TE Vwgh Erkenntnis 2002/7/18 2000/20/0108

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Veröffentlicht am 18.07.2002
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §6 Z2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde der J A in W geboren am 26. Juni 1974, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 12/9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. November 1999, Zl. 213.746/0-III/12/99, betreffend § 6 Z. 2 und § 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, ihren Angaben zufolge eine Staatsangehörige von Sierra Leone, reiste am 17. September 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte am 18. September 1999 einen Asylantrag.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. Oktober 1999 wurde dieser Asylantrag gemäß § 6 Z. 3 und 4 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet abgewiesen und ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig erklärt. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführerin die Glaubwürdigkeit vollständig zu versagen sei, da sie bei ihrer Einvernahme nicht einmal ansatzweise in der Lage gewesen sei, ihre behauptete Herkunft aus Sierra Leone glaubhaft zu machen. Die Beschwerdeführerin habe diverse Fragen zu ihrem angeblichen Heimatland nicht beantworten können.

Auf Grund der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesasylamtes führte die belangte Behörde am 25. November 1999 eine mündliche Verhandlung durch. Dabei gab die Beschwerdeführerin an, dass eines Nachts Truppen in ihre Wohngegend gekommen seien. Sie hätten das Haus betreten und angefangen, Leute zu packen und hinauszutragen. Den Mann der Beschwerdeführerin hätten sie neben anderen in einen Bus verfrachtet. Da viele davongelaufen seien, sei auch die Beschwerdeführerin davongelaufen. Des weiteren finden sich im Protokoll über die Verhandlung vom 25. November 1999 folgende Passagen:

"Wenn ich gefragt werde, wieso die Leute gerade nach mir suchen: Wenn jemand davonläuft, verfolgen und finden sie diese Leute.

Wenn ich gefragt werde, ob die Leute damals nur meinen Mann und mich gejagt haben: Sie haben alle die dort im Haus waren gejagt. Viele Leute liefen herum, auch aus anderen Häusern, das sah ich, als ich davonlief. Alle schrien durcheinander.

Über nochmaliges Befragen nach dem Ort des Geschehens: Die Adresse war in der Stadt Moyamba.

Wenn ich gefragt werde, ob ich das erste Mal mit den Rebellen

Kontakt hatte: Ja das war das erste Mal. Mein Mann hatte vorher auch keine Kontakte zu den Rebellen.

Wenn ich gefragt werde, wie ich zu der Ansicht gelange, daß sie mich als Person suchen könnten: Der Grund ist, daß sie meinen Mann erwischt haben und mich ebenfalls entführt hätten, wenn ich nicht hätte flüchten können.

Was mit meinem Mann passiert ist, weiß ich nicht, seit seiner Entführung habe ich keinerlei Informationen über seinen Verbleib. Bei dem Überfall wurden sowohl Männer als auch Frauen in den Bus gebracht.

Wenn ich gefragt werde, ob ich nach dem Vorfall versucht habe, z.B. in Freetown mich in Sicherheit zu bringen: Ich bin von Moyamba aus sofort nach Guinea gegangen.

...

Wenn ich gefragt werde, wieso ich annehme, daß die Rebellen im Falle meiner Rückkehr heute noch nach mir suchen würden: Ich weiß nicht, wo mein Mann ist, ob er noch lebt. Die könnten mich töten, sie töten die Leute, ich will nicht sterben. Wenn ich nach SL komme, werden mich diese Leute fangen und feststellen, daß ich damals davongelaufen bin, und mich töten.

Wenn ich gefragt werde, ob ich einen der Rebellen des damaligen Überfalles gekannt habe und erkennen würde: Nein."

Der bei der Berufungsverhandlung anwesende Dolmetsch für die Sprache Krio gab auf die Frage, ob ihm bekannt sei, dass Rebellen nach einem Überfall konkret jene suchten, denen die Flucht gelungen wäre, Folgendes an:

"Es gibt eine Konstellation: Wenn jemand mit einer Person, die später Rebell wurde, vorher eine Auseinandersetzung hatte, so sucht der Rebell jenen Zivilisten gezielt und verfolgt diesen wohin immer er geht.

...

Wenn einer der überfallenen Dorfbewohner davonläuft und einen Rebellen erkannt hat, und dieser Rebell Gefahr liefe, daß sein Name den anderen Dorfbewohnern weitergegeben werden könnte, so kann es sein, daß versucht wird, den Geflohenen zu erwischen, um ihn daran zu hindern, den Rebell zu verraten. Eine weitere Möglichkeit ist die Rache von Rebellen an Richtern, die sie verurteilt hatten. Wenn einer davon gelaufen ist, und die Rebellen an ihm besonderes Interesse haben, dann werden die Rebellen in Zivilkleidern in das Dorf zurückgeschickt, um 1. zu zeigen, daß sie nicht Rebellen sondern Zivilisten sind, und weil sie

2. Ausschau nach dem Gesuchten halten können. Am Anfang des Bürgerkrieges war es so, daß keiner verfolgt wurde, weil kein Interesse daran bestand, bei späterem Verlauf des Bürgerkrieges kam es zu so komplizierten persönlichen Beziehungen und Haßgefühlen, dass sehr wohl auch Geflohene verfolgt wurden."

