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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des im Jahre 1962 geborenen C K in W, vertreten durch Dr. Wolfgang C.M. Burger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Grillparzerstraße 5/8, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Juli 2000, Zl. 212.151/0- XI/33/99, betreffend Abweisung eines Asylantrages gemäß § 7 AsylG und Feststellung gemäß § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Somalias, gelangte am 8. Juli 1999 in das Bundesgebiet und stelle am selben Tag einen Asylantrag. Im Rahmen seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 19. Juli 1999 gab er hiezu an:
"F: Warum haben Sie Ihr Heimatland verlassen?
A: Eines Tages als ich mit dem Auto nach Mogadihsu fuhr wurde ich von den Rebellen aufgehalten, der Anführer hieß Husseein Aidid, sie forderten mich auf gegen die Rebellen die RRA zu kämpfen. Dies war am 02.02.1999. ..., dies lehnte ich ab, und wurde in der Folge 10 Tage inhaftiert. Ich entschloß mich nach den 10 Tagen doch zu kämpfen, wurde freigelassen, zog in den Kampf für 2 Tage, dann ergab sich eine Fluchtchance und ich nutzte diese. Am 16.02.99 bin ich ... nach Mogadishu. In Mogadishu nahm ich mit dem Rebellenführer Aidid Kontakt auf, um mein Auto zurückzubekommen, dieser drohte wenn ich nicht gehen würde, würde er mich wieder in den Kampf schicken. Danach fuhr ich nach Afgooye, wo ich erfuhr, dass die Rebellen nach mir suchen, ich hielt mich dann versteckt und entschloss mich letztendlich das Land zu verlassen.
F: Haben Sie sonst noch etwas hinzuzufügen?
A: Mein Clan besitzt keine Waffen, wir können sich nicht verteidigen und da ich den Midgan angehöre habe ich auch mein Auto nicht mehr zurückbekommen, hätte ich einen anderen Stamm angehört, dann hätte ich mein Auto zurückbekommen.
F: Waren Sie sonst noch Beschränkungen wegen Ihrer Clanangehörigkeit ausgesetzt?
A: Meine Frau gehört den Aidit-Clan an, wenn die Rebellen das
gewußt hätten, hätte sie mich umgebracht.
F: Wie heißt der Clan von Aidit?
A: Habargidir.
F: Haben Sie sonst noch etwas vorzubringen, hinsichtlich
Ihrer Clanzugehörigkeit?
A: Wir sind Minderheiten, wir werden unterdrückt.
F: Wenn Sie persönlicher Unterdrückung ausgesetzt gewesen
sind, dann nennen Sie bitte Beispiele.
A: Seitens der Familie von meiner Frau wurde ich unter Druck gesetzt, mich scheiden zu lassen, sonst hatte ich keinerlei Probleme. Ich hatte einen guten Kontakt zum Bruder meiner Frau, der mich immer warnte, wenn etwas geschehen sollte. Ich bin seit 20.05.1990 verheiratet, ...
F: Weshalb sind Sie nicht innerstaatlich von Somalia geflohen?
A: Ich konnte mir nicht vorstellen in ein anderes Gebiet zu
gehen
F: Weshalb sind Sie nicht in den Norden von Somalia gegangen?
A: Wenn ich in den Norden gehe, dann weiß man, dass ich aus
dem Süden komme, ich würde nicht akzeptiert werden auf Grund meiner Stammeszugehörigkeit. Es gibt auch von meinem Stamm Angehörige dort, doch ich werde nicht akzeptiert als "Südländer".
F: Was würde Ihnen im Falle einer Rückkehr geschehen?
A: Da es in Somalia derzeit keine demokratische Regierung
gibt, kann ich mir nicht vorstellen, dahin zurückzugehen, außerdem habe ich Angst vor den Rebellen.
F: Ist er richtig, dass Sie mit Aidit persönlich Kontakt aufgenommen haben?
A: Nicht mit Aidit, sondern mit älteren Herren, die für ihn arbeiten.
F: Weshalb sind Sie nicht bei Ihrer Frau in Syrien geblieben?
A: Das Geld hat nicht gereicht, der Bruder meiner Schwester
ist auch in Syrien, da das Geld nicht reichte, sollte ich alleine nach Europa gehen.
F: Können Sie glaubhaft machen, dass Sie Angehöriger der Midgan sind?
A: Ich kann es nicht glaubhaft machen, in einem Ausweis schreibt man in Somalia auch nicht welchen Clan man angehört. Ich besitze einen Personalausweis bei meiner Frau. Ich könnte mir diesen innerhalb von 30 Tagen nachschicken lassen."
