TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/5 2002/02/0084

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Veröffentlicht am 05.09.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §52;
StVO 1960 §5 Abs4 lita idF 1998/I/092;
StVO 1960 §5 Abs6 idF 1998/I/092;
StVO 1960 §99 Abs1 litc idF 1998/I/092;
VStG §3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des HE in G, vertreten durch Mag. Georg Derntl, Rechtsanwalt in 4320 Perg, Hauptplatz 11a/Herrenstraße 1 (I), gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 12. Februar 2002, Zl. VwSen-107892/37/Le/Km, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 12. Februar 2002 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe am 2. März 2001 um 12.55 Uhr einen näher bezeichneten Pkw im Gemeindegebiet von L an einer näher bezeichneten Stelle gelenkt und er habe, obgleich vermutet hätte werden können, dass er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinde, sich am 2. März 2001 um

14.30 Uhr im Allgemeinen Krankenhaus Linz (in der Folge: AKH) geweigert, sich Blut zum Zweck der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes abnehmen zu lassen. Der Beschwerdeführer habe eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 6 iVm § 99 Abs. 1 lit. c StVO 1960 begangen. Es wurde eine Geldstrafe in Höhe von S 16.000,-

- (Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Wochen) verhängt. Die belangte Behörde stellte folgenden, auf den Ergebnissen der am 9. Jänner und am 7. Februar 2002 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung beruhenden Sachverhalt fest:

Der Beschwerdeführer habe am 2. März 2001 gegen 12.55 Uhr seinen Kombi auf der P-Landesstraße aus Richtung L kommend in Richtung G gelenkt, wobei er im Gemeindegebiet von L auf den linken Fahrstreifen geraten und frontal gegen einen entgegenkommenden Pkw geprallt sei. Bei diesem Verkehrsunfall seien vier Personen teilweise schwer verletzt worden, unter ihnen auch der Beschwerdeführer. Er sei mit dem Notarztwagen ins Allgemeine Krankenhaus (AKH) Linz gebracht worden, wo eine Reihe von Verletzungen im Bereich des Gesichtes, nämlich Nasenbeinfraktur, Jochbeinfraktur, mediale Orbitawandfraktur und eine Rissquetschwunde an der Oberlippe festgestellt worden sei. Im Zuge der Erhebungen zu diesem Verkehrsunfall seien von Gendarmeriebeamten des Postens G Anzeichen einer Alkoholisierung des Beschwerdeführers festgestellt worden; er habe abwesend und desorientiert gewirkt und einen starken Alkoholgeruch aus dem Mund gehabt. Nach Verständigung der Linzer Polizei seien zwei Beamte und der Polizeiarzt Dr. H ins AKH Linz gekommen, um den Beschwerdeführer hinsichtlich einer alkoholbedingten Beeinträchtigung zu untersuchen. Der Polizeiarzt habe bei seiner Untersuchung um 14.25 Uhr starken Alkoholgeruch und verminderte Reaktionsfähigkeit festgestellt. Er habe in seinem ärztlichen Gutachten angemerkt, der Patient sei stark alkoholisiert, örtlich und zeitlich nur teilweise orientiert und es sei ausgeprägter Alkoholgeruch wahrnehmbar. Da eine Atemalkoholuntersuchung auf Grund der Gesichtsverletzungen nicht möglich gewesen sei, habe er den Beschwerdeführer aufgefordert, sich zur Bestimmung des Blutalkoholgehaltes Blut abnehmen zu lassen. Dies habe der Beschwerdeführer mit den Worten verweigert, er mache nichts ohne seinen Vater.

Als Zeuge habe der Polizeiarzt - so die belangte Behörde weiter - angegeben, den Eindruck gehabt zu haben, dass der Beschwerdeführer die Aufforderung verstanden habe. Er habe die Aufforderung mehrmals wiederholt und der Beschwerdeführer hätte immer wieder dasselbe darauf geantwortet. Auch die beiden Polizisten hätten auf den Beschwerdeführer eingewirkt, die Blutabnahme durchführen zu lassen. Der Polizeiarzt selbst habe den Beschwerdeführer auf die Folgen einer Verweigerung aufmerksam gemacht und er habe den Eindruck gehabt, dass der Patient dies verstanden habe. Aus den Verletzungen schließe er nicht, dass der Beschwerdeführer die Aufforderung nicht verstanden haben könnte. Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte fehlende Erinnerungsvermögen habe aus medizinischer Sicht nichts zu tun mit der aktuellen Diskretions- und Dispositionsfähigkeit zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Blutabnahme.

Der Polizeiarzt habe dezidiert erklärt, dass der Beschwerdeführer aus medizinischer Sicht zum Zeitpunkt der Aufforderung bzw. Verweigerung der Blutabnahme zurechnungsfähig gewesen sei.

