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90/01 Straßenverkehrsordnung;Norm
FSG 1997 §19 Abs3 Satz2 Z4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des R in L, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte OEG in 1014 Wien, Tuchlauben 17, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 13. Dezember 2001, Zl. RU6-St-M-0117/0, betreffend Durchführung von Ausbildungsfahrten, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 13. Dezember 2001 wies der Landeshauptmann von Niederösterreich den Antrag des Beschwerdeführers vom 1. Juli 2001 zur Bewilligung der Durchführung von unentgeltlichen Ausbildungsfahrten (unter Verwendung dem Kennzeichen nach bestimmter Kraftfahrzeuge) mit seinem Sohn ab. In der Begründung führte der Landeshauptmann von Niederösterreich aus, schon die Erstbehörde habe ihre Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers im Wesentlichen damit begründet, dass dieser am 28. Dezember 2000 um 15.14 Uhr einen nach dem Kennzeichen bestimmten Pkw im Gemeindegebiet von W. auf dem R. Weg in Richtung Westen gelenkt habe und dabei die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h unter Berücksichtigung der Messtoleranz um 32 km/h überschritten habe. Der Beschwerdeführer sei mit rechtskräftiger Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 15. März 2001 gemäß § 20 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 wegen dieses Vorfalls mit einer Geldstrafe von S 1.200,-- bestraft worden. An der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um mindestens 32 km/h bestünden auf Grund eines Gutachtens des Amtssachverständigen für technische Kraftfahrzeugangelegenheiten vom 14. November 2001 keine Zweifel. Im Gegensatz zu § 117 Abs. 1 in Verbindung mit § 109 Abs. 1 lit. g KFG 1967, welche Bestimmungen auch für Fahrschullehrer und Probefahrschullehrer gelten, habe die Verwendung der Einzahl in § 19 Abs. 3 Z. 4 FSG zur Folge, dass bereits die Bestrafung wegen nur eines schweren Verstoßes zum Wegfall der Bewilligungsvoraussetzung des § 19 Abs. 3 Z. 4 FSG führt. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes könne eine Überschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h unter Berücksichtigung der Messtoleranz um 41 km/h als schwerer Verstoß im Sinne des § 109 Abs. 1 lit. g KFG 1967 angesehen werden, dies im Hinblick darauf, dass zufolge § 64a Abs. 3 lit. a KFG 1967 eine mit Messgeräten festgestellte Überschreitung einer ziffernmäßig festgesetzten erlaubten Höchstgeschwindigkeit im Ausmaß von mehr als 20 km/h im Ortsgebiet als schwerer Verstoß nach Abs. 2 anzusehen sei (zitiert wird das hg. Erkenntnis vom 9. November 1999, Zl. 98/11/0301). Basierend auf diesem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes stelle das am 28. Dezember 2000 vom Beschwerdeführer gesetzte Verhalten einen schweren Verstoß gegen straßenpolizeiliche Vorschriften dar. Er erfülle somit auch im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht sämtliche Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 FSG.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Die im Beschwerdefall einschlägigen Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):
"Lenkberechtigung für Anfänger
(Probeführerschein)
§ 4.
...
(3) Begeht der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit einen schweren Verstoß (Abs. 6) ... , so ist von der Behörde unverzüglich eine Nachschulung anzuordnen, wobei die Rechtskraft der Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes abzuwarten ist. ... .
...
(6) Als schwerer Verstoß gemäß Abs. 3 gelten
...
2. mit technischen Hilfsmitteln festgestellte Überschreitungen einer ziffernmäßig festgesetzten erlaubten Höchstgeschwindigkeit im Ausmaß von
a)
mehr als 20 km/h im Ortsgebiet oder
b)
mehr als 40 km/h auf Freilandstraßen;
...
Vorgezogene Lenkberechtigung für die Klasse B
§ 19.
...
(3) Nach Abschluss einer theoretischen und praktischen Ausbildung in einer Fahrschule und mit Bestätigung der Fahrschule, dass der Bewerber über die erforderlichen Kenntnisse für die Durchführung von Ausbildungsfahrten verfügt, können der oder die Begleiter die Bewilligung zur Durchführung von Ausbildungsfahrten des Bewerbers auf Straßen mit öffentlichem Verkehr beantragen. Der Begleiter muss
1. seit mindestens sieben Jahren eine Lenkberechtigung für die Klasse B besitzen,
2. während der letzten drei Jahre vor Antragstellung Kraftfahrzeuge der Klasse B gelenkt haben,
3.
in einem besonderen Naheverhältnis zum Bewerber stehen und
4.
er darf innerhalb der in Z 2 angeführten Zeit nicht wegen eines schweren Verstoßes gegen kraftfahrrechtliche oder straßenpolizeiliche Vorschriften bestraft worden sein.
...
§ 43.
(1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. November 1997 in Kraft, sofern in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist.
(2) § 16 Abs. 5, § 17 und § 19 dieses Bundesgesetzes treten mit 1. März 1999 in Kraft.
..."
