TE Vwgh Erkenntnis 2002/6/11 2001/01/0526

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Veröffentlicht am 11.06.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2001/01/0527 E 11. Juni 2002

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des RM in P, geboren am 25. Februar 1980, vertreten durch Dr. Gerhard Othmar Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den in der mündlichen Verhandlung vom 11. Juli 2001 verkündeten und am 16. Oktober 2001 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 211.360/8-VIII/23/00, betreffend §§ 7, 8 und 15 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung (Entscheidung nach § 7 AsylG; Spruchpunkt I.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer reiste am 21. Juni 1999 in das Bundesgebiet ein. Er ist Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den am 22. Juni 1999 gestellten Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Weiters stellte sie gemäß § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die BR Jugoslawien nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.) und dass dem Beschwerdeführer gemäß § 15 AsylG bis zum 10. Juli 2002 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt werde (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Bruder (dem Beschwerdeführer zur hg. Zl. 2001/01/0527) fünf Jahre lang für eine staatliche serbische Firma tätig gewesen sei. Die dort außerdem beschäftigten Kosovo-Albaner, die sich nicht dem serbischen Regime hätten unterwerfen wollen, habe man im Zuge der Repressionsmaßnahmen dieses Regimes nach und nach entlassen, zuletzt seien der Beschwerdeführer und sein Bruder die einzigen Kosovo-Albaner gewesen, die noch in dieser Firma gearbeitet hätten. Von der eigenen Volksgruppe sei der Beschwerdeführer wegen der Zusammenarbeit mit den Serben schlecht behandelt worden und unzählige Male - durch Mitglieder der LDK - aufgefordert worden, die Arbeit aufzugeben. In der direkten Nachbarschaft des Beschwerdeführers hätten alle gewusst, dass er für eine serbische Firma gearbeitet habe; für diese Nachbarschaft sei er wie ein Serbe gewesen, er habe (daher) damit zu rechnen, als Kollaborateur der Serben behandelt zu werden.

Zur "Allgemeinen Situation" im Kosovo stellte die belangte Behörde ua. fest, dass ab Mitte Juni 1999 eine massive Rückkehrbewegung kosovo-albanischer Flüchtlinge in den Kosovo eingesetzt habe. Diese Rückkehrbewegung sei von zahlreichen gewalttätigen Übergriffen vor allem gegenüber im Kosovo verbliebenen Serben und Roma begleitet gewesen. Bisherige Bemühungen der Staatengemeinschaft zur Stabilisierung des Kosovo zeigten zwar zunehmend Erfolge, diese Bemühungen hätten jedoch nicht verhindern können, dass Angehörige von Minderheiten, insbesondere ethnische Serben und Roma, zum Teil systematischen Pressionen, Einschüchterungen und gewaltsamen, immer wieder auch tödlich endenden Übergriffen sowie massiven Sachbeschädigungen durch Kosovo-Albaner ausgesetzt seien. Aus der "UNHCR-Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo, März 2001" zitierte die belangte Behörde überdies "hinsichtlich der Gefährdungssituation rückkehrender Kosovo-Albaner" ua. wie folgt:

"- Personen, die mit dem serbischen Regime nach 1990 in Verbindung gebracht werden, benötigen besondere Aufmerksamkeit. Es muss gebührend beachtet werden, dass die Gründe, warum eine Person der Kollaboration mit dem früheren Regime beschuldigt wird, nicht notwendigerweise den Tatsachen entsprechen. Für die Verdächtigung einer Person kann es ausreichen, dass ihr Haus nicht von serbischen oder jugoslawischen Truppen niedergebrannt oder geplündert wurde. Substanziellen Hinweisen darauf, dass ein Asylwerber mit den serbischen Behörden nach 1990 in Verbindung gebracht oder als Kollaborateur eingestuft werden könnte, sollte in gebührendem Maße Rechnung getragen werden. Beispielsweise dürften Kosovo-Albaner, die ein Amt in der serbisch dominierten Verwaltung, Justiz oder Polizei bekleideten, nach der Rückkehr einem hohen Risiko ausgesetzt sein, das im Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft sorgfältig berücksichtigt werden sollte."