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass der Asylantrag der Beschwerdeführerin vom 18. September 1999 gemäß § 6 Z. 2 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet abgewiesen wurde. Soweit sich die Berufung gegen den Ausspruch betreffend die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Sierra Leone gemäß § 8 Asylgesetz richtete, wurde sie abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, sie gehe davon aus, dass der behauptete Überfall der Rebellen in Moyamba (dem Heimatdorf der Beschwerdeführerin) tatsächlich stattgefunden habe. Der Beschwerdeführerin sei es aber nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass sie konkret von Rebellen gesucht werde und sich für sie daher aktuell eine Bedrohungssituation ergebe. Nach dem Wissensstand der belangten Behörde richteten sich die Überfälle und Gewalttaten der Rebellen wahllos gegen jedermann aus der Zivilbevölkerung. Die von der Beschwerdeführerin behauptete Furcht, die Rebellen könnten konkret sie suchen und töten, weil sie im Zuge des damaligen Überfalls entkommen sei, sei objektiv deshalb nicht nachvollziehbar, weil die Beschwerdeführerin ihrer Aussage zufolge vorher noch nie Kontakt zu den Rebellen gehabt habe und auch beim Überfall niemanden habe erkennen können. Da sich der Überfall damals auch nicht konkret gegen die Beschwerdeführerin oder ihre Familie sondern allgemein gegen die ansässige Bevölkerung gerichtet habe, sei auch nicht davon auszugehen, dass es sich etwa um einen konkreten Rekrutierungsversuch der Rebellen gegenüber der Beschwerdeführerin gehandelt habe und es allenfalls aus diesem Grund naheliegend wäre, dass die Rebellen im Davonlaufen der Beschwerdeführerin eine Weigerung hätten sehen können, sich der beabsichtigten Rekrutierung zu entziehen (gemeint offenbar: zu unterwerfen). Vielmehr entspreche es dem üblichen Erscheinungsbild derartiger Überfälle auf die Dorfbewohner, dass im allgemeinen Tumult ein Teil der Leute entkommen könne, ein Teil zwangsrekrutiert werde und jene Bewohner, denen die Flucht nicht gelinge, tatsächlich getötet oder verstümmelt würden. Bei diesem Geschehen handle es sich um die allgemeinen Folgen der für Sierra Leone typischen Bürgerkriegssituation, die aber nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nicht begründen könnten. Es bedürfe bei diesem Ergebnis auch keiner näheren Klärung der Frage, inwieweit sich die Situation der Zivilbevölkerung seit dem Abschluss des Friedensübereinkommens vom 7. Juli 1999 tatsächlich verbessert oder verändert habe. Die belangte Behörde komme nämlich zu dem Ergebnis, dass die von der Beschwerdeführerin "behauptete" Verfolgungsgefahr offensichtlich nicht auf einen in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen sei. Zu dem Ausspruch gemäß § 8 Asylgesetz führte die belangte Behörde aus, es gebe keine konkreten Hinweise dafür, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, die Beschwerdeführerin liefe Gefahr, in Sierra Leone einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Die Beschwerdeführerin habe auch nicht dargetan, dass sie in ihrem Herkunftsstaat im Sinne des § 57 Fremdengesetz bedroht sei.

Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat

der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

§ 6 Asylgesetz lautet:

"Offensichtlich unbegründete Asylanträge

§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen läßt, daß ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder

2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder

3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder

4. die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts trotz Aufforderung nicht mitwirken oder

5. im Herkunftsstaat auf Grund der allgemeinen politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der Rechtsanwendung in der Regel keine begründete Gefahr einer Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe besteht."

Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde von Amts wegen bescheidmäßig gemäß § 8 Asylgesetz festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§ 57 Fremdengesetz); diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden.

Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung anders als die Behörde erster Instanz zulässigerweise erstmals (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2000, Zl. 2000/01/0320) auf § 6 Z. 2 Asylgesetz gestützt. Die Heranziehung dieser Bestimmung setzt voraus, dass die Behörde von den Behauptungen des Asylwerbers ausgeht und auf deren Grundlage beurteilt, ob sich diesem Vorbringen eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen offensichtlich nicht entnehmen lässt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/01/0294).

Die Beschwerdeführerin hat bei der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde vorgebracht, dass sie im Fall der Rückkehr nach Sierra Leone von den Rebellen gefangen würde. Die Rebellen würden weiters feststellen, dass die Beschwerdeführerin bei dem Überfall auf ihr Dorf davongelaufen sei, und würden sie (gemeint: deshalb) töten. In der Begründung des in Beschwerde gezogenen Bescheides geht die belangte Behörde demgegenüber davon aus, dass es der Beschwerdeführerin nicht gelungen sei, glaubhaft zu machen, dass sie konkret von Rebellen gesucht werde und sich für sie daher aktuell eine Bedrohungssituation ergebe.

Die belangte Behörde hat somit die von der Beschwerdeführerin behauptete Bedrohung für unwahr gehalten und ihrer Entscheidung nicht zu Grunde gelegt. Eine solche Vorgangsweise schließt jedoch die Heranziehung des § 6 Z. 2 Asylgesetz aus (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2002, Zl. 2001/20/0123).

Dadurch, dass die belangte Behörde § 6 Z. 2 Asylgesetz angewendet hat, ohne vom gesamten Vorbringen der Beschwerdeführerin auszugehen, dem sich ausreichende Anhaltspunkte für eine Anknüpfung der behaupteten Verfolgung an eine (unterstellte) politische Gesinnung entnehmen lassen, sodass somit das Vorliegen von Konventionsgründen nicht offensichtlich verneint werden kann, hat sie folglich ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 18. Juli 2002

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200108.X00

Im RIS seit

07.10.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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