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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §303 Abs4;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):99/16/0355 99/16/0358 99/16/0357 99/16/0356Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde der M GmbH in G, vertreten durch die Vienna Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft mbH in 1021 Wien, Praterstraße 23, gegen die Bescheide der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 9. Juli 1999, Zlen. RV 212/1-7/99, RV 213/1-7/99, RV 214/1-7/99, RV 215/1-7/99 und RV 216/1-7/99, betreffend Rechtsgebühren, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden insofern, als mit ihnen den Berufungen der Beschwerdeführerin gegen die Wiederaufnahmebescheide und die "berichtigten" Bescheide im wieder aufgenommenen Verfahren keine Folge gegeben wurde, wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen werden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen.
Der ?und hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 5.448,40- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 30. Dezember 1982 erteilte das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Graz (Finanzamt) der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin die Bewilligung zur Selbstabrechnung der Gebühren für Bestandverträge gemäß § 33 TP 5 GebG in Anwendung des § 3 Abs. 4 GebG mit Wirkung vom 1. Jänner 1983. Vorgeschrieben wurde, dass über die Rechtsgeschäfte fortlaufend Aufschreibungen nach einem bestimmten Muster zu führen seien, dass auf den Urkunden ein bestimmter Vermerk anzubringen sei und dass dieser Vermerk im Sinne des § 25 Abs. 5 GebG auch auf allen Gleichschriften anzubringen sei. Die jeweils in Verwendung stehenden Vertragstypen waren dem Finanzamt binnen einer bestimmten Frist zu übersenden.
Entsprechend der zuletzt genannten Anordnung hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 1. Juli 1987 neue Vertragsformulare vorgelegt. Diese Vertragsformulare betreffen die Geschäftsbereiche Flachwäsche ("MT"), Berufskleidung ("MKL", später auch "MBS") und Waschraum-System bzw. Fußmatten-System("MWS/MFS"). Die 1987 übermittelten Muster enthielten jeweils die Regelung, dass der Vertrag mit der Zusendung der schriftlichen Auftragsbestätigung durch die Vermieterin oder mit der Annahme der ersten Lieferung durch die Mieterin wirksam werde.
Die Vertragsdauer war wie folgt geregelt:
"Eine Kündigung des Vertrages kann jederzeit unter Einhaltung einer Frist von 3 Monaten zum 30. Juni eines Jahres durch eingeschriebenen Brief erfolgen; jedoch erstmals nach Ablauf von 3 vollen Kalenderjahren, soweit vorderseitig nichts anderes vereinbart ist. Insoweit gilt dieser Vertrag also auf unbestimmte Zeit abgeschlossen."
Anstelle des Termins "zum 30. Juni eines Jahres" fand sich auch der Termin "zum Ende eines Kalenderjahres". Diese Vertragsmuster bestanden jeweils aus einem Original und 5 Durchschlägen.
Ab 1994 wurde eine Neuauflage der Vertragsmuster verwendet, welche aus einem Original und 4 Durchschriften bestand. In diesen Vertragsmustern war vorgesehen, dass der Vertrag als zu Stande gekommen gilt, falls die Vermieterin nicht innerhalb von 4 Wochen schriftlich der Annahme widerspricht. Die Kündigungsregelung blieb unverändert.
Die hier vorliegenden 5 Beschwerdefälle betreffen die Aufschreibungen für die beiden jeweiligen Kalenderhalbjahre 1994 und 1995 sowie das erste Kalenderhalbjahr 1996. Die Beschwerdeführerin hat dem Finanzamt monatlich Abrechnungslisten übermittelt, die den Namen des Mieters, das Vertragsdatum, die Vertragsdauer (von wenigen Ausnahmen abgesehen immer 36 Monate), das Produkt aus Monatsentgelt und Vertragsdauer, sowie die daraus errechnete Gebühr enthielten.
Mit 5 Bescheiden des Finanzamtes (der letzte datiert vom 1. Oktober 1996) wurden für die fünf gegenständlichen Kalenderhalbjahre die Gebühren entsprechend den vorgelegten Aufzeichnungen bestimmt.
