TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/12 2002/20/0017

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Veröffentlicht am 12.09.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §60;
AVG §67;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des R K in Wien, geboren am 30. April 1976, vertreten durch Dr. Filip Sternberg, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dominikanerbastei 19, gegen den am 21. Mai 2001 verkündeten und am 17. September 2001 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 220.331/3- II/04/01, betreffend § 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Indien, gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei. In der Begründung dieses Bescheides gab die belangte Behörde zunächst das vor dem Bundesasylamt erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers wieder. Demnach sympathisiere der Beschwerdeführer mit der Kongresspartei, für die sein Onkel bei der Wahl eines näher bezeichneten Komitees im Juni 2000 kandidiert habe. Im Rahmen dieser Wahl, zu der der Beschwerdeführer seinen Onkel begleitet habe, sei es zu einem Schusswechsel mit Mitgliedern der gegnerischen Partei Akali-Dal gekommen, bei dem zwei Angehörige der letztgenannten Organisation getötet worden seien. Der Schusswechsel habe vor dem Wahllokal, in dem sich etwa 200 Mitglieder der Kongresspartei und etwa 100 Mitglieder der Akali-Dal befunden hätten, stattgefunden. Der Beschwerdeführer als auch sein Onkel sowie andere Mitglieder der Kongresspartei seien deswegen von Mitgliedern der Akali-Dal, welche Partei die Regierung im Punjab stelle, angezeigt und von Mitgliedern dieser Partei auch persönlich mit dem Umbringen bedroht worden. Wegen der Regierungsmacht der Akali-Dal im Punjab (aus dem der Beschwerdeführer offenbar, wie sich aus dem Kontext seiner im Bescheid wiedergegebenen Aussagen ergibt, stammt) habe der Beschwerdeführer in dieser Sache kein Vertrauen zur Polizei gehabt. Einerseits aus Angst, von der Polizei in Indien verhaftet und misshandelt zu werden und andererseits aus Furcht, von Mitgliedern der Akali-Dal getötet zu werden, habe der Beschwerdeführer mit Hilfe seines Onkels Indien verlassen. Der Onkel des Beschwerdeführers sei in der Zwischenzeit jedenfalls von Mitgliedern der Akali-Dal umgebracht worden.

Im Anschluss an diese Darstellung und nach zusammengefasster Wiedergabe des den Asylantrag des Beschwerdeführers abweisenden erstinstanzlichen Bescheides führte die belangte Behörde begründend aus, sie habe über die gegen den letztgenannten Bescheid erhobene Berufung eine Berufungsverhandlung durchgeführt. Wie die Aktenlage und die Wiedergabe des Verhandlungsgeschehens im angefochtenen Bescheid zeigen, betraf diese Verhandlung die Asylanträge mehrerer Asylwerber, weshalb der Beschwerdeführer mit "Berufungswerber VIII" bezeichnet wurde. Nach der Bescheidbegründung erstattete der von der belangten Behörde beigezogene Sachverständige für die aktuelle politische Lage in Indien in der Berufungsverhandlung das folgende Gutachten:

"1. Willkürliche Verhaftungen durch die Polizei (nicht selten, um Lösegelder zu erpressen), Misshandlungen im Polizeigewahrsam und Schmiergelderpressungen durch die Polizei und andere Sicherheitskräfte stehen in ganz Indien weiterhin auf der Tagesordnung (in der Times of India vom 11. Mai dieses Jahres wird z. B. davon berichtet, dass das Movement Against State Repression, der Punjab Police vorwirft, fünf mutmaßliche Babar Khalsa-Mitglieder willkürlich zuhause verhaftet zu haben, während die Polizei behauptet, sie seien beim Überschreiten der Grenze von Pakistan nach Indien verhaftet worden. Von Menschrechtgruppen wird der Verdacht geäußert, dass die Polizei bestrebt ist, möglichst viele 'Terroristen' festzunehmen, um einer geplanten Verkleinerung der Punjab Police entgegenzuwirken). Die Gefahr, Opfer solcher willkürlicher Handlungen der Polizei zu werden, wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst: Zum einen durch die politische Lage und die Sicherheitslage in der entsprechenden Region (im Bundesstaat Jammu & Kashmir, wo derzeit auch zwei Ausnahmegesetze in Kraft sind, wurden beispielsweise in den letzten Jahren sehr viele Zivilisten Opfer staatlicher Übergriffe) und zum anderen durch persönliche Faktoren des potentiellen Opfers, wie Bildung, Vermögen und sozialer Status. Was die politische bzw. die Sicherheitslage bzw. die Gefahr, Opfer der beschriebenen willkürlichen Handlungen der Polizei zu werden, betrifft, so ist diese gegenwärtig im Punjab sicherlich weitaus günstiger als noch Anfang der 90er Jahre und als 'ruhig' zu bezeichnen. Ich habe selbst zuletzt im März 1999 während eines mehrtägigen Aufenthaltes in einem Bauernhof (Bedwal bei Radschpura) im Punjab Kontakt zu Personen mit ähnlichem sozialen Hintergrund, wie ihn die BW aufweisen gehabt und festgestellt, dass diese nicht in ständiger Furcht vor polizeilichen Übergriffen leben; gleichwohl würde ich für Personen mit dem sozialen Hintergrund der BW die Gefahr, Opfer derartiger Übergriffe zu werden, jedenfalls höher einschätzen als in Österreich. Außerdem werden zahlreiche Fälle von Personen dokumentiert, die in der Obhut der Sicherheitsbehörden 'verschwinden'. Besonders häufig sind diese Fälle u.a. in den Bundesstaaten Jammu und Kashmir und Assam. Das 'Verschwinden' erstreckt sich auch auf Sympathisanten, einfache Mitglieder, Funktionäre, Aktivisten von diversen politischen Gruppierungen in diesen beiden Bundesstaaten sowie auf deren Angehörige."

