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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BAO §236;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde des R V in W, vertreten durch Dr. Axel Friedberg, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gonzagagasse 3, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Kärnten vom 16. September 1999, Zl. RV 132/1-4/98, betreffend Entlassung aus der Gesamtschuld, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 332 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer war (bis 1997) Mitgesellschafter einer aus ihm und seinem Bruder bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts, welche Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielte.
Mit Eingabe vom 26. Jänner 1998 beantragte er seine "Entlassung aus der Gesamtschuld" mit der Begründung, seit dem Tod der Mutter im Jahr 1971 betreibe der Bruder das gemeinsam ererbte Geschäft, während sich der Beitrag des Beschwerdeführers auf - durch den Verkauf zweier Eigentumswohnungen und eine Kreditaufnahme in Höhe von 300.000 S aufgebrachte - finanzielle Unterstützungen beschränkt habe. Der Beschwerdeführer sei als Übersetzer, Dolmetscher und Sprachlehrer in der Erwachsenenbildung tätig und habe nie "Gewinnausschüttungen" aus dem gemeinsamen Gewerbebetrieb erhalten. Die neue "Werkvertragsregelung" wirke sich für den freiberuflich tätigen Beschwerdeführer nachteilig aus und habe sogar zum Verlust öffentlicher Aufträge geführt. Er müsse zuweilen auf dringend nötigen Urlaub verzichten und lebe (als Folge des Wohnungsverkaufs) in einer Untermietwohnung mit "fremden Möbeln". Die Entrichtung des auf dem Steuerkonto der Gesellschaft offenen Abgabenbetrages von 79.130 S würde angesichts der geschilderten Umstände eine unbillige Härte darstellen.
Mit Bescheid vom 23. Februar 1998 wies das Finanzamt das Ansuchen ab. Der bei der Gesellschaft aushaftende Abgabenrückstand resultiere ausschließlich aus vereinnahmten, nicht an das Finanzamt abgeführten Umsatzsteuern. Das vom Beschwerdeführer in die Gesellschaft eingebrachte aus der Veräußerung von Privatvermögen stammende Kapital sei offenkundig zur Abdeckung anderer Verbindlichkeiten verwendet worden. Der Beschwerdeführer habe den Bruder nicht dazu angehalten, mit dem zur Verfügung gestellten Geld die Abgabenschulden der Gesellschaft zu tilgen, weshalb eine Entlassung aus der Gesamtschuld nicht in Betracht käme.
In seiner dagegen erhobenen Berufung wandte sich der Beschwerdeführer gegen den Vorwurf, seine finanziellen Zuwendungen nicht mit entsprechenden Verwendungsauflagen verbunden zu haben. Über den zuletzt im Jahr 1997 erzielten Erlös aus der Veräußerung der Wohnung habe er infolge hypothekarischer Belastung nicht frei verfügen können; die früheren Zuwendungen seien lange vor Entstehen der noch offenen Steuerschuld erfolgt.
Unter Hinweis auf die Bestimmung des § 237 BAO und dazu ergangene höchstgerichtliche Judikatur verneinte das Finanzamt in einer Berufungsvorentscheidung das Vorliegen persönlicher und sachlicher Unbilligkeit.
In seinem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz verwies der Beschwerdeführer zur Frage der persönlichen Unbilligkeit auf seine "hohen Fixkosten" (alleine als Folge des Wohnungsverkaufs habe er nunmehr die "dreifachen Wohnungskosten in möblierter Untermiete" aufzuwenden), die Notwendigkeit, den für die Gesellschaft aufgewendeten Kredit rückzuzahlen und sein als freiberuflich Tätiger "schwankendes" (derzeit wieder ungewisses) Einkommen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Der vom Beschwerdeführer angeführte (für Gesellschaftszwecke aufgenommene) Kredit hafte noch mit einem Betrag von rund 300.000 S aus, während der Abgabenrückstand derzeit rund 50.304 S betrage. Wie die finanzielle Situation des Beschwerdeführers, zu der er auch keine näheren Angaben gemacht habe, durch die Nachsicht eines derart geringen Anteils der Gesamtschuld eine Änderung erfahren könne, sei nicht ersichtlich. Mit der beantragten Nachsicht solle, wie der Beschwerdeführer ausdrücklich erklärt habe, die ordnungsgemäße Abstattung des aufgenommenen Kredites erleichtert werden, was eine persönliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nicht begründe. Auch die aufgezeigten gesellschaftlichen Verhältnisse ließen die Abgabeneinhebung beim Beschwerdeführer nicht unbillig erscheinen. Die aushaftenden Abgaben resultierten aus den Jahren 1994 bis 1996. Bereits seit dem Jahr 1991 seien Einbringungsmaßnahmen erforderlich gewesen. Obwohl dem Beschwerdeführer die schlechte finanzielle Lage der Gesellschaft bekannt gewesen sei, habe er dem Bruder die Weiterführung der Geschäfte ohne jegliche eigene Kontrolle überlassen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:
Gemäß § 237 Abs. 1 BAO kann auf Antrag eines Gesamtschuldners dieser aus der Gesamtschuld ganz oder zum Teil entlassen werden, wenn die Einhebung der Abgabenschuld bei diesem nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Die Voraussetzungen für die Entlassung eines einzelnen Gesamtschuldners aus dem Gesamtschuldverhältnis sind grundsätzlich die gleichen wie die für die Nachsicht, nämlich die Unbilligkeit der Einziehung der Abgabe, für welche ein Gesamtschuldner einzustehen hat. Während für die Nachsicht (§ 236 BAO) das Vorliegen der maßgeblichen Voraussetzungen bei allen Mitschuldnern gefordert wird, genügt es für eine Maßnahme nach § 237 BAO, wenn die Billigkeitsgründe lediglich in der Person des antragstellenden Gesamtschuldners gelegen sind.
