TE Vwgh Erkenntnis 2002/8/9 99/08/0080

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Veröffentlicht am 09.08.2002
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

B-VG Art130 Abs2;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der p GmbH in G, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte OEG in 1014 Wien, Tuchlauben 13, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 20. April 1999, Zl. 120.808/2-7/99, betreffend Übertragung der vorläufigen Durchführung der Versicherung und Erbringung von Leistungen gemäß § 413 Abs. 5 ASVG (mitbeteiligte Parteien: 1.) Steiermärkische Gebietskrankenkasse, vertreten durch Dr. Helmut Destaller, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Grazbachgasse 5; 2.) Betriebskrankenkasse P, vertreten durch Foglar-Deinhardstein & Brandstätter KEG, Rechtsanwälte in 1015 Wien, Plankengasse 7; 3.) bis 410.) 408 in der Anlage des Bescheides des Landeshauptmannes von Steiermark vom 11. März 1999 genannte Dienstnehmer), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der beschwerdeführenden Gesellschaft Aufwendungen von EUR 908,-- binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführende Gesellschaft hat 408 am selben Standort beschäftigte Mitarbeiter am 19. Jänner 1999 von der zweitmitbeteiligten Betriebskrankenkasse (in der Folge kurz: Betriebskrankenkasse), bei der diese Mitarbeiter bis dahin krankenversichert waren, abgemeldet und am selben Tag bei der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse angemeldet.

Am 29. Jänner 1999 beantragte die Betriebskrankenkasse die Einleitung des Verwaltungsverfahrens gemäß § 413 Abs. 1 Z 2 ASVG zur Klärung der Frage, welchem Versicherungsträger die genannten Dienstnehmer der beschwerdeführenden Gesellschaft zugehörten. Gleichzeitig wurde ersucht, die Betriebskrankenkasse bis zur Rechtskraft der Zugehörigkeitsentscheidung "aus zweckmäßigen und verwaltungstechnischen Gründen mit der vorläufigen Durchführung zu betrauen (§ 413 Abs. 1 Z. (gemeint: Abs.) 5 ASVG)".

Mit Bescheid vom 8. Februar 1999 übertrug der Landeshauptmann von Steiermark die vorläufige Durchführung der Krankenversicherung und die Erbringung der in Betracht kommenden Leistungen hinsichtlich der bei der beschwerdeführenden Gesellschaft am Standort H. beschäftigten Dienstnehmer (die 3. bis 410. Mitbeteiligten) bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Versicherungszuständigkeit für diese Dienstnehmer der Betriebskrankenkasse. Nach der Begründung habe die Betriebskrankenkasse für die Beschäftigten der beschwerdeführenden Gesellschaft am Standort H. bereits bisher die Krankenversicherung durchgeführt und die entsprechenden Leistungen erbracht, weshalb sie auch weiterhin mit der vorläufigen Durchführung der Krankenversicherung und mit der Erbringung der in Betracht kommenden Leistungen zu betrauen gewesen seien.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung verwies die beschwerdeführende Gesellschaft auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Oktober 1995, Zl. 94/08/0110, und auf den auf Grundlage dieses Erkenntnisses erlassenen Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 7. Oktober 1998, Zl. 5- s 33 h 13/25-96, wonach die nunmehr beschwerdeführende Gesellschaft als Käuferin nicht Gesamtrechtsnachfolgerin einer der Betriebskrankenkasse als Betriebsunternehmerin angehörenden Gesellschaft sei, somit nicht Betriebsunternehmerin im Sinne des § 454 Abs. 1 ASVG sein könne. Die gegen den Bescheid vom 7. Oktober 1998 von der Betriebskrankenkasse erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 20. Dezember 2001, Zl. 98/08/0367, mit der im Wesentlichen gleichen Begründung abgewiesen und auch darauf verwiesen, dass die mit Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 22. November 1995 genehmigte Satzung der Betriebskrankenkasse mangels Regelung eines Personenkreises, für die die Satzung gelten soll, jedenfalls nicht für die beschwerdeführende Gesellschaft gilt, weshalb die Satzung nicht die Wirkung hatte, die beschwerdeführende Gesellschaft zur Betriebsunternehmerin der Kasse werden zu lassen.

Mit Bescheid vom 8. März 1999 hat die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid vom 8. Februar 1999 behoben, weil dieser die Dienstnehmer, deren Versicherungszugehörigkeit vorläufig geklärt werden sollte, nicht konkret bezeichnete.

Mit Bescheid vom 11. März 1999 erließ der Landeshauptmann von Steiermark einen mit dem aufgehobenen Bescheid vom 8. Februar 1999 inhaltlich gleich lautenden Bescheid, schloss diesem aber nunmehr eine Namensliste jener Dienstnehmer an, über deren Versicherungszuständigkeit vorläufig abgesprochen wurde.

