TE Vwgh Erkenntnis 2002/7/18 2001/20/0683

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Veröffentlicht am 18.07.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des ZAM in Wien, geboren am 26. März 1954, vertreten durch Dr. Ingo Riß, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Neubaugasse 71, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 5. Juli 2001, Zl. 222.358/4-I/01/01, betreffend Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Pakistan, reiste am 23. Oktober 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2000 Asyl. Er gab in diesem Antrag keine Wohnadresse an und machte Dr. Erich D., Flughafensozialdienst, als Zustellungsbevollmächtigten namhaft.

Am 25. Oktober 2000 wurde der Beschwerdeführer an einer Adresse in 1190 Wien polizeilich gemeldet.

Am 19. Dezember 2000 übernahm Dr. Erich D. die an ihn adressierte Ladung des Beschwerdeführers zur Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 22. Jänner 2001.

Der Beschwerdeführer leistete dieser Ladung Folge und legte bei der Einvernahme den Meldezettel vom 25. Oktober 2000 vor. Die Wohnadresse des Beschwerdeführers wurde in der unter Heranziehung des Dolmetschers Q. erstellten Niederschrift festgehalten und dem Beschwerdeführer dem Inhalt der Niederschrift zufolge mitgeteilt, dass er "jede Adressänderung dem Bundesasylamt sofort mitzuteilen" habe.

Am 9. Februar 2001 übernahm Dr. Erich D. den an ihn adressierten Bescheid des Bundesasylamtes vom 31. Jänner 2001, mit dem der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan für zulässig erklärt wurde.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. April 2001 beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Er brachte vor, anlässlich einer Vorsprache bei der Fremdenpolizei am 2. April 2001 von der Existenz des Bescheides erfahren zu haben, worauf er sich noch am selben Tag zum Flughafensozialdienst begeben und dort den Bescheid ausgefolgt erhalten habe. Bis dahin habe er auf Grund der Bekanntgabe seiner Wohnadresse bei der Einvernahme am 22. Jänner 2001 und des Umstandes, dass die Adresse in der Niederschrift festgehalten worden sei, damit gerechnet, dass der Bescheid ihm unter dieser Adresse zugestellt werden würde. Der Beschwerdeführer schloss u.a. den Meldezettel an, beantragte seine Einvernahme und verband den Wiedereinsetzungsantrag mit einer Berufung gegen den Bescheid vom 31. Jänner 2001 (deren Zurückweisung mit der zur hg. Zl. 2001/20/0654 protokollierten Beschwerde bekämpft wird).

Mit Bescheid vom 25. April 2001 wies das Bundesasylamt den Wiedereinsetzungsantrag ab. Es ging im Wesentlichen davon aus, dass der Beschwerdeführer seine behauptete Vermutung, der Bescheid werde ihm persönlich zugestellt werden, bei der Einvernahme nicht mit dem Vernehmenden abgeklärt habe und "auch nicht vom Vernehmenden dahingehend informiert" worden sei, dass er mit einer Zustellung an seine "Wohnadresse zu rechnen gehabt" hätte. Die Vermutung des Beschwerdeführers, der Bescheid würde ihm an seine Adresse zugestellt werden, sei ein Tatsachenirrtum und somit ein Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG. Es sei (aber) nicht unvorhergesehen oder unabwendbar gewesen und den Beschwerdeführer treffe ein von ihm zu vertretendes (in Bezug auf den Grad des Versehens vom Bundesasylamt nicht gewichtetes) "Verschulden" an der Versäumung der Rechtsmittelfrist.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid rügte der Beschwerdeführer u.a. das Unterbleiben seiner im Wiedereinsetzungsantrag beantragten Einvernahme. Die belangte Behörde führte eine Verhandlung durch, in deren Verlauf der Beschwerdeführer im Wesentlichen wie folgt einvernommen wurde:

"VL: Warum haben Sie eine ausdrückliche Einvernahme beantragt, was möchten Sie mir erzählen? Warum haben Sie eine verspätete Berufung eingebracht?

BW: Ich habe den Bescheid nicht rechtzeitig bekommen. Wenn ich diesen rechtzeitig bekommen hätte, hätte ich die Berufung rechtzeitig einbringen können.

VL: Sie haben einen Ladungsbescheid erhalten, wonach Sie am 22.01.2001 zur Verhandlung vor dem BAA erscheinen sollten. Auch dieser Bescheid wurde an Dr. D. zugestellt. Sie sind rechtzeitig zu dieser Verhandlung erschienen, warum hat es damals funktioniert?

