TE Vwgh Erkenntnis 2002/7/3 97/08/0505

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Veröffentlicht am 03.07.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §44 Abs1;
ASVG §49 Abs1;
AVG §45 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Ing. S in W, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 12. Juni 1997, Zl. MA 15-II-K 29/96, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-

- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenersatzbegehren der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse wird abgewiesen.

Begründung

Die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse stellte mit Bescheid vom 18. Juni 1996 fest, dass der Beschwerdeführer als Dienstgeber i. S. des § 35 Abs. 1 ASVG verpflichtet sei, für die in der Anlage zu diesem Bescheid angeführten Dienstnehmer und für die dort bezeichneten Zeiträume Beiträge, Sonderbeiträge und Umlagen in der Gesamthöhe von S 65.766,26 zu entrichten. Sie stellte auf Grund einer in der Zeit vom 22. September 1995 bis zum 13. Oktober 1995 beim Beschwerdeführer durchgeführten Beitragsprüfung fest, dass die in der Anlage namentlich angeführten Dienstnehmer für die jeweils bezeichneten Zeiten (insgesamt 2920 Arbeitstage) nicht mit den ihnen gebührenden Lohn- bzw. Sonderzahlungen zur Sozialversicherung gemeldet worden seien. Der Beschwerdeführer habe der - im Bescheid wiedergegebenen - "Sonderregelung für Wien über Fahrtkostenvergütung und Wegegeld zum Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe" von September 1993 bis April 1995 keine Rechnung getragen. Mit der Fahrtkostenvergütung und dem Wegegeld werde kein mit der Arbeitsleistung verbundener besonderer finanzieller Aufwand ersetzt, sondern ein von den tatsächlichen Aufwendungen völlig unabhängiges Entgelt gewährt, das voll der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterliege. Nach den Lohnkonten sei erst ab Mai 1995 zusätzlich zur unverändert bezahlten Prämie auch Wegegeld verrechnet worden. Unter Berücksichtigung der kollektivvertraglichen Bestimmungen seien bei der Berechnung der Sonderzahlungen Differenzen festgestellt worden. Die entsprechenden Lohnänderungs- und Sonderzahlungsmeldungen hätten im Zuge der Beitragsprüfung eingeholt werden müssen.

Der Beschwerdeführer erhob Einspruch. Er führte aus, das Wegegeld sei in einer seinen Mitarbeitern bezahlten Prämie inkludiert gewesen. Die Beitragsnachverrechnung "wäre eine ungebührliche Härte für den kleinen Formfehler unseres Lohnverrechners, der das Wegegeld auf den Lohnzetteln nicht als solches bezeichnet hat, es aber trotzdem in der Prämienzahlung berücksichtigte". In einem Schreiben vom 25. September 1996 legte der Beschwerdeführer dar, dass mit den Arbeitnehmern jeweils ein fixes Nettogehalt (ohne Überstunden) ausgemacht worden sei. Dieses sei um ca. 10 % über dem Kollektivvertrag einschließlich Zulagen und Sondervergütungen gelegen. Diese Zulagen seien jedoch unvorsichtigerweise nicht einzeln auf den Lohnzetteln aufgelistet, sondern pauschal als (beitragspflichtige) "Prämie" bezeichnet worden. Die Beitragsnachbelastung für den Wegegeldanteil betrachte er "als einen kontraproduktiven Versuch der Doppelbesteuerung". Am 18. November 1996 gab der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde an, die Prämie sei in der Höhe von 10 % des Grundlohnes gewährt worden und dadurch monatlichen Schwankungen unterworfen gewesen. In einer weiteren Stellungnahme vom 10. Februar 1997 brachte der Beschwerdeführer vor, die Prämie sei (ab Mai 1995) "in der Regel auf Grund des nunmehr extra ausgewiesenen Wegegeldes reduziert" worden. Es sei jedoch auch vorgekommen, dass die Prämie (nach gesonderter Ausweisung des Wegegeldes) in den Folgemonaten gleich gewesen sei. Dies sei auf eine "individuelle Bemessung der Prämie" zurückzuführen. Die Prämie sei "je nach Leistung Monat für Monat neu bewertet" worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet ab. Der Beschwerdeführer habe nicht bestritten, dass das in der Sonderregelung zum Kollektivvertrag genannte Wegegeld der Beitragspflicht unterliege und die in der Anlage genannten Dienstnehmer einen Anspruch darauf hätten. Sein Einwand, das Wegegeld sei in den an seine Dienstnehmer bezahlten Prämien enthalten gewesen, sei nicht zielführend, weil sich aus den im Einspruchsverfahren vorgelegten Lohnzetteln einiger Dienstnehmer für den Zeitraum von März 1994 bis August 1995 ergebe, dass die Prämien während dieses Zeitraums monatlich in unterschiedlicher Höhe abhängig vom jeweiligen Nettolohn ausbezahlt worden seien. Dabei falle auf, dass die ebenfalls auf Grund des Kollektivvertrages zu gewährenden Fahrtkosten, Schmutzzulagen und Kilometergelder schon vor dem Mai 1995 gesondert ausgewiesen worden seien. Dies stehe im Widerspruch zur Angabe des Beschwerdeführers, er habe mit der Prämie pauschal die nach dem Kollektivvertrag gebührenden Zulagen und Sondervergütungen abgegolten. Zudem sei die Prämie durchschnittlich nach dem Mai 1995 gleich geblieben, obwohl ab diesem Zeitpunkt das Wegegeld gesondert ausgewiesen worden sei. Daher sei das Wegegeld im gegenständlichen Zeitraum in der Prämie nicht enthalten gewesen. Die nachträgliche Beitragsverrechnung dieses Wegegeldes sei daher zu Recht erfolgt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 44 Abs. 1 ASVG ist die Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge (allgemeine Beitragsgrundlage) für Pflichtversicherte grundsätzlich der Arbeitsverdienst, als der bei den pflichtversicherten Dienstnehmern das Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 3 ASVG gilt.

