TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/3 99/09/0212

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Veröffentlicht am 03.09.2002
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
25/01 Strafprozess;
40/01 Verwaltungsverfahren;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §66 Abs4;
BDG 1979 §124;
BDG 1979 §125a Abs3 Z5;
BDG 1979 §126 Abs1;
BDG 1979 §43 Abs2;
BDG 1979 §45 Abs3;
BDG 1979 §53 Abs1;
BDG 1979 §54 Abs1;
BDG 1979 §91;
B-VG Art126b Abs5;
B-VG Art127 Abs1;
B-VG Art127a Abs1;
B-VG Art127a Abs7;
MRK Art10;
StPO 1975 §84;
StPO 1975 §86;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Walter Riedl, Dr. Peter Ringhofer, Dr. Martin Riedl und Dr. Georg Riedl in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 20. Juli 1999, Zl. 57/9-DOK/99, betreffend Disziplinarstrafe der Geldstrafe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung, sohin der Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Schuldspruch nach den Anschuldigungspunkten 2, 4, 5, 6, 7 und 8 des erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnisses sowie in seinem Strafausspruch, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der im Jahr 1940 geborene Beschwerdeführer steht als Amtsrat in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund; seine Dienststelle ist nunmehr ein Finanzamt.

Mit Disziplinarerkenntnis vom 27. April 1999 hat die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen (Senat IX) den Beschwerdeführer nach durchgeführter mündlicher Verhandlung der Verletzung seiner Dienstpflichten gemäß den §§ 43 Abs. 1, 43 Abs. 2 und 44 Abs. 1 BDG 1979 in Verbindung mit § 91 BDG 1979 wie folgt schuldig erkannt:

"Amtsrat H ist schuldig,

1. sich gegenüber Herrn OMR Dr. X, Vertrauensarzt der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (in der Folge: FLD WNB) anlässlich einer Untersuchung am 23. Juni 1995 mit den Worten: 'Herr HR Dr. E ist eine Kreatur, ich lasse mich von ihm nicht umbringen' geäußert zu haben;

2. gegenüber Herrn HR Dr. P in seiner damaligen Dienststelle am 26. Juni 1995 anlässlich der Einreichung eines Urlaubsantrages geklagt zu haben, dass ihn die Finanzverwaltung vom Bundesministerium für Inneres zurückholen wolle (trotz seiner großen Erfolge) und sich weiters dahingehend geäußert zu haben, dass er unter keinen Umständen weiter im Finanzdienst tätig sein wolle und den Herrn Vizepräsidenten Dr. E verdächtigt zu haben, 'hinter der ganzen Aktion zu stehen', also seine Rückholung verursacht zu haben, in diesem Zusammenhang gesagt zu haben, er werde versuchen, ihn, den Herrn Vizepräsidenten Dr. E, zu vernichten;

3. gegenüber Herrn OR Dr. R, Frau ADir. B und Herrn HR Dr. Z am 17. Oktober 1995 anlässlich der Einvernahme als Verdächtiger über Vorhalt des im Punkt 1. genannten Ausspruches '...' gesagt zu haben: 'Das habe ich gesagt, dazu stehe ich heute noch, er (Vizepräsident Dr. E) ist nichts anderes, er ist kein Mensch';

4. gegenüber Herrn OR Dr. R, Frau ADir. B und Herrn HR Dr. Z am 17. Oktober 1995 anlässlich der Einvernahme als Verdächtiger gesagt zu haben, dass er sich auch deshalb krank fühle, weil ihn Vizepräsident Dr. E seit ungefähr zehn Jahren in miesester Art schikaniere, auch habe Vizepräsident Dr. E seine Karriere vernichtet. Weiters im Zusammenhang mit einer Anzeige gegen Herrn Vizepräsident Dr. E geäußert zu haben: "Was mir der angetan hat und was ich durch ihn Geld verloren habe";

5. gegenüber Herrn AR S am 23. Oktober 1995 bei seinem Amtsantritt beim Zollamt Wien vorgebracht zu haben, Vizepräsident E, dem er sämtliche Schuld an seiner nunmehrigen Verwendung zuwies, habe sich auf ihn eingeschossen und sei nur bestrebt, ihm dienstlich zu schaden, so habe er auch keine Chance, im Finanzamtsbereich etwas zu werden, es solle aber nicht nur ihm so gehen, Vizepräsident Dr. E solle auch andere Finanzbedienstete benachteiligen, Vizepräsident Dr. E sei, insbesondere bei Postenbestellungen korrupt;

