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90/02 Führerscheingesetz;Norm
FSG 1997 §3 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des D in F, vertreten durch Winkler - Heinzle, Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 21. Dezember 2000, Zl. Ib-277- 62/2000, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Hinsichtlich der Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2000, Zl. 2000/11/0198, verwiesen. Mit diesem war der Bescheid der belangten Behörde vom 18. Juli 2000 betreffend Entziehung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers auf Dauer der gesundheitlichen Nichteignung - wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften - aufgehoben worden.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen (Ersatz-)Bescheid der belangten Behörde vom 21. Dezember 2000 wurde - erneut - die dem Beschwerdeführer erteilte Lenkberechtigung für die Klassen AL und B gemäß § 24 Abs. 1 in Verbindung mit § 25 Abs. 2 FSG für die Dauer der gesundheitlichen Nichteignung entzogen.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides verweist die belangte Behörde im Wesentlichen auf das im fortgesetzten Verfahren eingeholte Gutachten der Amtsärztin vom 4. Dezember 2000, worin diese auf die Langzeitwirkungen des Hauptwirkstoffes von Cannabis, Tetrahydrocannabinol (THC), und darauf hinweise, dass diese Langzeitwirkung (Echoräusche) dazu führe, dass die Wirkungen des Konsums von Haschisch im Einzelfall weder berechen- noch voraussehbar seien. Nach dem Gutachten der Amtsärztin bestehe beim Beschwerdeführer derzeit eine "erhöhte Bereitschaft", Cannabis zu konsumieren, und es sei davon auszugehen, dass er nicht in der Lage sei, den Konsum von Cannabis völlig einzustellen. Das folge insbesondere daraus, dass er, obwohl er gewusst habe, dass er beim Nervenfacharzt untersucht werde (am 25. Februar 2000), vorher Cannabis konsumiert habe und die an diesem Tag abgenommene Harnprobe auf Cannabis positiv gewesen sei. Darüber hinaus habe er gegenüber dem Nervenfacharzt angegeben, dass er im Juli 1999 einmal Cannabis konsumiert habe. Völlige Abstinenz von Cannabis sei aber eine Voraussetzung für die Erteilung der Lenkberechtigung. Diese auf verschiedene Literaturstellen von der Behörde gestützte Auffassung sei auch von der Amtsärztin in ihrer Stellungnahme vom 4. Dezember 2000 bestätigt worden. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage gewesen, den Konsum von Cannabis zur Gänze einzuschränken, die von der Amtsärztin geforderte Zeitspanne von sechs Monaten, über die der Beschwerdeführer nachweisen müsse, dass er überhaupt kein Cannabis mehr konsumiere, sei schlüssig. Dem Beschwerdeführer sei daher die Lenkberechtigung zu versagen (richtig: zu entziehen).
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Kern der Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid bildet - wie die belangte Behörde auch in ihrer Gegenschrift verdeutlicht - ihre Auffassung, dass nur die völlige Enthaltsamkeit von Cannabis die Erteilung bzw. das Belassen der Lenkberechtigung rechtfertige. Die belangte Behörde führt hiezu insbesondere in der Gegenschrift aus, dass der Beschwerdeführer zum Lenken von Kraftfahrzeugen so lange gesundheitlich nicht geeignet sei, bis er nachweise, dass er in der Lage sei, auf den Konsum von Cannabis völlig zu verzichten.
Damit setzt sich die belangte Behörde jedoch in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach der gelegentliche Konsum von Cannabis die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht berührt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2000, Zl. 99/11/0340, mit weiterem Nachweis). Dass der Beschwerdeführer beim Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Suchtmittel beeinträchtigten Zustand betreten worden sei, wird ihm im angefochtenen Bescheid nicht unterstellt. Inhaltlich wirft die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor, dass er zweimal Suchtmittel konsumiert habe, er habe nämlich zugegeben, dass er im Juli 1999 Cannabis konsumiert habe und weiters sei eine am 25. Februar 2000 bei ihm abgenommene Harnprobe auf Cannabis positiv gewesen. Nähere Feststellungen zu diesem Suchtmittelkonsum finden sich im angefochtenen Bescheid nicht. Aber auch das ergänzende Gutachten der Amtssachverständigen vermag die Entscheidung der belangten Behörde nicht schlüssig zu stützen.
