TE Vwgh Erkenntnis 2002/6/20 2001/20/0180

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Veröffentlicht am 20.06.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §6 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des E B in Wien, vertreten durch Dr. Eva Riess, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Zeltgasse 3/12, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 5. Dezember 2000, Zl. 219.244/0-XI/38/00, betreffend §§ 6 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 11. Mai 2000 nach Österreich ein und stellte am 12. Mai 2000 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 24. Mai 2000 gab der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Fluchtgründe insbesondere an, er habe als Angehöriger der Revolutionary United Front (RUF) mit seiner Kampfgruppe Probleme bekommen und nicht mehr zu dieser Gruppe gehören wollen. Er sei für beide Bürgerkriegsparteien zum Feind geworden. Der Beschwerdeführer habe sich gegen das Plündern, Töten und Vergewaltigen durch manche RUF-Mitglieder ausgesprochen. Im März 2000 habe er einen Kämpfer seiner Gruppe daran gehindert, eine Frau zu vergewaltigen. Daraufhin sei er in einer Grube festgehalten worden, was sozusagen das Todesurteil bedeute. Nach mehr als 14 Tagen habe er mit der Hilfe eines Freundes aus dieser Grube entkommen können. Bei einer ergänzenden Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 9. August 2000 wurde der Beschwerdeführer mit diversen Fragen zu Sierra Leone konfrontiert. Er konnte die Farben der Flagge von Sierra Leone angeben und die Regenzeit korrekt datieren. Im Übrigen konnte er die Fragen nicht beantworten.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. September 2000 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z. 3 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet abgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig erklärt. Nach Wiedergabe der Aussagen des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt kam die Behörde erster Instanz in ihrer Begründung zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer nicht aus Sierra Leone stamme. Die Angaben zu den Fluchtgründen würden der Entscheidung mangels Glaubwürdigkeit nicht zu Grunde gelegt. Im Hinblick auf den Ausspruch gemäß § 8 Asylgesetz sei jedenfalls Freetown derzeit und für die nähere Zukunft als sicher zu bezeichnen. Von 22 gestellten Fragen bei der ergänzenden Einvernahme zu Sierra Leone habe der Beschwerdeführer lediglich zwei korrekt beantworten können. Erschwerend sei, dass der Beschwerdeführer behauptet habe, aus Kailahun zu stammen, während im Zuge dieser ergänzenden Befragung jedoch hervorgekommen sei, dass er mit der näheren Umgebung seines angeblichen Heimatortes nicht vertraut sei. Auch habe der Beschwerdeführer keine eingehende, aus eigenem Erleben gewonnene Beziehung zum Alltagsleben in Sierra Leone glaubhaft darstellen können.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid behauptete der Beschwerdeführer wiederum seine Herkunft aus Sierra Leone und beantragte seine neuerliche Einvernahme. Bei der mündlichen Verhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat am 20. November 2000 gab der Beschwerdeführer an, aus Kailahun in der Ostprovinz zu kommen. Er gehöre dem Stamm der Susu an. Geboren sei er in Keba, welches in Kailahun liege. Auf die Frage der Einteilung des Staates gab der Beschwerdeführer an, dass es die Regionen Ost, Nord, West und Süd gebe. Er habe sechs Jahre Grundschule und drei Jahre Mittelschule absolviert. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, einige Phrasen vom Englischen schriftlich in die Sprache Susu zu übersetzen. Diese Aufzeichnungen wurden zum Akt genommen. Zur Währung gab der Beschwerdeführer an, dass es Leone und Cent gebe. Die Centmünzen seien alle rund. Es gebe 1, 5 und 10 Cent. Die Leone seien in 1, 10, 20, 50, 100, 500 und 1000 gestückelt. Für Colaflaschen habe der Beschwerdeführer 80 oder 150 Leone je nach Größe bezahlt, für Brot 60 oder 90 Leone je nach Sorte.