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 23. Juli 1999 den Asylantrag gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Begründend führte die Erstbehörde nach Wiedergabe der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers aus, mangels Vorlage identitätsbezeugender Urkunden habe seine Identität keiner Feststellung unterzogen werden können. Weder könne sein gesamtes asylrelevantes Vorbringen einer Feststellung unterzogen werden noch könne festgestellt werden, dass er im Norden Somalias einer asylrelevanten Verfolgung im Sinn des § 57 FrG ausgesetzt gewesen wäre bzw. einer solchen Gefahr im Fall seiner Rückkehr in den Norden Somalias ausgesetzt wäre. Eine Rückkehr bzw. Abschiebung in die nordwestlichen und nordöstlichen Regionen des Landes, in denen seit einiger Zeit keine kriegerischen Auseinandersetzungen mehr stattfänden, sei für Personen möglich, deren Clan in dieser Region ansässig sei. Generell werde bemerkt, dass der einzelne Bürger die Möglichkeit habe, sich dem Schutz seines Clan anzuvertrauen. Es seien klare Zeichen für Entspannungsbemühungen zwischen den Clans erkennbar, sodass auch Angehörige eines nicht in diesen Regionen beheimateten Clans die Möglichkeit hätten, sich dort niederzulassen, allerdings nur mit Billigung des dortigen Machthabers. Die Erstbehörde könne keinen Hinderungsgrund für einen etwaigen Wohnsitzwechsel vom Süden Somalias in einen nördlicheren Landesteil, in dem die Lage weitgehend als entspannt anzusehen sei, ersehen, weshalb festzustellen gewesen sei, dass eine Abschiebung zulässig sei.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, er sei Angehöriger des Midgan-Clans, der in Somalia eine Minderheit darstelle. Seine Frau sei Angehörige des Habargidir-Clans. Sie seien traditionell Handwerker, allerdings übe er diesen Beruf nicht aus. Die Situation in Somalia sei sehr verworren; es gebe bislang keine Zentralregierung und auf dem Weg zur Bildung einer Übergangsregierung zeichneten sich keinerlei Fortschritte ab. Auch die Vermittlungsbemühungen der Vereinten Nationen, der zwischenstaatlichen Behörde für Entwicklung, verschiedener Regierungen der Region und auch der Europäischen Union blieben erfolglos. Die rivalisierenden Clans seien für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. So berichte die Menschenrechtsorganisation amnesty international:
"Während des Berichtsjahres (1998) zeichneten die Milizen der
rivalisierenden Clans für zahlreiche vorsätzliche und willkürliche
Tötungen von unbewaffneten Zivilisten und andere
Menschenrechtsverstöße wie Geiselnahmen und Vergewaltigungen
verantwortlich. ... Die von den verschiedenen Milizen begangenen
Menschenrechtsverstöße zogen keinerlei strafrechtliche
Konsequenzen nach sich. Im Berichtsjahr wurden Hunderte von
unbewaffneten Zivilisten getötet. ... Angehörige weitgehend
schutzloser Minderheiten wie der Bauern- und Handwerker-'Kasten"
der Bantu und der wohlhabenderen Händlergemeinschaften der
Benadiri waren nach wie vor von willkürlichen Tötungen,
Plünderungen und Vergewaltigungen bedroht. Im Berichtsjahr kam es
zu einer großen Zahl von Geiselnahmen. ... Im Allgemeinen gab es
in den meisten Teilen des Landes nach dem Zusammenbruch der
staatlichen Ordnung weder auch nur annähernd rechtsstaatliche
Verhältnisse noch eine einheitliche Rechtsprechungspraxis ... (ai-
Jahresbericht 1999, S. 483 ff, Berichtszeitraum 1.01 bis 31.12.1998)"
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia zulässig sei. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 8. Juli 1999 illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe am selben Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl gestellt. Er habe behauptet, Staatsangehöriger von Somalia zu sein und sei am 19. Juli 1999 im Beisein eines geeigneten Dolmetschers der somalischen Sprache niederschriftlich einvernommen worden. Sein damaliges Vorbringen sei im Wesentlichen im Bescheid der Erstbehörde vom 23. Juli 1999, mit dem der Antrag auf Gewährung von Asyl gemäß § 7 AsylG abgewiesen und die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia ausgesprochen worden seien, richtig und vollständig wiedergegeben, sodass der diesbezügliche Teil des erstinstanzlichen Bescheides auch zum Inhalt des angefochtenen Bescheides erhoben werde.
Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG in der Fassung BGBl. I Nr. 28/1998 iVm § 67d AVG habe von einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden können, weil der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung (in der der Asylwerber keine neuen Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe) zur Beurteilung ausreichend geklärt erschienen sei.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Beschwerde wendet sich vorweg dagegen, dass die belangte Behörde inhaltlich überhaupt nicht auf die Argumente des Beschwerdeführers in seiner Berufung eingegangen sei. Vielmehr habe sie sich darauf beschränkt, den Inhalt des erstinstanzlichen gänzlich zum Inhalt des angefochtenen Bescheides zu erheben.
Schon damit zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verletzt die Berufungsbehörde nämlich ihre Begründungspflicht, wenn sie bloß auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides verweist, obwohl die Berufung dagegen gerichtete Argumente enthält, von denen nicht von vornherein erkennbar ist, dass sie unzutreffend sind oder an der Sache vorbeigehen (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E. 59 zu § 60 AVG). Im vorliegenden Fall wandte sich der Beschwerdeführer in der Berufung ausführlich und konkret gegen die Argumentation des Bundesasylamtes in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides. Mit dem bloßen Verweis auf eben diese Begründung findet eine solche Berufung keine dem Gesetz entsprechende Erledigung. Davon abgesehen hat sich der Beschwerdeführer in der Berufung auf ein neues Beweismittel - nämlich einen sowohl für die Frage einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr als auch für die Beurteilung der Voraussetzungen einer innerstaatlichen Schutzalternative nicht unbeachtlichen Bericht einer Menschenrechtsorganisation - gestützt, sodass die belangte Behörde allein schon aus diesem Grund auch verpflichtet gewesen wäre, eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 11. Juni 2002
Schlagworte
Verweisung auf die Entscheidungsgründe der ersten InstanzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000010489.X00Im RIS seit
08.08.2002