TE Vwgh Erkenntnis 2002/6/26 97/13/0037

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Veröffentlicht am 26.06.2002
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §250 Abs1;
BAO §260 Abs2;
BAO §275;
BAO §279;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Sellner, über die Beschwerde der D Ges.m.b.H. in W, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 20. Dezember 1994, Zl. 6/2-2230/1/91-16, 6/2-2223/92-16, betreffend Zurücknahme einer Berufung gegen Bescheide über die Festsetzung der Körperschaft- und Gewerbesteuer 1984 bis 1986 und Umsatzsteuer 1985 und 1986, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 838,64 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren betreffend "Barauslagen" wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheiden vom 1. Februar 1989 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 1984 und 1985 und mit gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufigem Bescheid vom 1. Februar 1989 die Umsatzsteuer für 1986 für die Beschwerdeführerin fest. In der dagegen erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, die genannten Bescheide in allen Punkten zu bekämpfen, und stellte den Antrag, diese Bescheide "vollinhaltlich" aufzuheben. Zur Erstellung einer Begründung ersuchte sie um Fristerstreckung.

In einer Ergänzung der Berufung ging die Beschwerdeführerin auf einzelne Punkte des den Bescheiden zu Grunde liegenden Prüfungsberichtes ein und wiederholte am Ende ihren Antrag, die auf Grund des Prüfungsberichtes erstellten Bescheide vom 1. Februar 1989 aufzuheben.

Mit Bescheiden vom 7. Oktober 1991 setzte das Finanzamt die Körperschaft- und Gewerbesteuer für 1986 gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig fest.

In der dagegen erhobenen Berufung stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, die genannten Bescheide aufzuheben.

Der Vorsitzende des Berufungssenates IIIa der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland trug der Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 19. September 1994 auf, bis zum 12. Oktober 1994 den der Berufung u.a. anhaftenden Mangel zu beheben, der darin bestünde, dass die Berufung hinsichtlich der Darstellung der beantragten Änderungen nicht den in § 250 BAO genannten Erfordernissen entspreche. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass bei Versäumung dieser Frist die Berufung als zurückgenommen gelte.

Diesen Auftrag beantwortete die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 19. Oktober 1994 u.a. damit, dass sie die Aufforderung zur Mängelbehebung als "absolut ungerechtfertigt" ansähe. Gleichzeitig wiederholte sie ihren Antrag, die erwähnten Bescheide aufzuheben.

Mit dem angefochtenen Bescheid entschied die belangte Behörde: Die Berufungen gegen die Körperschaft- und Gewerbesteuerbescheide 1984 bis 1986 sowie Umsatzsteuerbescheide 1985 bis 1986 gelten gemäß § 275 BAO als zurückgenommen. Dem Begehren der Beschwerdeführerin, mit dem sie die Aufhebung der bekämpften Bescheide beantragte, komme mangels Darstellung entsprechender Berechnungsgrundlagen nicht einmal ein bestimmbarer, geschweige denn ein bestimmter Inhalt zu. Um dem Mängelbehebungsauftrag zu entsprechen, wäre es Aufgabe der Beschwerdeführerin gewesen, "Änderungsanträge durch Vorlage entsprechender Unterlagen (z.B. Steuererklärung, Umsatzsteuervoranmeldung) zu übermitteln".

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde nach Einstellung des Verfahrens mit dem Beschluss vom 27. März 1996, 95/13/0224, und Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Beschluss vom 11. Dezember 1996, 96/13/0082 und 0083, erwogen:

§ 250 BAO lautet:

"§ 250. (1) Die Berufung muss enthalten:

a)

die Bezeichnung des Bescheides, gegen den sie sich richtet;

b)

die Erklärung, in welchen Punkten der Bescheid angefochten wird;

c)

die Erklärung, welche Änderungen beantragt werden;

d)

eine Begründung.

..."

Wenn eine Berufung nicht den im § 250 Abs. 1 oder Abs. 2 erster Satz umschriebenen Erfordernissen entspricht, so hat gemäß § 275 BAO die Abgabenbehörde erster Instanz dem Berufungswerber die Behebung dieser inhaltlichen Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, dass die Berufung nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt.

