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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde der SG in W, geboren am 13. Dezember 1981, vertreten durch Dr. Herbert Duma, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Salzgries 17, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. April 2001, Zl. 215.848/7- III/12/01, betreffend § 6 Z. 2 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres) zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine am 13. Dezember 1981 geborene Staatsangehörige von Sierra Leone, reiste am 24. Jänner 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am gleichen Tag Asyl. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 14. Februar 2000 gab sie im Wesentlichen an, sie habe Sierra Leone verlassen, weil sie nach dem Tod ihrer Eltern von ihrem Bruder zu einer Freundin ihrer Mutter auf deren Reisfarm gebracht worden sei, wo sie ohne Entlohnung habe arbeiten müssen. Wenn sie nicht gearbeitet habe, sei sie geschlagen worden. Davor habe sie Angst gehabt. Neben der Arbeit auf dem Reisfeld habe sie auch im Haushalt der Freundin ihrer verstorbenen Mutter arbeiten und auf deren Kleinkind aufpassen müssen. Auf Grund eines Vorfalls, bei dem das Kind, auf das sie aufpassen musste, vom Bett gefallen sei und sich dabei die Hand gebrochen habe, sei die Beschwerdeführerin von dessen Mutter "sehr stark geschlagen worden". Weil sie sehr oft geschlagen worden sei, habe sie ihr Heimatland verlassen. Was sie bei einer Rückkehr erwarte, wisse sie nicht.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 25. Februar 2000 gemäß § 6 Z. 2 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Sierra Leone zulässig sei. Begründet wurde dies damit, dass der Grund für die Furcht, welche die Beschwerdeführerin zum Verlassen Sierra Leones bewogen habe, lediglich in ihrer Angst vor der Freundin ihrer verstorbenen Mutter gelegen sei. Dass die staatlichen Behörden nicht gewillt gewesen wären, der Beschwerdeführerin Schutz zu gewähren, habe deren Vorbringen nicht schlüssig entnommen werden können.
In der vom zuständigen Jugendwohlfahrtsträger in Vertretung der Beschwerdeführerin eingebrachten Berufung gegen diese Entscheidung machte die Beschwerdeführerin unter anderem geltend, dass auf ihren Fall der Konventionsgrund der Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe" anzuwenden sei, nämlich jener der Kinder und Jugendlichen, die gezwungen würden, in sklavereiähnlichen Verhältnissen unter menschenunwürdigen Bedingungen zu leben. In Sierra Leone gebe es Sklaverei und sklavereiähnliche weitgehend unbezahlte Zwangsarbeit sowie unter anderem Mangel an Nahrung und sauberem Trinkwasser besonders für Kinder und Jugendliche, die keinem Familienverband angehörten. Bei einer Abschiebung würde die Beschwerdeführerin wieder in eine sklavereiähnliche Lage gebracht werden, sodass eine Abschiebung der Beschwerdeführerin u.a. im Hinblick auf § 104 Abs. 2 StGB unzulässig sei.
Die belangte Behörde führte eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der die Beschwerdeführerin angab, der Grund für ihre Flucht sei das Verhalten von "Mama Filou", der Freundin ihrer verstorbenen Mutter. Auf die Frage, ob sie vor "Mama Filou" ausschließlich deshalb Angst habe, weil das von ihr beaufsichtigte Baby aus dem Bett gefallen sei, antwortete die Beschwerdeführerin: "Sie (Mama Filou) schickte mich jeden Tag auf die Farm. Wenn ich mit dem Kind spielen wollte oder mit anderen sprechen wollte, erlaubte sie mir dies nicht, sondern schickte mich weg." Die Beschwerdeführerin habe keinerlei Schwierigkeiten "mit der Regierung", "es sind nur Mama Filou und ihre Freunde, mit denen ich Probleme habe"; vor ihnen müsste sie sich im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland fürchten. Der Vertreter der Beschwerdeführerin wies in der Berufungsverhandlung darauf hin, dass die Beschwerdeführerin in Sierra Leone keine Eltern mehr habe und auch zu ihrem Bruder seit Jahren kein Kontakt mehr bestehe.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 6 Z. 2 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Sierra Leone zulässig sei. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung damit, dass die Beschwerdeführerin "als einzigen Grund" für die Bedrohung durch jene Frau, die sie nach dem Tod ihrer Eltern aufgezogen habe, "eine ihr unterlaufene Unachtsamkeit bei der Betreuung eines ihr anvertrauten Babys genannt" habe. Die aus Angst vor dieser Behandlung erfolgte Flucht sei nicht aus einem asylrelevanten Grund erfolgt. In der Begründung der Entscheidung nach § 8 AsylG führte die belangte Behörde aus, dass kein Anhaltspunkt dafür vorliege, dass die Mutter des verletzten Kindes beabsichtigte, nach der Beschwerdeführerin zu suchen; selbst wenn dies der Fall wäre, könnte die Beschwerdeführerin in einem anderen Landesteil Zuflucht nehmen. Eine extreme Gefahrenlage, die eine Abschiebung generell unzulässig mache, liege in Sierra Leone nicht vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat ihrer rechtlichen Würdigung im angefochtenen Bescheid ausschließlich die Bedrohung der Beschwerdeführerin wegen der ihr unterlaufenen "Unachtsamkeit bei der Behütung eines ihr anvertrauten Babys" zu Grunde gelegt. Die belangte Behörde hat damit die in der Berufung ausdrücklich vorgebrachten Behauptungen, die Beschwerdeführerin gehöre der "sozialen Gruppe" von verwaisten Kindern und Jugendlichen an, die in sklavereiähnlichen Verhältnissen lebten und misshandelt würden, und müsse befürchten, im Falle der Rückkehr in ihr Heimatland wieder in eine sklavereiähnliche Lage gebracht zu werden, gänzlich unbeachtet gelassen. Dieses Vorbringen in der schriftlichen Berufung, an das die Beschwerde in erster Linie anknüpft, wurde auch in der Berufungsverhandlung nicht mit der Beschwerdeführerin erörtert.
Die Gründe, aus denen die belangte Behörde meinte, sich mit der schriftlichen Berufung nicht auseinander setzen zu müssen, sind für den Verwaltungsgerichtshof nicht erkennbar. Der Bescheidbegründung (und auch der Gegenschrift der belangten Behörde) kann insbesondere nicht entnommen werden, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen die belangte Behörde etwa der Auffassung war, die behauptete Gefahr der Zurückverbringung einer unter sklavenartigen Bedingungen gehaltenen Person in diese Lage stehe auch unter dem geltend gemachten Gesichtspunkt der Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe" so eindeutig nicht im Zusammenhang mit einem Konventionsgrund, dass sich ein solches Vorbringen ohne weiteren Begründungsaufwand unter § 6 Z. 2 AsylG subsumieren lasse. Dass das Erfordernis einer differenzierenden Auseinandersetzung mit modernen Spielarten der Sklaverei gegen die Erfüllung des Kriteriums der "Offensichtlichkeit" sprechen würde, sei nur der Vollständigkeit halber angemerkt.
Da die Gedanken der belangten Behörde in dieser Frage nicht nachvollziehbar und einer Kontrolle ihrer inhaltlichen Rechtmäßigkeit somit entzogen sind, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 9. Juli 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001010281.X00Im RIS seit
18.09.2002