Der behandelnde Unfallchirurg des AKH Linz habe angegeben, die Zurechnungsfähigkeit des Patienten nicht beurteilen zu können, da er nicht Psychiater oder Polizeiarzt sei, sondern Unfallchirurg. Es sei ihm bekannt gewesen, dass der Patient einen Verkehrsunfall erlitten habe und mit dem Notarztwagen ins Spital gebracht worden sei. Deshalb habe er seinen Erstbehandlungsbericht sehr genau abgefasst. Ihm seien insbesondere der massive Mundgeruch nach Alkohol und das unkoordinierte Verhalten sowie die verlangsamte Pupillenreaktion aufgefallen. Er habe mit dem Patienten im Rahmen der Untersuchung auch gesprochen, ansonsten hätte er die Diagnose mit den Druckschmerzen, den Gelenksbeweglichkeiten udgl. nicht feststellen können.

Der behandelnde Arzt habe sich an das Gespräch mit dem Beschwerdeführer anlässlich der Zeugenbefragung nicht mehr erinnern können, doch habe er ausdrücklich festgestellt, er hätte im Erstbehandlungsbericht festgehalten, wenn der Beschwerdeführer bei der Untersuchung nicht mitgewirkt, aggressiv gewesen wäre, oder wenn er nicht reagiert hätte. Im Erstbehandlungsbericht - so die belangte Behörde - finde sich keine derartige Eintragung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die hier wesentlichen Bestimmungen der StVO 1960 in der hier anzuwendenden Fassung der 20. StVO-Novelle, BGBl. I Nr. 92/1998, lauten:

§ 5 Abs. 4a:

"Die Organe der Straßenaufsicht sind weiters berechtigt, Personen, bei denen eine Untersuchung gemäß Abs. 2 aus Gründen, die in der Person des Probanden gelegen sind, nicht möglich war und die verdächtig sind, sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand zu befinden, zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden, bei einer Bundespolizeibehörde tätigen oder bei einer öffentlichen Krankenanstalt diensthabenden Arzt zur Blutabnahme zum Zweck der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes zu bringen."

§ 5 Abs. 6 (Verfassungsbestimmung) StVO:

"An Personen, die gemäß Abs. 4a zu einem Arzt gebracht werden, ist eine Blutabnahme zum Zweck der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes vorzunehmen; die Betroffenen haben diese Blutabnahme vornehmen zu lassen."

Gemäß § 99 Abs. 1 lit. c (Verfassungsbestimmung) StVO begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von S 16.000,-- bis S 80.000,--, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von zwei bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer sich bei Vorliegen der in § 5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, sich Blut abnehmen zu lassen.

Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, es seien nicht alle Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 4a StVO erfüllt. Er widerspricht den Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde zum Verdacht der Alkoholbeeinträchtigung, den die Gendarmeriebeamten hätten schöpfen können. Denn der Gendarmeriebeamte Insp. R. habe angegeben, dass er eine "allfällige Alkoholisierung" von seinem Kollegen Bezirksinsp. H erfahren habe. Die Gendarmeriebeamten hätten einen Alkoholgeruch gar nicht wahrnehmen können. Es sei alleine aus der Art, wie der Beschwerdeführer "sich artikuliert habe", "auf eine Alkoholisierung" geschlossen worden. Der Beschwerdeführer habe sehr schwere Verletzungen erlitten, weshalb anzunehmen sei, "dass dieser sich nicht einwandfrei ausdrücken konnte". Mit diesem Vorbringen gelingt es dem Beschwerdeführer, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aus folgenden Gründen aufzuzeigen:

Die Anwendung des § 5 Abs. 6 StVO hängt von der Erfüllung der Voraussetzungen des § 5 Abs. 4a StVO ab.