Seitens der RUF sei er unter Androhung von Gewalt veranlasst worden, sich dieser Gruppe anzuschließen. Dies wäre Ende des letzten Jahres, nach dem Tod seines Bruders gewesen. Der Verhandlungsleiter hielt dem Beschwerdeführer daraufhin vor, dass er nach seiner Einvernahme vor der Behörde erster Instanz bereits seit 1998 Mitglied der RUF gewesen sei. Der Beschwerdeführer bestritt, dies gesagt zu haben. Im Wesentlichen wiederholte der Beschwerdeführer sodann seine Angaben vor der Behörde erster Instanz, dass er die Vergewaltigung einer Frau verhindert habe und daraufhin in einer Grube gefangen gehalten worden sei, aus der ihm die Flucht mit Hilfe eines Freundes gelungen sei. Die Festhaltung sei in Kailahun Dambara erfolgt. Ein solcher Ort existiert nach der Feststellung des Verhandlungsleiters tatsächlich.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z. 3 Asylgesetz ab und stellte gemäß § 8 Asylgesetz iVm § 57 Fremdengesetz fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Identität des Beschwerdeführers, dessen Staatsangehörigkeit, der Fluchtweg sowie die Fluchtgründe hätten nicht festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer habe keinerlei Lichtbildausweise oder sonstige Dokumente, welche seine Identität hätten bescheinigen können, vorgelegt. Bei der mündlichen Berufungsverhandlung habe der Beschwerdeführer angegeben, er komme aus Kailahun, welches in der Ostprovinz von Sierra Leone liege. Es habe allerdings nicht geklärt werden können, ob der Beschwerdeführer die Stadt Kailahun, welche die Hauptstadt des Kailahun-Distrikts sei, oder den Kailahun-Distrikt an sich gemeint habe. Nach den Ausführungen des Beschwerdeführers sei Kailahun ein Dorf, in dem sich Leute aus verschiedenen Gegenden angesiedelt hätten. In weiterer Folge habe er angegeben, er sei in Keba geboren, dies sei ein Dorf, welches in Kailahun liege. Wenn man davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer den Kailahun-Distrikt gemeint habe, so sei anzumerken, dass der Ort Keba jedenfalls nicht in diesem Distrikt liege, liege doch zwischen dem Ort Keba und dem Kailahun-Distrikt noch der Kenema-Distrikt und gehöre doch Keba zum Pujehun-Distrikt. Der Beschwerdeführer sei ferner nicht in der Lage gewesen, eine grobe Einteilung seines angeblichen Heimatstaates Sierra Leone vorzunehmen. Er habe lediglich angegeben zu wissen, dass es in Sierra Leone die Regionen Ost, Nord, West und Süd gebe. Es erscheine nicht glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer trotz insgesamt neunjährigem Schulbesuch keine Grobeinteilung seines Heimatstaates hätte angeben können. Weiters habe der Beschwerdeführer ausgeführt, er gehöre dem Stamm der Susu an und spreche auch die Sprache Susu. Er sei aufgefordert worden, einige Phrasen des alltäglichen Gebrauches von der englischen Sprache in Susu zu übersetzen. Die Übersetzungen seien zum Akt genommen worden. Ein Vergleich zwischen den in Kopie im Akt aufliegenden tatsächlich entsprechenden Begriffen in der Sprache Susu und den vom Beschwerdeführer niedergeschriebenen zeige, dass kein einziger der von ihm zu Papier gebrachten Begriffe auch nur annähernd mit den bei der Behörde aufliegenden Begriffen in der Sprache Susu übereinstimme. Zur Währung habe der Beschwerdeführer zutreffend angegeben, es gebe Leone und Cent. Die Angaben über die Stückelung der Leone seien allerdings nur teilweise zutreffend gewesen. Die Darlegungen des Beschwerdeführers zur Stückelung und zur Form der Centstücke seien überwiegend nicht zutreffend gewesen, abgesehen davon, dass die Cent praktisch nicht mehr in Verwendung stünden. Auch hinsichtlich des Preisniveaus in Sierra Leone habe sich der Beschwerdeführer nicht als Kenner der landesüblichen Gegebenheiten erwiesen. Seine Angaben wären entsprechend den im Verwaltungsakt aufliegenden Informationen durch das österreichische Konsulat in Freetown nicht zutreffend gewesen. Im Übrigen würden hinsichtlich der Beweiswürdigung die diesbezüglichen Teile der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt der Begründung des Berufungsbescheides erhoben. Auch die Angaben des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren und im Berufungsverfahren hinsichtlich seines Fluchtweges seien widersprüchlich gewesen. Hinsichtlich der Entscheidung gemäß § 8 Asylgesetz berief sich die belangte Behörde auf eine in der Begründung dargestellte chronologische Auflistung der Ereignisse vom 1. Mai 2000 bis zum 31. Juli 2000, weiters auf einen UN-Bericht vom 19. Mai 2000 betreffend die Einschätzung der Lage in und um die Hauptstadt Freetown und auf Berichte des österreichischen Konsulates in Freetown vom 10. Juni 2000, vom 16. Juli 2000 sowie vom 3. September 2000, schließlich noch auf einen auf Aussagen von UN-Beamten basierenden Bericht vom 24. Mai 2000.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 6 Asylgesetz sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach der von der belangten Behörde herangezogenen Bestimmung der Z. 3 dann der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat das Vorbringen des Asylwerbers zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht.