Diese fünf Kalenderhalbjahre bildeten den Gegenstand einer abgabenbehördlichen Prüfung bei der Beschwerdeführerin, die mit Schlussbesprechung vom 4. Juni 1998 endete. Festgestellt wurde, dass im Gegensatz zu den Erklärungen der Beschwerdeführerin jeweils eine Gebühr für eine bestimmte Vertragsdauer und weiters eine dreifache Jahresgebühr für die unbestimmte Vertragsdauer zu berechnen wäre. Außerdem wurde festgestellt, dass eine Anzahl von Verträgen mit dem Datum der Vertragserrichtung, jedoch nicht im Journal des entsprechenden Monats eingetragen worden sei, sondern erst in jenem Monat, in dem die Auslieferung der Mietwäsche begonnen habe. Die Vorlage der Abschrift des Journals des späteren Monats sei in keinem der Fälle noch innerhalb der Frist, die für die Journalvorlage des zutreffenden Monats vorgesehen sei, erfolgt, sodass diesbezüglich die Gebührenanzeigen verspätet gewesen seien.
Darauf erließ das Finanzamt am 16. Juni 1998 bezüglich aller fünf Kalenderhalbjahre jeweils einen Wiederaufnahmebescheid, einen "berichtigten" Bescheid im wieder aufgenommenen Verfahren und einen Bescheid über die Festsetzung von Gebühren für Gleichschriften. In den Wiederaufnahmebescheiden wurde auf folgende neu hervor gekommene Tatsachen verwiesen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden seien:
"1. Die verspätete Aufnahme einer Anzahl von Verträgen im Journal.
2. Die Vertragsdauer im jeweiligen Einzelfall ist eine andere als den Berechnungen in den Journalblättern zu Grunde gelegte.
3. In den Fällen der verspäteten Journalvorlage kann daher die Befreiungsbestimmung gemäß § 25 Abs. 2 GebG in Verbindung mit § 25 Abs. 5 GebG nicht angewendet werden. Es fällt daher die Gebühr für jede Gleichschrift an."
In den Bescheiden im wieder aufgenommenen Verfahren wurde die Bemessungsgrundlage insoferne neu festgesetzt, als unter Bedachtnahme auf eine unbestimmte Vertragsdauer die angegebenen Monate um 36 Monate vermehrt wurden.
Mit je einem weiteren Bescheid erfolgte schließlich für die Fälle der verspäteten Journalvorlage eine Gebührenfestsetzung für die Gleichschriften.
In ihren Berufungen gegen diese Bescheide brachte die Beschwerdeführerin bezüglich der Wiederaufnahme vor, dass keine neu hervor gekommene Tatsache vorliege, da die entsprechenden Vertragsklauseln seit Jahren unverändert und der Behörde bekannt gewesen seien. Was die Vorschreibung für die Gleichschriften betreffe, wurde ausgeführt, § 25 Abs. 5 GebG verlange nicht, dass die Übersendung des Journals rechtzeitig an das Finanzamt erfolgt sein müsse. An Stelle der Vorlage der Urkunde samt Gleichschriften innerhalb Monatsfrist trete im Falle der Selbstberechnung der Gebühr nach § 3 Abs. 4 GebG nur die Aufnahme der Verträge in das Gebührenjournal sowie die Anbringung des erforderlichen Vermerks auf den Gleichschriften. Auf allen unterschriebenen ersten Gleichschriften sei der gemäß § 3 Abs. 4 GebG erforderliche Vermerk angebracht worden und sämtliche Verträge seien durch Vorlage eines Gebührenjournals dem Finanzamt angezeigt worden. Entscheidend sei nur die Aufnahme der Verträge in das Gebührenjournal sowie die Anbringung des erforderlichen Vermerks auf Gleichschriften. Auf allen unterschriebenen ersten Gleichschriften seien die erforderlichen Vermerke angebracht worden.
Eine Bestreitung der bei der Prüfung festgestellten Tatsache, dass eine Anzahl von Verträgen im Journal verspätet aufgenommen wurde, enthält die Berufung nicht.
