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L5 KulturrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallLeitsatz
Aufhebung des Bescheides betreffend die naturschutzbehördliche Untersagung des Semmering-Basistunnels; Anlaßfallwirkung der Aufhebung des §2 Nö NaturschutzGSpruch
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Niederösterreich ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 43.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Der beschwerdeführenden Gesellschaft obliegt aufgrund des Bundesgesetzes vom 1. März 1989 über Eisenbahn-Hochleistungsstrecken (Hochleistungsstreckengesetz), BGBl. Nr. 135, zuletzt geändert durch das Gesetz BGBl. Nr. 384/1996, die Planung und der Bau von Hochleistungsstrecken, deren Errichtung nicht von den Österreichischen Bundesbahnen vorgenommen wird.
1.1. Der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr hat mit Verordnung vom 19. Juli 1989, BGBl. Nr. 405, der Beschwerdeführerin u.a. die Planung und den Bau der Hochleistungsstrecke Gloggnitz-Mürzzuschlag übertragen. Mit Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr BGBl. Nr. 472/1991 wurde der Trassenverlauf der Hochleistungsstrecke Gloggnitz-Mürzzuschlag im Bereich der Gemeinden Gloggnitz, Payerbach, Reichenau, Breitenstein, Spital am Semmering und Mürzzuschlag derart bestimmt, daß die neu herzustellende Trasse bei km 74,107.459 beginnt und bei km 98,928.740 endet. Durch den Bescheid des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 28. November 1994, Z225.502/67-II/2-1994, wurde der Beschwerdeführerin die eisenbahnrechtliche Baugenehmigung, die abfallwirtschaftsrechtliche Genehmigung, die forstrechtliche Rodungsgenehmigung und die wasserrechtliche Genehmigung für die Errichtung des Streckenabschnittes Gloggnitz-Mürzzuschlag erteilt.
1.1.1. Mit Schreiben vom 19. Dezember 1994 hat die Beschwerdeführerin die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen von der Genehmigung der Eisenbahnanlage durch den Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr verständigt und gleichzeitig mitgeteilt, daß nach ihrer - in jenem Schreiben näher begründeten - Auffassung die Eisenbahnanlage nach dem Niederösterreichischen Naturschutzgesetz (im folgenden: NÖ NSchG) weder anzeige- noch bewilligungspflichtig sei. Die Beschwerdeführerin hat jedoch mit diesem Schreiben "rein vorsichtshalber unter Bezugnahme auf die diesbezügliche Aufforderung des dortigen Behördenvertreters anläßlich der eisenbahnrechtlichen Verhandlung in eventu unter Wahrung des Rechtsstandpunktes" für die in den beigelegten Projektunterlagen ersichtlichen Bereiche der Hochleistungsstrecke Gloggnitz-Mürzzuschlag im Bereich Gloggnitz die Anzeige nach §5 NÖ NSchG erstattet und im Landschaftsschutzgebiet die Bewilligung nach §6 NÖ NSchG beantragt.
1.1.2. Ferner stellte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 28. August 1995 bei der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen den Antrag auf Feststellung, daß der innerhalb des Landschaftsschutzgebietes Rax-Schneeberg gelegene Projektsteil II keiner naturschutzbehördlichen Bewilligung bedarf. Mit Schreiben vom 4. März 1996 beantragte die Beschwerdeführerin den Übergang der Entscheidungspflicht auf die Landesregierung gemäß §73 Abs2 AVG; dieser Devolutionsantrag bezog sich sowohl auf den Feststellungsantrag als auch auf den Antrag um naturschutzbehördliche Bewilligung vom 19. Dezember 1994. Der Devolutionsantrag wurde, soweit er sich auf den Antrag um naturschutzbehördliche Bewilligung bezog, mit Bescheid der Landesregierung vom 18. Juni 1996 abgewiesen; der Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheides hinsichtlich des Vorliegens einer naturschutzbehördlichen Bewilligungspflicht wurde als unzulässig zurückgewiesen.
Gegen diesen Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der Beschwerde mit Beschluß vom 6. Oktober 1997, B2534/96, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis und Beschluß vom 16. November 1998, Zl. 97/10/0203, 0204, 0205, die abgetretene Beschwerde, soweit sie sich gegen die Zurückweisung des Feststellungsantrages richtete, abgewiesen und das Beschwerdeverfahren gegen den Ausspruch über die Abweisung des Devolutionsantrages im Hinblick auf die mittlerweile ergangenen Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 10. Februar 1998 (erstinstanzlicher Bescheid) und der belangten Behörde vom 9. Juni 1998 (d.i. der im gegenständlichen Verfahren angefochtene Berufungsbescheid) wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses eingestellt.
