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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §12 Abs1;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2001/08/0137 E 26. Mai 2004Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des L in W, vertreten durch Dr. Werner Walch, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 10, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 7. Mai 2001, Zl. LGSW/Abt. 10/AlV/1218/56/2000-5339, betreffend Rückforderung von Arbeitslosengeld im Zeitraum vom 8. Juni 1998 bis 14. Jänner 1999, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer beantragte am 8. Juni 1998 bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice die Zuerkennung von Arbeitslosengeld. In dem von ihm ausgefüllten Antragsformular wurde die Frage "Ich stehe derzeit in Beschäftigung. Wenn ja, Art der Tätigkeit (z.B. Dienstnehmer/in, Hausbesorger/in, geringfügige Beschäftigung, Mitarbeiter/in im Familienbetrieb, Geschäftsführer/in)" mit nein beantwortet. Auf der ersten Seite des Antragsformulars findet sich mit Rotstift in der Rubrik "Rückgabefrist verlängert bis" das Datum "17.7.98", welches durchgestrichen ist und daneben (in einer anders getönten roten Farbe) ein weiteres Datum "3.8.98". In der Zeile "Folgende Unterlagen fehlen noch" findet sich mit roter Farbe (im Sinne des Datums "17. 7.98") eingetragen: "Arbeitsbescheinigung, VS-Karte, alle Meldezettel", sowie (in der anders getönten Farbe) "Firmenbuch, ... (unleserlich) ...vertrag/Konkurs".
Dem Antragsformular folgt im Verwaltungsakt als nächstes Geschäftsstück eine auf den Beschwerdeführer lautende Arbeitsbescheinigung mit der Berufsbezeichnung "Geschäftsführer", bestätigt vom Masseverwalter der "L GmbH" als Arbeitgeber. Als drittes Geschäftsstück (GF 1/3 und 1/4) findet sich ein aus zwei Blättern bestehender, am 28. Juli 1998 um 08.25 Uhr gefaxter Auszug aus dem Firmenbuch betreffend die L Gesellschaft mbH, aus welchem hervorgeht, dass mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 17. April 1998 der Konkurs über das Unternehmen eröffnet und die Gesellschaft infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst ist, sowie ferner dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieser Urkunde der Beschwerdeführer seit 18. Juli 1974 als selbstständig vertretungsbefugter handelsrechtlicher Geschäftsführer im Firmenbuch eingetragen gewesen ist.
Mit Schreiben vom 20. August 1998 verlangte die regionale Geschäftsstelle vom Beschwerdeführer die Beibringung einer Lohnbescheinigung seiner Ehegattin, die ausweislich der Eingangsstampiglie am 18. September 1998 bei der Erstbehörde einlangte. Nach Einholung eines Handelsregisterauszuges des Dienstgebers der Ehegattin des Beschwerdeführers, der "L-Dach Design GmbH", aus dem hervorgeht, dass Geschäftsführer dieser Gesellschaft eine mit dem Beschwerdeführer zwar namensgleiche, jedoch rund 23 Jahre jüngere Person gewesen ist (auf diesem Handelsregisterauszug findet sich handschriftlich der Vermerk vom 19. Oktober 1998: "nicht unsere Partei") wurde dem Beschwerdeführer Arbeitslosengeld zuerkannt.
Am 19. Mai 1999 beantragte der Beschwerdeführer die Zuerkennung von Notstandshilfe. Dabei gab er an, bei der L-Dach Design GmbH geringfügig beschäftigt zu sein. Der Bezug von Notstandshilfe ist nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens.
Auf Grund eines offenbar im Laufe des Jahres 2000 beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger durchgeführten Datenabgleichs stellte die regionale Geschäftsstelle (so ein Aktenvermerk vom 2. November 2000 auf dem Aktenstück GF 22/38) fest, dass der Beschwerdeführer "ULB: vom 8.6.98 bis 14.1.99/KE + UA/E + AlG" bezogen habe. Mit Bescheid vom 3. November 2000 hat die regionale Geschäftsstelle den Bezug von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 8. Juni 1998 bis 14. Jänner 1999 widerrufen und für diesen Zeitraum einen Betrag von S 117.253,-- (mit dem Zusatz: "noch offen S 108.571.-") zurückgefordert. Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen wie folgt begründet:
"Das Ermittlungsverfahren hat ergeben: Sie haben die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung für den Zeitraum von 08.06.1998 bis 14.01.1999 zu Unrecht bezogen, da sie Kündigungsentschädigung und Urlaubsabfindung/Entschädigung erhielten."