Nach jeweils abweisenden Berufungsvorentscheidungen beantragte die Beschwerdeführerin die Vorlage ihrer Berufungen an die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Mit den angefochtenen Bescheiden gab die belangte Behörde den Berufungen bezüglich der Wiederaufnahmebescheide und der "berichtigten" Bescheide im wieder aufgenommenen Verfahren keine Folge; bezüglich der Festsetzung von Gebühren für Gleichschriften erfolgte eine Abänderung der erstinstanzlichen Bescheide insoferne, als die Gebühr nur für eine Gleichschrift festgesetzt wurde.
Zur Wiederaufnahme führte die belangte Behörde begründend aus, es hätte sich anlässlich der nachträglichen abgabenbehördlichen Prüfung die dem Bescheid zu Grunde liegende Abrechnung als unrichtig erwiesen, sodass deswegen mit einer Wiederaufnahme vorzugehen gewesen sei. Die fortlaufende Aufschreibung habe nicht alle für die Gebührenbemessung erforderlichen Angaben richtig enthalten. Der Kenntnisstand des Finanzamtes bei Erlassung des Bescheides habe lediglich die in den tabellarischen Aufzeichnungen angegebene Vertragslaufzeit beinhaltet. Erst im Zuge der Prüfung sei heraus gekommen, dass seitens der Beschwerdeführerin die Vertragsdauer unzutreffend ermittelt worden sei. Diese andere Vertragsdauer sei eine neu hervor gekommene Tatsache.
Entsprechend der im angefochtenen Bescheid zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes seien auf unbestimmte Zeit abgeschlossene Bestandverträge, bei denen aber zunächst für eine bestimmte Zeit ein beiderseitiger Kündigungsverzicht vereinbart wurde, für die Zeit des Kündigungsverzichtes als Verträge mit bestimmter Dauer und für die anschließende unbestimmte Zeit als solche von unbestimmter Vertragsdauer zu vergebühren. Dazu wies die Berufungsbehörde auch darauf hin, dass von der Möglichkeit einer Gebührenerhöhung gemäß § 9 Abs. 2 GebG Abstand genommen wurde.
Ausgehend davon, dass einzelne Rechtsgeschäfte nicht in die Aufschreibung des zutreffenden Monats, sondern erst in jene eines späteren Monats aufgenommen worden seien, habe die Beschwerdeführerin für diese Rechtsgeschäfte die sie treffenden Pflichten nicht erfüllt. Im Rahmen des § 3 Abs. 4 GebG müsse innerhalb der im Gesetz bestimmten Frist die selbst berechnete Hundersatzgebühr an das zuständige Finanzamt entrichtet werden und müsse weiters innerhalb der selben Frist dem Finanzamt für den jeweiligen Berechnungs- und Zahlungszeitraum eine Abschrift der Aufschreibungen übersendet werden. Die Aufschreibungen bzw. der jeweilige Vermerk auf den Urkunden (und auf den Gleichschriften) müsse so rechtzeitig erfolgen, dass die Übersendung der Aufschreibungen innerhalb der vom Gesetz bestimmten Frist möglich sei. Nur ein Gleichschriftenvermerk, welcher innerhalb und unter Einhaltung der Erfordernisse des § 3 Abs. 4 GebG erfolgte, könne die im § 25 Abs. 5 geregelte Ausnahme von der Gebühr bewirken. Eine ordnungsgemäße und rechtzeitige Gebührenanzeige sei nach der Gesamtintention des § 25 GebG die Grundvoraussetzung dafür, dass die zugehörigen Gleichschriften im Sinne des § 25 GebG von der Entrichtung der weiteren Hundersatzgebühr befreit seien. Diese Voraussetzung sei in den vorliegenden Fällen nicht erfüllt worden. Daher war in jenen Fällen die Gebühr für die erste Gleichschrift festzusetzen.