6. seine mittelbaren Vorgesetzen, nämlich den Herrn Präsidenten der FLD WNB, Dr. F und den Herrn Vizepräsidenten der FLD WNB, Dr. E, in einer am 8. März 1994 bei der Staatsanwaltschaft Wien eingelangten Anzeige zu Unrecht beschuldigt zu haben, Straftaten und Dienstpflichtverletzungen begangen zu haben;

7. seine mittelbaren Vorgesetzten, nämlich den Herrn Präsidenten der FLD WNB, Dr. F und den Herrn Vizepräsidenten der FLD WNB, Dr. E, in zwei am 26. April 1995 bei der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, Einsatzgruppe der Gruppe D, zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (in der Folge: EDOK) eingelangten Anzeige zu Unrecht beschuldigt zu haben, Straftaten und Dienstpflichtverletzungen begangen zu haben;

8. am 18. März 1996 seinen mittelbaren Vorgesetzten, Herrn Vizepräsidenten Dr. Josef E gegenüber Herrn HR Mag. Y einer Straftat verdächtigt zu haben."

Wegen dieser Dienstpflichtverletzungen verhängte die Disziplinarkommission erster Instanz über den Beschwerdeführer gemäß § 92 Abs. 1 Z. 3 BDG 1979 in Verbindung mit § 126 Abs. 2 BDG 1979 die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in der Höhe von S 188.410,--, "sohin in Höhe von fünf Monatsbezügen unter Ausschluss der Haushaltszulage".

Gegen dieses Disziplinarerkenntnis erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er stellte in diesem Rechtsmittel den Antrag, das Disziplinarerkenntnis dahin abzuändern, dass "ich hinsichtlich jener Anschuldigungen frei gesprochen werde, die im ersten Teil seines Spruches (Seite 1 bis Seite 2 Mitte) unter den Punkten 2, 4, 5, 6, 7 und 8 angeführt sind; ausgehend davon wolle im Sinne des § 115 BDG 1979 von jedem Strafausspruch Abstand genommen werden". Hilfsweise stellte der Beschwerdeführer den Antrag, im Falle eines Schuldspruches im Sinne aller Anschuldigungspunkte von einem Strafausspruch abzusehen oder die Strafe schuldangemessen herabzusetzen.

Auch der Disziplinaranwalt erhob Berufung gegen das Disziplinarerkenntnis im Umfang des Strafausspruches und stellte in diesem Rechtsmittel den Antrag, über den Beschwerdeführer die Disziplinarstrafe der Entlassung zu verhängen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 20. Juli 1999 wurde über diese Berufungen in nichtöffentlicher Sitzung wie folgt entschieden:

"1. Die Berufung des Beschuldigten sowie die Berufung des Disziplinaranwaltes werden abgewiesen. Das erstinstanzliche Erkenntnis wird vollinhaltlich bestätigt.

2. Den Beschuldigten aufzuerlegende Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht erwachsen.

3. Die Veröffentlichung der Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 128 Abs. 1 zweiter Satz BDG 1979 ausgeschlossen."

Zur Begründung der Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Schuldspruch des erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnisses führte die belangte Behörde - nach Darstellung des erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnisses, der Berufungsvorbringen und der Gegenäußerung des Beschwerdeführers zur Berufung des Disziplinaranwaltes - Folgendes aus:

"Festzuhalten ist, dass die Punkte 1. und 3. des Schuldspruches nicht bekämpft wurden. Die zu Punkt 2. des Schuldspruches getätigten Aussagen des Beschuldigten wurden von HR Dr. P als Zeuge bestätigt. Die Behauptung in der Berufung, es würde sich bei jenem Teil der Aussage, wonach der Beschuldigte Dr. E vernichten wolle, um ein Missverständnis handeln, stellt sich als Schutzbehauptung dar, da die Zeugenaussage von HR Dr. P als glaubwürdig anzusehen ist. Das Vorbringen in der Berufung, dem Punkt 4. würde jede Tatbestandsmäßigkeit fehlen, zeigt auf, dass auch der Beschuldigte sehr wohl vom vorgeworfenen Sachverhalt ausgeht, dass dieses Verhalten jedoch eine Dienstpflichtverletzung darstellt, hat die Erstinstanz sehr ausführlich in der Begründung des Erkenntnisses ab Seite 16 ff dargelegt. Der erkennende Senat schließt sich den Ausführungen der Erstinstanz vollinhaltlich an. Wenn der Beschuldigte in seiner Berufung vorbringt, dass Äußerungen von ihm direkt gesammelt worden seien und die Wahrscheinlichkeit einzelner Missverständnisse um so größer sei, je umfangreicher und zahlreicher die Äußerungen seien, so bleibt die Tatsache bestehen, dass die zu Punkt 5. des Schuldspruches wiedergegebenen Äußerungen des Beschuldigten von Amtsrat S als Zeuge bestätigt wurden. Nach Ansicht des erkennenden Senates kann dieses Vorbringen, das sehr global ist, die Glaubwürdigkeit des Zeugen und die zu Recht von der Erstinstanz getroffene Konklusion einer Dienstpflichtverletzung nicht entkräften. Auch das Argument in der Berufung, die Anschuldigungen laut Punkt 8. des Erkenntnisses würden durch die Begründung nicht gedeckt, kann der erkennende Senat nicht folgen, zumal auch diese Aussage durch Zeugen HR Mag. Y bestätigt wurde. Das Vorbringen in der Berufung, dass die Tatbestandsmäßigkeit deshalb fehlen würde, weil die Äußerungen in kollegialen Gesprächen gefallen seien und durch den Schuldspruch schwerstens gegen die Meinungsfreiheit verstoßen worden sei, geht deshalb ins Leere, da es für die gute Zusammenarbeit in einer Behörde geboten ist, dass jeder Beamte seinen Kollegen und Vorgesetzten mit der Achtung und Hilfsbereitschaft begegnet, die er selbst von ihnen erwartet. Auch wenn es richtig ist, dass an spontane mündliche Äußerungen geringere Anforderungen zu stellen sind als an schriftliche, so ist nach Ansicht des erkennenden Senates mit den unter Punkt 1. bis 5. sowie 8. des Schuldspruches getroffenen Äußerungen des Beschuldigten die Grenze der Pflichtwidrigkeit erreicht, da dadurch die menschliche Würde der Vorgesetzten verletzt wurde sowie der Betriebsfriede und die dienstliche Zusammenarbeit ernstlich gestört wurde. Auch wenn der Beschuldigte subjektiv meinte, dass Dr. E ihn ungerecht behandelt hätte, kann dies nicht dazu führen, dass im Kollegenkreis und gegenüber Dritten massivste Vorwürfe über einen längeren Zeitraum verbreitet werden. Dass dadurch eine Störung des Betriebsfriedens eintritt, ist für den erkennenden Senat evident.