Der (neuerlichen) Berufung der beschwerdeführenden Gesellschaft gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. In der Begründung dieses Bescheides fasste die belangte Behörde das Verwaltungsgeschehen zusammen und nahm folgenden Sachverhalt als erwiesen an: "Die Dienstnehmer der (beschwerdeführenden Gesellschaft) waren bis 19.1.1999 bei der (Betriebskrankenkasse) krankenversichert. Per 20.1.1999 wurden sie vom Dienstgeber dort ab- und bei der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse angemeldet. Sozialgerichtliche Verfahren betreffend Leistungsansprüche von Dienstnehmern sind nicht anhängig." In der rechtlichen Beurteilung, in der die belangte Behörde auch zu anderen in der Berufung aufgeworfenen - allerdings für das vorliegende Verfahren bedeutungslosen - Fragen Stellung nahm, führte die belangte Behörde zu dem von ihr geübten freien Ermessen aus, dass der Sinn der Bestimmung des § 413 Abs. 5 ASVG darin zu sehen sei, "in der praktischen Durchführung der Versicherung durch die unterschiedliche Beurteilung der Versicherungszuständigkeit durch die Beteiligten den Dienstnehmern keinen Nachteil im Sinne einer Unsicherheit, wer für die Durchführung der Krankenversicherung und die Erbringung der Leistungen zuständig ist, aufkommen zu lassen. In diesem Sinne ist der Begründung des Landeshauptmannes von Steiermark zuzustimmen, dass die Kontinuität der Zuständigkeit verspricht, diesem Zweck am meisten zu dienen. Die Tatsache, dass die beschwerdeführende Gesellschaft die Dienstnehmer bereits bei der Betriebskrankenkasse ab- und bei der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse angemeldet hat, steht dieser Einschätzung nicht entgegen, da durch den relativ kurzen Zeitraum, der seit der ‚Ummeldung? vergangen ist, und dem Wissen der Beteiligten um die Strittigkeit der Zuständigkeit die Verbundenheit mit dem jahrelang zuständigen Krankenversicherungsträger jedenfalls noch stärker gegeben ist als mit der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse." Der Antrag der Betriebskrankenkasse - so die belangte Behörde weiter - sei wegen der zu wahrenden Kontinuität so zu verstehen, dass die vorläufige Durchführung ab 20. Jänner 1999 zu beginnen habe und mit der Rechtskraft der Entscheidung über die Versicherungszuständigkeit beendet sein werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Weitere Gegenschriften wurden von den erst- und zweitmitbeteiligten Parteien sowie vom Betriebsrat der beschwerdeführenden Gesellschaft eingebracht, in denen ebenfalls die Abweisung der Beschwerde beantragt wird. Darauf erstattete die beschwerdeführende Gesellschaft eine Replik.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des ASVG lauten auszugsweise:

"§ 4. (1) In der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sind auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet:

1. die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer; ...

§ 10. (1) Die Pflichtversicherung der Dienstnehmer ... beginnt unabhängig von der Erstattung einer Anmeldung mit dem Tag des Beginnes der Beschäftigung ...

§ 11. (1) Die Pflichtversicherung der in § 10 Abs. 1 bezeichneten Personen erlischt ... mit dem Ende des Beschäftigungs- , Lehr- oder Ausbildungsverhältnisses. Fällt jedoch der Zeitpunkt, an dem der Anspruch auf Entgeld endet, nicht mit dem Zeitpunkt des Endes des Beschäftigungsverhältnisses zusammen, so erlischt die Pflichtversicherung mit dem Ende des Entgeltanspruches.

§ 23. (1) Träger der Krankenversicherung nach diesem Bundesgesetz sind:

1.

die Gebietskrankenkasse;

2.

die Betriebskrankenkassen;

...

(5) Die Träger der Krankenversicherung im Sinne des Abs. 1 führen die Krankenversicherung nach den Vorschriften dieses Bundesgesetzes durch ...

§ 26. (1) Zur Durchführung der Krankenversicherung sind ... sachlich zuständig:

1. die Gebietskrankenkassen, soweit nicht einer der unter Z 3 bis 5 genannten Versicherungsträger zuständig ist;

...

3. die Betriebskrankenkassen

a) für Beschäftigte in Betrieben, für die sie errichtet sind, und für die in den Einrichtungen der Betriebskrankenkassen zur Krankenbehandlung Beschäftigten; ...

§ 33. (1) Die Dienstgeber haben jeden von ihnen beschäftigten, nach diesem Bundesgesetz in der Krankenversicherung Pflichtversicherten (Vollversicherte und Teilversicherte) bei Beginn der Pflichtversicherung (§ 10) unverzüglich beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden und binnen sieben Tagen nach dem Ende der Pflichtversicherung abzumelden. ...