In ihren Beschwerden gegen diese fünf Berufungsentscheidungen erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Nichterlassung eines Wiederaufnahmebescheides ohne Vorliegen geeigneter Wiederaufnahmegründe und auf ordnungsgemäße Festsetzung der Rechtsgeschäftsgebühr bzw. Nichtvorschreibung einer Rechtsgeschäftsgebühr bei Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen verletzt. Sie begehrt die Aufhebung der angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes, hilfsweise wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Der Bundesminister für Finanzen legte die Verwaltungsakten und die von der belangten Behörde erstatteten Gegenschriften vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die fünf Beschwerden wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und erwogen:
1. Zur Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens bezüglich der in den Urschriften dokumentierten Rechtsgeschäfte:
Eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen ist gemäß § 303 Abs 4 BAO unter anderem dann zulässig, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung ist das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen (vgl Ritz, BAO-Kommentar2, § 303, Rz 14, und die dort wiedergegebene hg Rechtsprechung). Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 16. Mai 2002, Zl. 2001/16/0596, unter Hinweis auf seine bisherige Judikatur seine Auffassung wiederholt, dass es - aus dem Gesichtswinkel von periodisch zu veranlagenden Abgaben - auf den Wissensstand des jeweiligen Veranlagungsjahres ankommt. Diese Grundsätze bedeuten für den Bereich der Verkehrsteuern, wenn ein einzelner Rechtsvorgang die Entstehung des Abgabenanspruches nach sich zieht, dass die Frage des Hervorkommens neuer Tatsachen und Beweismittel nach dem Wissensstand im jeweiligen, hinsichtlich eines bestimmten Rechtsvorgangs - wenn auch innerhalb derselben Abgabenbehörde bzw innerhalb derselben Organisationseinheit der Abgabenbehörde - durchgeführten Abgabenverfahren zu beurteilen ist.
In den vorliegenden Fällen handelt es sich nicht um eine periodisch zu veranlagende Abgabe, sondern um eine Verkehrsteuer, wobei allerdings nicht für jeden steuerbaren Rechtsvorgang ein Abgabenverfahren durchgeführt wird, weil die erteilte Bewilligung eine periodische Zusammenfassung einer Vielzahl von Rechtsvorgängen erlaubt. Rechtsgrundlage dafür ist § 3 Abs. 4 GebG (in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 28/1999). Diese Bestimmung lautet:
"(4) Einem Gebührenschuldner, der in seinem Betrieb laufend eine Vielzahl gleichartiger Rechtsgeschäfte abschließt und die Gewähr für die ordnungsgemäße Einhaltung der Gebührenvorschriften bietet, hat das Finanzamt, in dessen Amtsbereich sich die Geschäftsleitung des Betriebes des Gebührenschuldners befindet, auf Antrag zu bewilligen, dass er die auf diese Rechtsgeschäfte entfallenden Hundertsatzgebühren an Stelle der sonst in diesem Bundesgesetz angeordneten Entrichtungsformen selbst berechnet und bis zum 10. des dem Entstehen der Gebührenschuld folgenden zweiten Monats an dieses Finanzamt entrichtet. Personen, die auf Grund der erteilten Bewilligung verpflichtet sind, die Hundertsatzgebühren auf diese Art zu entrichten, haben über diese gebührenpflichtigen Rechtsgeschäfte fortlaufende Aufschreibungen zu führen, welche die für die Gebührenbemessung erforderlichen Angaben enthalten. Innerhalb der Zahlungsfrist ist dem Finanzamt für den jeweiligen Berechnungs- und Zahlungszeitraum eine Abschrift dieser Aufschreibungen zu übersenden. Die Übersendung der Abschrift gilt als Gebührenanzeige gemäß § 31. Auf den Urkunden ist ein Vermerk anzubringen, der die Bezeichnung des Bewilligungsbescheides und die fortlaufende Nummer der Aufschreibungen enthält. Mit Erteilung einer Bewilligung, die Gebühren für bestimmte Rechtsgeschäfte selbst zu berechnen, wird das Finanzamt für die Erhebung dieser Gebühren örtlich zuständig. Es hat jeweils für den Zeitraum eines Kalenderhalbjahres die Hundertsatzgebühren für jedes gebührenpflichtige Rechtsgeschäft, das in den Aufschreibungen abgerechnet wurde, mit Bescheid festzusetzen."