Zu den anonymen Anzeigen und der dazu getroffenen Würdigung der Erstinstanz (ab Seite 13 des Erkenntnisses) bestreitet der Beschuldigte in der Berufung nicht, dass die anonymen Anzeigen vom selben Autor stammen. Nach Ansicht des erkennenden Senates sind auch die zu Punkt 2. und 3. der Würdigung der Erstinstanz vorgebrachten Argumente in der Berufung zu allgemein, um einen Begründungsmangel aufzeigen zu können. Zu Punkt 4. bestreitet der Beschuldigte auch gar nicht, die EKIS-Anfrage betreffend den KFZ-Ankauf durch den Vizepräsidenten Dr. E gemacht zu haben. Der Beschuldigte war vom 1. November 1994 bis 31. Mai 1995 der EDOK im BMI zugeteilt. Die EKIS-Anfrage wurde am 8. November 1994 durch den Beschuldigten veranlasst. Dass der Beschuldigte acht Tage nach seinem Dienstantritt bei der EDOK, obwohl unbestrittenermaßen die Anzeigen an die EDOK betreffend Dr. E erst am 26. April 1995 eingingen und vor diesem Zeitpunkt sicherlich keinerlei Beauftragung für eine solche EKIS-Anfrage vorhanden war, stellt sich für den erkennenden Senat als äußerst schweres Indiz für die Verfassung der anonymen Anzeigen durch den Beschuldigten dar. Zwar mag es - wie in der Berufung vorgebracht - durchaus richtig sein, dass auch andere Personen über den KFZ-Ankauf wussten, eine Begründung, warum der Beschuldigte diese EKIS-Anfrage ohne dienstlichen Auftrag tätigte, konnte er jedoch nicht geben. Wenn der Beschuldigte, wie die Disziplinarkommission auch ausführte, angab, gleich nach Dienstantritt bei der EDOK beauftragt worden zu sein, den 'Feinschliff' zu diesen Anzeigen zu machen, so widerspricht dies eindeutig den Tatsachen. Wie oben ausgeführt, trat der Beschuldigte seinen Dienst bei der EDOK am 1. November 1994 an, die Anzeigen an die EDOK gingen erst am 26. April 1995 bei der EDOK ein. Es ist daher denkunmöglich, dass der Beschuldigte gleich nach Dienstantritt zu irgendwelchen Erhebungen bezüglich dieser Anzeigen aufgefordert worden ist. Die Behauptung in der Berufung, dass der Beschuldigte dann, wenn er selbst der Verfasser der Anzeigen gewesen sei, sich nicht darin irren hätte können, dass die Anzeige bei seinem Dienstantritt bei der EDOK schon vorgelegen wäre, vermag auf Grund des objektiv festgestellten Sachverhaltes nur darzulegen, dass seine Behauptung, er hätte den 'Feinschliff' zu diesen Anzeigen zu einem Zeitpunkt, als diese Anzeigen noch gar nicht bei der EDOK eingelangt waren, lediglich eine Schutzbehauptung ist. Auch wenn, wie in der Berufung ausgeführt wurde, die EDOK bestätigt hatte, dass der Beschuldigte auch ohne Ermittlungen zur Klärung von Verdächtigungen Kontakt aufnehmen hätte können, so bedeutet dies auf Grund des zeitlichen Ablaufes, dass diese Aussage sich lediglich auf die allgemeine Tätigkeit im Rahmen der EDOK bezog, es jedoch denkunmöglich ist, auch nur 'Kontakte aufzunehmen', ohne dass ein erhebungsrelevanter Sachverhalt vorliegt. Der Schlussfolgerung der Erstinstanz, dass der Beschuldigte im Rahmen seiner Tätigkeit bei der EDOK Kenntnisse aus dieser Tätigkeit verwertete, vermag der erkennende Senat zu folgen. In der Berufung wird wörtlich ausgeführt: 'Hier ist zu ergänzen, dass ich zum Zeitpunkt meines Gespräches mit U anfangs April 1995 naturgemäß das Konvolut anonymer Anzeigen mithatte, das mir bei der EDOK anvertraut worden war.' Diese Behauptung in der Berufung stützt gerade jene Ansicht der Disziplinarkommission, dass der Beschuldigte selbst die anonymen Anzeigen vorbereite, da es denkunmöglich ist, dass der Beschuldigte bereits Anfang April 1995 ein Konvolut anonymer Anzeigen bei einem Gespräch mit OR U mithatte, da diese Anzeigen erst am 26. April 1995 bei der EDOK einlangten. Das Gespräch mit OR U fand jedoch schon zwischen

3. und 6. April 1995 statt. Überdies wurden die bei der EDOK eingelangten Anzeigen vom 26. April sofort mittels Dienstzettel vom 2. Mai 1995 an die Staatsanwaltschaft Wien weitergeleitet, da mangels Kompetenz die EDOK dazu keine Ermittlungen führte. Es ist daher denkunmöglich, dass irgendwelche Erhebungen seitens der EDOK mangels Zuständigkeit erfolgt sind. Dass der Beschuldigte zu Erhebungen beauftragt worden sei, ist daher eine reine Schutzbehauptung, da es unglaubwürdig ist, dass die EDOK als unzuständiges Organ Erhebungen pflegt. Auch die rasche Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft Wien stützt die Überlegungen der Erstinstanz.

Insgesamt ist der erkennende Senat der Ansicht, dass die Disziplinarkommission in schlüssiger Weise darlegte, dass die anonymen Anzeigen vom Beschuldigten verfasst wurden.

...

Auf Grund der Tatsache, dass die Disziplinarkommission umfassend und schlüssig darlegte, weshalb von der Verfassung der anonymen Anzeigen durch den Beschuldigten auszugehen sei und auch die Berufungsausführungen die von der Erstinstanz getroffenen Feststellungen nicht entkräften konnten, war die Einholung eines Sachverständigengutachtens entbehrlich.

