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24/01 Strafgesetzbuch;Norm
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des P in K, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Pfarrplatz 5/III, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 11. März 2002, Zl. 7-V-KFE- 517/1/2002, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 16. Oktober 2001 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe als Pkw-Lenker am 8. Jänner 2001 gegen
18.10 Uhr auf einer näher bezeichneten Straßenstelle in Klagenfurt durch Außerachtlassung der im Straßenverkehr notwendigen Vorsicht und Aufmerksamkeit die Fußgängerin M. fahrlässig am Körper verletzt, wobei die Tat eine schwere Verletzung zur Folge gehabt habe. Über ihn wurde wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem ersten Deliktsfall des § 88 Abs. 1 und 4 StGB eine Geldstrafe in der Höhe von 40 Tagessätzen (Ersatzfreiheitsstrafe 20 Tage) verhängt.
Mit Bescheid vom 11. Jänner 2002 entzog die Bundespolizeidirektion Klagenfurt dem Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Z. 2 und § 7 Abs. 3 Z. 3 Führerscheingesetz - FSG die Lenkberechtigung für die Klassen B, C1, C, F und G für die Dauer von drei Monaten, gerechnet ab dem Eintritt der Rechtskraft des Bescheides.
In der Begründung des Bescheides bezog sich die Behörde auf die wegen des vom Beschwerdeführer verschuldeten Unfalles vom 8. Jänner 2001 erfolgte rechtskräftige Verurteilung wegen des Vergehens nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB und führte aus, auf Grund der rechtskräftigen Verurteilung sei "die bestimmte Tatsache als erwiesen anzusehen". Der Beschwerdeführer habe als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften (§ 9 Abs. 2 StVO 1960) ein Verhalten gesetzt, das an sich geeignet gewesen sei, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen. Die "Gefährlichkeit der Verhältnisse" sei als "besonders verwerflich" anzusehen, zumal es sich bei der verletzten Person um ein 9-jähriges Kind gehandelt habe.
Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen. In der Begründung führte die belangte Behörde zunächst aus, auszugehen sei von dem von der Erstbehörde festgestellten Sachverhalt, wonach der Beschwerdeführer am 8. Jänner 2001 gegen 18.10 Uhr in Klagenfurt auf einer näher bezeichneten Kreuzung als Lenker eines dem Kennzeichen nach bezeichneten Kraftfahrzeuges einen Verkehrsunfall mit Personenschaden verursacht habe, indem er zwei Fußgängerinnen, die sich auf dem Schutzweg befunden hätten, das ungehinderte Überqueren der Kreuzung nicht ermöglicht und die 9- jährige M. angefahren und am Körper verletzt habe. Nach Wiedergabe von Aussagen der Zeugin H. und des Beschwerdeführers im gerichtlichen Strafverfahren sowie von Ausführungen im verkehrstechnischen Gutachten, das im Strafverfahren eingeholt worden war, führte die belangte Behörde aus, aus dem "festgestellten Sachverhalt" gehe hervor, dass der Beschwerdeführer sich bei Regen und künstlicher Beleuchtung einem Schutzweg genähert habe. Obwohl er nach eigener Aussage auf beiden Seiten des Schutzweges Fußgänger habe erkennen können, habe er seine Fahrgeschwindigkeit lediglich auf 30 bis 40 km/h reduziert. Unter den gegebenen Umständen sei diese Fahrgeschwindigkeit unangemessen hoch gewesen und hätte erheblich stärker reduziert werden müssen, um die Sicherheit von den Schutzweg überquerenden Personen gewährleisten zu können. Als Verhalten, das an sich geeignet sei, besonders gefährliche Verhältnisse zu schaffen, sei die Tatsache zu werten, dass der Beschwerdeführer auf die bereits auf dem Zebrastreifen befindliche Zeugin H. überhaupt nicht reagiert und erst in Reaktion auf das durch den Unfallvorgang verletzte Kind die Bremsung eingeleitet habe. Die Behauptung des Beschwerdeführers, das Kind sei ihm "ins Auto gelaufen", sei unter Berücksichtigung der Aussage der Zeugin H. nicht nachzuvollziehen. Das Kind habe zudem von der aus Fahrersicht linken Seite den Schutzweg überquert. Die Angaben des Beschwerdeführers über ein vor ihm fahrendes Fahrzeug und ein auf der Sperrfläche neben dem Schutzweg abgestelltes Fahrzeug seien als Schutzbehauptung anzusehen. "Unter Berücksichtigung der Erhebungen der Erstinstanz sowie der Ergebnisse des gerichtlichen Verfahrens" werde die Auffassung vertreten, dass der Sachverhalt für eine Entscheidung hinreichend geklärt gewesen sei. Insbesondere werde darauf verwiesen, dass eine Bindung an die strafgerichtliche Verurteilung bestehe. Auf Grund der Erwägungen gelte es für die Behörde als erwiesen, dass der Beschwerdeführer "den Tatbestand des § 7 Abs. 3 FSG erfüllt hat". Die Entziehung für die Dauer von drei Monaten sei im Hinblick auf die Verwaltungsübertretungen des Beschwerdeführers (beispielsweise nach § 99 Abs. 3 KFG 1967 am 20. Dezember 1999, § 8 Abs. 4 StVO 1960 am 17. Dezember 1999, § 20 Abs. 2 StVO 1960 am 17. Dezember 1999 oder § 16 Abs. 2a am 14. Oktober 1998) und unter Berücksichtigung des seither gezeigten Wohlverhaltens angemessen. Im Ergebnis sei also die Lenkberechtigung für drei Monate ab der Zustellung dieses Bescheides zu entziehen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Für den Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des Führerscheingesetzes - FSG von Bedeutung:
"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung
§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:
...
