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L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Kante, über die Beschwerde des Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien I, Spiegelgasse 2, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 4. Juli 2000, Zl. MA 64-BE 134/99, betreffend Kostenvorauszahlungsauftrag nach § 4 Abs. 2 VVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist auf Grund des Kaufvertrages vom 21. November 1986 Eigentümer der Grundstücke Nr. 330/28 und 333/23, EZ 374, Grundbuch Lainz, in Wien XIII, Sauraugasse 9/Gobergasse 8, auf welchen ein Wohnhaus errichtet ist.
Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37 (im Folgenden: MA 37), vom 8. Mai 1984 wurde den Rechtsvorgängern des Beschwerdeführers die Bewilligung zur Errichtung eines näher umschriebenen Zubaues erteilt. Dieser Bescheid enthielt neben sonstigen hier nicht relevanten Auflagen auch den folgenden Punkt:
"Vorgeschrieben wird:
(...)
9) Gemäß § 54 BO ist in der vollen Länge der Baulinien bis zur Erteilung der Benützungsbewilligung ein Gehsteig nach den Anordnungen der Behörde herzustellen. Vor Inangriffnahme der Gehsteigherstellung ist gemäß § 54 Abs. 10 BO um die Bekanntgabe der Breite und der Bauart, und um die Aussteckung der Höhenlage beim Vermessungsdezernat der Baubehörde anzusuchen."
Am 29. Oktober 1984 wurde von der MA 37 für den Zubau die Benützungsbewilligung erteilt; in der Rechtsmittelbelehrung diese Bescheides findet sich der Hinweis, dass die "Gehsteigkonstatierung" nicht vorgelegt worden sei.
Mit Bescheid der MA 37 vom 4. April 1986 wurde die Erfüllungsfrist des Punktes 9. des Bescheides vom 8. Mai 1984 bis 30. Juni 1987 verlängert.
Mit Bescheid der MA 37 vom 18. Oktober 1996 wurden dem Beschwerdeführer näher bezeichnete bauliche Veränderungen, insbesondere im Dachgeschoß des Einfamilienhauses, sowie die Errichtung eines weiteren Zubaues bewilligt. Dieser Bescheid enthielt unter anderem die folgende Anordnung:
"Vorgeschrieben wird:
(...)
16) Gemäß § 54 BO ist in der vollen Länge der Baulinien bis zur Erstattung der Fertigstellungsanzeige ein Gehsteig nach den Anordnungen der Behörde herzustellen. Vor Inangriffnahme der Gehsteigherstellung ist gemäß § 54 Abs. 10 BO um die Bekanntgabe der Breite und der Bauart und um die Aussteckung der Höhenlage beim Vermessungsdezernat der MA 37 (Dresdner Straße 75, 1200 Wien) anzusuchen."
In einem Schreiben vom 16. August 1999 setzte der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 64 (im Folgenden: MA 64), dem Beschwerdeführer eine Frist von einer Woche zur Inangriffnahme der im Bescheid vom 8. Mai 1984 vorgeschriebenen Gehsteigherstellung und drohte ihm für den Fall, dass er mit der Erfüllung der Verpflichtung bis dahin nicht begonnen habe und die Arbeiten nicht in ununterbrochener Folge fortsetze und abschließe, eine Ersatzvornahme auf seine Gefahr und Kosten an.
Mit Bescheid der MA 64 vom 28. Oktober 1999 wurde dem Beschwerdeführer eine Vorauszahlung für die Kosten der Ersatzvornahme von S 250.000,-- (EUR 18.168,21) vorgeschrieben.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, die er damit begründete, die mit dem Bescheid vom 18. Oktober 1996 bewilligten Bauvorhaben seien noch nicht fertig gestellt, weshalb auch keine Fertigstellungsanzeige erstattet worden sei. Der Bescheid vom 8. Mai 1984 sei ihm nie zugestellt worden, da er zum damaligen Zeitpunkt auch nicht Eigentümer dieses Grundstückes gewesen sei. Außerdem sei dieser Bescheid durch den Bescheid vom 18. Oktober 1996 de iure und de facto aufgehoben worden.
Am 21. März 2000 wurde dem Beschwerdeführer eine Aufgliederung der geschätzten Kosten der Ersatzvornahme zur Kenntnis gebracht.