Die Amtssachverständige führte darin wörtlich aus:
"Ergänzende Stellungnahme zur Frage der Schlüssigkeit der im Bescheid angeführten Begründung der Behörde hinsichtlich Cannabis-Konsum und Fahreignung
Der Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 18.07.2000, Zl Ib-277-62/2000, wurde wie gewünscht eingesehen.
Die in dem Bescheid unter Punkt 2.2 rechtliche Beurteilung angeführten Wirkungen von Cannabis sind aus medizinischer Sicht ausführlich und richtig dargestellt. Die Wirkung von Cannabis ist beim einzelnen Menschen sehr unterschiedlich, je nach der Ausgangslage, in der Cannabis konsumiert wird und hängt von der Stimmung, den Erwartungen und der Häufigkeit des vorangegangenen Haschisch-Konsums des Konsumenten ab. Ferner ist die Wirkung des Haschischs Dosis-abhängig.
Cannabis bewirkt eine Stimmungsveränderung und erzeugt im typischen Rauschverlauf ein Glücksgefühl, Gelassenheit und Entspannung. Die Realität verliert an Bedeutung, es können charakteristische Wahrnehmungsveränderungen auftreten, die Reizwahrnehmung wird verändert und verzerrt, illusionäre Verkennungen treten auf, genauso räumlich-zeitliche Wahrnehmungsveränderungen. Es kommt zu Körperschemastörungen, psychomotorischen Störungen und Störung der Ich-Identität. Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen hat nachgewiesen, dass Haschisch zu denjenigen Substanzen gehört, die Denkfunktionen nachhaltig beeinflussen. Hiezu gehört die Konzentrationsfähigkeit, das Gedächtnis, die Merkfähigkeit, eine Vielzahl weiterer intellektueller Leistungen ist hiezu zu rechnen. Das Kurzzeitgedächtnis, die Reaktionszeit und die Fähigkeit zur Zeiteinschätzung unterliegt unter Haschischeinfluss Verzerrungen und Veränderungen (Dornbusch, Fink und Friegmann).
Kielholz und Mitarbeiter bestätigen diese Ergebnisse bei experimentellen Untersuchungen der Wirkung von Delta-9-THC, dem wesentlichen Haschischinhaltsstoff. Sie fanden, dass es zu Einschränkungen der Wahrnehmungs- und Konzentrationsfähigkeit und insbesondere zur Veränderungen der motorischen Koordination, sowie des gedanklichen Assoziationsablaufes unter Haschischeinwirkung kommt. Gerade diese Fähigkeiten sind von entscheidender Bedeutung beim Lenken eines Fahrzeuges. Klonhoff (1994) kommt in einer groß angelegten Übersichtsarbeit zum Ergebnis, dass Cannabis bei einer Vielzahl von Versuchspersonen die Fähigkeit ein Fahrzeug im Straßenverkehr zu führen, nachhaltig beeinträchtigt und dass es über weite Strecken in seiner Wirkung insoweit mit dem Alkohol vergleichbar ist. Besondere Auswirkungen sind beim Nachtfahren zu erwarten.
Ein wesentlicher Unterschied zur Droge Alkohol besteht darin, dass das THC nicht wasserlöslich ist, im Fettgewebe gespeichert wird und daher nicht linear wie Alkohol abgebaut wird. Es hat eine lange Halbwertszeit die durch die Fettlöslichkeit und die daraus folgende Anreicherung in Fettgewebe und Gehirn zu Stande kommt. Von dort wird es nur langsam abgegeben, woraus sich die portrahierte Wirkung erklären lässt.
Die lange Halbwertszeit des THC und zumindest eines Teils seiner Metaboliten stellt ein zentrales Problem bei der Beurteilung der Gefährlichkeit dieser Substanz dar. So sind Metaboliten des THC noch eine Woche nach Verabreichung im Urin nachweisbar. Der Blutserumspiegel dagegen fällt primär schnell ab um danach nur allmählich innerhalb einer Woche auf auf geringer werdende Werte abzusinken. Dies wird mit der Abwanderung eines großen Teils der zugeführten THC-Menge in bestimmte Organe des Körpers erklärt, wo es zunächst gespeichert und dann nur langsam abgegeben wird. Dieses Phänomen hat naturgemäß bei wiederholter Zufuhr besondere Bedeutung, da es dann zu einer erheblichen Kumulation kommen kann. In der Kumulation der Substanz sieht man die Begründung für die geringe Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit der Haschischwirkungen wie auf Seite 6 der Bescheidbegründung dargelegt wird.