Danach geht das im Bescheid wiedergegebene Sachverständigengutachten auf mit dem Beschwerdeführer ("Berufungswerber VIII") in keinem erkennbaren Zusammenhang stehende Themenkreise ein (Punkt 2. und 3. des Gutachtens betreffen "Sikh-Terroristen" und die "Sikh-Student-Federation") und führt sodann ergänzend aus:

" Zu Absatz 1.

Die Gefahr, dass Sicherheitsorgane mittels gefälschter Anklagen im ganzen Bundesgebiet die Fahndung veranlassen ist sicherlich weit geringer als auf regionaler Ebene, da sie in viel höherem Ausmaß gezwungen sind, die Fahndung zu rechtfertigen. Solche gefälschten Anklagen, die sich auf die Fahndung im ganzen Bundesgebiet beziehen, kommen meines Erachtens nur in Ausnahmefällen vor."

Nach Ergänzungen zu den (wie erwähnt zum Beschwerdeführer offenbar nicht Bezug habenden) Punkten 2. und 3. des Sachverständigengutachtens, sowie nach Hinweis darauf, dass Akali-Dal eine reformatorische Sikh-Partei sei, welche die stärkste Kraft im Landtag des Punjab bilde und den Landeshauptmann stelle, endet die Wiedergabe der Ausführungen des Sachverständigen im angefochtenen Bescheid (ungekürzt) wie folgt (Auslassungen wie im Original):

"4.

Wie in der Verhandlungsschrift vom 02.05.2000, Zl. 203.605 u. a. ausgeführt, ist es prinzipiell denkbar, dass Khalistan-Aktivisten über die logistischen Fähigkeiten verfügen, von ihnen gesuchte Zivilisten auch in anderen Teilen Indiens zu finden.

In keinem der mir vorliegenden Dokumente bzw. in keiner Information werden aber solche Fälle erwähnt. Entführungsfälle durch Khalistan-Aktivisten wurden nur im Zusammenhang mit Lösegeldforderungen von reichen Geschäftsleuten erwähnt.

5. Zur Frage, ob es Personen wie den BW möglich wäre, ausserhalb des Bundesstaates Punjab eine Existenzgrundlage zu finden, verweise ich auf mein Gutachten vom Juni 2000, Seite 17, samt heutiger handschriftlicher Ergänzung (zum Thema 'ration card').

(Zu den konkreten Berufungswerbern ...:)

...

Zu BW VIII:

Es treffen zu Absatz 1 und 4, da das im Absatz 4 Ausgesagte im Wesentlichen auch für die von ihm befürchtete Verfolgung durch den Akali Dal zutrifft, dies um so mehr, da es sich beim Akali Dal nicht um eine terroristische Organisation handelt, sondern um die führende politische Partei im Punjab.

...

Stellungnahme BW VIII:

Es ist richtig, dass Alkali Dal die Regierung im Punjab stellt. Aber es gibt Leute, die Beamte bestechen. Dies wäre auch ausserhalb des Punjab möglich."