Die dort genannten Voraussetzungen einer solchen Selbstberechnung schließen es aber aus, den Wissensstand der Behörde bei Erlassung des halbjährlichen Sammelbescheides allein anhand der monatlich dem Finanzamt zu übermittelnden Aufschreibung zu beurteilen. Zum Wissensstand der Behörde gehört zunächst jedenfalls der Inhalt des Bescheides, mit dem die Selbstberechnung bewilligt wurde.
Nach dem hier vorliegenden Bescheid vom 30. Dezember 1982 wurde der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin aufgetragen, dem Finanzamt Muster von sämtlichen derzeit in Verwendung stehenden Vertragstypen zu übersenden und künftige Änderungen des Vertragswortlautes oder Neuauflagen innerhalb einer Woche unter Anschluss eines Musters zu melden.
Nach der Aktenlage wurden vor den gegenständlichen Perioden zuletzt mit Schreiben vom 1. Juli 1987 neue Vertragsformulare übersendet, wobei die Beschwerdeführerin im Begleitschreiben um Begutachtung und eventuelle telefonische oder schriftliche Stellungnahme bat. Diese Vertragsformulare enthielten die oben wiedergegebene Regelung bezüglich der Kündigungsmöglichkeiten.
Dem gegenüber hat die Beschwerdeführerin für die gegenständlichen Perioden Aufschreibungen vorgelegt, in denen jeweils eine Vertragsdauer von 36 Monaten (in einzelnen Fällen eine kürzere Vertragsdauer) angeführt war. In Anbetracht der im Bescheid vom 30. Dezember 1982 angeordneten Verpflichtung, der die Beschwerdeführerin durch Übersendung der Vertragsmuster nachgekommen ist, hat die in den monatlichen Aufschreibungen jeweils abgegebene Erklärung über die Vertragsdauer nicht allein den Wissensstand der Behörde zu diesem Punkt gebildet. Genauso waren der Behörde die Vertragsmuster mit den dort fixierten Regelungen über die Vertragsdauer bzw. Kündigungsmöglichkeiten bekannt. Von einer erst bei der späteren Abgabenprüfung neu hervor gekommenen Tatsache kann daher keine Rede sein.
Somit sind bei der abgabenbehördlichen Prüfung nicht Tatsachen "neu hervor gekommen". Fraglich ist aber auch, ob die von der Behörde nunmehr herangezogene 72-monatige Vertragsdauer überhaupt als "Tatsache" anzusehen ist: Neue Erkenntnisse der rechtlichen Beurteilung in Bezug auf Sachverhaltselemente, die im Erstverfahren bekannt waren, in Bezug auf Sachverhaltselemente also, die der Beurteilung, Würdigung oder Berücksichtigung, damit dem Aufgreifen und Heranziehen ungehindert offen standen, sind nicht neu hervor gekommene "Tatsachen" (Stoll, BAO-Kommentar, 2921). Dass die vereinbarte Vertragsdauer gebührenrechtlich als Vertrag auf bestimmte und als Vertrag auf unbestimmte Zeit anzusehen ist, ist ein Ergebnis der rechtlichen Beurteilung. Auch diese Voraussetzung einer amtswegigen Wiederaufnahme lag somit nicht vor.
Da die belangten Behörde dies verkannte, belastete sie insofern ihre Bescheide mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, als sie den Berufungen bezüglich der Wiederaufnahmebescheide und der "berichtigten" Bescheide im wieder aufgenommenen Verfahren keine Folge gab.
2. Zur Vergebührung der jeweils ersten Gleichschrift:
Auch in der Beschwerde wird nicht bestritten, dass bei dem nunmehr zur Vergebührung herangezogenen einzelnen Rechtsgeschäft die Aufschreibung nicht im Monat des Abschlusses des Rechtsgeschäftes, sondern erst in einem späteren Monat erfolgte. Die Beschwerdeführerin macht in diesem Zusammenhang geltend, dass sie nur zu einem entsprechenden Vermerk auf den Gleichschriften verpflichtet war, nicht aber dazu, diesen Vermerk innerhalb einer bestimmten Frist anzubringen.