Hinsichtlich der Konsumgewohnheiten des Führerscheinwerbers wird noch Folgendes ausgeführt:
Gemäß DSM-III-R (diagnostisches statistisches Manual III revidierte Auflage) ist die Diagnose Substanzmittelmissbrauch zu stellen, wenn eines der folgenden Kriterien vorliegt:
1. Fortgesetzter Gebrauch trotz Wissen um ein beständiges oder wiederholtes soziales, psychisches oder körperliches Problem, das durch den Gebrauch der psychotropen Substanzen verursacht oder verstärkt wird.
2. Wiederholter Gebrauch in Situationen, in denen der Gebrauch eine körperliche Gefährdung darstellt.
3.
4.
Der Proband erfüllt die Kriterien für die Diagnose "Substanz-Missbrauch" im medizinischen Sinn, weil er die Konsumation einer illegalen Droge vorgenommen hat, trotz des Wissens, dass ihm dieses Verhalten schweren sozialen Schaden zufügen kann. Der Proband hatte innerhalb von 6 Monaten (am 13.06.99 sowie am 09.12.99) zwei Anzeigen des Gendarmeriepostens Höchst wegen Einfuhr eines Suchtmittels. Dies hatte zur Folge, dass er amtsärztlich untersucht werden musste und seine Lenkeignung auf dem Spiel stand. Obwohl er vom Termin der fachärztlichen Untersuchung Kenntnis hatte, war der Harn bei dieser Untersuchung auf Cannabis positiv. Der Facharzt Dr. K hat folgerichtig festgestellt, dass dies nur möglich ist, wenn der Berufungswerber entweder über einen längeren Zeitraum vor der Untersuchung wiederholt Cannabis geraucht hat und sich gespeichertes THC im Urin fand oder er hat am Tag vor der Untersuchung die Droge konsumiert. Einen weiteren Gebrauch im Juli 1999 hat der Berufungswerber selbst zugegeben. Das Verhalten der Drogenkonsumation hatte also für den Berufungswerber einen höheren positiven Stellenwert als die soziale Sicherheit, so dass die medizinische Diagnose eines aktuellen Suchtmittelmissbrauches zu Recht besteht".
Daraus ist ersichtlich, dass sich die Sachverständige wohl mit den von der belangten Behörde herangezogenen Literaturstellen (die schon seinerzeit von der belangten Behörde in dem durch den Verwaltungsgerichtshof aufgehobenen Bescheid vom 18. Juli 2000 zugrunde gelegt worden waren) auseinander gesetzt hat. Die Beurteilung der Sachverständigen, welche Folgen "fortgesetzter Gebrauch" bzw. "wiederholter Gebrauch in Situationen, in denen der Gebrauch eine körperliche Gefährdung darstellt" im allgemeinen nach sich ziehen kann, lässt jedoch in keiner Weise erkennen, welche konkreten Auswirkungen der hier festgestellte Suchtmittelgebrauch durch den Beschwerdeführer (abgesehen davon, dass sein Suchtmittelkonsum im Jahre 1999 zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Dezember 2000 schon weit über ein Jahr zurücklag) auf die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen hat.
Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Auswirkungen eines Cannabisrausches und auch nicht darum, dass Haschischkonsum geeignet ist, die Fähigkeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen einzuschränken oder auszuschließen, sondern allein darum, ob der Beschwerdeführer suchtmittelunabhängig im Sinne des § 5 Abs. 1 Z. 4 lit. b in Verbindung mit § 14 Abs. 1 FSG-GV ist. Für diese Beurteilung reichen die Ausführungen der Amtssachverständigen, die sich im Wesentlichen nur mit den Auswirkungen des Haschischkonsums auf die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen auseinander setzt, und ihr folgend der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid nicht aus. Der von der belangten Behörde als Grundlage ihrer Entscheidung herangezogene Cannabiskonsum des Beschwerdeführers im Juli 1999 und vor Abgabe der Harnprobe am 25. Februar 2000 rechtfertigen nicht den Schluss, der Beschwerdeführer sei suchtmittelabhängig im Sinne der genannten Bestimmungen. Eine weitere Begründung für die Annahme, der Beschwerdeführer sei suchtmittelabhängig, wird weder im Sachverständigengutachten noch im angefochtenen Bescheid gegeben.
Da die belangte Behörde somit in Verkennung der Rechtslage notwendige Feststellungen unterlassen hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Wien, am 4. Juli 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001110024.X00Im RIS seit
19.09.2002