in erster Instanz vorgebrachte Wehrdienstverweigerung weit hinausgehenden - Vorbringen nicht in einer mündlichen Berufungsverhandlung auseinander gesetzt hat, ist der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben. Die belangte Behörde hat daher Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Beachtung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Der belangten Behörde ist weiter zu entgegnen, dass einer von nicht staatlichen Stellen ausgehenden Verfolgung nicht in allen Fällen bereits dann die Asylrelevanz abgesprochen werden kann, wenn sich der Asylwerber nicht an staatliche Stellen um Hilfe gewendet hat. Wenn nämlich - wie dem von der belangten Behörde offenbar nicht weiter beachteten Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers zu entnehmen ist - bereits von vornherein klar wäre, dass die staatlichen Stellen vor Verfolgung nicht schützen können oder wollen, so ist es nicht erforderlich, den - aussichtslosen - Versuch zu unternehmen, bei staatlichen Stellen Schutz zu suchen (vgl. die schon zitierten hg. Erkenntnisse vom 24. März 1999, 22. März 2000 und 19. Juni 2001).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 11. Juni 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1998010394.X00Im RIS seit
18.09.2002Zuletzt aktualisiert am
01.06.2010