Die Vergebührung von Gleichschriften einer Vertragsurkunde ist im § 25 GebG geregelt. Diese Bestimmung lautet (in der hier anzuwendenden Fassung vor dem AbgÄG 2001):
"(1) Werden über ein Rechtsgeschäft mehrere Urkunden errichtet, so unterliegt jede dieser Urkunden den festen und den Hundertsatzgebühren.
(2) Werden von einer Urkunde Gleichschriften (Duplikat, Triplikate usw.) ausgefertigt, so ist die Hundertsatzgebühr auf Grund jener Gleichschriften nur einmal zu entrichten, die dem Finanzamt innerhalb eines Monats nach dem Entstehen der Gebührenschuld vorgelegt werden. Das Finanzamt hat auf allen Gleichschriften zu bestätigen, dass die betreffende Schrift eine Gleichschrift ist und die Gebühr für eine Gleichschrift und mit welchem Betrag in Stempelmarken entrichtet oder die Gebührenanzeige erstattet wurde.
(3) Wurde über ein Rechtsgeschäft eine die Gebührenpflicht begründende Urkunde errichtet, so ist die Hundertsatzgebühr für dieses Rechtsgeschäft auf Grund jeder weiteren Urkunde nur dann nicht neuerlich zu entrichten, wenn diese Urkunde innerhalb eines Monats nach dem für sie maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der Gebührenschuld einem für die Erhebung der Gebühren zuständigen Finanzamt mit dem Nachweis vorgelegt wird, dass auf Grund der ersten gebührenpflichtigen Beurkundung die Hundertsatzgebühr für das Rechtsgeschäft in Stempelmarken entrichtet wurde oder bei diesem Finanzamt die Hundertsatzgebühr zu erheben war.
(4) Bei Notariatsakten ist die Hundertsatzgebühr nur von der Urschrift zu entrichten. Der Notar hat auf allen Ausfertigungen einen Vermerk darüber anzubringen, dass und mit welchem Betrag die Gebühr auf der Urschrift in Stempelmarken entrichtet oder die Anzeige zur Gebührenbemessung erstattet wurde.
(5) In den Fällen einer Gebührenentrichtung gemäß § 3 Abs. 4 ist bei Errichtung mehrerer Gleichschriften die Hundertsatzgebühr für das Rechtsgeschäft nur einmal zu entrichten, wenn auf allen Gleichschriften der in der genannten Bestimmung vorgesehene Vermerk angebracht wird."
Die Abs. 2 bis 5 des § 25 GebG schaffen somit Ausnahmen vom Grundprinzip des Abs. 1, dass jede Ausfertigung der Vergebührung unterliegt. Insbesondere gelangt nach Abs. 2 jede Gleichschrift in den Genuss dieser Begünstigung, wenn sie fristgerecht dem Finanzamt vorgelegt wird.
Gemäß § 31 Abs 1 GebG sind Rechtsgeschäfte, für die eine Hundertsatzgebühr mit Bescheid festzusetzen ist, innerhalb eines Monats nach dem Entstehen der Gebührenschuld mit einer beglaubigten Abschrift oder mit einer Gleichschrift der die Gebührenpflicht begründenden Urkunde beim Finanzamt anzuzeigen. Das Finanzamt, bei dem die Anzeige erstattet wurde, hat auf der die Gebührenpflicht begründenden Urkunde die erfolgte Anzeige zu bestätigen.
Während die rechtzeitige Anzeige des Rechtsgeschäftes selbst durch § 9 GebG sanktioniert ist, bildet § 25 Abs. 2 GebG die Sanktion für die nicht rechtzeitige Anzeige der Gleichschrift; eine weitere Erhöhung nach § 9 GebG kommt hier nicht in Betracht (Fellner, Stempel- und Rechtsgebühren9, Ergänzung Q7Q zu § 25 GebG).