Unter Entgelt sind die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienstverhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält (§ 49 Abs. 1 ASVG).

Strittig ist lediglich, ob der Beschwerdeführer mit seinen Mitarbeitern eine Vereinbarung getroffen hat, wonach mit den in der Höhe von 10 % des Grundlohnes gewährten Prämien auch das kollektivvertragliche Wegegeld abgegolten werde. Die belangte Behörde stellte fest, dass das Wegegeld nicht in den an die Dienstnehmer bezahlten Prämien enthalten gewesen sei.

Damit hat die belangte Behörde einen Akt der Beweiswürdigung gesetzt.

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass - sofern in den besonderen Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist -

die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind solche Erwägungen nur dann, wenn sie unter anderem den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen (vgl. unter anderem das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1974, Slg. Nr. 8.619/A). Unter Beachtung der nämlichen Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d.h. ihr mit der Begründung entgegenzutreten, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 21. Dezember 1993, Zl. 92/08/0133, mit Hinweis auf Vorjudikatur).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund hält die Begründung des angefochtenen Bescheides der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle Stand. Der Beschwerdeführer berief sich zur Untermauerung seiner Behauptung im Verwaltungsverfahren lediglich darauf, dass die Lohnverrechnung das Wegegeld auf den Lohnzetteln nicht als solches bezeichnet habe. Das mit den Arbeitnehmern jeweils vereinbarte (überkollektivvertragliche) "Nettogehalt" habe "Zulagen und Sondervergütungen" enthalten. Letztere seien jedoch "unvorsichtigerweise" nicht einzeln auf den Lohnzetteln aufgelistet worden. Die Prämie sei in der Höhe von 10 % des Grundlohnes gewährt worden und dadurch monatlichen Schwankungen unterworfen gewesen.

Das Argument der belangten Behörde, gegen die behauptete Vereinbarung spreche, dass die Prämien auch nach dem April 1995 neben dem ab diesem Zeitpunkt zusätzlich ausbezahlten Wegegeldern im Wesentlichen ungeschmälert ausbezahlt worden seien, ist nicht unschlüssig, denn wäre das Wegegeld tatsächlich vereinbarungsgemäß mit der Prämie abzugelten gewesen, wäre ab Mai 1995 eine entsprechende Adaptierung der Berechnung der Prämien (etwa durch Abzug des Wegegeldes von der wie bisher berechneten Prämie) zu erwarten gewesen. Der Beschwerdeführer behauptete aber eine solche Änderung der Prämienberechnung nicht, sondern stellte sich ohne nähere Substanziierung auf den Standpunkt, die Prämie sei (ab Mai 1995) "in der Regel" reduziert worden, es sei jedoch auch vorgekommen, dass die Prämie wegen "individueller Bemessung" gleich geblieben sei. Ebenfalls schlüssig ist das Argument der belangten Behörde, es falle auf, dass die auf Grund des Kollektivvertrages zu gewährenden Fahrtkosten, Schmutzzulagen und Kilometergelder sehr wohl in der Lohnabrechnung ausgewiesen (und nicht wie behauptet pauschal mit der Prämie abgegolten) worden seien.

Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bringt der Beschwerdeführer vor, die belangte Behörde hätte "auch das zivilrechtliche Arbeitsverhältnis ausleuchten müssen, wobei die Einvernahme der damals Beschäftigten unerlässlich gewesen wäre". Auf Grund einer "stillschweigenden Übung bzw. gleichsam einer Betriebsvereinbarung" habe der Beschwerdeführer bis Mai 1995 das Wegegeld mit Prämien abgegolten. Die belangte Behörde hätte ihn im Übrigen gemäß § 45 Abs. 3 AVG vom Stand des Ermittlungsverfahrens in Kenntnis setzen und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme einräumen müssen. Wäre dies geschehen, so wären die zivilrechtlichen Ansprüche seiner Mitarbeiter im Zeitraum bis einschließlich April 1995 richtig beurteilt worden.

Auch dieses Vorbringen ist unbegründet, weil der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren weder ein konkretes Vorbringen über das Zustandekommen der behaupteten Vereinbarungen (Zeit, Ort, beteiligte Personen) noch ein entsprechendes Beweisanbot erstattet hat. Die Behauptung einer "stillschweigenden Übung" bzw. einer "Betriebsvereinbarung" kann wegen des Neuerungsverbotes im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht berücksichtigt werden. Beim Vorwurf der fehlenden Gelegenheit zur Stellungnahme ist nicht ersichtlich, welche Relevanz diesem Verfahrensmangel zukommen sollte, zumal dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde die Möglichkeit zur schriftlichen und mündlichen Darstellung seines Standpunktes eingeräumt wurde.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Kostenersatzbegehren der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse war abzuweisen, weil der Ersatz von Schriftsatzaufwand mangels anwaltlicher Vertretung nicht in Betracht kommt (vgl. das Erkenntnis vom 22. Dezember 1999, Zl. 97/08/0439).

Wien, am 3. Juli 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1997080505.X00

Im RIS seit

21.11.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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