TE Vwgh Erkenntnis 2002/6/20 2000/20/0443

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Veröffentlicht am 20.06.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6 Z3;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Moritz als Richter, im Besein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde der S A in Graz, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. September 2000, Zl. 216.562/0-XI/38/00, betreffend § 6 und § 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, reiste am 20. Dezember 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte an diesem Tag Asyl. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 21. Februar 2000 führte die Beschwerdeführerin aus, sie sei vor fünf Jahren in der Nacht, in der Voodoozauber durchgeführt worden sei, auf die Toilette außerhalb des Hauses gegangen. Sie sei auf dem Weg dorthin gefangen genommen und in den Busch verschleppt worden. Dort sei sie an einen Baum gebunden worden. Der "Chef" sei gekommen und habe entschieden, dass sie nicht getötet werden solle. Sie sei mit einem messerähnlichen Gegenstand markiert worden. Danach sei sie noch einen Tag lang an dem Baum angebunden gewesen, bis sie ein Jäger befreit und nach Benin City mitgenommen habe. Sie habe sich sodann weiterhin bei diesem Jäger aufgehalten. In Benin City sei sie von Angehörigen der Gruppe Igbile, deren "Chef" sie habe markieren lassen, entdeckt und wieder zu dem "Chef" nach Ughoton gebracht worden. Sie habe dessen Frau werden sollen und sei in seinem Haus gefangen gewesen. Sie wäre getötet worden, sobald dieser "Chef", der schon etwa 70 Jahre alt gewesen sei, gestorben wäre. Aus diesem Grund sei sie geflüchtet.

Mit Bescheid vom 6. April 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 6 Z. 1 und 2 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet ab und erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, mangels Beweismittel stünde die Identität der Beschwerdeführerin nicht fest. Es habe auch nicht festgestellt werden können, auf welche Weise und über welchen Weg sie nach Österreich eingereist sei. Den Angaben der Beschwerdeführerin sei nicht entnehmbar gewesen, dass sie aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Grund geflohen sei und ihr im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland Verfolgung aus einem solchen Grund drohen würde. Ereignisse, die fünf Jahre zurücklägen, seien im Sinne des Asylgesetzes nicht asylrelevant.

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid legte die Beschwerdeführerin dar, dass ihr auf Grund der Tatsache, dass sie von Mitgliedern der Igbile-Vereinigung wieder aufgefunden worden sei, im Fluchtzeitpunkt entsprechende Verfolgung gedroht habe, unabhängig davon, dass die erstmalige Konfrontation mit dieser Gruppe bereits fünf Jahre zurückgelegen sei. Bei ihrer Rückkehr drohe ihr Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Ermordung. Im Übrigen halte die Beschwerdeführerin die in der Einvernahme gemachten Aussagen aufrecht.

