Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §38;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des HAL in L, geboren am 12. Oktober 1978, vertreten durch Dr. Gottfried Eypeltauer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Museumstraße 17/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. Februar 1998, Zl. 200.577/0-V/13/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, reiste am 28. April 1997 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 30. April 1997 Asyl.
Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 30. April 1997 gab er an, dass er einem Stamm angehöre, der in Somalia eine Minderheit darstelle. Angehörige dieses Stammes seien in der Vergangenheit oftmals grundlos von Angehörigen bewaffneter Einheiten anderer Stämme überfallen worden. Hauptziel der Überfälle seien die Wohnungen von Angehörigen seines Stammes gewesen. Seine ursprünglich wohlhabende Familie sei auf Grund besagter Umstände "zerstreut". Die Angreifer, von denen der Beschwerdeführer nicht wisse, welcher Gruppierung sie angehörten, hätten die Absicht, Geld zu rauben oder Angehörige verschiedener Minderheiten zu töten. Auch der Beschwerdeführer sei mehrmals festgenommen worden, doch habe er die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit verschleiern können und sei wieder freigelassen worden. Er habe angesichts dieser Umstände schon früher aus Somalia ausreisen wollen, habe jedoch erst jetzt die notwendigen finanziellen Mittel dafür gehabt. Wenn in Somalia wieder Frieden herrsche "und es eine Regierung gibt", dann wolle der Beschwerdeführer wieder zurückkehren.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 7. Mai 1997 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 AsylG 1991 ab. In der Begründung führte das Bundesasylamt aus, dass im Zuge des seit 1991 andauernden bürgerkriegsähnlichen Zustandes in Somalia es noch immer zu tief greifenden Menschenrechtsverletzungen komme, die seitens aller Konfliktparteien begangen würden. Der Beschwerdeführer habe sein Heimatland wegen des Bürgerkrieges verlassen und sich vor seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet im Jemen aufgehalten. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Übergriffe im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatland begründeten für sich allein keine asylrelevante Verfolgung. Eine gegen den Beschwerdeführer selbst konkret gerichtete Verfolgungshandlung sei nicht hervorgekommen. Auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder religiösen Minderheit gebe als solche noch keinen Grund für die Gewährung von Asyl.
In seiner Berufung gegen diese Entscheidung führte der Beschwerdeführer unter anderem aus, dass er dem Stamm der Shekal angehöre und sein Leben gerade wegen seiner Zugehörigkeit zu diesem Stamm unmittelbar bedroht gewesen sei. Sein Leben sei nicht durch Kampfhandlungen zwischen den Bürgerkriegsparteien, sondern durch "unmittelbares Vorgehen der Bürgerkriegsparteien" gegen Angehörige seines Stammes und "gegen mich persönlich" bedroht. Er sei auf Grund seiner Zugehörigkeit zum Stamm der Shekal wiederholt durch die Kriegsparteien, vor allem durch jene des General Aidid, verfolgt worden. Die Shekal würden von allen Kriegsparteien beschuldigt, den früheren Präsidenten Siad Barre unterstützt zu haben, was zu Verfolgungen der Angehörigen seines Stammes durch die Bürgerkriegsparteien führe. Ziel aller Kriegsparteien, vor allem jener des Generals Aidid, sei eine ethnische Säuberung durch Ausrottung aller kleinen Stämme, die sich nicht dem Diktat dieses Generals unterordnen würden oder die ihn in der Vergangenheit nicht unterstützt hätten. Die Familie des Beschwerdeführers sei in einem Naheverhältnis zur Regierung Siad Barres gestanden. Der Beschwerdeführer selbst sei wiederholt von Einheiten des Aidid verschleppt und bei mehrmaligen Verhören misshandelt und verletzt worden. Wäre ihm die Verschleierung seiner Identität und ethnischen Zugehörigkeit nicht gelungen, so wäre er mit großer Wahrscheinlichkeit getötet worden. Wäre die enge wirtschaftliche Verknüpfung seiner Familie mit der ehemaligen Regierung bekannt geworden, so wäre auch dies einem Todesurteil gleich gekommen. Für den Fall des weiteren Verbleibs in seiner Heimat befürchte er "weiterhin täglich Verschleppungen und Verhöre" und müsse damit rechnen, ermordet zu werden. Die von ihm erlittenen und künftig zu erwartenden Verfolgungshandlungen seien somit nicht als allgemeine Folge des Bürgerkrieges, sondern als gezielte ethnisch und politisch motivierte Verfolgung zu werten. Des Weiteren hätte berücksichtigt werden müssen, dass in Somalia eine staatliche Ordnungsmacht vollständig fehle, sodass sein Heimatstaat außer Stande sei, ihm vor der Verfolgung durch Kriegsparteien Schutz zu gewähren. In seiner Berufung beantragte der Beschwerdeführer auch die Gewährung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 AsylG 1991.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gemäß § 7 AsylG 1997 ab. Die belangte Behörde stellte "als Ergebnis des durchgeführten Ermittlungsverfahrens" im Wesentlichen jene Umstände fest, die der Antragsteller bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der erstinstanzlichen Behörde angegeben hatte. Das darüber hinausgehende Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Berufung habe nicht festgestellt werden können. Die belangte Behörde begründete diese Beweiswürdigung damit, dass grundsätzlich den Angaben des Asylwerbers bei dessen Erstbefragung größere Glaubwürdigkeit beizumessen sei als späterem Vorbringen. Die vom Antragsteller im Rahmen der Berufung erstmals ins Treffen geführten, sich unmittelbar gegen seine Person richtenden Übergriffe seien daher nicht glaubwürdig. Zum Antrag, dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu gewähren, führte die belangte Behörde lediglich in der Begründung des angefochtenen Bescheides aus, dass auf Grund der Bestimmung des § 44 Abs. 1 in Verbindung mit § 15 AsylG 1997 über diesen Antrag nicht zu entscheiden gewesen sei.
Über die gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Nach Art. II Abs. 2 lit. d Z. 43a EGVG ist auf das behördliche Verfahren des unabhängigen Bundesasylsenates das AVG anzuwenden, § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn in der Berufung ein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird. In diesem Fall ist es dem unabhängigen Bundesasylsenat verwehrt, durch Würdigung der Berufungsangaben als unglaubwürdig - gleichgültig ob in an sich schlüssiger oder unschlüssiger Beweiswürdigung - den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen, als geklärt anzusehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308).
In seiner Berufung hat der Beschwerdeführer ein Vorbringen erstattet, dem im Falle der Glaubwürdigkeit nicht ohne Weiteres die asylrechtliche Relevanz abgesprochen werden konnte. Im vorliegenden Fall ist auch nicht von vornherein auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Überzeugung gelangt wäre, das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers sei glaubwürdig, und dass dies zu einer anderen Entscheidung geführt hätte (vgl. in diesem Sinne etwa das hg. Erkenntnis vom 12. März 2002, Zl. 99/01/0114).
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Beschwerdeführer auf Grund der Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht zur Entrichtung der verzeichneten Stempelgebühr verpflichtet war.
Wien, am 11. Juni 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1998010315.X00Im RIS seit
23.08.2002