Wie sich aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, hat die belangte Behörde im gegenständlichen Fall bereits die Rechtsfrage, ob die Einhebung der Abgabenschuldigkeiten unbillig sei, verneint.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im Allgemeinen voraus, dass die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Abgabenpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1995, 92/14/0174). Die Unbilligkeit der Einhebung einer Abgabe nach der Lage des Falles kann eine "persönliche" oder "sachliche" sein.
Eine "persönliche" Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn (gerade) die Einhebung der Abgaben die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, insbesondere das Vermögen und das Einkommen des Abgabenschuldners, in besonderer Weise beeinträchtigen würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Juli 1999, 98/13/0101).
Der Beschwerdeführer bringt in diesem Zusammenhang vor, er habe im Verwaltungsverfahren dargetan, dass seine bürgerliche Existenz "durch Veränderungen der letzten Jahre in Österreich massiv gefährdet" sei, wobei das Ausmaß der unverschuldeten Gefährdung durchaus existenzbedrohend geworden sei. Der belangten Behörde wäre es "ganz leicht gewesen, aus den Veranlagungsakten des Beschwerdeführers" bei seinem Wohnsitzfinanzamt festzustellen, dass seine diesbezüglichen Behauptungen zuträfen.
Abgesehen davon, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die bei Stoll, BAO-Kommentar, 2422, angeführten Erkenntnisse) am Beschwerdeführer gelegen war, das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die eine Entlassung aus der Gesamtschuld gestützt werden könnte, lässt auch das Beschwerdevorbringen nicht erkennen, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers durch die Abgabeneinhebung in besonderer Weise beeinträchtigt würde. Derartige Umstände liegen nach der Rechtsprechung etwa dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlage des Nachsichtswerbers gefährdete oder die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögen möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme (vgl. für viele das schon angeführte Erkenntnis vom 12. Dezember 1995).
Der Beschwerdeführer behauptet nicht, durch die Abgabeneinhebung gezwungen zu sein, Vermögen zu verschleudern, oder dass er Gefahr liefe, seiner Einkunftsquelle verlustig zu gehen. Vielmehr konnte seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren entnommen werden, dass die ehemals vorhandenen Vermögenswerte (zwei Eigentumswohnungen) bereits zugunsten des gemeinsamen Unternehmens veräußert waren. Die angeführte schlechte Auftragslage wies allenfalls auf eine Einbringungsgefährdung hin. Eine im gegebenen Zusammenhang entscheidende Auswirkung der Abgabeneinhebung auf die Möglichkeit, der freiberuflichen Tätigkeit nachzugehen und solcherart nicht nur seinen Lebensunterhalt zu verdienen und die Bankverbindlichkeit zu tilgen, sondern auch die aushaftende Steuerschuld der Gesellschaft zu entrichten, ist nicht erkennbar. Wenn in der Beschwerde darauf hingewiesen wird, dass der Beschwerdeführer noch bis zum Jahr 2004 mit der Tilgung der Kreditschuld belastet sei, legt dies überdies den Schluss nahe, dass auch die vergleichsweise geringere Abgabenschuld nicht auf Dauer uneinbringlich ist.
Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, es liege eine "absolute" Unbilligkeit der Abgabeneinhebung auch deswegen vor, weil er seit 1971 (dem Jahr des Erbanfalls) keinerlei Gewinnanteile aus der Gesellschaft bezogen, sondern sein gesamtes Vermögen der Gesellschaft zugewendet und keine aktive Geschäftstätigkeit entfaltet habe, und die zur Nachsicht begehrten Abgaben zudem Selbstbemessungsabgaben darstellten, welche "unmittelbar" vor seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft abzuführen gewesen wären.
Mit diesem auf die Besonderheiten des gegenständlichen Gesellschaftsverhältnisses hinweisenden Vorbringen wird eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung schon deshalb nicht aufgezeigt, weil ihm nicht entnommen werden kann, dass dem Beschwerdeführer ein früheres Ausscheiden aus der Gesellschaft nicht möglich oder auch nur unzumutbar gewesen wäre.
Soweit die Beschwerde die Ermessensübung der belangten Behörde rügt, übersieht sie, dass die Frage der Beurteilung der Abgabeneinhebung als unbillig keine Ermessensentscheidung ist. Erst nach der Feststellung, dass die Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles unbillig ist, hat die Behörde Ermessen zu üben (vgl. Stoll, aaO, 2426). Da die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid das Vorliegen einer Unbilligkeit der Einhebung verneint hat, kommt eine Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers auf fehlerfreie behördliche Ermessensübung nicht in Betracht.
Die Beschwerde erweist sich insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Wien, am 2. Juli 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999140284.X00Im RIS seit
18.11.2002