BW: Ich bin drei bis viermal in das Büro von Dr. D. gegangen und dort befand sich einmal der Brief betreffend der Ladung an das BAA. Bei der Einvernahme habe ich gedacht, nachdem ich dem Beamten den Meldezettel vorgelegt habe, dass der Bescheid persönlich an mich zugestellt wird. Hr. Q. hat gesagt, alle Schriftstücke werden an mich zugestellt.

VL: Hr. Q. kannte Ihren Akt nicht und wusste vielleicht

nichts von der Zustellvollmacht an Hrn. Dr. D.

BW: Das weiß ich nicht.

VL: Diese Gründe, die Sie anführen, können keinen

Wiedereinsetzungsgrund rechtfertigen."

Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages auf Grund folgender Erwägungen:

"Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

Der Berufungswerber machte bei seiner Asylantragstellung Dr. D. als Zustellungsbevollmächtigten namhaft. Eine Kündigung dieser Zustellungsbevollmächtigung ist nicht erfolgt.

Rechtlich folgt daraus:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Gemäß § 71 Abs. 2 AVG muss ein Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die vom Berufungswerber geltend gemachten mangelnden Rechts- und Sprachkenntnisse nicht geeignet, einen Wiedereinsetzungsgrund zu bilden (vgl. VwGH vom 16.10.1996, 96/01/0195). Dies ergibt sich schon aus der einfachen Überlegung, dass die rein subjektive Beurteilung einer bestimmten Rechtslage den Betroffenen nicht hindern kann, sich über die Wirkung der Namhaftmachung eines Zustellbevollmächtigten zu informieren (vgl. VwGH vom 26.11.1980, Slg. Nr. 10.309/A). Andere Gründe für die verspätete Einbringung des Rechtsmittels wurden auch in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat nicht vorgebracht. Darüber hinaus hätte die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an den Berufungswerber selbst zur Folge gehabt, dass die Zustellung - trotz Bestehens eines Zustellbevollmächtigten - nicht rechtswirksam gewesen wäre.

Demgemäß war spruchgemäß zu entscheiden."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat sich in der Begründung ihrer Entscheidung in erster Linie mit der Frage befasst, ob die Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten richtig war. In der Gegenschrift wird überhaupt nur auf diese Frage eingegangen. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid aber keine Feststellungen über den als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemachten Irrtum getroffen und diesen - insbesondere in Bezug auf den Grad des Versehens - auch keiner rechtlichen Würdigung unterzogen. Die Bezugnahme auf eine "rein subjektive Beurteilung einer bestimmten Rechtslage" durch die Partei steht in keinem Zusammenhang mit der im vorliegenden Fall konkret zu beurteilenden Frage nach dem Gewicht des Sorgfaltsverstoßes, der dem Beschwerdeführer wegen seiner Erwartung einer Zustellung an seine Wohnadresse bei Bedachtnahme auf den festzustellenden Verlauf der diesbezüglichen Erörterungen am 22. Jänner 2001 vorzuwerfen ist. Es wird weder auf die Belehrung des Beschwerdeführers, Adressänderungen (nicht des Zustellungsbevollmächtigten, sondern des Beschwerdeführers selbst) bekannt zu geben, und deren für den Beschwerdeführer erkennbaren oder ihm erläuterten Zweck, noch auf die ausdrückliche Behauptung der Ankündigung einer Zustellung aller weiteren Schriftstücke an den Beschwerdeführer selbst durch den Dolmetscher und die von der belangten Behörde bei der Einvernahme im Berufungsverfahren selbst ins Spiel gebrachte Möglichkeit, dass dies auf Unkenntnis des Dolmetschers von der Zustellungsvollmacht beruht haben könnte, eingegangen. Da es an Feststellungen über das Zustandekommen des geltend gemachten Irrtums fehlt, kann der gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG maßgebliche "Grad des Versehens" des Beschwerdeführers in Bezug auf seine irrtümliche Erwartung einer Zustellung an ihn selbst nicht beurteilt werden (vgl. im Zusammenhang mit einem Fall, in dem auch ein als Widerruf der Zustellungsvollmacht deutbarer Antrag auf Zustellung an die Wohnadresse behauptet wurde, schon das hg. Erkenntnis vom 22. November 2001, Zl. 2000/20/0350).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 18. Juli 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001200683.X00

Im RIS seit

05.12.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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