TE Vwgh Erkenntnis 2002/8/7 2002/08/0129

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Veröffentlicht am 07.08.2002
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der P in R, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwaltgesellschaft mbH in 8010 Graz, Schmiedgasse 31, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 13. März 2002, Zl. LGS600/ALV/1218/2002-Mag. GR/Kö, betreffend Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice nahm am 17. Jänner 2002 mit der Beschwerdeführerin eine Niederschrift betreffend die Nichtannahme bzw. das Nichtzustandekommen einer zugewiesenen Beschäftigung auf. Demnach sei der Beschwerdeführerin vom Arbeitsmarktservice am 27. Dezember 2001 eine Beschäftigung als Lebensmittelverkäuferin beim Dienstgeber W. angeboten worden. Die von der Beschwerdeführerin unterfertigte Erklärung lautet dahin, dass sie die Beschäftigung nicht angenommen habe bzw. das Beschäftigungsverhältnis nicht zu Stande gekommen sei, weil die Arbeitsstelle für sie "zu weit entfernt" sei, dort "eine Parkplatzproblematik" herrsche, sie in der Feinkost hätte arbeiten müssen, was sie nicht wolle, und außerdem die Entlohnung zu gering gewesen wäre. Laut "Fax des DG" habe die Beschwerdeführerin nur einen Stempel haben wollen.

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 14. Februar 2002 wurde ausgesprochen, dass die Beschwerdeführerin den Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 10 AlVG für den Zeitraum vom 3. Jänner 2002 bis 13. Februar 2002 verloren habe. Der angeführte Zeitraum verlängere sich um die in ihm liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen werde. Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe die Arbeitsaufnahme bei dem Unternehmen W. vereitelt.

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid führte die Beschwerdeführerin aus, es entspreche nicht den Tatsachen, dass sie die Arbeitsaufnahme bei dem Unternehmen W. vereitelt hätte. Sie habe vom Arbeitsmarktservice diesen und weitere Arbeitgeber zwecks Vorstellung vermittelt erhalten. Mit Frau W. habe sie telefonisch eine Terminvereinbarung zwecks eines Vorstellungsgespräches getroffen. Dieses habe dann auch zum vereinbarten Zeitpunkt stattgefunden. Dabei sei über die Art und die Entlohnung der Tätigkeit gesprochen worden. Die Beschwerdeführerin habe dazu keine wie immer geartete und schon gar nicht eine negative Äußerung abgegeben. Wenn Frau W. behaupte, die Beschwerdeführerin habe nur einen Stempel abholen wollen, so entspreche dies nicht der Wahrheit. Weiters sei über einen Probearbeitstag gesprochen worden. Außerdem sei die Beschwerdeführerin gefragt worden, ob sie sich noch bei weiteren Arbeitgebern vorstelle, was sie wahrheitsgemäß bejaht habe. Bezüglich des Probearbeitstages habe sich Frau W. ihre Nummer notiert und gesagt, sie werde die Beschwerdeführerin in den nächsten Tagen anrufen, wann der Probearbeitstag stattfinde. Entgegen dieser Vereinbarung sei jedoch kein Anruf von Frau W. erfolgt.

Laut Aktenvermerk der belangten Behörde vom 6. März 2002 hat Frau W. angerufen und gebeten, über ihre telefonische Aussage einen Aktenvermerk anzulegen, da es ihr schwer fallen würde, eine schriftliche Stellungnahme zu verfassen. Frau W. habe angegeben, dass sie sich nicht mehr genau an das Vorstellungsgespräch erinnern könne. Sie habe jedoch mit den Bewerbern vereinbart, dass sie sich bei Interesse an der Stelle wieder zu melden hätten. Dies deshalb, da sich die Meisten auch bei anderen Unternehmen hätten bewerben müssen. Da sich keiner der Bewerber wieder gemeldet habe, habe sie auf dem Vermittlungsvorschlag "wollte nur den Stempel haben" vermerkt. Dies sei ihr so geraten worden.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin nicht statt und bestätigte den angefochtenen Bescheid. Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens aus, die Aussagen der Beschwerdeführerin in der Niederschrift vom 17. Jänner 2002 stünden im klaren Widerspruch zu jenen in der Berufung. Gehe man jedoch von den Berufungseinwänden aus, so sei die Beschwerdeführerin mit der zugewiesenen Stelle durchaus zufrieden gewesen und habe im Gegensatz zu ihren Angaben in der Niederschrift keine Einwände bezüglich Entlohnung, Entfernung und Art der Tätigkeit gehabt. Unbestritten sei folglich, dass die der Beschwerdeführerin zugewiesene Stelle zumutbar gewesen sei. Dem festgestellten Sachverhalt zufolge hätten sowohl die Beschwerdeführerin als auch der potenzielle Dienstgeber auf einen klärenden Anruf gewartet, der jedoch nicht erfolgt sei. Die Beschwerdeführerin habe die Stelle nicht von vornherein abgelehnt, der potenzielle Dienstgeber habe ihr nicht abgesagt. Dennoch sei das Nichtzustandekommen des Dienstverhältnisses der Beschwerdeführerin zuzuschreiben. Nachdem sie auf Arbeitssuche gewesen und durch den Bezug von Arbeitslosengeld auch die Verpflichtung eingegangen sei, ihre Arbeitslosigkeit so schnell wie möglich zu beenden, sei von ihr zu erwarten gewesen, dass sie sich nochmals beim potenziellen Dienstgeber melde, um ihr Interesse an der Stelle, das laut Berufung gegeben gewesen sei, zu zeigen. Es wäre ja denkbar gewesen, dass der potenzielle Dienstgeber vergeblich versucht habe, die Beschwerdeführerin telefonisch zu erreichen. Da der potenzielle Dienstgeber der Beschwerdeführerin nicht abgesagt habe, hätte sie sich um ein klärendes Gespräch bemühen müssen. Dies sei jedoch nicht erfolgt, weshalb sie eine mögliche Arbeitsaufnahme vereitelt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen.