Bei der mündlichen Verhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat am 19. Juli 2000 wiederholte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen ihre Aussagen, die sie bei der Einvernahme vor der Behörde erster Instanz gemacht hatte. Sie gab an, dass der "Chef" der Anführer einer Gruppe sei, die dem Gott "Igbile" diene und voodooartige Riten durchführe. Aus ihrem Dorf seien öfters Leute entführt und geopfert worden. Nach dem Tod des "Chefs" hätte sie, als dessen Ehefrau, niemand mehr geheiratet, und die Dorfbewohner hätten sie sogar umgebracht, weil sie geglaubt hätten, dass sein Geist dann auf ihren Körper übergegangen wäre. Igbile sei ein böser Geist. Feiern habe es nur gegeben, wenn jemand umgebracht worden sei. Die Polizei schreite nur ein, wenn man sie bezahle. Der Igbilekult sei auf ihren Heimatort und dessen Umgebung beschränkt. Nach dem Tod des Jägers, der sie von dem Baum gerettet hatte, sei sie bei dessen Begräbnis von Angehörigen des Igbilekults wieder entdeckt worden, welche sie geholt und in das Haus des "Chefs" gebracht hätten. Als dieser krank geworden sei, habe sie Angst bekommen, dass man sie umbringen werde, wenn er stürbe, denn sie hätten beide das gleiche Zeichen auf dem Bauch getragen. Deshalb sei sie geflohen. Bei dem Jäger sei sie immer nur im Haus tätig gewesen und kenne auch nur die Vornamen der Familienmitglieder. Im Übrigen habe sie sich sicher gefühlt, weshalb sie sich bei den Begräbnisfeierlichkeiten nicht versteckt habe.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 6 Z. 2 und 3 Asylgesetz ab und erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig. Nach Wiedergabe der Darlegungen der Beschwerdeführerin führte die belangte Behörde in der Begründung aus, dass es eine Reihe von Widersprüchen und Ungereimtheiten gebe. So habe die Beschwerdeführerin erklärt, alleine an einen Baum gefesselt im Busch zurückgelassen worden zu sein. Es habe sich um einen Ort gehandelt, zu dem sich niemand getraut habe, weil bekannt gewesen sei, dass dort Opfer gebracht und Leute umgebracht würden. Es sei für die erkennende Behörde nicht verständlich, warum die Berufungswerberin von den Angehörigen des Igbilekultes nicht entweder mitgenommen oder aber bewacht worden sei, wenn sie doch den Anführer dieses Kultes hätte heiraten sollen. Die Beschwerdeführerin habe ferner keine genaueren Angaben über den Gott Igbile und den damit zusammenhängenden Kult machen können. Dies sei unglaubwürdig, da die Beschwerdeführerin selbst angegeben habe, dieser Kult existiere nur in ihrem Dorf und in der näheren Umgebung dieses Dorfes. Die Angabe der Beschwerdeführerin, Feiern hätte es nur gegeben, wenn jemand umgebracht worden sei, entspreche nicht den von der erkennenden Behörde eingeholten Informationen, wonach diese rituellen Zeremonien zwecks Bewahrung der Gesundheit des Dorfes und der Dorfbevölkerung abgehalten würden. Weiters sei nicht nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin ca. vier bis fünf Jahre bei der Familie des Jägers, der sie gerettet haben solle, als Haushaltshilfe und Kindermädchen gelebt habe, jedoch den Nachnamen und die Adresse der Familie nicht habe nennen können. Nicht nachvollziehbar sei ferner, dass sich die Beschwerdeführerin offen bei dem Begräbnis des Jägers gezeigt habe, wenn sie doch angeblich mit einer Zwangsverheiratung mit dem Anführer eines Voodookultes habe rechnen und gewärtigen müssen, dass an dieser Begräbnisfeier auch Angehörige dieses Igbilekultes teilnehmen. Schließlich habe die Beschwerdeführerin vor der Behörde erster Instanz und vor der Berufungsbehörde unterschiedliche Aussagen darüber gemacht, wie sie von dem Anführer des Igbilekultes behandelt worden sei, als sie mit ihm zusammen gelebt habe. Auch der geschilderte Fluchtweg weise Widersprüche auf und sei nicht nachvollziehbar. Das Vorbringen der Berufungswerberin entspreche daher offensichtlich nicht den Tatsachen. Selbst wenn man es aber als wahr unterstellen wollte, so läge bloß eine Verfolgung durch Privatpersonen und nicht durch den Staat vor. Außerdem hätte eine inländische Fluchtalternative bestanden, da der Igbilekult sich nach den Angaben der Beschwerdeführerin lediglich auf ihr Heimatdorf und dessen nähere Umgebung beschränke. "Aus diesem Grund" seien auch die Voraussetzungen des § 6 Z. 2 Asylgesetz erfüllt.

Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die belangte Behörde hat in ihrem Spruch ihre Entscheidung auf § 6 Z. 2 und 3 des Asylgesetzes gestützt.