Unstrittig ist im Beschwerdefall, dass der Beschwerdeführer wegen einer am 28. Dezember 2000 erfolgten Überschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h (um 32 km/h) rechtskräftig gemäß § 20 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 (mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 5. März 2001) bestraft wurde.
Zutreffend gehen die belangte Behörde und der Beschwerdeführer davon aus, dass für die Versagung einer Bewilligung zur Durchführung von Ausbildungsfahrten nach § 19 Abs. 3 FSG bereits die Nichterfüllung einer der in § 19 Abs. 3 zweiter Satz FSG genannten Voraussetzungen hinreichend ist.
Strittig ist im Beschwerdefall ausschließlich, ob die belangte Behörde auf der Grundlage ihrer Feststellungen davon ausgehen durfte, dass der der rechtskräftigen Bestrafung des Beschwerdeführers zu Grunde liegende Vorfall vom 28. Dezember 2000 einen schweren Verstoß gegen kraftfahrrechtliche oder straßenpolizeilichen Vorschriften im Sinne des § 19 Abs. 3 zweiter Satz Z. 4 FSG darstellt.
Die in Rede stehende Wendung "wegen eines schweren Verstoßes gegen kraftfahrrechtliche oder straßenpolizeiliche Vorschriften" wird in den Gesetzesmaterialien zum FSG nicht erläutert. In der RV eines Bundesgesetzes über den Führerschein, 714 BlgNR 20. GP, 40, wird zu § 19 im Wesentlichen nur ausgeführt, dass die Abs. 2 bis 5 Bestimmungen der bisherigen §§ 122 und 122b KFG 1967 mit bestimmten Ergänzungen enthielten. Der in den erwähnten Erläuterungen angesprochene § 122 KFG 1967 enthielt im Zeitpunkt der Gesetzwerdung des FSG ebenfalls die in Rede stehende Wendung "wegen eines schweren Verstoßes gegen kraftfahrrechtliche oder straßenpolizeiliche Vorschriften" (§ 122 Abs. 2 Z 1 lit. c). Sie geht im Wesentlichen bereits auf § 122 Abs. 2 KFG 1967 in seiner Stammfassung zurück, ohne dass aus den Gesetzesmaterialien (vgl. die RV 186 BlgNR 11. GP, 124) Anhaltspunkte für ihre Bedeutung ersichtlich wären.
Die Bedeutung der in Rede stehenden Wendung ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes vorliegendenfalls durch eine systematische Auslegung zu ermitteln. Eine Übertretung der gesetzlich vorgesehenen Höchstgeschwindigkeit stellt keinen Verstoß gegen kraftfahrrechtliche, sondern nur gegen straßenpolizeiliche Vorschriften dar. Ob ein Verstoß gegen straßenpolizeiliche Vorschriften als schwerer Verstoß anzusehen ist, ist der aus den Strafbestimmungen straßenpolizeilicher Vorschriften erkennbaren gesetzlichen Bewertung des straßenverkehrsbezogenen Fehlverhaltens zu entnehmen. Im vorliegenden Fall kommt dafür primär die StVO 1960 in Betracht.
§ 99 StVO 1960 gewichtet die im Einzelnen umschriebenen Verwaltungsübertretungen - nach Absätzen gegliedert - nach der Höhe des vorgesehenen Strafrahmens. Es ist daher davon auszugehen, dass Verwaltungsübertretungen, für die ein geringerer Strafrahmen vorgesehen ist, in Relation zu solchen mit höherem Strafrahmen nach der gesetzgeberischen Wertung als weniger schwer wiegend einzuordnen sind.
Zieht man die im Zeitpunkt der Gesetzwerdung des FSG in Kraft stehende Fassung des § 99 StVO 1960 (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 16/1997) heran, so zeigt sich, dass Verwaltungsübertretungen in insgesamt sechs Absätzen mit unterschiedlichen Strafrahmen geregelt waren (Abs. 1, 2, 2a, 2b, 3 und 4). Qualifizierte Geschwindigkeitsübertretungen, nämlich solche, bei denen im Hinblick auf eine allgemeine oder durch Straßenverkehrszeichen kundgemachte Geschwindigkeitsbeschränkung unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstoßen wurde, insbesondere Fußgänger, die Schutzwege vorschriftsmäßig benützen oder Radfahrer, die Radfahrerüberfahrten vorschriftsmäßig benützen, gefährdet oder behindert wurden (§ 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960) waren mit Geldstrafe von S 500,-- bis S 30.000,-- bedroht, wobei dieser Strafrahmen deutlich unter demjenigen für die in Abs. 1 umschriebenen Alkoholdelikte (S 8.000,-- bis S 50.000,--) lag. Nicht qualifizierte Geschwindigkeitsübertretungen waren nach Abs. 3 lit. a (nur) mit Geldstrafe bis zu S 10.000,-- bedroht. An dieser Systematik des § 99 StVO 1960 hielt der Gesetzgeber ungeachtet der genaueren Aufgliederung der Alkoholdelikte durch die Novelle BGBl. I Nr. 92/1998 fest. Sie bestand auch sowohl im Zeitpunkt des im Beschwerdefall maßgeblichen Vorfalls am 28. Dezember 2000 als auch zum Zeitpunkt der Erlassung des nunmehr angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde hat dem angefochtenen Bescheid die rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers wegen einer Übertretung nach § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 zu Grunde gelegt. Ausgehend von dieser rechtskräftigen Bestrafung hat sie im Verhalten des Beschwerdeführers am 28. Dezember 2000 einen schweren Verstoß gegen straßenpolizeiliche Vorschriften erblickt. Damit hat sie allerdings die Rechtslage verkannt.