Rechtlich folgerte die belangte Behörde, dass seit dem 20. Juni 1999 eine weitere asylrelevante Verfolgung von Angehörigen der albanischen Volksgruppe im Kosovo durch Serbien bzw. die BR Jugoslawien nachhaltig unwahrscheinlich erscheine. Im Hinblick auf diese geänderten Verhältnisse könne der Beschwerdeführer nicht als Flüchtling anerkannt werden. Zu § 8 AsylG führte die belangte Behörde weiter aus, dass eine UNMIK oder KFOR zuzurechnende "staatliche" Bedrohung im Kosovo nicht bestehe und seitens des Beschwerdeführers auch nicht behauptet worden sei. Auf Grund seiner individuellen konkreten Lebensumstände sei ihm dennoch eine Rückkehr unzumutbar; er gehöre nämlich einer im Positionspapier des UNHCR vom März 2001 besonders erwähnten Personengruppe an, für die "nach zutreffender Auffassung verschiedener internationaler Organisationen der Refoulementschutz geboten erschiene". Dies gelte nicht nur in Bezug auf Serbien/Montenegro, sondern auch in Bezug auf den Kosovo selbst.

Über die gegen die Abweisung des Asylantrages (Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides) erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die belangte Behörde gewährte dem Beschwerdeführer Refoulement-Schutz nach § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1 Fremdengesetz 1997. Dabei ging sie davon aus, dass dieser damit zu rechnen habe, seitens der Kosovo-Albaner als Kollaborateur der Serben behandelt zu werden und dass ihm im Hinblick auf die daraus resultierende Gefährdung eine Rückkehr auch in den Kosovo unzumutbar sei (eine Rückkehrmöglichkeit nach "Serbien/Montenegro" - unter Ausschluss des Kosovo - verneinte die belangte Behörde ohne weitere Erörterung offenkundig in Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführer der albanischen Volksgruppe angehört). Geht man von der Richtigkeit dieser Überlegungen aus, so hätte dem Beschwerdeführer allerdings auch Asyl zuerkannt werden müssen, weil das erkennbar unter dem Gesichtspunkt einer Gefährdung von Leib und Leben für maßgeblich erachtete Bedrohungsszenario klar auf dem Konventionsgrund der (unterstellten) politischen Gesinnung beruht und sich mithin als asylrelevant erweist.

Das Argument der belangten Behörde, eine weitere asylrelevante Verfolgung der Angehörigen der albanischen Volksgruppe im Kosovo durch Serbien bzw. die BR Jugoslawien erscheine als nachhaltig unwahrscheinlich, geht in Anbetracht dessen ins Leere, dass es im vorliegenden Fall bezüglich des Kosovo (eine Prüfung bezüglich "Restjugoslawien" hat, wie schon erwähnt, nicht stattgefunden) nicht um eine Bedrohung durch Serben, sondern um eine solche durch die albanische Bevölkerungsgruppe geht. Sollte die belangte Behörde die Auffassung vertreten haben, eine Asylgewährung komme mangels "Staatlichkeit" der Verfolgung nicht in Betracht - so könnten ihre Ausführungen im Rahmen der Entscheidung zu § 8 AsylG verstanden werden, wonach eine UNMIK oder KFOR zuzurechnende "staatliche" Bedrohung im Kosovo nicht bestehe -, so hätte sie die Rechtslage verkannt (vgl. zuletzt ausführlich das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509). Im Übrigen ist auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Änderung der Verhältnisse im Kosovo seit dem 20. Juni 1999 nicht zwingend dazu führt, dass einem aus dem Kosovo stammenden Asylwerber die Gewährung von Asyl versagt werden müsste. Vielmehr kann solchen Personen aus anderen, auf die nunmehrige Ordnungsmacht (Organe der Vereinten Nationen) bezogenen Gründen die Flüchtlingseigenschaft zukommen, insbesondere wenn diese nicht in der Lage sein sollte, asylrelevante Verfolgungshandlungen von dritter Seite hintanzuhalten (vgl. etwa die auch in der Beschwerde erwähnten hg. Erkenntnisse vom 4. April 2001, Zl. 2000/01/0348, und vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/01/0278). Letzteres liegt offensichtlich der Refoulement-Entscheidung der belangten Behörde zugrunde, sodass ihr Ausspruch über den Asylantrag des Beschwerdeführers (Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides) nach dem Gesagten mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet ist und daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 11. Juni 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001010526.X00

Im RIS seit

23.08.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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