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung, worin er darauf hinwies, dass er Geschäftsführer der L GesmbH gewesen sei, welche am 17. April 1998 den Konkurs angemeldet habe; er habe keinen Antrag auf Kündigungsentschädigung und Urlaubsabfindung/Entschädigung beim Insolvenzentgeltsicherungsfonds gestellt, da ihm die Auskunft gegeben worden sei, er habe als Geschäftsführer des insolventen Unternehmens darauf keinen Anspruch.
Nach Vorlage des Aktes an die belangte Behörde ersuchte diese den Masseverwalter um Stellungnahme; dieser teilte der belangten Behörde mit Schreiben vom 19. Dezember 2000 mit, dass der Beschwerdeführer für die Zeit vom 8. Juni 1998 bis 14. Jänner 1999 keinerlei Entgelt erhalten habe. Er habe seine Forderungen weder im Konkursverfahren angemeldet noch seien sie befriedigt worden. Die Abmeldung bei der Wiener Gebietskrankenkasse bzw. die Arbeitsbescheinigung sei auf Grund der dem Dienstnehmer zustehenden arbeitsrechtlichen Ansprüche ausgestellt worden. Es sei keine Rücksicht darauf genommen worden, ob diese Ansprüche auch geltend gemacht würden. Daraufhin holte die belangte Behörde Firmenbuchauszüge der L GesmbH und der L-Dach Design GesmbH ein. Dem Auszug betreffend die erstgenannte Gesellschaft ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer als Geschäftsführer am 20. April 2000 aus dem Firmenbuch gelöscht wurde, wobei der diesbezügliche Antrag am 27. April 1999 beim Handelsgericht eingelangt war.
Die belangte Behörde hielt dem Beschwerdeführer dieses Ermittlungsergebnis vor und wies ihn auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Mai 1995, Zl. 93/08/0138, hin, wonach im Falle eines Geschäftsführers einer Gesellschaft mbH die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld nicht schon dann vorlägen, wenn der Anstellungsvertrag aufgelöst würde, sondern erst dann, wenn auch das Organschaftsverhältnis zur Gesellschaft erloschen sei. Ob der Geschäftsführer tatsächlich eine Tätigkeit entfalte, sei ohne Bedeutung. Dies habe der Verwaltungsgerichtshof in näher bezeichneten Erkenntnissen auch für den Fall des Konkurses aufrecht erhalten. Unter Hinweis darauf, dass im Antragsformular die Frage nach dem Beschäftigungsverhältnis verneint worden sei, ersuchte die belangte Behörde den Beschwerdeführer um Stellungnahme. Der nunmehrige Beschwerdevertreter erstattete am 19. April 2001 eine Stellungnahme, worin er den Rechtsstandpunkt der belangten Behörde im Wesentlichen im Hinblick darauf bestritten hat, dass der Beschwerdeführer im Rückforderungszeitraum in keinem aufrechten Dienstverhältnis gestanden sei; im Übrigen verwies er auf die Bestimmung des § 12 Abs. 6 AlVG betreffend das Vorliegen von Arbeitslosigkeit bei bloß geringfügig Beschäftigten im Sinne des § 5 Abs. 2 ASVG.
In einer am 26. April 2001 aufgenommenen Niederschrift gab der Beschwerdeführer an, er habe im Antrag auf Arbeitslosengeld nicht angegeben, dass er Geschäftsführer sei, da er dies nicht gewusst habe. Er habe gedacht, mit dem Konkurs sei diese Funktion automatisch erloschen.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 3. November 2000 ab, stützte ihren Bescheid jedoch auf den Umstand, dass die Löschung des Beschwerdeführers als Geschäftsführer im Firmenbuch erst am 27. April 1999 beantragt worden sei. Im Übrigen verwies die belangte Behörde auf die bereits im Verwaltungsverfahren mit dem Beschwerdeführer erörterte verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zur Frage des Erfordernisses des Ausscheidens eines Geschäftsführers einer GesmbH auch aus seiner Organstellung für das Bestehen eines Leistungsanspruches aus der Arbeitslosenversicherung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Beschwerdeführer hat zur Gegenschrift eine Äußerung
erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde ist aus folgenden, in der Beschwerde zwar nicht ausdrücklich geltend gemachten, aber im Rahmen des Beschwerdepunktes von Amts wegen aufzugreifenden Gründen begründet:
Die belangte Behörde geht - gestützt auf die vorbehaltlose Verneinung der Frage nach der Beschäftigung (ua) als Geschäftsführer durch den Beschwerdeführer auf Seite 2 des Antragsformulars, ausgegeben am 8. Juni 1998 - davon aus, dass er die Tatsache seiner weiterbestehenden Organstellung der regionalen Geschäftstelle des AMS bei Anlass der Antragstellung verschwiegen hat.