Die Vorbringen in der Berufung ab Seite 13 hinsichtlich des Wesens der Korruption und der Sinnhaftigkeit von anonymen Anzeigen können jene Ausführungen der Erstinstanz zur rechtlichen Würdigung des Sachverhalts nicht entkräften. Der erkennende Senat schließlich sich vollinhaltlich den rechtlichen Ausführungen der Disziplinarkommission an. Auch dass die Staatsanwaltschaft die gegen den Beschuldigten erstattete Strafanzeige zurücklegte, vermag nicht dazu führen, dass die festgestellten Handlungsweisen des Beschuldigten nicht einer disziplinarrechtlichen Würdigung unterzogen werden, da selbst bei einem nicht unter das Strafrecht zu subsumierenden Verhalten weiterhin die Beurteilung auf Grund des Disziplinarrechtes offen bleibt. Insgesamt war auf Grund obiger Erwägungen daher davon auszugehen, dass die unter Punkt 1. bis 8. getroffenen Feststellungen der Disziplinarkommission zu Recht erfolgt sind und auch die Würdigung des Verhaltens des Beschuldigten in rechtlicher Hinsicht keine Begründungsmängel aufweist."

Die weitere Begründung betrifft die Abweisung beider Berufungen gegen den Strafausspruch.

Gegen diesen Bescheid - allerdings nur im Umfang der Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers - richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid nach dem so bezeichneten Beschwerdepunkt in dem Recht verletzt, "nicht ohne Vorliegen der Voraussetzungen nach § 91 ff BDG 1979 einer schuldhaften Dienstpflichtverletzung als schuldig erkannt zu werden und nicht mit einer höheren Strafe belegt zu werden, als nach diesen Gesetzesbestimmungen vorgesehen durch unrichtige Anwendung dieser Gesetzesbestimmungen (insbesondere §§ 91, 93) sowie durch unrichtige Anwendung der Verfahrensvorschriften über die Sachverhaltsermittlung, das Parteiengehör und die Bescheidbegründung". Er beantragt, den angefochtenen Bescheid - erkennbar jedoch nur im Umfang seiner Anfechtung - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erklärte von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand zu nehmen und stellte den Antrag, die Beschwerde (unter Zuerkennung des verzeichneten Vorlageaufwandes) kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 43 Abs. 1 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979), BGBl. Nr. 333, ist der Beamte verpflichtet, seine dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu, gewissenhaft und unparteiisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus eigenem zu besorgen.

Nach dem Abs. 2 dieser Gesetzesstelle hat der Beamte in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt.

Gemäß § 44 Abs. 1 BDG 1979 hat der Beamte seine Vorgesetzten zu unterstützen, und ihre Weisungen, soweit verfassungsgesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zu befolgen. Vorgesetzter ist jeder Organwalter, der mit der Dienst- oder Fachaufsicht über den Beamten betraut ist (die Abs. 2 und 3 leg. cit. betreffend Ausnahmen von der Weisungsgebundenheit bzw. die Ablehnung der Befolgung einer Weisung).

Der Beamte, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, ist gemäß § 91 BDG 1979 nach dem 9. Abschnitt (Disziplinarrecht) dieses Gesetzes zur Verantwortung zu ziehen. Gemäß § 125a Abs. 3 Z. 5 BDG 1979 (idF der 1. Dienstrechtsnovelle 1998, BGBl. I Nr. 123/1998) kann ungeachtet eines Parteiantrages von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der Disziplinaroberkommission Abstand genommen werden, wenn der Sachverhalt nach der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint.

Wenn eine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde, hat die Disziplinarkommission gemäß § 126 Abs. 1 BDG 1979 bei der Beschlussfassung über das Disziplinarerkenntnis nur auf das, was in der mündlichen Verhandlung vorgekommen ist, sowie auf eine allfällige Stellungnahme des Beschuldigten gemäß § 125a Abs. 4 Rücksicht zu nehmen. Dies gilt auch für die Disziplinaroberkommission, wenn eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden ist.