Nach der dargelegten Systematik des § 99 StVO 1960, insbesondere im Hinblick auf die im Wesentlichen absteigend geordneten Strafrahmen der einzelnen Verwaltungsübertretungen ist davon auszugehen, dass eine als Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 zu wertende Geschwindigkeitsübertretung (Strafrahmen nunmehr bis zu EUR 726,--) angesichts der Strafdrohung für qualifizierte Geschwindigkeitsübertretungen nach § 99 Abs. 2 StVO 1960 (EUR 36,-- bis EUR 2.180,--), insbesondere aber im Vergleich zum vorgesehenen Strafrahmen für Alkoholdelikte (noch im am wenigsten schwer wiegenden Fall EUR 581,-- bis EUR 3.633,--) noch nicht ohne weiteres von einem schweren Verstoß gegen die straßenverkehrspolizeilichen Vorschriften der StVO 1960 gesprochen werden kann.
Da nicht angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber des FSG bei der Verwendung der Wendung "schwerer Verstoß gegen ... straßenpolizeiliche Vorschriften" ein grundsätzlich anderes Verständnis von der Gewichtung der Verstöße gegen straßenpolizeiliche Vorschriften hatte, muss angenommen werden, dass die dem § 99 StVO 1960 zu Grunde liegende und oben aufgezeigte Wertungssystematik zumindest grundsätzlich auch dem FSG zu Grunde gelegt wurde.
Vor diesem Hintergrund kann das Verhalten des Beschwerdeführers am 28. Dezember 2000, nämlich die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um 32 km/h, trotz des durchaus beachtlichen Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung für sich allein noch nicht als schwerer Verstoß gegen straßenpolizeiliche Vorschriften im spezifischen Sinne des § 19 Abs. 3 zweiter Satz Z. 4 FSG qualifiziert werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar keine Zweifel, dass nach der Systematik des FSG eine Geschwindigkeitsüberschreitung in einem Ausmaß, das nach § 7 Abs. 3 Z 4 FSG bereits eine bestimmte Tatsache darstellt, welche zu einer Entziehung der Lenkberechtigung führen kann, bereits als schwerer Verstoß im Sinne des § 19 Abs. 3 zweiter Satz Z. 4 FSG anzusehen wäre, doch würde im Beschwerdefall ein derartiges Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung jedenfalls nicht erreicht.
Das von der belangten Behörde erwähnte und zur Rechtslage nach dem KFG 1967 ergangene hg. Erkenntnis vom 9. November 1999, Zl. 98/11/0301, ist nicht geeignet, ein anderes Auslegungsergebnis herbeizuführen. Maßgeblich ist im Beschwerdefall ausschließlich die Auslegung der Wendung "wegen eines schweren Verstoßes gegen kraftfahrrechtliche oder straßenpolizeiliche Vorschriften" in § 19 Abs. 3 zweiter Satz Z. 4 FSG, nicht hingegen diejenige der Wendung "wegen eines schweren Verstoßes (Abs. 6)" in § 4 Abs. 3 erster Satz FSG. Letztere Bestimmung, die nur die in Abs. 6 aufgezählten Verstöße als schwere Verstöße qualifiziert, sowie die in § 4 Abs. 6 FSG enthaltene - abschließende - Legaldefinition der schweren Verstöße im Sinne des § 4 Abs. 3 FSG beziehen sich nur auf Inhaber eines Probeführerscheins. Dass Verstöße, die vom FSG dann, wenn sie von Inhabern eines Probeführerscheins begangen werden, als schwer wiegend qualifiziert werden, auch schwere Verstöße im Sinne des § 19 Abs. 3 zweiter Satz Z. 4 FSG - diese Bestimmung gilt nicht für Inhaber eines Probeführerscheins - darstellen, ist nach der dargelegten Systematik des FSG nicht anzunehmen. Gegen diese Auffassung der belangten Behörde spricht schließlich auch der Umstand, dass § 19 Abs. 3 zweiter Satz Z. 4 FSG gerade nicht auf § 4 Abs. 3 erster Satz oder auf § 4 Abs. 6 FSG verweist, was bei der von der belangten Behörde unterstellten Systematik des Gesetzes nahe liegend gewesen wäre.
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501. Das Mehrbegehren an Ersatz für Umsatzsteuer war abzuweisen, weil neben dem Ersatz des pauschalierten Schriftsatzaufwandes ein weiterer Kostenersatz unter dem Titel der Umsatzsteuer nicht vorgesehen ist.
Wien, am 19. Juli 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2002110113.X00Im RIS seit
20.09.2002Zuletzt aktualisiert am
22.09.2008