Der Verdacht einer Alkoholbeeinträchtigung muss bei jenem Organ der Straßenaufsicht entstanden sein, der eine Person im Sinne des § 5 Abs. 4a StVO zum Arzt zu bringen beabsichtigt - bzw. den Verdächtigen mit einem Arzt "in Verbindung" bringt, was ebenso als eine solche "Verbringung" anzusehen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Jänner 1994, Zl. 93/02/0152) - und zum Zeitpunkt der "Verbringung" weiterhin aufrecht sein. Das ist im gegenständlichen Fall eines der Organe der Straßenaufsicht der Bundespolizeidirektion Linz (in der Folge: BPD), die im AKH amtshandelten. Dieser Verdacht kann auch durch auf Mitteilungen dritter Personen (wie hier durch telefonische Verständigung durch einen der am Unfallort amtshandelnden Gendarmen), die berechtigterweise den Verdacht einer Alkoholbeeinträchtigung gewinnen durften, ausgelöst werden, muss sich aber bei eigenem Kontakt mit der zum Zweck der Blutabnahme zum Arzt gebrachten Person zum Zeitpunkt der "Verbringung" aufrecht erhalten lassen können. Die im gegenständlichen Fall später jedenfalls vom Polizeiarzt Dr. H. festgestellten deutlichen Anzeichen des Vorliegens einer Alkoholbeeinträchtigung können den von § 5 Abs. 4a StVO bei einem Organ der Straßenaufsicht geforderten Verdacht nicht ersetzen (wovon anscheinend die belangte Behörde ausgegangen ist). Diese Feststellung ist allerdings im Rahmen der Beweiswürdigung zum Vorliegen eines solchen Verdachtes zum Zeitpunkt der "Verbringung" verwertbar.

Aus der Art, wie ein Lenker auf an ihn gestellte Fragen antwortet, kann der Verdacht einer Alkoholbeeinträchtigung entstehen. Im gegenständlichen Fall hat sich die belangte Behörde aber mit der Einvernahme des Zeugen R. (eines der am Unfallort eingeschrittenen Gendarmeriebeamten) begnügt, der selbst kein Alkoholisierungssymptom wahrgenommen hat, sondern nur die Wahrnehmung des BI "H" (abweichend von der Anzeige, in der von RevInsp St. die Rede ist) in folgender Form wiedergab:

"Herr H. hat mir erzählt, dass bei seinem Eintreffen Herr E. (Anmerkung: der Beschwerdeführer) noch hinter dem Steuer gesessen ist und gefragt hat. 'Herr H., muss ich jetzt sterben?' Aus diesem Gespräch hat Herr H. geschlossen, dass Herr E. alkoholisiert ist, und zwar nicht vom Inhalt des Gespräches her, sondern wie er sich artikuliert hat."

Dies allein ist zu wenig, um einen Verdacht der Alkoholbeeinträchtigung annehmen zu können. Ob diese "Art des Artikulierens" aber in einer einen solchen Verdacht rechtfertigenden Weise erfolgte (etwa lallend und/oder in Verbindung mit anderen Symptomen), wurde von der belangten Behörde mangels Einvernahme des BI H. nicht ermittelt. Ebenso unterließ die belangte Behörde Ermittlungen zum Inhalt des Telefongesprächs mit den "Kollegen von der BPD Linz", welche die weitere Amtshandlung durchführten und - sollte dieses Telefongespräch für sich allein nicht ausreichend sein, den Verdacht der Alkoholbeeinträchtigung als berechtigt erscheinen zu lassen - zu den Wahrnehmungen dieser Organe der BPD zum Zeitpunkt des "in Verbindung Bringens" mit dem Polizeiarzt Dr. H.

Im Hinblick auf das fortgesetzte Verfahren ist dem Beschwerdeführer jedoch auf sein weiteres Vorbringen, er sei bei der Aufforderung zur Blutabnahme weder diskretions- noch dispositionsfähig gewesen und der begutachtende Polizeiarzt sei kein für die Frage der Zurechnungsfähigkeit ausgebildeter Arzt, zu entgegnen:

Auf Grund der oben wiedergegebenen unbedenklichen Feststellungen der belangten Behörde zur Beantwortung der an den Beschwerdeführer im AKH gerichteten Fragen gehen seine Ausführungen in Hinsicht auf die Frage seiner Zurechnungsfähigkeit und die damit im Zusammenhang stehenden Verfahrensrügen ins Leere. Es entspricht nämlich der ständigen hg. Rechtsprechung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 2000, Zl. 99/02/0042), dass es schon auf Grund des situationsbezogenen Verhaltens des Beschwerdeführers entbehrlich gewesen wäre, ein ärztliches Sachverständigengutachten über seine Zurechnungsfähigkeit einzuholen. Die belangte Behörde war unter Berücksichtigung des Verhaltens des Beschwerdeführers und des Ergebnisses des im gegenständlichen Fall obendrein eingeholten Gutachtens des Polizeiarztes (der im Übrigen zur Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit eines Probanden grundsätzlich als befähigt angesehen werden muss; vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1979, Zl. 97/02/0399) berechtigt, seine Zurechnungsfähigkeit dahingehend zu bejahen, dass er im Stande gewesen wäre, seiner Verpflichtung zu entsprechen, der Aufforderung, sich Blut zum Zweck der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes abnehmen zu lassen (§ 5 Abs. 6 StVO), nachzukommen.

Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Wien, am 5. September 2002

Schlagworte

Sachverständiger Arzt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002020084.X00

Im RIS seit

07.11.2002

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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