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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art130 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatpräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des A in Wien, geboren 1985, vertreten durch Dr. Peter Philipp, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 17, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 8. Mai 2002, Zl. SD 372/02, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 8. Mai 2002 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Nach dem Akteninhalt sei der Beschwerdeführer am 11. Mai 1992 gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Schwester nach Österreich eingereist und habe am 19. Mai 1992 einen Asylantrag gestellt. Das Asylverfahren sei mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Februar 1994 rechtskräftig negativ abgeschlossen worden.
Seinen eigenen Angaben zufolge habe der Beschwerdeführer das Bundesgebiet seit dem Jahr 1992 nicht mehr verlassen. Nach der Aktenlage sei ihm erstmals ein von 14. November 1994 bis 30. April 1995 gültiger Aufenthaltstitel erteilt worden. In der Folge habe er weitere Aufenthaltstitel mit dem Zweck "Familiengemeinschaft mit Fremden", zuletzt eine von 29. Mai 2001 bis 29. Mai 2003 gültige Niederlassungsbewilligung zum Zweck "Familiengemeinschaft, ausgenommen unselbstständige Erwerbstätigkeit", erhalten.
Mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 8. November 2000 sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes gemäß § 142 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Urkundenunterdrückung gemäß § 229 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am 13. Oktober 2001 (offensichtlich gemeint: 2000) gemeinsam mit zwei Mittätern den Entschluss gefasst habe, einen 12-jährigen Buben auszurauben. Zu diesem Zweck hätten die Jugendlichen tatplangemäß das unmündige Opfer eine Zeit lang begleitet, um schließlich in einem abgelegenen Park in gemeinsamer Raubabsicht über den Buben herzufallen, ihn festzuhalten und ihm eine Geldbörse samt Bargeld, Schülerausweis, Freifahrtausweis sowie Videothekkarte wegzunehmen. Die Urkunden seien von den Tätern in der Folge zum Teil weggeworfen und zum Teil weiterverwendet worden. Zum Zeitpunkt der Tatbegehung sei der Beschwerdeführer zwar noch nicht vorbestraft gewesen, habe jedoch eine einschlägige Vormerkung wegen eines in strafunmündigem Alter versuchten Diebstahles aufgewiesen.
Am 1. Oktober 2001 sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des teils vollendeten und teils versuchten Raubes nach den §§ 15, 142 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum von 19. Mai 2001 bis 30. Mai 2001 mit weiteren jugendlichen Mittätern in unterschiedlicher Zusammensetzung zahlreiche Raubüberfälle auf der Mariahilfer Straße begangen habe. Die Täter seien dabei so vorgegangen, dass sie ihre Opfer, zumeist jugendliche "Skater", umringt, von ihnen Geld und Zigaretten gefordert und sie gegebenenfalls geschlagen hätten. In manchen Situationen seien einige der Jugendlichen auch in geringer Entfernung zum Tatort stehen geblieben, um einerseits die Opfer einzuschüchtern und andererseits im Bedarfsfall eingreifen zu können. In manchen Fällen sei es lediglich beim Versuch geblieben, weil die Opfer kein Bargeld bei sich gehabt hätten; zweimal seien auch Handys geraubt worden. Dem Beschwerdeführer seien insgesamt zehn verschiedene Raubüberfälle zuzuordnen.
Aus der Urteilsbegründung ergebe sich weiters, dass der Beschwerdeführer trotz Bemühungen der Mutter und trotz Zureden des Bewährungshelfers die Hauptschule, in welcher er bereits eine Klasse wiederholt habe, nicht mehr besucht habe, weshalb er für drei Wochen im Krisenzentrum Augarten untergebracht worden sei.
Im Hinblick auf die Verurteilungen sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt. Auf Grund des gesamten Fehlverhaltens könne kein Zweifel daran bestehen, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit in hohem Maß gefährde. Die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei daher gerechtfertigt.
Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Im Bundesgebiet lebten neben der Mutter und der Schwester, mit denen er im gemeinsamen Haushalt wohne, noch zwei Tanten mütterlicherseits. Sein Vater befinde sich nach der Scheidung im Jahr 1995 in Montenegro. Auf Grund des langjährigen inländischen Aufenthalts, des Schulbesuchs im Bundesgebiet und der dargestellten familiären Bindungen sei das Aufenthaltsverbot mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums) dringend geboten und daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer habe durch sein strafbares Verhalten dokumentiert, nicht in der Lage bzw. nicht willens zu sein, die zum Schutz maßgeblicher Rechtsgüter aufgestellten Normen einzuhalten. Vor allem der Umstand, dass der Beschwerdeführer binnen eines halben Jahres nach der ersten Verurteilung eine Vielzahl von strafbaren Handlungen begangen habe, lasse eine positive Prognose nicht zu. Der Beschwerdeführer habe durch die zahlreichen Straftaten und die Art der Ausführung deutlich zu erkennen gegeben, dass es sich bei ihm um einen aggressiven und gewaltbereiten Menschen handle, von dem eine besonders große Gefährdung öffentlicher Interessen ausgehe. Der Beschwerdeführer wende ein, dass auf Grund der mittlerweile verbüßten Strafhaft - er werde voraussichtlich am 18. Mai 2002 bedingt entlassen - davon auszugehen wäre, dass die Haft ihre spezialpräventive Wirkung erfüllt hätte und daher eine positive Prognose gerechtfertigt wäre. Dem müsse entgegengehalten werden, dass das den Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten noch nicht so lange zurückliege, dass auf Grund des seither verstrichenen Zeitraumes eine (wesentliche) Verringerung der von ihm ausgehenden Gefahr angenommen werden könne. In diesem Zusammenhang sei festzuhalten, dass die Fremdenpolizeibehörde bei der Beurteilung der Kriterien für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nicht an die gerichtlichen Erwägungen im Rahmen der Strafbemessung oder einer allfälligen bedingten Strafnachsicht bzw. bedingten Entlassung gebunden sei.
Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG sei auf die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration Bedacht zu nehmen gewesen. Diese Integration werde jedoch in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die Straftaten des Beschwerdeführers gemindert. Dazu komme noch, dass der Beschwerdeführer vor seiner Festnahme den Besuch der Pflichtschule verweigert habe und im Krisenzentrum ungebracht habe werden müssen. Den solcherart verminderten privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers stehe das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität gegenüber. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie wögen keinesfalls schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen. Angesichts dieser Interessenlage müsse der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in die persönlichen Interessen des jugendlichen Beschwerdeführers in Kauf genommen werden. Dem vorgebrachten Umstand, dass der Beschwerdeführer während der Strafhaft mit einer Spenglerlehre begonnen und einen Computerkurs besucht hätte, komme kein entscheidendes Gewicht zu.
Im Hinblick auf die Art und Schwere der Straftaten des Beschwerdeführers und die damit verbundene Wiederholungsgefahr könne ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers auch nicht im Rahmen des der Behörde zukommenden Ermessens in Kauf genommen werden, zumal auch keine Gründe erkennbar seien, welche die Mutter und die Schwester darin hindern könnten, den Beschwerdeführer ins Ausland zu begleiten oder ihn zumindest dort zu besuchen. Eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbots im Rahmen des Ermessens würde zudem offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes erfolgen, weil der Beschwerdeführer wegen eines Verbrechens zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden sei.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. In der Beschwerde bleibt die Rechtsansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht und die in § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, unbekämpft. Auf dem Boden der unbestrittenen Feststellungen über die Verurteilungen des Beschwerdeführers und die diesen zu Grunde liegenden Straftaten begegnet diese Beurteilung keinem Einwand.
2. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde den inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers seit Mai 1992, die Haushaltsgemeinschaft mit Mutter und Schwester und auch die in Strafhaft begonnene Spengler-Lehre sowie den dort besuchten Computerkurs berücksichtigt. Zu Recht hat sie auf die Minderung der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die schweren Straftaten des Beschwerdeführers hingewiesen.