Wie jedoch aus der eingangs dargestellten tatsächlichen Aktenlage ersichtlich ist, wurde dem Beschwerdeführer vom Sachbearbeiter (oder von der Sachbearbeiterin) der regionalen Geschäftsstelle zunächst eine Frist zur Vorlage des erstmals am 8. Juni 1998 ausgehändigten Antragsformulars auf Arbeitslosengeld bis 17. Juli 1998 gestellt und ihm die Nachreichung verschiedener Unterlagen, darunter auch einer Arbeitsbescheinigung aufgetragen.
Am genannten Tag (wie aus der mit dem Datum "17. Juli 1998" versehenen Paraphe auf der Vorderseite des Antragsformulars hervorgeht) wurde dem Beschwerdeführer eine weitere Frist bis 3. August 1998 gesetzt und ihm die Vorlage weiterer Unterlagen aufgetragen, wobei aus dem Aktenvermerk die Worte "Firmenbuch" und "/Konkurs" gut lesbar sind. Der daraufhin der regionalen Geschäftsstelle übermittelte, im Akt als drittes Aktenstück einliegende Firmenbuchauszug der Gesellschaft trägt das Datum "28.7.1998" und dürfte an diesem Tag (wie aus der diesbezüglichen Vermerkzeile hervorgeht) gefaxt worden sein.
Diese Aktenbestandteile und Beurkundungen der regionalen Geschäftsstelle deuten darauf hin, dass die Frage der Geschäftsführereigenschaft des Beschwerdeführers zwischen diesem und dem zuständigen Sachbearbeiter (der zuständigen Sachbearbeiterin) spätestens am 17. Juli 1998 erörtert und dem Beschwerdeführer an diesem Tag die Vorlage eines Firmenbuchauszuges aufgetragen wurde. Auf diesem Firmenbuchauszug - aus dem auch hervorgeht, dass der Beschwerdeführer nach wie vor Geschäftsführer der Ges.m.b.H. gewesen ist - ist die Eintragung "Die Gesellschaft ist infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst" unterstrichen; ein weiterer Bearbeitungsvermerk findet sich auf diesem Auszug nicht, sodass der Schluss nicht fern liegt, die regionale Geschäftsstelle habe in Kenntnis der fortdauernden Organstellung des Beschwerdeführers rechtsirrig die Auflösung der Gesellschaft infolge Konkurses als den für den Anspruch auf Arbeitslosengeld maßgeblichen Sachverhalt angesehen.
Diese Aktenlage hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer im Zuge der Erörterung der maßgeblichen Rechtsfrage im Berufungsverfahren nicht vollständig zur Kenntnis gebracht; dies wäre - ungeachtet des Umstandes, dass eine Erörterung der Rechtsfrage zwischen Partei und Behörde nicht generell geboten ist - in Anbetracht der zwischen Juli 1998 und dem Vorhalt vom 23. März 2001 verstrichenen Zeit jedenfalls erforderlich gewesen, da die belangte Behörde nicht davon ausgehen konnte, dem Beschwerdeführer würden die Umstände seiner Antragstellung auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld noch in allen Details in Erinnerung sein. Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer vielmehr nur Rechtsprechung und seine schriftliche Antwort im Antragsformular vorgehalten. Angesichts des auf Grund seiner Unvollständigkeit als aktenwidrig zu beurteilenden Vorhaltes kommt auch dem Umstand, dass der solcherart in Irrtum geführte Beschwerdeführer in seiner Beantwortung dieses Vorhaltes auf die wahre Aktenlage keinen Bezug genommen hat, keine Bedeutung zu.
Die belangte Behörde war aber auch verpflichtet, alle für die Lösung der Rechtsfrage relevanten Umstände bei Erlassung ihres Bescheides von amtswegen zu erörtern und daraus den Denkgesetzen entsprechende Schlüsse zu ziehen. Auch dies hat die belangte Behörde unterlassen.
Da die belangte Behörde bei Unterbleiben dieser Verfahrens- und Begründungsfehler zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001 sowie § 3 Abs. 2 Z. 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.
Wien, am 3. Juli 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001080102.X00Im RIS seit
21.11.2002