TE Vwgh Erkenntnis 2002/8/7 2002/08/0075

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Veröffentlicht am 07.08.2002
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Reitverein M, vertreten durch Dr. B, dieser vertreten durch Dr. Harald Hauer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Taborstraße 23, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 29. November 2001, Zl. 129.405/1-7/01, betreffend Zurückweisung einer Berufung als verspätet in einer Angelegenheit nach dem ASVG (mitbeteiligte Parteien: 1. N in W; 2. Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3101 St. Pölten, Dr. Karl-Renner-Promenade 14- 16; 3. Arbeitsmarktservice Niederösterreich, Landesgeschäftsstelle, 1010 Wien, Hohenstaufengasse 2;

4. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65; 5. Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1090 Wien, Roßauer Lände 3), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat mit Bescheid vom 25. April 2000 festgestellt, dass der Erstmitbeteiligte als Pferdepfleger für den beschwerdeführenden Verein in der Zeit vom 20. August 1993 bis 18. Juli 1996 der Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherung unterlegen sei.

In den vom beschwerdeführenden Verein, vertreten durch Dr. B und M, erhobenen Einspruch ist - soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung - ausgeführt, "Zustellung an Dr. B, p.A. (...) W, M. Gasse ...".

Die Einspruchsbehörde hat diesen Einspruch mit Bescheid vom 1. August 2001 abgewiesen; dieser Bescheid ist dem beschwerdeführenden Verein durch Hinterlegung am 7. August 2001 an der im Einspruch angegebenen Adresse mit Beginn der Abholfrist 8. August 2001 zugestellt worden.

Am 31. August 2001 langte bei der Einspruchsbehörde ein Schreiben des im Einspruch angegebenen Vertreters der beschwerdeführenden Partei vom 28. August 2001 ein. Die belangte Behörde hat dieses als "Stellungnahme" bezeichnete Schreiben als Berufung gewertet. In diesem Schreiben ist einleitend angegeben, "mir wurde die Einspruchsentscheidung des Amtes der NÖ Landesregierung vom 21-08-01 zugestellt."

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die von ihr als Berufung gewertete Stellungnahme als verspätet zurückgewiesen. In der Begründung hat die belangte Behörde dazu ausgeführt, Beginn der Frist zur Abholung des angefochtenen Bescheides sei der 8. August 2001 gewesen, die zweiwöchige Rechtsmittelfrist habe somit am 22. August 2001 geendet. Da die Berufung erst am 29. August 2001 (Poststempel) eingebracht worden sei, sei sie als verspätet zurückzuweisen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben. Der beschwerdeführende Verein macht geltend, im Zeitpunkt der Hinterlegung des Einspruchsbescheides sei ihr Vertreter ortsabwesend gewesen. Die hinterlegte Sendung sei vom Sohn des Vertreters behoben und von diesem am 17. August 2001 weitergeleitet worden. Da der Einspruchsbescheid ihrem Vertreter sohin erst am 17. August 2001 zugegangen sei, sei die Berufung rechtzeitig.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde unter Abstandnahme von der Erstattung einer Gegenschrift beantragt. Die mitbeteiligten Parteien haben keine Gegenschriften erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 1 Zustellgesetz ist dann, wenn die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt zu hinterlegen. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung ist der Empfänger von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen. Nach § 17 Abs. 3 leg. cit. ist die hinterlegte Sendung mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde, bevor sie die Zurückweisung eines Rechtsmittels ausspricht, zu prüfen, ob die Zustellung des angefochtenen Bescheides ordnungsgemäß erfolgt ist, und das Ergebnis ihrer Feststellungen dem Rechtsmittelwerber vor ihrer Entscheidung vorzuhalten. Hiebei hat die Behörde nach den §§ 37 und 39 Abs. 2 AVG von Amts wegen vorzugehen, zumal der Rechtsmittelwerber nicht verpflichtet ist, von vornherein alle Umstände anzuführen, aus denen er die Rechtzeitigkeit seiner Berufung ableitet. Wird dies von der Rechtsmittelbehörde unterlassen, trägt sie das Risiko einer Bescheidaufhebung wegen unterlaufener Verfahrensmängel (vgl. hiezu die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze, 2. Auflage, § 63 AVG E Nr. 250, 255, 256 referierte hg. Judikatur).

Die belangte Behörde ist nach der Begründung des angefochtenen Bescheides davon ausgegangen, dass der Bescheid der Einspruchsbehörde durch Hinterlegung am 7. August 2001 rechtswirksam zugestellt worden ist, ohne zu erheben, ob der Empfänger, allenfalls wegen Abwesenheit von der Abgabestelle im Sinne des § 17 Abs. 3 letzter Satz des Zustellgesetzes, rechtzeitig vom Zustellvorgang (Hinterlegung) hat Kenntnis erlangen können oder nicht. Solcherart ist der für die Entscheidung der belangten Behörde maßgebende Sachverhalt im Sinne des § 37 und des § 39 AVG mangelhaft geblieben und bedarf in einem wesentlichen Punkt der Ergänzung. Die Behauptung der beschwerdeführenden Partei in ihrem Rechtsmittel, dass sie den Bescheid am 21. August 2001 zugestellt erhalten hat, hätte die belangte Behörde veranlassen müssen, den Sachverhalt, der sich aus der Aktenlage zu ergeben scheint, der beschwerdeführenden Partei im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis zu bringen. Es ist nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des zuletzt angeführten Mangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher unter Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung (§ 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG) gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Der angesprochene Eingabengebührenersatz konnte auf Grund der sachlichen Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) nicht zugesprochen werden. Wien, am 7. August 2002

Schlagworte

Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002080075.X00

Im RIS seit

29.11.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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