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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ÄrzteG 1998;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des E K in W, vertreten durch Dr. Christian Kuhn und Dr. Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Elisabethstraße 22, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom 1. Oktober 2001, Zl. Senat-MD-01-1033, betreffend Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schreiben der BH Mödling vom 20. Oktober 2000 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, sich hinsichtlich des folgenden Sachverhalts zu rechtfertigen: "Obwohl Präventivfachkräfte über die geleistete Einsatzzeit und die nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz durchgeführten Tätigkeiten, insbesondere auch über die von ihnen durchgeführten Besichtigungen und Untersuchungen sowie deren Ergebnisse Aufzeichnungen zu führen haben, befinden sich in den Aufzeichnungen des Zeitraumes 14. Oktober 1998 bis 3. Mai 2000 des Arbeitsmediziners Dr. A, welcher eine Präventivfachkraft ist, in der Spalte Beratung, Diagnose, Aktivität, Mängel, Gefährdung lediglich kaum leserliche handschriftliche Eintragungen, die eine Zuordenbarkeit der Tätigkeiten nicht ermöglichen und sind in der Spalte 'Maßnahmen, techn., organisat., pers. bez.' lediglich der Stempel und die Unterschrift des Arztes, nicht jedoch Ergebnisse der durchgeführten Tätigkeiten, wie Berichte, Anordnungen durchgeführte Messungen oder Verbesserungsvorschläge eingetragen". Hiefür sei der Beschwerdeführer als verantwortlicher Beauftragter der X-AG verantwortlich und Tatort sei das Frischdienstlager in A. Damit habe der Beschwerdeführer die Bestimmungen des § 84 Abs. 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz verletzt und habe demnach eine Verwaltungsübertretung nach § 130 Abs. 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz zu verantworten. Nach einer Rechtfertigung des Beschwerdeführers erließ die BH Mödling am 2. Jänner 2001 ein Straferkenntnis, das hinsichtlich der Tatumschreibung ident mit der Aufforderung zur Rechtfertigung war, als verletzte Norm § 84 Abs. 1 ASchG und als Strafnorm § 130 Abs. 5 ASchG anführte und mit dem eine Geldstrafe von S 15.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.
Über Berufung des Beschwerdeführers hielt die belangte Behörde eine öffentliche Verhandlung ab, bei der der Beschwerdeführer vorbrachte, dass die Beurteilung, ob eine Eintragung eines zweifellos qualifizierten Arbeitmediziners genügend oder ungenügend sei, nicht vom Arbeitsinspektor, sondern allenfalls von einem medizinischen Sachverständigen vorgenommen werden könne, zumal es medizinisch nicht Gebildeten nicht möglich sei, den Bedeutungsgehalt allfälliger Abkürzungen zu verstehen. Weiters wurde auf die regelmäßige Gewohnheit von Ärzten verwiesen, Rezepte so schwer leserlich und abgekürzt zu verfassen, dass ausschließlich ein anderer Arzt oder ein geübter akademisch gebildeter Apotheker in der Lage sei, das Rezept richtig zu deuten.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers hinsichtlich des vor dem Verwaltungsgerichtshof verfahrensgegenständlichen Deliktsvorwurfs keine Folge gegeben und den diesbezüglichen Punkt des Straferkenntnisses in seinem Schuld-, Straf- und Kostenausspruch vollinhaltlich bestätigt. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass gemäß § 84 Abs. 1 ASchG Präventivfachkräfte Aufzeichnungen über die geleistete Einsatzzeit und die nach diesem Bundesgesetz durchgeführten Tätigkeiten zu führen hätten, insbesondere auch über die von ihnen durchgeführten Besichtigungen und Untersuchungen sowie deren Ergebnisse. Organen der Arbeitsinspektion sei auf Verlangen Einsicht in diese Unterlagen zu gewähren. Aus dieser gesetzlichen Bestimmung erhelle, dass eine entsprechende Dokumentation Grundvoraussetzung für eine funktionierende sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung sei und diese sowohl im Interesse der Sicherheitsfachkräfte als auch der Arbeitsmediziner - vor allem im Zusammenhang mit Haftungsfragen - unerlässlich erscheine. Diese Aufzeichnungen sollten die für die Vollziehung dieses Bundesgesetzes unerlässliche Kontrolle der Tätigkeit der Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmediziner ermöglichen. Das Einsichtsrecht der Arbeitsinspektion sei für eine Überwachung der Einhaltung dieses Bundesgesetzes notwendig, es sei eine ausdrückliche Regelung erforderlich, weil das Einsichtsrecht nach dem Arbeitsinspektionsgesetz nur gegenüber den Arbeitgebern geltend gemacht werden könne, nicht aber gegenüber sonstigen Personen.