§ 413. (1) Der Landeshauptmann entscheidet

1.

über die bei ihm eingebrachten Einsprüche und Vorlageanträge,

2.

unter Ausschluss eines Bescheidrechtes der beteiligten Versicherungsträger über die Versicherungszugehörigkeit oder Versicherungszuständigkeit, in der Pensionsversicherung auch über die Leistungszugehörigkeit oder Leistungszuständigkeit auf Antrag eines beteiligten Versicherungsträgers, einer Partei oder eines Gerichts, wenn Zweifel oder Streit darüber bestehen, welcher Versicherung eine Person versicherungs- oder leistungszugehörig ist oder welcher Versicherungsträger für sie versicherungs- oder leistungszuständig ist.

...

(3) Die rechtskräftige Entscheidung nach Abs. 1 Z 2 über die Versicherungszuständigkeit wirkt in der Krankenversicherung nur für künftig fällige Beitragsleistungen und künftig eintretende Versicherungsfälle.

...

(5) In den Fällen des Abs. 1 Z 2 hat der Landeshauptmann die vorläufige Durchführung und, wenn ein gerichtliches Verfahren nicht anhängig ist, die Erbringung der in Betracht kommenden Leistungen bis zur Rechtskraft der Entscheidung nach Abs. 1 Z 2 einem Versicherungsträger nach freiem Ermessen zu übertragen. Der mit der vorläufigen Durchführung der Versicherung betraute Versicherungsträger hat darauf Bedacht zu nehmen, dass das Ausmaß der ihm zur Erbringung übertragenen vorläufigen Leistung die voraussichtliche endgültige Leistung nicht übersteigt. Ist ein gerichtliches Verfahren anhängig, so ist, nach der Übertragung der Durchführung der Versicherung an einen Versicherungsträger durch den Landeshauptmann, auch dieser Versicherungsträger Beklagter und ihm gegenüber der § 74 Abs. 2 des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes sinngemäß anzuwenden. Die vorläufigen Beiträge und Leistungen sind auf die endgültigen Beiträge und Leistungen anzurechnen. Die beteiligten Versicherungsträger haben binnen drei Monaten nach Rechtskraft der Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit miteinander abzurechnen."

§ 413 Abs. 5 erster Satz ASVG räumt dem Landeshauptmann bei der Übertragung der vorläufigen Durchführung der Versicherung und der Erbringung von Leistungen freies Ermessen ein.

Art. 130 Abs. 2 B-VG normiert für die Überprüfung von Ermessensentscheidungen einen besondern Prüfungsmaßstab. Eine Ermessensentscheidung kann nur dann als rechtswidrig erkannt werden, wenn die Behörde nicht "im Sinne des Gesetzes", also im Sinne der dem Gesetz entnehmbaren Kriterien der Ermessensübung, entschieden hat. Im Hinblick auf diese Einschränkung seiner Befugnis hat der Verwaltungsgerichtshof nur zu prüfen, ob die Behörde unter Einbeziehung der genannten Kriterien eine vertretbare Lösung gefunden hat oder ob ihr ein Ermessensfehler zum Vorwurf gemacht werden muss, das heißt, ob sie bei der Ermessensübung zu berücksichtigende Umstände unbeachtet gelassen, unsachliche Ermessenskriterien herangezogen, die gebotene Abwägung überhaupt unterlassen oder dabei das Gewicht der abzuwägenden Sachverhaltselemente grob verkannt hat (vgl. das Erkenntnis vom 20. Februar 2002, Zl. 97/08/0442).

Gemäß dem zitierten Erkenntnis vom 20. Dezember 2001, Zl. 98/08/0367, kann die beschwerdeführende Gesellschaft schon auf Grund der Satzung der Betriebskrankenkasse nicht Betriebsunternehmerin der Betriebskrankenkasse sein; somit können die bei der beschwerdeführenden Gesellschaft Beschäftigten nicht bei der Betriebskrankenkasse (kranken)versichert sein. Der angefochtene Bescheid ist schon deshalb rechtswidrig, weil er entgegen der im Rang einer Verordnung stehenden Satzung der Betriebskrankenkasse (vgl. Teschner-Widlar, ASVG, Anm. 2 ff zu § 455) die Beschäftigten der beschwerdeführenden Gesellschaft der Betriebskrankenkasse vorläufig zuweist. Indem die belangte Behörde bei ihrer vorläufigen Zuständigkeitsentscheidung die Satzung der Betriebskrankenkasse nicht berücksichtigte, hat sie einen zu beachtenden Umstand nicht in ihre Überlegungen einbezogen und dadurch einen Ermessensfehler begangen.

Auf Grund dieser Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Wien, am 9. August 2002

Schlagworte

Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Ermessensentscheidungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999080080.X00

Im RIS seit

29.11.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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