In seiner daraufhin erstatteten Stellungnahme vom 7. April 2000 wiederholte der Beschwerdeführer sein Berufungsvorbringen. Er führte lediglich zusätzlich aus, die vorgeschriebenen Beträge erschienen ihm unangemessen hoch und nicht dem tatsächlichen Aufwand entsprechend.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet ab. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers, der Titelbescheid sei ihm gegenüber nicht erlassen worden, lasse sich nichts gewinnen, weil diesem Bescheid gemäß § 129 lit. b Abs. 1 BO dingliche Wirkung zukomme. Beim Titelbescheid und dem Bescheid vom 28. Oktober 1996 handle es sich um zwei inhaltlich unterschiedliche Bescheide. Durch die Erlassung des letztgenannten Bescheides sei die ursprüngliche Verpflichtung nicht weggefallen. Andernfalls stünde es im Belieben der Partei, durch ständige Bauführungen die Erfüllung der Verpflichtung einer Gehsteigherstellung hinauszuzögern. Mangels vom Beschwerdeführer vorgebrachter konkreter Umstände habe kein Anlass bestanden, an der Richtigkeit der vorgeschriebenen Kosten zu zweifeln.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 4 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes 1991 (VVG) lautet:
"Erzwingung anderer Leistungen und Unterlassungen
a) Ersatzvornahme
§ 4. (1) Wenn der zu einer Arbeits- oder Naturalleistung Verpflichtete dieser Pflicht gar nicht oder nicht vollständig oder nicht zur gehörigen Zeit nachgekommen ist, so kann die mangelnde Leistung nach vorheriger Androhung auf Gefahr und Kosten des Verpflichteten bewerkstelligt werden.
(2) Die Vollstreckungsbehörde kann in einem solchen Fall dem Verpflichteten die Vorauszahlung der Kosten gegen nachträgliche Verrechnung auftragen. Der Auftrag zur Vorauszahlung ist vollstreckbar."
Gegenstand der Beschwerde ist lediglich ein Kostenvorauszahlungsauftrag nach § 4 Abs. 2 VVG.
Ein Kostenvorauszahlungsauftrag nach § 4 Abs. 2 VVG ist keine Vollstreckungsverfügung im Sinne des § 10 Abs. 2 VVG, doch teilen die im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens ergangenen Bescheide, auch wenn sie keine Vollstreckungsverfügungen sind, wegen des notwendigen Zusammenhanges das rechtliche Schicksal der Vollstreckung, die durch die Akzessorietät gegenüber dem Titelbescheid geprägt wird (siehe das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 6. Juni 1989, VwSlg Nr. 12.942/A). Diese Akzessorietät einerseits und der Umstand andererseits, dass § 10 Abs 2 VVG eine Rechtsmittelbeschränkung beinhaltet ("kann nur ergriffen werden, wenn"), bedeuten aber, dass bei einem Rechtsmittel gegen den Kostenvorauszahlungsauftrag jedenfalls auch die Gründe des § 10 Abs 2 VVG zu prüfen sind. Die Berufung ist nicht auf die im § 10 Abs. 2 VVG bezeichneten Gründe beschränkt (hg. Erkenntnis vom 24. September 1991, Zl. 90/05/0022) .
Der Beschwerdeführer hat sowohl in der Berufung als auch in der Beschwerde behauptet, es liege kein vollstreckbarer Titel vor, und damit den Berufungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 1 VVG (Unzulässigkeit der Vollstreckung) geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat ein Vollstreckungsverfahren in ständiger Rechtsprechung als unzulässig im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 1 VVG angesehen, wenn der Titelbescheid zu unbestimmt oder sonst nicht vollstreckbar ist (Walter/Thienel, aaO, S. 1398, E 75 zu § 10 VVG).
Die belangte Behörde hat den Auflagepunkt 9. des Baubewilligungsbescheides vom 8. Mai 1984 als vollstreckbaren Titelbescheid angesehen.
Grundlage dieses Bescheidbestandteiles ist § 54 der Bauordnung für Wien idF LGBl. Nr. 18/1976 (BO). Diese Bestimmung lautete auszugsweise:
"Gehsteigherstellung
§ 54 (1) Bei Herstellung eines Neu- Zu- oder Umbaues im Bauland oder einer fundierten Einfriedung an einer Baulinie ist der Eigentümer (Miteigentümer) des Gebäudes bzw. der Einfriedung verpflichtet, in der vollen Länge der Baulinien des Bauplatzes oder Bauloses, auf dem der Neu- Zu oder Umbau bzw. die Einfriedung hergestellt wird, in der von der Behörde bekannt gegebenen Breite, Höhenlage und Bauart (Abs. 10) einen Gehsteig herzustellen. Als Gehsteig gelten auch Verkehrsflächen oder Teile einer solchen, die vorwiegend dem Fußgängerverkehr vorbehalten sind und deswegen entweder nicht befahrbar ausgestaltet oder von einem etwaigen Fahrstreifen baulich nicht getrennt bzw. durch Randsteine gegen andere Teile der Verkehrsfläche abgegrenzt sind. Der Gehsteig ist, wenn der Bebauungsplan im Querschnitt der Verkehrsfläche nicht anderes bestimmt, an der Baulinie herzustellen. Bei Eckbildungen erstreckt sich die Verpflichtung auch auf die Eckflächen. (...)
(2) Die Herstellung des Gehsteiges hat bis zur Erteilung der Benützungsbewilligung bzw. in den Fällen, in denen auf die Erteilung einer Benützungsbewilligung verzichtet worden ist oder eine solche nicht vorgesehen ist, bis zur Beendigung der Bauführung zu erfolgen.