Wie aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (686 BlgNR 20. GP 19) hervorgeht, orientiert sich die Bestimmung des § 6 Asylgesetz im Wesentlichen an der Entschließung der für Einwanderung zuständigen Minister der Europäischen Gemeinschaften über offensichtlich unbegründete Asylanträge vom 30. November und 1. Dezember 1992. Ein Asylantrag soll demnach "nur dann als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden, wenn eine Verfolgungsgefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (eindeutig) ausgeschlossen werden kann".

Die belangte Behörde hat ihre Annahme, dass der Beschwerdeführer nicht aus Sierra Leone stamme, unter anderem darauf gestützt, dass er nicht vermocht habe, bestimmte englische Phrasen schriftlich in die Sprache Susu zu übersetzen. In der Beschwerde wird diesbezüglich vorgebracht, hätte die belangte Behörde einen Dolmetsch für die Sprache Susu "organisiert", wäre hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer sehr wohl diese Sprache als Muttersprache spreche.

Die belangte Behörde stellte zwar fest, dass die vom Beschwerdeführer schriftlich wiedergegebenen Wörter nicht mit den bei ihr aufliegenden Übersetzungen der entsprechenden englischen Begriffe in die Sprache Susu übereinstimmten. Sie hat allerdings nicht - in einer der nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Weise - dargelegt, dass die vom Beschwerdeführer aufgezeichneten Begriffe nicht der Sprache Susu entstammen. Die belangte Behörde hat somit diesbezüglich nicht ausreichend begründet, weshalb es "offensichtlich" unglaubwürdig sei, dass der Beschwerdeführer aus Sierra Leone stamme.

Hinsichtlich der Angabe der Stückelung und Form der Centstücke führt die belangte Behörde in ihrer Begründung selbst aus, dass die Cent praktisch nicht mehr in Verwendung stünden. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wenn diesbezüglich unkorrekte Angaben des Beschwerdeführers zur Begründung herangezogen werden, dass seine Ausführungen "offensichtlich" unwahr sind. Darüber hinaus hat die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides ausgeführt, dass die Angaben des Berufungswerbers zur Stückelung und zur Form der Centstücke "überwiegend" nicht zutreffend seien. Die belangte Behörde hat aber nicht näher dargelegt, welche Angaben des Beschwerdeführers zutreffen und welche nicht. Auch insofern bleibt die Begründung des in Beschwerde gezogenen Bescheides mangelhaft.

Auch hinsichtlich der geografischen Kenntnisse des Beschwerdeführers steht nicht "offensichtlich" fest, dass er nicht aus Sierra Leone stamme. Insbesondere hat der Beschwerdeführer in der Berufungsverhandlung als Ort seiner Festhaltung Dambara angegeben, welcher Ort tatsächlich in Sierra Leone existiert. Darüber hinaus geht die Behörde selbst davon aus, dass nicht geklärt sei, ob der Beschwerdeführer die Stadt oder den Distrikt Kailahun gemeint habe. Damit können aber weiterführende Schlussfolgerungen hinsichtlich der Angaben des Beschwerdeführers nur auf Hypothesen aufbauen, mit denen sich die "offensichtliche" Unglaubwürdigkeit des Vorbringens nicht dartun lässt.

Hinsichtlich der Preise für Coca-Cola und Brot hat die belangte Behörde nicht dargelegt, worauf sich die Preisangaben des Beschwerdeführers und die in den im Akt einliegenden, im Bescheid aber nicht näher erörterten Angaben des österreichischen Konsuls in Freetown in lokaler und ebenso in zeitlicher Hinsicht beziehen. Auch in dieser Beziehung ist eine "offensichtliche" Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers somit nicht ausreichend begründet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das sich auf den Ersatz von Umsatzsteuer beziehende Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese mit dem pauschalierten Schriftsatzaufwand bereits abgedeckt ist.

Wien, am 20. Juni 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001200180.X00

Im RIS seit

18.10.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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