Den auf Grund der Aufenthaltsdauer und der dargestellten familiären Beziehungen dennoch schwerwiegenden persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet steht die Gefährdung öffentlicher Interessen durch seinen weiteren Aufenthalt wegen der von ihm begangenen Straftaten gegenüber. Der Beschwerdeführer hat zunächst gemeinsam mit Mittätern den Raubüberfall auf einen 12-jährigen Buben geplant und entsprechend diesem Plan ausgeführt. Er hat sich weder durch die verhängte bedingte Freiheitsstrafe noch durch den Einfluss des Bewährungshelfers davon abhalten lassen, bereits etwa sechs Monate nach der ersten Verurteilung weitere Raubüberfälle zu begehen. Dabei hat er neuerlich gemeinsam mit Mittätern Jugendliche überfallen, wobei jeweils Gewalt angewendet bzw. angedroht wurde. Der Beschwerdeführer war zwischen 19. und 30. Mai 2001 an zehn solchen Raubüberfällen beteiligt, wobei u.a. Bargeld und Handys erbeutet wurden. Auf Grund des raschen Rückfalls trotz rechtskräftiger Verurteilung und Anordnung von Bewährungshilfe und der Vielzahl der Tathandlungen ergibt sich, dass vom weiteren inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers eine große Gefährdung des gewichtigen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Gewalt- und Eigentumskriminalität ausgeht. Der Zeitraum seit den bis zum 30. Mai 2001 begangenen Straftaten ist viel zu kurz, um auf einen Wegfall oder auch nur eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr schließen zu können, zumal er sich bei Erlassung des angefochtenen Bescheides (Zustellung an den Beschwerdeführer am 8. Mai 2002) unstrittig noch in Strafhaft befunden hat. Soweit der Beschwerdeführer den Umstand ins Treffen führt, dass er bereits nach Verbüßung der Hälfte seiner Strafe bedingt entlassen worden sei, ist ihm mit der belangten Behörde zu entgegnen, dass die Fremdenpolizeibehörde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots allein nach fremdenrechtlichen Kriterien zu beurteilen hat und hiebei an die Erwägungen des Gerichts bei der Entscheidung über die bedingte Entlassung nicht gebunden ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 31. März 2000, Zl. 99/18/0419, mwN).
Aus den dargestellten Erwägungen kann die Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Gesundheit, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.), nicht als rechtswidrig erkannt werden.
Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er wäre in seiner Heimat auf Grund seines jugendlichen Alters völlig auf sich allein gestellt, weil sowohl seine Mutter als auch seine Schwester in Österreich lebten, ist zunächst zu entgegnen, dass von § 37 FrG die Führung eines Privat- und Familienlebens außerhalb Österreichs nicht gewährleistet wird (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2001, Zl. 98/18/0391). Die mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Beeinträchtigung des in Österreich geführten Familienlebens muss aus den dargestellten Gründen im öffentlichen Interesse in Kauf genommen werden. Im Übrigen könnte diese Beeinträchtigung - von der belangten Behörde richtig erkannt - dadurch gemindert bzw. beseitigt werden, dass der Beschwerdeführer von seiner Mutter und/oder seiner Schwester im Ausland besucht bzw. dorthin begleitet wird. Dass dies nicht möglich wäre, wird in der Beschwerde nicht behauptet.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kann aus Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht abgeleitet werden, dass ein Eingriff in das Privat- und Familienleben nur aus "gravierenden, die Staatssicherheit wesentlich beeinträchtigenden Gründen" gerechtfertigt sei, gestattet diese Bestimmung doch einen gesetzlich vorgesehenen Eingriff etwa auch zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, zur Verhinderung strafbarer Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.
3. Soweit der Beschwerdeführer eine unrichtige Ermessensübung behauptet, ist ihm zu entgegnen, dass eine auf einer Ermessenswägung beruhende Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbots offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes erfolgen würde, wenn der Fremde - wie vorliegend - in einer dem § 35 Abs. 3 Z. 1 oder Z. 2 FrG entsprechenden Weise rechtskräftig verurteilt worden ist (vgl. den hg. Beschluss vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490).
4. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 24. Juli 2002
Schlagworte
Ermessen besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2002180133.X00Im RIS seit
29.10.2002