(...)
(10) Vor Ausführung oder Änderung des Gehsteiges ist bei der Behörde um Bekanntgabe der Höhenlage, Breite und Bauart des Gehsteiges und um die Aussteckung der Höhenlage anzusuchen. Die Behörde hat die Breite, Höhenlage und Bauart des Gehsteiges einschließlich der Ausführung des Unterbaues im Bereich von Gehsteigauf- und -überfahrten nach den Bestimmungen des Bebauungsplanes und der nach Abs. 13 über die Beschaffenheit der Gehsteige und ihre baulichen Anlagen erlassenen Verordnungen binnen vier Wochen durch Bescheid bekannt zu geben. Diesem Bescheid ist eine Absteckskizze anzuschließen. In den Fällen, in denen die Verpflichtung zur Herstellung eines Gehsteiges an eine Bauführung geknüpft ist, endet die Wirksamkeit dieses Bescheides mit der Wirksamkeit der Baubewilligung. In allen anderen Fällen gilt dieser Bescheid auf die Dauer eines Jahres.
(...)"
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 3. November 1955, Zl. 2396/54, VwSlg Nr. 3871/A, zu einer dem Punkt 9. des Bescheides vom 8. Mai 1984 ähnlichen Vorschreibung in einem Baubewilligungsbescheid nach der Wiener Bauordnung ausgesprochen, dass diese als bloße Belehrung verstanden werden kann, weil aus dem Wortlaut nicht in zwingender Weise abgeleitet werden kann, dass ein baupolizeilicher Auftrag für den Fall erteilt werden soll, dass von der erteilten Baubewilligung für die geplanten baulichen Herstellungen Gebrauch gemacht werde.
Im Erkenntnis vom 8. Juli 1963, Zl. 1482/62, VwSlg Nr. 6071/A, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass eine im Baubewilligungsbescheid enthaltene, die Gehsteigherstellung betreffende Auflage, welche wiederum ähnlich wie im vorliegenden Fall lediglich die Herstellung eines Gehsteiges allgemein anordnete, ohne die zu erbringende Leistung genau zu umschreiben, deshalb keine taugliche Grundlage für ein Vollstreckungsverfahren sei, weil es ihr an der hiefür zu fordernden Bestimmtheit gebricht.
Auch im Beschluss vom 2. September 1970, Zl. 1284/70, hat der Verwaltungsgerichtshof die Feststellung einer Gehsteigverpflichtung in einem Baubewilligungsbescheid nicht als an sich schon vollstreckbare behördliche Äußerung angesehen.
Daran anknüpfend stellte im vorliegenden Fall der Baubewilligungsbescheid vom 8. Mai 1984 keinen geeigneten Titel für ein darauf aufbauendes Vollstreckungsverfahren dar.
Dies erhellt insbesondere auch daraus, dass § 54 Abs. 10 BO ausdrücklich eine weitere bescheidmäßige Konkretisierung der Verpflichtung nach § 54 Abs. 1 BO, welche im Übrigen auch ohne Anordnung im Baubewilligungsbescheid von Gesetzes wegen bei jeder Bauführung grundsätzlich von Neuem entsteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. September 1969, Zl. 369/68, m. w. H.), vorsieht. Erst nach der Bekanntgabe der Breite, Höhenlage und Bauart des Gehsteiges sowie der Übermittlung der Absteckskizze ist diese Pflicht des Grundeigentümers als derart präzise bestimmt anzusehen, dass sie einer Vollstreckung zugänglich wäre, wobei es freilich zuvor noch einer auf dem Bescheid nach § 54 Abs. 10 BO aufbauenden Anordnung als Titelbescheid bedarf (vgl. den Sachverhalt des hg. Erkenntnisses vom 31. August 1999, Zl. 98/05/0233).
Nicht zu teilen ist allerdings die Rechtsauffassung des Beschwerdeführers, durch den späteren Bewilligungsbescheid aus 1996 wäre (materielle) Derogation eingetreten, da es an dem für die Annahme der Derogation erforderlichen Widerspruch zwischen den normativen Akten fehlt (hg. Erkenntnis vom 24. März 1992, Zl. 88/05/0061).
Der Beschwerdeführer hat somit, wenn auch auf Grund einer unzutreffenden Rechtsauffassung, zu Recht eine Unzulässigkeit der Vollstreckung des Punktes 9. des Bescheides vom 8. Mai 1984 geltend gemacht, was von der belangten Behörde auch im Verfahren hinsichtlich der Kostenvorschreibung nach § 4 Abs. 2 VVG zu berücksichtigen gewesen wäre. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 aufzuheben.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 30. Juli 2002
Schlagworte
Maßgebender Bescheidinhalt Inhaltliche und zeitliche Erstreckung des Abspruches und der RechtskraftBaupolizei Vollstreckung Kosten BauRallg10European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000050193.X00Im RIS seit
18.10.2002Zuletzt aktualisiert am
01.06.2010