Nach § 279 Abs. 1 BAO haben die Abgabenbehörden zweiter Instanz im Berufungsverfahren die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden erster Instanz auferlegt und eingeräumt sind. Damit sind die Abgabenbehörden zweiter Instanz ermächtigt, u.a. Mängelbehebungsaufträge gemäß § 275 BAO zu erteilen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 1997, 93/13/0081, sowie Stoll, BAO-Kommentar III, Seite 2700 f).

Nach § 260 Abs. 2 lit. d leg. cit. obliegt dem Berufungssenat als Organ der Abgabenbehörde zweiter Instanz die Entscheidung über Berufungen u.a. gegen Abgabenbescheide über die veranlagte Körperschaftsteuer, die Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag und die Umsatzsteuer (mit Ausnahme der Einfuhrumsatzsteuer).

Wenn die Berufungsentscheidung gemäß § 260 Abs. 2 durch einen Berufungssenat zu fällen ist, werden die den Abgabenbehörden zweiter Instanz gemäß den §§ 278, 279 und 281 eingeräumten Rechte gemäß § 282 Abs. 1 BAO zunächst vom Vorsitzenden des Senates ausgeübt.

In Angelegenheiten, in denen nach § 260 Abs. 2 BAO die Entscheidung über die Berufung dem Berufungssenat obliegt, ist somit der Vorsitzende des Berufungssenates zuständig, sowohl Mängelbehebungsaufträge nach § 275 BAO zu erteilen als auch über die Zurücknahme von Berufungen zu entscheiden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1990, 90/14/0241, und Stoll, a. a.O., Seite 2757).

Im Beschwerdefall wurden Berufungen gegen Bescheide über die Festsetzung der Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuer für zurückgenommen erklärt. Zur Entscheidung über Berufungen gegen solche Bescheide ist nach § 260 Abs. 2 lit. d BAO der Berufungssenat zuständig. Nach der dargestellten Sach- und Rechtslage wäre zur Erlassung eines Bescheides über die Zurücknahme der Berufung der Vorsitzende des Berufungssenates zuständig gewesen, welcher auch den zu Grunde liegenden Mängelbehebungsauftrag erteilt hatte.

Der angefochtene Bescheid erging jedoch von der Finanzlandesdirektion; ein Hinweis auf den Berufungssenat ist dem angefochtenen Bescheid, der im Übrigen mit "Berufungsentscheidung" überschrieben ist, nicht zu entnehmen. Gezeichnet wurde der angefochtene Bescheid "Für den Präsidenten".

Die monokratische Entscheidung der Finanzlandesdirektion ist dem Vorwurf der Unzuständigkeit ausgesetzt, wenn der Entscheidungsgegenstand in § 260 Abs. 2 BAO genannt ist, aber nicht der Senat oder der Senatsvorsitzende entscheidet (vgl. abermals Stoll, a.a.O., Seite 2638). Die Unzuständigkeit der belangten Behörde führt dabei im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, wenn sie vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. März 2002, 98/13/0231).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Für das weitere Verfahren sieht sich der Verwaltungsgerichtshof zum Hinweis veranlasst, dass die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Berufungen den ausdrücklichen Antrag enthalten, die bekämpften Bescheide ("vollinhaltlich") aufzuheben. Dies konnte als Antrag auf ersatzlose Behebung der Abgabenfestsetzungsbescheide verstanden werden. Damit lag ein tauglicher Entscheidungsgegenstand vor, wobei außer Betracht zu bleiben hat, ob eine solche Entscheidung bei der gegebenen Sach- und Rechtslage in Betracht gekommen und die dem Antrag beigegebene Begründung im Sinne des Begehrens zielführend und schlüssig gewesen wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. März 1994, 93/15/0137).

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Antrages auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das abgewiesene Mehrbegehren betrifft Barauslagen, welche über die Stempelgebühr für die erforderliche Beilage des angefochtenen Bescheides in einfacher Ausfertigung (§ 28 Abs. 5 VwGG) , die gemäß § 3 Abs. 2 Z. 2 EuroG, BGBl. I Nr. 72/2001, auszudrücken war, hinausgehen.

Wien, am 26. Juni 2002

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1997130037.X00

Im RIS seit

07.10.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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