Gemäß § 6 Asylgesetz sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach Z. 2 leg. cit. der Fall, wenn - ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat - die behauptete Verfolgungsgefahr nach dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung) zurückzuführen ist. Bei der Prüfung, ob ein Fall des § 6 Z. 2 Asylgesetz vorliegt, ist demnach von den Behauptungen des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen offensichtlich nicht entnehmen lässt. Die Einbeziehung von Erwägungen zur Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers und von Tatsachenfeststellungen kommt daher bei der Beurteilung nach § 6 Z. 2 Asylgesetz schon vom Ansatz her nicht in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0332).

In der zuletzt genannten Hinsicht ist der belangten Behörde bei der Beurteilung des Falles auch kein Fehler vorzuwerfen, weil bei der hilfsweisen Unterstellung des Sachverhaltes unter § 6 Z. 2 Asylgesetz - hypothetisch - vom Vorbringen der Beschwerdeführerin ausgegangen wurde. Die belangte Behörde hat sich mit der geltend gemachten Bedrohung unter dem Gesichtspunkt eines möglichen Zusammenhanges mit einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe (oder des "offensichtlichen" Fehlens eines solchen Zusammenhanges) aber nicht auseinandergesetzt, was angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführerin, sie habe ihre Tötung aus kultischen Gründen befürchten müssen, jedenfalls erforderlich gewesen wäre. Stattdessen hat die belangte Behörde die Subsumtion des Vorbringens unter § 6 Z. 2 Asylgesetz auf die private Urheberschaft der Verfolgung ohne Versuch, staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen, sowie vor allem auf die Annahme einer "inländischen Fluchtalternative" und somit auf Umstände gestützt, die eine derartige Subsumtion nicht zu tragen vermögen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, und daran anschließend etwa die Erkenntnisse vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0332 und Zl. 99/20/0411, sowie vom 12. März 2002, Zl. 2001/01/0316). In dieser Hinsicht hat die belangte Behörde daher die Rechtslage nicht richtig beurteilt.

Gemäß § 6 Z. 3 Asylgesetz sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation "offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht". Auch diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung der belangte Behörde nicht erfüllt. Die belangte Behörde hat den Unterschied zwischen "schlichter" und "offensichtlicher" Tatsachenwidrigkeit und die Maßgeblichkeit der zuletzt genannten Voraussetzung für die Anwendung des § 6 Z. 3 Asylgesetz (vgl. dazu das Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214) verkannt und zur Begründung ihrer Annahme "offensichtlicher" Unglaubwürdigkeit auf vorangegangene Erwägungen verwiesen, in denen nur die zusammenfassende Annahme einer "Unglaubwürdigkeit" des Vorbringens dargelegt wird. Im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Fluchtgrund ist dabei hervorzuheben, dass etwa der von der Beschwerdeführerin genannte "Geist" in ihrem behaupteten Heimatort nach Ansicht der belangten Behörde tatsächlich verehrt wird und sich die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens u.a. daraus ergeben soll, dass die Beschwerdeführerin die Frage nach "Festen oder Umzügen" zu Ehren dieses "Geistes" verneint habe, wohingegen in einer Lexikoneintragung von "Zeremonien mit speziellen Masken" die Rede sei. Die Ausführungen zur Beweiswürdigung, die in weiten Teilen auch von - keineswegs zwingenden - Plausibilitätserwägungen ausgehen, stehen insgesamt nicht unter dem Gesichtspunkt der Prüfung "offensichtlicher" Tatsachenwidrigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 6 Z. 3 Asylgesetz.

Der angefochtene Bescheid war aus den dargelegten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG Abstand genommen werden.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das die Mehrwertsteuer betreffende Mehrbegehren war abzuweisen, da diese in den in der genannten Verordnung vorgesehenen Pauschalbeträgen bereits enthalten ist.

Wien, am 20. Juni 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200443.X00

Im RIS seit

29.08.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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