Im Anschluss an diese (mit der Aktenlage übereinstimmende) Gutachtenswiedergabe gelangte die belangte Behörde nach Zitierung der von ihr angewendeten Rechtsvorschriften in rechtlicher Hinsicht zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer in Indien weder Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention drohe, noch dass stichhaltige Gründe für eine Bedrohung seiner Person in Indien im Sinne des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG vorlägen. So habe das durchgeführte Ermittlungsverfahren der belangten Behörde, insbesondere das Sachverständigengutachten, "welches auch ganz konkret auf das Vorbringen des Beschwerdeführers dieses Verfahrens eingegangen" sei, ergeben, dass der Beschwerdeführer "jedenfalls außerhalb des Punjab ... nicht so sehr durch den Staat ... sondern eher nur durch Private gefährdet" werde. Bei dieser privaten Organisation Akali Dal handle es sich nach dem Gutachten nicht etwa um eine terroristische Organisation, sondern um die führende politische Partei im Punjab. Da nach dem Sachverständigen schon keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung des Beschwerdeführers durch "Khalistan-Aktivisten" existierten, sei eine solche Verfolgung durch "eine starke - mit führender Regierungsverantwortung ausgestattete - politische Partei noch weniger wahrscheinlich". Das "Eintreten des diesbezüglichen, vom Berufungswerber befürchteten Ereignisses" (offenbar gemeint: Verfolgung durch Angehörige der Akali-Dal) sei daher "nachhaltig unwahrscheinlich". Was eine "etwaige direkte staatliche Verfolgung" anlange, so sei eine solche jedenfalls außerhalb des Punjab nach dem Sachverständigengutachten als "wenig wahrscheinlich" und die Gefahr, "gegenwärtig selbst im Punjab Opfer polizeilicher Willkür zu werden" auf Grund der gutächtlichen Darlegungen "nicht als nahe liegend" zu bezeichnen.

Schließlich verwies die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides darauf, dass "auch ein Mangel der Existenzgrundlage außerhalb des Punjab nicht hervorgekommen sei", weil auch völlig unqualifizierte, aber gesunde Menschen nach dem Sachverständigengutachten in der Regel die Möglichkeit hätten, sich Gelegenheitsjobs zu verschaffen, die es ermöglichten, am Leben zu bleiben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Nachvollziehbarkeit des Sachverständigengutachtens zusammengefasst Verfahrensmängel geltend, die einer erschöpfenden rechtlichen Beurteilung sowie auch der Überprüfbarkeit des angefochtenen Bescheides entgegenstünden.

Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrundegelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumption dieses Sachverhaltes unter einem bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Juli 2001, Zl. 2001/20/0064).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid, der (ausgehend von den Angaben des Beschwerdeführers) in seiner rechtlichen Beurteilung im Wesentlichen auf das eingeholte Sachverständigengutachten gestützt ist, schon deshalb nicht gerecht, weil sich aus den Ausführungen des Sachverständigen, soweit sie sich (auch) auf den Beschwerdeführer beziehen, die wiedergegebene rechtliche Beurteilung der belangten Behörde nicht ableiten lässt.

Während der Sachverständige in seinem Gutachten schon einleitend willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen durch die Polizei "in ganz Indien weiterhin auf der Tagesordnung" sieht und die Gefahr, Opfer solcher Maßnahmen zu werden, als von regionalen Gesichtspunkten und "persönlichen Faktoren des potentiellen Opfers, wie Bildung, Vermögen und sozialer Status" abhängig erachtet, hält die belangte Behörde - ohne entsprechende Feststellungen über die diesbezüglichen persönlichen Merkmalen des Beschwerdeführers und das daraus resultierende Gefährdungspotenzial zu treffen - eine "etwaige direkte staatliche Verfolgung" des Beschwerdeführers für "wenig wahrscheinlich" bzw. als "nicht nahe liegend".

Eine mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers durch Private, nämlich durch die vom Beschwerdeführer genannten Mitglieder der Akali-Dal (die nach den von der belangten Behörde zugrunde gelegten Angaben des Beschwerdeführers bereits dessen Onkel umgebracht haben) hält die belangte Behörde deswegen für "nachhaltig unwahrscheinlich", weil diese Partei mit führender Regierungsverantwortung ausgestattet sei. Weshalb jedoch die Innehabung von Regierungsverantwortung ein nachvollziehbarer Grund für die genannte Partei sein sollte, Verfolgungshandlungen (etwa zur Absicherung der eigenen Macht) gegen politisch Andersdenkende, wie den Beschwerdeführer, zu unterlassen, wird im angefochtenen Bescheid nicht schlüssig begründet.

Schließlich verweist die belangte Behörde auf das Bestehen einer Existenzgrundlage für den Beschwerdeführer in Indien außerhalb des Punjab und begründet damit die Versagung von Asyl und Abschiebeschutz erkennbar mit dem Bestehen einer "inländischen Fluchtalternative". Diese Auffassung vermag der Verwaltungsgerichtshof schon deshalb nicht nachzuvollziehen, weil die belangte Behörde dabei jegliche Auseinandersetzung mit den bereits erwähnten Ausführungen des Sachverständigen, willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen durch die Polizei stünden "in ganz Indien" weiterhin auf der Tagesordnung, unterlässt.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. September 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002200017.X00

Im RIS seit

29.10.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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