Im hier gegebenen Fall der Selbstbemessung kommt an Stelle des § 31 GebG § 3 Abs. 4 GebG zur Anwendung, wobei der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 4. November 1994, Zl. 92/16/0167, klargestellt hat, dass dieser Bestimmung zwei Fristen zu entnehmen sind: 1. Es muss bis zum 10. des dem Entstehen der Gebührenschuld folgenden zweiten Monats die selbst berechnete Hundersatzgebühr an das zuständige Finanzamt entrichtet werden; 2. es muss innerhalb der selben Frist dem Finanzamt für den jeweiligen Berechnungs- und Zahlungszeitraum eine Abschrift der Aufschreibungen übersendet werden. Entscheidend ist, dass die Eintragungen fortlaufend und so rechtzeitig erfolgen, dass die Übersendung eines Durchschlages an das Finanzamt für den jeweiligen Berechnungs- und Zahlungszeitraum möglich ist.
§ 25 Abs. 5 GebG soll die Begünstigung, die gemäß § 25 Abs. 2 GebG für Gleichschriften bei Einzelverträgen besteht, auch im Falle des Gebührenjournals gewähren. Richtig ist, dass der Gesetzgeber im § 25 Abs. 5 nur die Verpflichtung zur Anbringung des Vermerks, nicht aber eine Befristung dafür vorgesehen hat.
Betrachtet man die oben dargestellten Regelungen des § 31 Abs. 1 und § 25 Abs. 2 GebG einerseits und § 3 Abs. 4 in Verbindung mit § 25 Abs. 5 GebG andererseits, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er im Falle des Gebührenjournals die nicht rechtzeitige pflichtgemäße Behandlung von Gleichschriften anders behandeln wollte, als den Fall der Einzelanzeige. Gerade der unmittelbare Zusammenhang in den drei Sätzen des § 3 Abs. 4 GebG, wonach innerhalb der Zahlungsfrist dem Finanzamt eine Abschrift der Aufschreibungen zu übersenden ist, die Übersendung der Abschrift als Gebührenanzeige gemäß § 31 GebG gilt und auf den Urkunden ein Vermerk anzubringen ist, macht deutlich, dass auch dieser Vermerk, der ja die Anzeige im Sinne des § 25 Abs. 2 GebG ersetzen soll, innerhalb der Zahlungsfrist angebracht werden muss. Nur so ist eine gleiche Besteuerung gleichartiger Vorgänge gewährleistet; es wäre ein dem Gesetz nicht zu unterstellender Wertungswiderspruch, wenn beim Einzelvertrag die nicht rechtzeitige Anzeige einer Gleichschrift zur vollen Vergebührung führt, während im Falle der Führung eines Gebührenjournals die Unterlassung der geforderten Kennzeichnung der Gleichschriften letztlich sanktionslos bliebe (ohne Befristung bleibt nur die Pflicht bestehen, im Falle einer abgabenbehördlichen Prüfung nachträglich die Vermerke anzubringen).
Der Verwaltungsgerichtshof folgt somit der Auffassung der belangten Behörde, dass die Gebührenbefreiung nach § 25 Abs. 5 GebG für Gleichschriften nur dann eintritt, wenn der die Gebührenanzeige substituierende Vermerk innerhalb der Zahlungsfrist (§ 3 Abs. 4 GebG) angebracht wurde. In den Fällen, in denen ein gültig zu Stande gekommener Vertrag nicht in die Aufschreibung für den entsprechenden Monat, sondern erst in die Aufschreibung eines späteren Monats aufgenommen worden war, wurde den aus § 3 Abs. 4 resultierenden Pflichten nicht entsprochen, sodass auch die auf § 3 Abs. 4 GebG verweisende Befreiungsbestimmung des § 25 Abs. 5 GebG nicht zum Tragen kam.
Die Beschwerde gegen die Vorschreibung der Gebühr für die jeweils erste Gleichschrift erwies sich somit als unberechtigt, sodass insofern die Beschwerden als unbegründet abzuweisen waren.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 50 VwGG, in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 18. Juni 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999160354.X00Im RIS seit
18.10.2002Zuletzt aktualisiert am
16.04.2012