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41/02 Melderecht;Norm
MeldeG 1991 §1 Abs7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde 1. des Bürgermeisters der Marktgemeinde Reisenberg und 2. der Dr. Susanne Maria Weiss in Reisenberg, beide vertreten durch Dr. Helmut Steiner, Dr. Thomas Weber und Mag. Gerald Hegenbart, Rechtsanwälte in 2500 Baden, Villa Menotti, Kaiser Franz Ring 13, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 31. Jänner 2002, Zl. 628605/5-II/D/11/02-grh, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Partei: Bürgermeister der Bundeshauptstadt Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern insgesamt Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Im angefochtenen Bescheid werden auf Grundlage der Wohnsitzerklärung der betroffenen zweitbeschwerdeführenden Partei folgende, von den Beschwerdeführern nicht bekämpfte Feststellungen getroffen:
Die am 28. Juli 1959 geborene, verheiratete (nicht berufstätige) Zweitbeschwerdeführerin ist seit 1992 in der Gemeinde des erstbeschwerdeführenden Bürgermeisters (Marktgemeinde 2440 Reisenberg, Niederösterreich; ca. 30 Straßen-km von Wien entfernt) mit Hauptwohnsitz gemeldet. Sie verbringt in der Hauptwohnsitzgemeinde 200 Tage im Jahr. Ihre im Jahre 1986 geborene Tochter und ihr mj. Sohn (geb. 1999) sind dort ebenfalls mit Hauptwohnsitz gemeldet. Ihr Ehemann lebt ebenfalls in der Marktgemeinde Reisenberg, ist jedoch dort nur mit Nebenwohnsitz gemeldet. In Wien ist die Zweitbeschwerdeführerin mit einem weiteren Wohnsitz gemeldet; sie lebt in Wien mit ihrem Ehemann, der dort mit Hauptwohnsitz gemeldet ist, 100 Tage im Jahr. Ihre mj. Tochter besucht die Schule in Wien. Feststellungen über den Ausgangspunkt des Schulweges fehlen.
In seiner an die belangte Behörde gerichteten Stellungnahme vom 6. November 2001, welcher sich die Zweitbeschwerdeführerin "vollinhaltlich" angeschlossen hat, wies der erstbeschwerdeführende Bürgermeister darauf hin, dass die Zweitbeschwerdeführerin in der Hauptwohnsitzgemeinde ein Einfamilienhaus besitzt, in dem sie mit ihrer Familie den überwiegenden Teil des Jahres verbringt. Die Zweitbeschwerdeführerin und ihr Ehemann hätten auch ein Baugrundstück erworben, auf welchem sie in absehbarer Zeit ein weiteres Einfamilienhaus errichten wollten.
Mit dem angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde über Antrag des mitbeteiligten Bürgermeisters den Hauptwohnsitz der Zweitbeschwerdeführerin in der Marktgemeinde Reisenberg auf.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens nicht vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind. Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).
Im Beschwerdefall steht fest, dass die nunmehr 42-jährige Zweitbeschwerdeführerin einen großen Teil des Jahres in einem Einfamilienhaus in der Hauptwohnsitzgemeinde, wo auch ihre minderjährigen Kinder und ihr Ehemann leben, verbringt. Der familiäre Schwerpunkt und die mit dem Einfamilienwohnhaus und dem Grundstückskauf geschaffene Kapitalbindung in der Hauptwohnsitzgemeinde schaffen daher im Zusammenhang mit der festgestellten Aufenthaltsdauer derart massive gesellschaftliche (familiäre) und wirtschaftliche Beziehungen der Zweitbeschwerdeführerin zur Gemeinde des erstbeschwerdeführenden Bürgermeisters, dass im Beschwerdefall bei einer Gesamtschau der im Reklamationsverfahren für die Beurteilung des materiellrechtlichen Kriteriums "Mittelpunkt der Lebensbeziehungen" maßgeblichen Bestimmungskriterien (siehe § 1 Abs. 8 MeldeG) jedenfalls auch von einem weiteren Lebensmittelpunkt der Zweitbeschwerdeführerin am gewählten Hauptwohnsitzort auszugehen ist. Daran vermag der Umstand, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin an deren Nebenwohnsitz in Wien mit Hauptwohnsitz gemeldet ist, im Hinblick auf das Zusammenleben mit den Kindern, von denen nur eines in Wien in die Schule geht, in Reisenberg nichts zu ändern.
Da sohin die belangte Behörde verkannte, dass die Zweitbeschwerdeführerin zulässigerweise die Gemeinde des erstbeschwerdeführenden Bürgermeisters als Hauptwohnsitz gewählt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da im pauschalierten Schriftsatzaufwand die Umsatzsteuer bereits enthalten ist und der Bürgermeister als Organ der Gemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechtes im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Wirkungskreises gemäß § 2 Z. 2 GebG 1957 von der Entrichtung der Stempelgebühren befreit ist. Diese Befreiung erstreckt sich auch auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof (siehe die Nachweise bei Fellner, Stempel- und Rechtsgebühren MGA6, E 23 zu § 2 GebG).
Wien, am 19. Juni 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2002050616.X00Im RIS seit
18.09.2002