Nach der Intention des Gesetzgebers sei ausschließlicher Normadressat der Pflicht zur Führung dieser Aufzeichnungen der Arbeitgeber. Daher seien diese medizinischen Aufzeichnungen so zu führen, dass der Arbeitgeber daraus Folgerungen, nachvollziehbare gedankliche Schlüsse und insbesondere Maßnahmen, die der Arbeitssicherheit dienten, treffen könne. Die im Akt erliegenden, abgelichteten Arbeitszeitaufzeichnungen - wenn man diese kaum leserlichen, stichwortartigen, handschriftlichen Notizen bzw. die mit zahlreichen medizinischen Stempeln versehenen Blätter als solche bezeichnen könne - entsprächen in keiner Weise den gesetzlich normierten Bestimmungen des § 84 Abs. 1 ASchG.
Es bedürfe keiner Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen, um festzustellen, dass keine Aufzeichnungen vorhanden seien, die es dem Arbeitgeber ermöglichten, allfällige Maßnahmen in technischer, organisatorischer oder personeller Hinsicht zu treffen, die auf fundierten arbeitsmedizinischen Ergebnissen beruhten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die maßgeblichen Gesetzesstellen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994, dieses in der Fassung BGBl. I Nr. 12/1999, lauteten:
"§ 84. (1) Präventivfachkräfte haben Aufzeichnungen über die geleistete Einsatzzeit und die nach diesem Bundesgesetz durchgeführten Tätigkeiten zu führen, insbesondere auch über die von ihnen durchgeführten Besichtigungen und Untersuchungen sowie deren Ergebnisse. Den Organen der Arbeitsinspektion ist auf Verlangen Einsicht in diese Unterlagen zu gewähren.
§ 130. (1) Eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 2.000 S bis 100.000 S, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 4.000 S bis 200.000 S zu bestrafen ist, begeht, wer als Arbeitgeber entgegen diesem Bundesgesetz oder den dazu erlassenen Verordnungen
...
27. die Verpflichtung zur Bestellung oder zur Beiziehung von Sicherheitsfachkräften oder von Arbeitsmedizinern verletzt, sie nicht im erforderlichen Ausmaß beschäftigt, ihnen die erforderlichen Informationen und Unterlagen nicht zur Verfügung stellt, oder nicht dafür sorgt, dass sie ihre gesetzlichen Aufgaben erfüllen, sofern kein Präventionszentrum gemäß § 78 Abs. 1 in Anspruch genommen wurde.
...
(5) Eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 2.000 S bis 100.000 S, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 4.000 S bis 200.000 S zu bestrafen ist, begeht, wer als Arbeitgeber/in
1. den nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden Bestimmungen zuwiderhandelt, oder
2. die nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden bescheidmäßigen Vorschreibungen nicht einhält."
Die Materialien (RV 1590 Blg.NR 18. GP) führen (auszugsweise) zu § 84 ASchG aus:
"Eine entsprechende Dokumentation ist Grundvoraussetzung für
eine funktionierende sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische
Betreuung und erscheint im übrigen auch im Interesse ... der
Arbeitsmediziner (vor allem im Zusammenhang mit Haftungsfragen)
unerlässlich. Diese Aufzeichnungen sollen die für die Vollziehung
dieses Bundesgesetzes unerlässliche Kontrolle der Tätigkeit der
... Arbeitsmediziner ermöglichen. Das Einsichtsrecht der
Arbeitsinspektion ist für eine Überwachung der Einhaltung dieses Bundesgesetzes notwendig, eine ausdrückliche Regelung ist erforderlich, weil das Einsichtsrecht nach dem Arbeitsinspektionsgesetz 1993 nur gegenüber den Arbeitgebern geltend gemacht werden kann, nicht aber gegenüber sonstigen Personen.
Damit die Arbeitgeber ihrer Verpflichtung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen nachkommen können, benötigen sie auch entsprechende Informationen über die Wahrnehmungen der ... Arbeitsmediziner. Zu deren Aufgaben gehört auch die Erstattung von Verbesserungsvorschlägen auf dem Gebiet der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes."
