TE Vwgh Erkenntnis 2002/8/7 97/08/0624

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Veröffentlicht am 07.08.2002
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §24 Abs2;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §50 Abs1;
ASVG §11 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der B in W, vertreten durch Dr. Josef Lachmann, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Garnisongasse 7, top 12a, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 31. Oktober 1997, Zl. LGS-W Abt. 12/1218/56/1997, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit einem erst am 23. Februar 1996 eingelangten Schreiben vom 29. November 1995 wurde das Dienstverhältnis der Beschwerdeführerin von deren Dienstgeberin zum 29. Februar 1996 gekündigt. In ihrem Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld vom 29. März 1996 beantwortete sie die Fragen unter Punkt 9 des Antragsformulars ("Haben Sie Anspruch auf a) Kündigungsentschädigung ...

b) Urlaubsentschädigung/Urlaubsabfindung ... ") mit "Nein". In der Arbeitsbescheinigung vom 4. März 1996 bestätigte die Dienstgeberin, dass die Bezüge der Beschwerdeführerin bis zum 29. Februar 1996 ausbezahlt worden seien. Die im Formular vorgesehene Rubrik für die Bekanntgabe einer Kündigungsentschädigung füllte die Dienstgeberin nicht aus. Der Beschwerdeführerin wurde daraufhin ab dem 29. März 1996 Arbeitslosengeld gewährt.

Am 20. Mai 1996 machte die Beschwerdeführerin über ihren Rechtsvertreter bei ihrer ehemaligen Dienstgeberin einen Anspruch auf Kündigungsentschädigung mit der Begründung geltend, dass sie "zeitwidrig" gekündigt worden sei und die Kündigung daher die Rechtsfolgen einer Entlassung am 29. Februar 1996 auslöse. Von dem neu eingetretenen Umstand, dass ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung strittig sei, wurde die regionale Geschäftsstelle von der Beschwerdeführerin nicht verständigt. Die Dienstgeberin anerkannte schließlich am 3. Juni 1996 den Anspruch auf Kündigungsentschädigung im Vergleichswege und überwies den Vergleichsbetrag am 1. Juli 1996 an den Vertreter der Beschwerdeführerin, der den Betrag am 9. Juli 1996 an diese weiterleitete. Am 12. Juli 1996 erstattete die Dienstgeberin der Beschwerdeführerin an die Wiener Gebietskrankenkasse eine Änderungsmeldung, wonach das Beschäftigungsverhältnis und der Entgeltanspruch der Beschwerdeführerin am 30. Juni 1996 geendet hätten. Abmeldungsgrund sei eine "außergerichtliche Einigung".

Auf Grund eines Auszugs aus der zentralen Datenspeicherung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 21. Juli 1997 erhielt die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien davon Kenntnis, dass die Beschwerdeführerin über den 29. Februar 1996 hinaus bis zum 30. Juni 1996 der Pflichtversicherung nach dem ASVG unterlegen war. Mit Bescheid vom 5. August 1997 sprach die regionale Geschäftsstelle aus, dass der Bezug des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum vom 29. März 1996 bis 30. Juni 1996 gemäß § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und das unberechtigt empfangene Arbeitslosengeld von S 36.378,-- gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zurückgefordert werde, weil die Beschwerdeführerin "im oben angegebenen Zeitraum ein Dienstverhältnis" gehabt und gleichzeitig Arbeitslosengeld bezogen habe.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, in der sie ausführte, sie habe von März bis 30. Juni 1996 eine Kündigungsentschädigung bezogen. Während dieses Zeitraumes ruhe der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Eine Verpflichtung zur Rückerstattung des Arbeitslosengeldes bestehe nicht, denn dies würde voraussetzen, dass die Beschwerdeführerin den Bezug durch unwahre Angaben oder Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hätte oder hätte erkennen müssen, dass die Leistungen nicht gebührten.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen mit folgender Begründung:

"Der zuständige Ausschuss für Leistungsangelegenheiten der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien würdigte die erhobenen Tatsachen folgendermaßen. Es sei Ihnen zuzugestehen, dass Sie anlässlich Ihrer Arbeitslosengeld Antragstellung vom 29.3.96 von einer Kündigung mit Ende Februar auszugehen gewesen ist. Freilich haben Sie mit Ihrer Unterschrift auf diesem Arbeitslosengeld Antrag auch zur Kenntnis genommen, dass Sie jede Änderung maßgeblicher Tatsachen dem Arbeitsmarktservice melden müssen. Auf Grund Ihrer glaubwürdigen Eingaben ist davon auszugehen, dass es nicht in Ihrer Absicht gelegen sein mag dem Arbeitsmarktservice maßgebliche Tatsachen zu verschweigen. Von rechtlicher Relevanz ist jedoch nur die Meldung bzw. die Nichtmeldung. Dem Arbeitsmarktservice ist die nachträgliche Anmeldung und Ausbezahlung einer Kündigungsentschädigung erst durch eine Überlagerungsmeldung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger zur Kenntnis gelangt. Auf Grund dieser Tatsache konnte der zuständige Ausschuss für Leistungsangelegenheiten Wien Ihrer Berufung keine Folge geben, sodass spruchgemäß zu entscheiden war."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Beschwerdeführerin replizierte darauf.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin macht geltend, ihr Dienstverhältnis sei mit dem 29. Februar 1996 beendet worden. Sie habe in Anbetracht der zeitwidrigen Kündigung Anspruch auf eine Kündigungsentschädigung bis zum 30. Juni 1996 gehabt. Das Arbeitslosengeld habe zwar während dieses Zeitraums gemäß § 16 Abs. 1 lit. k AlVG geruht und habe widerrufen werden können, dies bedeute aber nicht, dass auch die Voraussetzungen für eine Rückforderung nach § 25 Abs. 1 AlVG vorlägen. Die Beschwerdeführerin habe weder unwahre Angaben gemacht noch maßgebende Tatsachen verschwiegen noch den Bezug von Arbeitslosengeld durch derartige Verhaltensweisen herbeigeführt. Sie habe auch nicht erkennen können, dass ihr die Leistung nicht gebührt habe.

Diesen Ausführungen sind im Ergebnis nicht zutreffend.

Infolge des (auf das Zustehen einer Kündigungsentschädigung zurückzuführenden und der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien erst nachträglich bekannt gewordenen) Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld liegen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gemäß § 24 Abs. 2 AlVG vor (vgl. das einen nachträglich hervorgekommenen Anspruch auf Urlaubsentschädigung betreffende hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2001, Zl. 2001/08/0056; zum Verhältnis von Widerruf und Einstellung einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0178, mwN).

Strittig ist, ob die Voraussetzungen für eine Rückforderung der Leistung gemäß § 25 Abs. 1 AlVG erfüllt sind.

§ 25 Abs. 1 AlVG in der auf den vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 364/1989 lautet auszugsweise:

"(1) Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Die Verpflichtung zum Ersatz des empfangenen Arbeitslosengeldes besteht auch dann, wenn im Falle des § 12 Abs. 8 das Weiterbestehen des Beschäftigungsverhältnisses festgestellt wurde, sowie in allen Fällen, in denen rückwirkend das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt oder vereinbart wird. (...)"

Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof in einem Fall, in dem schon der dem Arbeitsmarktservice vorliegenden Arbeitsbescheinigung zu entnehmen war, dass dem Beschwerdeführer über die Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses hinaus Bezüge ausbezahlt worden sind, ausgesprochen, dass eine Auszahlung der Bezüge über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses hinaus in Anbetracht des § 11 Abs. 1 zweiter Satz ASVG nicht mit dem Weiterbestand des anwartschaftsbegründenden Beschäftigungsverhältnisses bis zu diesem Zeitpunkt gleichgesetzt werden könne, und dass der "Schluss von einer auf die Auszahlung der Bezüge über das gemeldete Ende des Beschäftigungsverhältnisses hinaus gegründeten Pflichtversicherung nach dem ASVG auf den Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses, auf den sich im vorliegenden Fall - im Wege der Annahme, der Beschwerdeführer sei deshalb noch nicht arbeitslos gewesen - sowohl der Widerruf der Leistung als auch deren Rückforderung gründet," auf einem Rechtsirrtum beruhe (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 96/08/0106). Die mit der Novelle BGBl. Nr. 364/1989 erfolgte Ausdehnung des Rückforderungstatbestandes des § 25 Abs. 1 zweiter Satz AlVG auf alle "Fälle, in denen rückwirkend das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt oder vereinbart wird," könne - so der Verwaltungsgerichtshof weiter - nicht herangezogen werden, wenn im Nachhinein nur die Vollversicherungspflicht des in seinem Bestand schon vorher unstrittigen Beschäftigungsverhältnisses festgestellt werde. Beim nachträglichen Hervorkommen eines bloßen Ruhensgrundes statt eines Beschäftigungsverhältnisses komme die Anwendung des § 25 Abs. 1 zweiter Satz AlVG noch weniger in Betracht.

Im Unterschied zu dem dem vorzitierten Erkenntnis zu Grunde liegenden Sachverhalt war im vorliegenden Fall dem Arbeitsmarktservice aber nicht bekannt, dass ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung strittig ist. Dabei kann es nach der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes keinen Unterschied machen, ob das Arbeitsmarktservice vom Arbeitslosen durch unwahre Angaben oder durch das Verschweigen maßgeblicher Tatsachen in Unkenntnis dieses Anspruchs geblieben ist oder ob der Arbeitslose - etwa durch mangelnde Kenntnis der Rechtslage - von seinem möglichen Anspruch auf Kündigungsentschädigung nichts gewusst hat und daher diesbezüglich gar keine wahren Angaben gegenüber dem Arbeitsmarktservice machen konnte. Für die Rückforderung nach der genannten Gesetzesstelle kommt es daher ausschließlich darauf an, ob ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung nach der objektiven Rechtslage bestand oder nicht.

Die Auszahlung der Bezüge (als Kündigungsentschädigung) vom 1. März bis zum 30. Juni 1996 kann daher zwar nicht mit dem Weiterbestand des anwartschaftsbegründenden Beschäftigungsverhältnisses iS des § 4 Abs. 2 ASVG bzw. des § 1 Abs. 1 lit. a AlVG in diesem Zeitraum gleichgesetzt werden, denn gemäß § 11 Abs. 1 zweiter Satz ASVG (iVm § 1 Abs. 6 AlVG) endet die Pflichtversicherung erst mit dem Ende des Entgeltanspruches, wenn der "Zeitpunkt, an dem der Anspruch auf Entgelt endet, nicht mit dem Zeitpunkt des Endes des Beschäftigungsverhältnisses" zusammenfällt. Im Hinblick darauf, dass dem Arbeitsmarktservice der mögliche Anspruch der Beschwerdeführein auf Kündigungsentschädigung nicht bekannt war, muss zur Vermeidung eines gleichheitswidrigen Ergebnisses die (rückwirkende) Verlängerung der Versicherungspflicht durch die Kündigungsentschädigung nach § 11 Abs. 1 zweiter Satz ASVG der - gemäß § 25 Abs. 1 zweiter Satz AlVG die Rückersatzpflicht begründenden - rückwirkenden Feststellung oder Vereinbarung des Bestehens eines Beschäftigungsverhältnisses gleichgehalten werden. Darauf, dass ein Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen (bzw. eine Verletzung von Meldepflichten nach § 50 Abs. 1 AlVG) herbeigeführt wird, oder darauf, dass der Arbeitslose erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte (vgl. noch das ebenfalls ein nachträgliches Hervorkommen eines Anspruchs auf Kündigungsentschädigung sowie eines Anspruchs auf Urlaubsentschädigung betreffende hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 96/08/0106), kommt es daher im vorliegenden Fall gar nicht mehr an.

Da die belangte Behörde die Rückzahlungsverpflichtung der Beschwerdeführerin im Ergebnis zu Recht bejaht hat, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 7. August 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1997080624.X00

Im RIS seit

29.11.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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