Die belangte Behörde hat vorliegend in nichtöffentlicher Sitzung über die Berufung des Beschwerdeführers entschieden. Sie hat dabei allerdings die Rechtslage dahingehend verkannt, dass der Beschwerdeführer im Umfang der Anfechtung u.a. auch den Sachverhalt in seinem Rechtsmittel bestritten bzw. auch gerügt hat, dass wesentliche Tatsachenfeststellungen (auf Grund unrichtiger rechtlicher Beurteilung) gar nicht getroffen wurden oder der Klärung in einer mündlichen Verhandlung bedurft hätten (vgl. § 125a BDG 1979). Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides hat der Beschwerdeführer den Schuldspruch lediglich im Umfang der Anschuldigungspunkte 1 und 3 nicht bekämpft, im Übrigen (also hinsichtlich der Anschuldigungspunkte 2, 4, 5, 6, 7 und 8) den Sachverhalt sehr wohl bestritten. Die vom festgestellten Sachverhalt ganz oder teilweise abweichenden (bzw. die erstinstanzliche Tatsachengrundlage in Zweifel ziehenden) Berufungsausführungen hat die belangte Behörde - ohne sich allerdings von den dafür begründend herangezogenen Aussagen einen persönlichen Eindruck zu verschaffen - mit eigenständiger Beurteilung etwa als "Schutzbehauptung", "glaubwürdig" oder "unglaubwürdig" gewürdigt. Diese Beweiswürdigung (der Ergebnisse des erstinstanzlichen Verfahrens) ohne die Durchführung eines eigenen Ermittlungsverfahrens verletzt den Grundsatz der Unmittelbarkeit (§ 126 Abs. 1 BDG 1979). Es war daher rechtswidrig - ohne dass auf die im Rahmen dieser Beweiswürdigung angestellten Erwägungen eingegangen zu werden braucht -, wenn die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung über die Berufung des Beschwerdeführers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung den von der Disziplinarkommission erster Instanz festgestellten Sachverhalt zugrunde gelegt und darauf aufbauend das Rechtsmittel des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen hat (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 6. Juni 2001, Zl. 98/09/0317). Schon wegen dieser in Verkennung der Rechtslage rechtswidrig angenommenen Sachverhaltsgrundlage war der angefochtene Bescheid im Umfang seiner Anfechtung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich des Weiteren aus verfahrensökonomischen Erwägungen veranlasst, auch auf folgende Argumente der Beschwerde inhaltlich einzugehen:

Insoweit dem Beschwerdeführer vorgeworfen wurde, er habe - als pflichtwidrig eingestufte - Äußerungen abgegeben und am Vizepräsident der Finanzlandesdirektion unzulässige Kritik geübt, haben die Disziplinarbehörden (in rechtlicher Hinsicht) unberücksichtigt gelassen, dass Kritik an der eigenen Behörde durch einen Beamten nicht nur als durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt anzusehen ist, sondern auch als notwendiges Mittel zur Optimierung der Verwaltung im Sinne der in den Art. 126b Abs. 5, 127 Abs. 1 und 127a Abs. 1 und Abs. 7 B-VG bestimmten Grundsätze anzusehen ist. Ob die Kritik des Beamten - mag sie von der kritisierten Behörde bzw. den kritisierten Präsidenten oder Vizepräsidenten auch als unrichtig, widerlegbar oder scharf empfunden werden - objektiv richtig oder unrichtig war, oder ob dem Beamten der Wahrheitsbeweis für seine Meinung gelungen ist, kann dahingestellt bleiben, weil Kritik an vermeintlichen Missständen auch zulässig sein muss, ohne dass der Kritiker für die objektive Richtigkeit oder erfolgreiche Beweisführung seiner Meinung disziplinär haftet.

Die vorliegend inkriminierten Äußerungen hätten insbesondere dahingehend geprüft werden müssen, ob dem Beschwerdeführer hinsichtlich der Form dieser Kritik eine bedenkliche Wortwahl, die als Beleidigung, Schmähung oder massiver Vorwurf, der den Rahmen sachlicher Kritik sprengen würde, anzulasten ist (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 28. Juli 2000, Zl. 97/09/0106, und die darin angegebene Judikatur). Davon ausgehend kann aber - nach fehlerfreier Klärung des Sachverhaltes - lediglich bei den Äußerungen "er werde versuchen, ihn, den Herrn Vizepräsidenten Dr. E, zu vernichten" (Anschuldigungspunkt 2) und "Vizepräsident Dr. E sei, insbesondere bei Postenbestellungen, korrupt" (Anschuldigungspunkt 5) die Schwelle eines disziplinär erheblichen Verhaltens im Sinne des § 43 Abs. 2 BDG 1979 überschritten worden sein. Hinsichtlich der übrigen inkriminierten Äußerungen ist allerdings nicht zu erkennen, dass bei diesen die an die gebotene Form des Vortrages von Kritik zu stellenden Mindestanforderungen unterschritten wurden.

