TE Vwgh Erkenntnis 2002/6/19 2002/05/0309

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Veröffentlicht am 19.06.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §1 Abs8;
MeldeG 1991 §17 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Gemeinde St. Veit im Mühlkreis, vertreten durch Dr. Friedrich und Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Dr. Bernhard Glawitsch, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 24. Jänner 2002, Zl. Gem(Wahl)-900232/4-2002-Pil, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Partei: 1. Bürgermeister der Marktgemeinde Sarleinsbach, 2. Sieglinde Pröll in 4173 St. Veit im Mühlkreis, Schnopfhagenplatz 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die am 13. September 1976 geborene ledige Zweitmitbeteiligte ist mit Hauptwohnsitz in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters gemeldet. Nach ihren Angaben in der Wohnsitzerklärung wohnt sie dort rund 130 Tage im Jahr mit ihrer Mutter und den bereits volljährigen Geschwistern. In der rund 31 Straßenkilometer entfernten Gemeinde des beschwerdeführenden Bürgermeisters ist die Zweitmitbeteiligte mit einem weiteren Wohnsitz gemeldet. Sie wohnt dort 235 Tage im Jahr mit ihrem Lebensgefährten. Sie arbeitet in der von der Gemeinde des beschwerdeführenden Bürgermeisters rund 26 Straßenkilometer entfernten Gemeinde Puchenau. Von ihrem Hauptwohnsitz ist ihr Arbeitsplatz rund 40 km entfernt. Ihr Lebensgefährte ist in der gemeinsamen Unterkunft in der Gemeinde des beschwerdeführenden Bürgermeisters mit einem weiteren Wohnsitz gemeldet; dort ist er berufstätig. Als seinen Hauptwohnsitz hat er die ca. 40 Straßenkilometer entfernte Ortschaft Nebelberg angegeben (bezüglich des Lebensgefährten der Zweitmitbeteiligten wird auf das Erkenntnis vom heutigen Tag zu Zl. 2002/05/0308 verwiesen).

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten in der Gemeinde des mitbeteiligten Bürgermeisters abgewiesen. Bei Gesamtbetrachtung der Lebensverhältnisse der Zweitmitbeteiligten sei davon auszugehen, dass sie sowohl in der Gemeinde des beschwerdeführenden Bürgermeisters als auch in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters einen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen, wenn auch unterschiedlicher Qualität habe. In der Gemeinde des Beschwerdeführers seien Elemente einer gesellschaftlichen Bindung gegeben, zumal dort eine Lebensgemeinschaft mit dem Partner vorliege. Die Bindungen der Zweitmitbeteiligten an den Wohnsitz in der Gemeinde der erstmitbeteiligten Partei sei jedoch ungleich stärker einzustufen, weil in diesem Fall neben gesellschaftlichen Bindungen, wie ein Familienverband mit den Eltern und Geschwistern bzw. ein Freundeskreis, auch wirtschaftliche Elemente der Lebensbeziehung der Zweitmitbeteiligten vorhanden seien, weil diese zwecks Besorgungen des täglichen Bedarfs eine Bankverbindung eingerichtet habe. Die Bezeichnung des Mittelpunktes der Lebensbeziehungen werde nicht zuletzt durch den Umstand unterstrichen, dass sich der Hausarzt der Zweitmitbeteiligten in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters befinde und sie dort auch die Sonntagsgottesdienste besuche. Die Gesamtbetrachtung der Lebensbeziehungen lasse deren Verdichtung im Sinne eines für die Annahme des Hauptwohnsitzes maßgeblichen Lebensmittelpunktes in der Gemeinde des mitbeteiligten Bürgermeisters erkennen, weil den langjährigen persönlichen familiären, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen doch mehr Gewicht beizumessen sei als den Lebensverhältnissen in der Gemeinde der beschwerdeführenden Partei. In einem solchen Falle komme der Äußerung des Betroffenen wohl nicht ausschließliche aber dennoch beachtliche Entscheidungsrelevanz zu.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof im Geltungsbereich der auch im Beschwerdefall anzuwendenden Rechtslage des Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung BGBl. Nr. 352/1995, ausgeführt, dass im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt (wird), ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG 1991) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u. a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher - wie auch den Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Meldegesetznovelle, BGBl. Nr. 505/1994 (GP XVIII. RV 1334), zu entnehmen ist - vor allem folgende Bestimmungskriterien maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule und den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften. Durchaus möglich ist, dass am Hauptwohnsitz - und damit beim Mittelpunkt der Lebensbeziehungen - wenige oder gar keine beruflichen Lebensbeziehungen bestehen (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 31. August 1999, Zl. 99/05/0076). Diese Regelung hat auch durch die Anfügung des Abs. 8 im § 1 MeldeG mit der Novelle vom 30. März 2001, BGBl. I Nr. 28/2001, keine inhaltliche Änderung erfahren, weil damit nur die in der vorzitierten Regierungsvorlage angeführten Kriterien in Gesetzesform gegossen worden sind.

