TE Vfgh Beschluss 1999/6/23 B993/99, B994/99

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Veröffentlicht am 23.06.1999
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §33
VfGG §87 Abs3
ZPO §146 Abs1

Leitsatz

Abweisung von Wiedereinsetzungsanträgen wegen Versäumung der Beschwerdefrist; kein bloß minderer Grad des Versehens; Zurückweisung der Beschwerden als verspätet; Abweisung der Abtretungsanträge

Spruch

I. Den Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird keine Folge gegeben.

II.                                    Die Beschwerden werden

zurückgewiesen.

III.           Die Anträge, die

Beschwerden dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abzutreten, werden abgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit im wesentlichen gleichlautenden Schriftsätzen vom 4. Juni 1999, die noch am gleichen Tage zur Post gegeben wurden, begehren die Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 5. März 1999, Ge-442427/1-1999-Bi/G (zugestellt am 9. April 1999), bzw vom 19. März 1999, Ge-442426/2-1999-Bi/G (zugestellt am 8. April 1999). In diesen (rechtzeitig eingebrachten) Wiedereinsetzungsanträgen, die jeweils mit der (nachgeholten) Beschwerde verbunden sind, wird im wesentlichen folgendes ausgeführt: Die Fristen für die Einbringung der Beschwerden seien ordnungsgemäß in das Fristenbuch der Kanzlei ihres Rechtsvertreters für den 20. bzw. 21 Mai 1999 eingetragen worden. Die Beschwerden seien auch rechtzeitig am 20. Mai 1999 fertiggestellt und in ein gemeinsames Kuvert gegeben worden. Die mit der Postaufgabe beauftragte Sekretärin sei sehr gewissenhaft. Üblicherweise gebe sie im Zuge ihres Nachhauseweges die eingeschriebenen Briefe beim nahegelegenen Postamt ab. Die Einschreibenachweise würden von ihr aufbewahrt und den jeweiligen Akten zugeordnet. Diese Sekretärin habe nun auch am 20. Mai 1999 die Post mitgenommen, am 21. Mai 1999 habe sie - weil die Kanzlei wegen Malerarbeiten gesperrt war - dienstfrei gehabt. Deshalb habe sie erst am nächsten Werktag, dem 25. Mai 1999, beim Zuordnen der Abgabescheine bemerkt, daß ihr dieser für die gegenständlichen Akte fehle. Bei der Suche habe sie festgestellt, daß der an den Verfassungsgerichtshof adressierte Brief in eine Seitentasche ihrer Tasche gerutscht sei, was sie nicht bemerkt habe. Das Fehlen des Briefes sei ihr aufgrund der Mehrzahl der Briefstücke nicht aufgefallen.

Als Bescheinigungsmittel für die geschilderten Vorgänge, die zur Fristversäumung führten, liegt den Anträgen eine "Eidesstättige Erklärung" der Sekretärin bei.

II. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der sechswöchigen Beschwerdefrist sind nicht begründet.

1. Da das VerfGG in seinem §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen des §146 Abs1 ZPO sinngemäß anzuwenden: Danach ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein "unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis" an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter "minderem Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (vgl. VfSlg. 9817/1983, 11706/1988).

2. Davon kann aber im vorliegenden Fall keine Rede sein. Nach Lage des Falles kann nicht angenommen werden, daß die Beschwerdeführer oder ihren Rechtsvertreter, für den die Verschuldensregelung des §146 Abs1 ZPO gleichfalls gilt (vgl. VfSlg. 10345/1985), bloß ein minderer Grad des Versehens bei der Versäumung trifft. Zwar mag es noch einen minderen Grad des Versehens darstellen, wenn ein Schriftstück in eine Seitentasche einer Tasche rutscht, weil dies auch einem sorgfältigen Menschen gelegentlich unterläuft. Indes gehört zu einer den gebotenen Sorgfaltsmaßstäben entsprechenden Kanzleiorganisation, Kontrollmechanismen - etwa ein Postausgangsbuch - anzulegen, die Gewähr leisten, daß bei einer - oft nur schwer zu überblickenden - größeren Zahl von Postausgangsstücken am Postamt tatsächlich all jene Poststücke übergeben werden, die in der Kanzlei hiefür vorbereitet wurden. Der Verfassungsgerichtshof wertet es daher nicht als leichte Fahrlässigkeit, wenn ein für die Postaufgabe bestimmtes Schriftstück am Weg zur Post - aus welchem Grund auch immmer - verloren geht, ohne daß dies spätestens bei der Postaufgabe bemerkt wird.

Die Anträge auf Wiedereinsetzung waren daher abzuweisen.

III. Die unter einem

eingebrachten Beschwerden nach Art144 B-VG waren wegen Versäumung der sechswöchigen Beschwerdefrist (§82 Abs1 VerfGG) zurückzuweisen.

Die Anträge, die Beschwerden in eventu an den Verwaltungsgerichtshof abzutreten, waren abzuweisen, weil eine solche Abtretung nur im - hier nicht gegebenen - Fall einer Abweisung oder einer Ablehnung der Beschwerdebehandlung in Betracht kommt.

IV. Dies konnte gemäß §33 VerfGG bzw. §19 Abs3 Z2 litb VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung, VfGH / Abtretung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B993.1999

Dokumentnummer

JFT_10009377_99B00993_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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