Insoweit dem Beschwerdeführer vorgeworfen wurde, er habe anonyme Anzeigen verfasst, kann schon aus rechtlichen Erwägungen unbeantwortet bleiben, ob tatsächlich der Beschwerdeführer als "Urheber" dieser Anzeigen anzusehen ist, weil nach den Anschuldigungen des Verhandlungsbeschlusses - über die das Disziplinarerkenntnis durch Schuldspruch oder Freispruch zu entscheiden hat - dem Beschwerdeführer lediglich angelastet wird, seine mittelbaren Vorgesetzten mit diesen Anzeigen "zu Unrecht beschuldigt zu haben". Dass diese Anzeigen "zu Unrecht" (also sachlich unrichtig) erhoben wurden, ist allerdings bisher nicht festgestellt, bewirkt die Zurücklegung der Anzeigen durch den Staatsanwalt allein doch keine inhaltliche Bindung etwa dahingehend, dass die derart zurückgelegten Anzeigen der sachlichen Berechtigung entbehren, oder etwa wider besseres Wissen vom Anzeiger erstattet wurden. Nach dem vorliegenden Verhandlungsbeschluss wurde dem Beschwerdeführer nicht angelastet, er habe den Dienstweg nicht eingehalten und dadurch Dienstpflichten (im Sinne der §§ 45 Abs. 3, 53 Abs. 1 und 54 Abs. 1 BDG 1979) verletzt (vgl. hiezu auch die hg. Erkenntnisse vom 26. Juni 1991, Zl. 91/09/0031, und vom 16. Jänner 1992, Zl. 91/09/0182).

Die Anzeigeerhebung als solche - ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Anzeigen - kann dem Beschwerdeführer, falls er tatsächlich Urheber der anonymen Anzeigen sein sollte, noch nicht als Dienstpflichtverletzung vorgeworfen werden, ist doch gemäß den §§ 84 Abs. 1 und 86 Abs. 1 StPO jedermann bzw. auch jede Behörde oder öffentliche Dienststelle grundsätzlich zur Anzeigeerstattung berechtigt bzw. verpflichtet. Daran vermag die im vorliegenden Disziplinarverfahren retrospektiv erfolgte Beurteilung der Anzeigen als "unrichtig" oder "unberechtigt" nichts zu ändern, vermag sich diese ("formale") Beurteilung doch lediglich auf die Zurücklegung der Anzeigen durch den Staatsanwalt zu stützen. Dass der Urheber der anonymen Anzeigen unvertretbare Vorwürfe erhoben hat, die Anzeigen wider besseres Wissen erstattete, oder der Inhalt der Anzeigen die Grenzen einer sachlichen Kritik überschreitet, wurde jedenfalls nicht festgestellt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 2. Juli 1997, Zl. 93/12/0122). Es könnte demnach allein die Klärung der Urheberschaft der anonymen Anzeigen vorliegend noch nicht zu einem Schuldspruch gegen den Beschwerdeführer führen.

Insoweit die belangte Behörde den Spruch des erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnisses dahingehend bestätigte, der Beschwerdeführer habe seine Dienstpflichten gemäß § 44 Abs. 1 BDG 1979 verletzt, fehlt diesem Vorwurf nach der Bescheidbegründung eine hinreichende sachverhaltsmäßige Grundlage.

Der Schuldspruch im Umfang seiner Anfechtung erweist sich somit als rechtswidrig. Dies zieht notwendigerweise auch die Aufhebung des Strafausspruches nach sich.

Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang der Anfechtung gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 501/2001.

Der zuerkannte Betrag setzt sich aus dem Schriftsatzaufwand (EUR 908,--) und der Pauschalgebühr in tatsächlich entrichteter Höhe von S 2.500,-- (das sind nunmehr EUR 181,68) zusammen. Wien, am 3. September 2002

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis DiversesVerfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Unmittelbarkeitsprinzip Gegenüberstellungsanspruch Fragerecht der Parteien VwRallg10/1/2Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärterVerhältnis zu anderen Materien und Normen Diverses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999090212.X00

Im RIS seit

18.10.2002

Zuletzt aktualisiert am

28.08.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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