Für das vom Verfassungsgerichtshof in seinem obzitierten Erkenntnis vom 26. September 2001 als verfassungskonform bewertete Reklamationsverfahren gilt daher, dass nur die im § 17 Abs. 3 MeldeG angeführten Beweismittel zulässig sind; die Parteien trifft eine besondere Mitwirkungspflicht. Die am Reklamationsverfahren beteiligten Bürgermeister dürfen nur Tatsachen geltend machen, die sie in Vollziehung eines Bundes- oder Landesgesetzes ermittelt haben und die keinem Übermittlungsverbot unterliegen.

Im hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, hat der Verwaltungsgerichtshof auch näher begründet ausgeführt, dass in Ausnahmefällen auch das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, den Ausschlag geben kann, dies jedoch nur in den Fällen, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind.

Wenn nun wie im Beschwerdefall feststeht, dass sich die Betroffene mit einem Partner in einer ehelichen oder eheähnlichen Lebensgemeinschaft befindet, dann ist davon auszugehen, dass die Lebensgefährten denselben Mittelpunkt haben, es sei denn besondere - im Reklamationsverfahren zu behauptende und von der Behörde festzustellende - Gründe sprechen für eine gegenteilige Annahme. Ein anderes Freizeitverhalten des Partners rechtfertigt bei einer Gesamtbetrachtung im Sinne des § 1 Abs. 7 Meldegesetz grundsätzlich nicht die Annahme eines vom Partner verschiedenen Hauptwohnsitzes, weil im Falle einer aufrechten Lebensgemeinschaft im Wesentlichen von gleich gelagerten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen der Ehegatten bzw. Lebensgefährten auszugehen ist, wobei auch der Ort der Berufsausübung beim Ehegatten bzw. Lebensgefährten von entscheidender Bedeutung ist (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0941).

Der Beschwerdefall bietet keinen Anlass für ein Abgehen von dieser ständigen Rechtsprechung, die Zweitmitbeteiligte hat vielmehr zur Gemeinde des beschwerdeführenden Bürgermeisters im Hinblick auf die bestehende Lebensgemeinschaft so intensive Lebensbeziehungen geknüpft, dass der Mittelpunktcharakter der Gemeinde des beschwerdeführenden Bürgermeisters nicht zu leugnen ist, wohingegen der Mittelpunktcharakter des Heimatortes nicht mehr bejaht werden kann, zumal feststeht, dass eine neue familiäre Bindung am früheren Heimatort nicht besteht und die familiäre Bindung einer Person an die Eltern und Geschwister umso mehr in den Hintergrund tritt, je mehr sich ihr Alter vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat; die Heimatverbundenheit einer Person wiederum ist kein Kriterium des § 1 Abs. 8 Meldegesetz (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2002, Zl. 2001/05/1163). Ebenso wenig kommt dem Umstand, dass die Zweitmitbeteiligte ihre Bankverbindung in ihrer Heimatgemeinde hat, den Sonntagsgottesdienst weiterhin in der Gemeinde des mitbeteiligten Bürgermeisters besucht und sich der Arzt ihres Vertrauens ebenfalls dort befindet, im Beschwerdefall eine entscheidungswesentliche Bedeutung zukommt. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch schon mehrfach darauf hingewiesen, dass das Reklamationsverfahren gegenwartsbezogen ist und es daher auf beabsichtigte Veränderungen nicht ankommt.

Da sohin die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass der Mittelpunktcharakter des Heimatortes der Zweitmitbeteiligten noch bejaht werden könne, belastete sie den Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 19. Juni 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002050309.X00

Im RIS seit

18.09.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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