2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),
...
Verkehrszuverlässigkeit
§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand.
...
(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:
...
3. als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten und vergleichbaren Einrichtungen sowie auf Schutzwegen oder Radfahrerüberfahrten, das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen oder das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen;
...
(5) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.
...
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung
§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder ...
...
Dauer der Entziehung
§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.
...
(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. Wurden begleitende Maßnahmen gemäß § 24 Abs. 3 angeordnet, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung."
Die belangte Behörde vertritt die Auffassung, das Verschulden an dem Verkehrsunfall vom 8. Jänner 2001 stelle ein Verhalten des Beschwerdeführers dar, das an sich geeignet gewesen sei, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen. Diese Auffassung kann aus folgenden Überlegungen nicht geteilt werden:
Zunächst ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nicht wegen des Vergehens nach § 88 Abs. 1 und 4 zweiter Fall StGB verurteilt wurde. Dass das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 81 Z. 1 StGB) erfolgt ist, kann daher aus dem rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 16. Oktober 2001 nicht abgeleitet werden.
§ 7 Abs. 3 Z. 3 FSG erfordert zwar nicht, dass die Übertretung von Verkehrsvorschriften unter besonders gefährlichen Verhältnissen begangen wurde, es genügt vielmehr ein Verhalten, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen. § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG enthält eine beispielsweise Aufzählung derartiger Verhaltensweisen. Dass dem Beschwerdeführer eine erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf dem Schutzweg zur Last fällt, ist den Sachverhaltsfeststellungen des angefochtenen Bescheides nicht zu entnehmen. Nach dem Spruch des rechtskräftigen Urteiles des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 16. Oktober 2001 wird dem Beschwerdeführer die "Außerachtlassung der im Straßenverkehr notwendigen Vorsicht und Aufmerksamkeit" angelastet. Von einer erheblichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist darin keine Rede, sodass die belangte Behörde aus der Bindungswirkung dieses Urteiles, auf die sie hinweist, nichts ableiten kann. Nach den im angefochtenen Bescheid zitierten, im gerichtlichen Strafverfahren erstatteten Gutachten des Sachverständigen für Verkehrstechnik Dipl. Ing. W. hat der Beschwerdeführer auf das Erkennen der Losrennbewegung seitens des Kindes durch Einleitung einer Bremsung reagiert. Bei ordnungsgemäßer Reaktion des Beschwerdeführers auf die für ihn erkennbare Position der Zeugin H. hätte er bei ordnungsgemäßer Reaktion die Kollision vermeiden können. Als Ursache für den Unfall wird dem Beschwerdeführer im Gutachten demnach eine verfehlte bzw. verspätete Reaktion angelastet, nicht aber die erhebliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf dem Schutzweg, dies auch unter Berücksichtigung der damals herrschenden Witterungs- und Sichtverhältnisse. Reaktions- und Aufmerksamkeitsfehler allein - auch wenn aus ihnen ein Verkehrsunfall mit Personenschaden resultiert - gehören aber nicht zu den eine Charaktereigenschaft im Sinne des § 7 Abs. 1 FSG indizierenden Verhaltensweisen, wie schon ein Vergleich mit den in § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG angeführten Beispielen für Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, zeigt. Solche Fehler sind den in § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG genannten bestimmten Tatsachen auch nicht an Bedeutung und Schwere im Zusammenhang mit der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit gleichzuhalten. Es liegt demnach keine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 1 FSG vor, die Grundlage für die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers nach dieser Gesetzesstelle hätte bieten können.
Im Hinblick auf dieses Ergebnis brauchte nicht näher darauf eingegangen zu werden, ob das vom Beschwerdeführer am 8. Jänner 2001 gesetzte Verhalten unter Berücksichtigung der Wertungskriterien des § 7 Abs. 5 FSG, insbesondere der seit der Tat verstrichenen Zeit und des Verhaltens während dieser Zeit - der Beschwerdeführer war während dieser Zeit im Besitz der Lenkberechtigung und hat sich nach der Aktenlage wohlverhalten -, noch die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Auffassung hätte rechtfertigen können, dass der Beschwerdeführer nach wie vor verkehrsunzuverlässig sei und die Verkehrszuverlässigkeit erst am 19. Juni 2002, also fast eineinhalb Jahre nach der Tat, wieder erlangen werde (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 23. April 2002, Zl. 2001/11/0149).
Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Wien, am 8. August 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2002110089.X00Im RIS seit
07.10.2002Zuletzt aktualisiert am
22.09.2008