Nach § 10 Abs. 1 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs (unter näher umschriebenen Voraussetzungen: acht) Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Diese Bestimmungen sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung in den Arbeitsmarkt einzugliedern und ihn so wieder in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene, zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. in diesem Sinn schon das Erkenntnis vom 16. Oktober 1990, Zl. 89/08/0141, Slg. Nr. 13.286/A, und die dort angeführte Vorjudikatur).

Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte, zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten, unverzüglich zu entfaltenden aktiven Handelns des Arbeitslosen und andererseits auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen - abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen - somit auf zwei Wegen verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wegen vereitelt werden: Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermines oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potenziellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht (so - ausgehend von dem hg. Erkenntnis vom 24. November 1992, Zl. 92/08/0132 - etwa das Erkenntnis vom 20. Februar 2002, Zl. 99/08/0104, und zahlreiche weitere Erkenntnisse).

Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG als Vereitelung zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. dazu schon die Erkenntnisse vom 20. Oktober 1992, Zl. 92/08/0042, Slg. Nr. 13.722/A, und vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0050).

Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung damit begründet, dass das Dienstverhältnis deshalb nicht zu Stande gekommen sei, weil die Beschwerdeführerin den potenziellen Dienstgeber nicht angerufen habe. Der potenzielle Dienstgeber habe ihr nicht abgesagt, weshalb sie sich um ein klärendes Gespräch hätte bemühen müssen. Es wäre ja denkbar gewesen, dass der potenzielle Dienstgeber vergeblich versucht hat, die Beschwerdeführerin telefonisch zu erreichen.

Wie die den potenziellen Dienstgeber repräsentierende Frau W. nach dem Inhalt des im Berufungsakt befindlichen Aktenvermerks vom 6. März 2002 jedoch über Befragen einräumte, habe sie ihrer Erinnerung nach bei Bewerbern, die sich auch bei anderen Firmen zu bewerben gehabt hätten, vereinbart, dass sie sich "bei Interesse" wieder zu melden hätten. Im Falle der Nichtmeldung habe sie auf dem Vermittlungsvorschlag "wollte nur den Stempel haben" vermerkt.

Die belangte Behörde hat daher dem nach den Verfahrensergebnissen der Beschwerdeführerin nicht eindeutig zuordenbaren Vermerk "wollte nur den Stempel haben" mit Recht keine Bedeutung beigemessen. In dieser Konstellation wäre es aber - wovon die belangte Behörde zutreffend ausgeht - an der Beschwerdeführerin gelegen, ihr Interesse etwa durch einen Telefonanruf geltend zu machen. Hätte sie dies trotz Erfolgslosigkeit der weiteren Bewerbungen unterlassen, käme eine Vereitelung im Sinne des § 10 iVm § 9 AlVG insofern in Betracht, als dann das zunächst telefonische Vorstellungsgespräch gleichsam offengehalten, jedenfalls aber noch nicht als beendet betrachtet worden wäre und die Beschwerdeführerin durch Unterlassung eines weiteren Anrufs die Bewerbung beendet und damit eine gebotene Gelegenheit zur Erlangung dieses Arbeitsplatzes nicht ergriffen hätte.

Die Beschwerdeführerin bestreitet diesen Sachverhalt in ihrer Beschwerde aber mit der Behauptung, es wäre nicht bei ihr gelegen, neuerlich anzurufen, sondern es sei ihr zugesagt worden, sie telefonisch zu verständigen, wann sie den Probearbeitstag absolvieren solle. Träfe dies zu, wäre der angefochtene Bescheid rechtswidrig: Es könnte nämlich dann weder davon die Rede sein, dass die Unterlassung eines Anrufs durch die Beschwerdeführerin kausal für die Nichteinstellung gewesen ist, noch dass die Unterlassung dieses Telefonanrufs mit dem Vorsatz der Vereitelung der Einstellung (vgl. dazu die oben genannte hg. Rechtsprechung) erfolgt wäre (mag auch die Einstellung der Beschwerdeführerin zu dieser Arbeitsmöglichkeit an sich nicht positiv gewesen sein).

Das erstmalige Vorbringen dieses Sachverhalts in der Beschwerde verstößt auch nicht gegen das Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, da die belangte Behörde den Grund für den Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld gegenüber der erstinstanzlichen Entscheidung ausgetauscht hat, ohne der Beschwerdeführerin dazu und zu den ergänzenden Ermittlungsergebnissen (insbesondere zum Aktenvermerk vom 6. März 2002) Parteiengehör zu gewähren. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin zeigt aber, dass bei Unterbleiben dieses Verfahrensmangels ein anderes Ergebnis des Verfahrens denkbar wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 7. August 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002080129.X00

Im RIS seit

29.11.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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