Weiters ist auf die Materialien zu § 79 ASchG zu verweisen (gleichfalls im Auszug):
"Über die Unabhängigkeit der Arbeitsmediziner und ihre Verschwiegenheitspflicht werden keine Regelungen getroffen, es gilt ohnehin das Ärztegesetz, weitergehende Regelungen erscheinen nicht notwendig. ...Diese Regelung wurde nicht in den vorliegenden Entwurf übernommen, weil die Unabhängigkeit in ärztlichen Belangen durch das Ärztegesetz gewährleistet ist, eine "Abhängigkeit" von den Arbeitnehmern schon auf Grund des Umstandes ausscheidet, daß die Arbeitsmediziner von den Arbeitgebern bestellt werden, und eine gewisse "Abhängigkeit" von den Arbeitgebern in nichtärztlichen Belangen naturgemäß mit dem Arbeitsvertrag bzw. dem Werkvertrag verbunden ist. In diesem Zusammenhang darf auch nicht außer acht gelassen werden, dass die Arbeitgeber für die ordnungsgemäße arbeitsmedizinische Betreuung verantwortlich sind."
Der Beschwerdeführer rügt zunächst, dass der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet sei, weil der Beschwerdeführer zu Unrecht gemäß § 130 Abs. 5 ASchG bestraft würde; die Norm, deren Verletzung dem Beschwerdeführer vorgeworfen würde, sei weder eine nach dem 9. Abschnitt des ASchG weitergeltende Bestimmung noch eine nach dem 9. Abschnitt weitergeltende bescheidmäßige Vorschreibung, dem Beschwerdeführer sei im gesamten Verfahren ausschließlich vorgeworfen worden, die Bestimmungen des § 84 Abs. 1 ASchG verletzt zu haben.
Wenn dem Beschwerdeführer auch insoweit zu folgen ist, dass die anzuwendende Strafsanktionsnorm im vorliegenden Fall § 130 Abs. 1 Z 27 ASchG ist und nicht § 130 Abs. 5 ASchG, liegt dennoch im Ergebnis keine vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende inhaltliche Rechtswidrigkeit vor, weil die Strafdrohung der beiden Rechtsvorschriften ident und der Beschwerdeführer daher in keinem subjektiven Recht verletzt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1994, Zl. 92/04/0276).
Der Beschwerdeführer rügt weiters, dass er auf Grund einer Norm bestraft wurde, die sich nicht an den Arbeitgeber und somit auch nicht an ihn als verantwortlich Beauftragten des Arbeitgebers richte.
Der in Rede stehende § 84 ASchG regelt die Aufzeichnungs- und Dokumentationspflicht der Präventivfachkräfte. Aus den Materialien geht hervor, dass die Aufzeichnungen so zu führen sind, dass die Kontrolle der Tätigkeit der Arbeitsmediziner möglich ist. Kontrollorgan ist einerseits das Arbeitsinspektorat und andererseits auch der Arbeitgeber, denn der Arbeitgeber ist für die ordnungsgemäße arbeitsmedizinische Betreuung verantwortlich. Er muss auch in der Lage sein, aufgrund der Wahrnehmungen der Arbeitsmediziner Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu treffen. Es kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde zum Schluss kommt, dass die Aufzeichnungen derart beschaffen sein müssen, dass der Arbeitgeber daraus Schlüsse und Wahrnehmungen ziehen kann. Die Unabhängigkeit in ärztlichen Belangen, die durch das Ärztegesetz gewährleistet wird, wird dadurch nicht berührt, geht es doch bei der Aufzeichnungs- und Dokumentationspflicht im gegebenen Zusammenhang um eine nichtärztliche Tätigkeit, die (u. a.) Inhalt der vom Arzt auf Grund seiner privatrechtlichen Verpflichtung geschuldeten Leistung ist.
Die Bestrafung des Arbeitgebers erweist sich daher als rechtmäßig, denn er ist gemäß § 130 Abs. 1 Z 27 ASchG dafür verantwortlich, dass die Arbeitsmediziner ihre gesetzlichen Aufgaben erfüllen.
Der Beschwerdeführer vermochte auch nicht darzutun, dass die belangte Behörde durch die Einvernahme eines medizinischen Sachverständigen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, denn darauf, ob allenfalls ein medizinischer Sachverständiger Schlüsse aus den Aufzeichnungen hätte ziehen können, kommt es nach dem Vorgesagten nicht an. Dadurch ist auch die Wesentlichkeit des behaupteten Verfahrensmangels nicht gegeben. Was aber das Verschulden des Beschwerdeführers anlangt, so behauptet er selbst nicht, dass er in irgendeiner Weise eine Kontrolle des Arbeitsmediziners durchgeführt hätte.
Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden; der Sachverhalt und die Rechtsfragen des vorliegenden Falles sind völlig klar. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung war auch nicht unter dem Aspekt des Art. 6 MRK geboten, zumal die belangte Behörde bereits eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 26. Juli 2002
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete Strafnorm Mängel im Spruch Verfahrensbestimmungen Beweiswürdigung AntragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001020253.X00Im RIS seit
07.10.2002