1.1.3. Die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen hat mit Bescheid vom 10. Februar 1998, Z9-N-914/106, dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 19. Dezember 1994 auf naturschutzbehördliche Bewilligung des Semmeringbasistunnels, beginnend vom Tunnelportal bis zur Landesgrenze Niederösterreich/Steiermark, keine Folge gegeben und die Ausführung des Tunnels gemäß dem vorgelegten Projekt untersagt. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung; mit Bescheid der Landesregierung vom 9. Juni 1998 wurde dieser Berufung keine Folge gegeben, jedoch der Spruch des Bescheides wie folgt neu gefaßt:
"Der Antrag der Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG vom 19. Dezember 1994 um Erteilung der naturschutzbehördlichen Bewilligung zur Errichtung der Hochleistungsstrecke Gloggnitz-Mürzzuschlag gemäß dem naturschutzbehördlichen Einreichprojekt 1994, Projektsteil II - Anlagen im Landschaftsschutzgebiet 'Rax-Schneeberg' (von km 76,963 - KG-Grenze Gloggnitz/Eichberg bis km 93,673, - Landesgrenze Niederösterreich/Steiermark), wird abgewiesen. Weiters wird das Vorhaben aufgrund der Anzeige gemäß §5 NÖ Naturschutzgesetz vom 29. Dezember 1995 untersagt."
1.2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und ferner die Verletzung von Europäischem Gemeinschaftsrecht behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
1.3. Der Verfassungsgerichtshof hat am 17. Dezember 1998 beschlossen, aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§2, 5 Abs3 und 6 Abs4 des Niederösterreichischen Naturschutzgesetzes, LGBl. 5500-5, einzuleiten.
2. Mit Erkenntnis vom heutigen Tage, G256/98, hob der Verfassungsgerichtshof §2 des NÖ Naturschutzgesetzes, LGBl. 5500- 5, als verfassungswidrig auf und stellte fest, daß §2 des NÖ Naturschutzgesetzes in der Fassung vor der Novelle LGBl. 5500-5 wieder in Kraft tritt. Im übrigen stellte er das Gesetzesprüfungsverfahren ein.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat im fortgesetzten Beschwerdeverfahren erwogen:
3.1. Die belangte Behörde hat dem angefochtenen Bescheid das von ihr eingeholte Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet des Naturschutzes zugrundegelegt und ist - wie die Verweisung auf die nicht erfolgte Widerlegung und Schlüssigkeit dieses Gutachtens in der Begründung des angefochtenen Bescheides zeigt - somit davon ausgegangen, daß durch das Projekt der Beschwerdeführerin eine Schädigung des inneren Gefüges des Landschaftshaushaltes in den speziellen Feuchtgebieten des Eselbachgrabens bzw. des Hollensteingrabens im Bereich Bertaquelle "nicht weitgehend ausgeschlossen werden" könne, ohne
daß "realistische Vorkehrungen ... aus den ... technischen
Erfordernissen beim Tunnelbau ... erkennbar" wären, ferner, daß
das Landschaftsbild nicht, wohl aber die Schönheit und Eigenart der Landschaft "punktuell" beeinträchtigt werde. An den betroffenen Stellen (wieder im Bereich des Hollenbachgrabens in der Umgebung der sog. Bertaquelle) sei auch mit einer maßgeblichen und dauernden Beeinträchtigung des Erholungswertes der Landschaft dadurch zu rechnen, daß eine Reduzierung bzw. ein Verlust von Feuchtflächen das "Erleben der Natur" beeinträchtige.
3.2. Die belangte Behörde gelangte auf dieser Sachverhaltsgrundlage deshalb zu einer Versagung der Bewilligung des gegenständlichen Projekts bzw. zu einem Verbot seiner Ausführung, weil das NÖ Naturschutzgesetz aufgrund der Abänderung des §2 leg. cit. durch die Novelle LGBl. 5500-5, eine - nach dem oben erwähnten Erkenntnis vom heutigen Tage aus verfassungsrechtlicher Sicht gebotene - Berücksichtigung der vom Bund wahrzunehmenden und keiner weiteren Überprüfung durch das Land unterliegenden gesamtwirtschaftlichen Interessen am Ausbau einer bestehenden Eisenbahnstrecke nicht zugelassen hat.
3.3. Es ist somit nach der Lage des Falles offenkundig, daß die Anwendung der im Gesetzesprüfungsverfahren aufgehobenen Rechtsvorschrift für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war.
3.4. Die Beschwerdeführerin wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (vgl. zB VfSlg. 10404/1985).
Der Bescheid war daher aufzuheben.
4. Die belangte Behörde wird - zufolge der nach Aufhebung des §2 NÖ Naturschutzgesetz in der Fassung der Novelle LGBl. 5500-5 gem. Art140 Abs6 B-VG wieder in Kraft getretenen früheren Fassung dieser Bestimmung - im fortgesetzten Verfahren §2 Abs3 NÖ Naturschutzgesetz in der Fassung vor der genannten Novelle anzuwenden haben.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. Die im Bescheidbeschwerdeverfahren gebührenden Pauschalkosten waren im Hinblick auf den im Gesetzesprüfungsverfahren entstandenen, zusätzlichen Verhandlungsaufwand um die Hälfte ihre Betrages höher zu bemessen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 6.750,-- sowie die Eingabegebühr von S 2.500,-- enthalten.
Schlagworte
VfGH / Anlaßfall, NaturschutzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:B1287.1998Dokumentnummer
JFT_10009375_98B01287_2_00