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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ZustG §8 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, in der Beschwerdesache des GG in Linz, geboren 1976, vertreten durch Dr. Erich Puchmayr, Rechtsanwalt in Linz, Friedhofstraße 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Februar 2002, Zl. 226.393/0- VI/18/02, betreffend Abweisung eines Antrages auf Bescheidzustellung in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist georgischer Staatsangehöriger, reiste am 16. Juli 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl.
Am 24. Juli 2001 gab der Beschwerdeführer dem Bundesasylamt seinen Wohnsitz mit "4030 Linz, Lunzerstraße 44" bekannt und nannte als seinen Unterkunftgeber die an der selben Adresse etablierte "Volkshilfe Oberösterreich - Flüchtlingsbetreuung - Wohnprojekt". An dieser Adresse wurde ihm vom Bundesasylamt der Ladungsbescheid vom 7. August 2001 zur Einvernahme im Asylverfahren zugestellt. Im Ladungsbescheid und in dem im Zuge des folgenden Asylverfahrens ausgefolgten Merkblatt wurde der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass jede Änderung der Wohnadresse dem Bundesasylamt unverzüglich mitzuteilen sei.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24. Oktober 2001 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers, dem vom Bundesasylamt im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 4. September 2001 - erfolglos - aufgetragen worden war, innerhalb eines Monates Beweismittel für sein asylrelevantes Vorbringen vorzulegen, gemäß § 6 Z. 2, 3 und 4 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen und die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Georgien gemäß § 8 AsylG festgestellt.
Dieser Bescheid konnte dem Beschwerdeführer am 25. Oktober 2001 an der Adresse in 4030 Linz, Lunzerstraße 44, nicht zugestellt werden. Die Sendung wurde dem Bundesasylamt mit Vermerk des Zustellers "Derzeit ortsabwesend retour" zurückgestellt.
Das Bundesasylamt veranlasste daraufhin am 6. November 2001 bei der Bundespolizeidirektion Linz - Meldeamt eine Meldeauskunft, die am 7. November 2001 mit "Seit 11.9.01 nach Georgien abgem."
beantwortet wurde. In einem Aktenvermerk vom 7. November 2001 hielt das Bundesasylamt fest, dass der Beschwerdeführer die Mitteilung über die Änderung der Abgabestelle unterlassen habe, der Behörde keine Abgabestelle bekannt sei und auch keine habe festgestellt werden können. Die Meldeüberprüfung beim Meldeamt sei negativ verlaufen. Sonstige Anhaltspunkte betreffend eine Abgabestelle hätten sich nicht ergeben. Der Bescheid vom 24. Oktober 2001 werde daher gemäß § 8 Abs. 2 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 ZustG am 7. November 2001 durch Hinterlegung im Akt zugestellt.
Am 10. Dezember 2001 gab der Beschwerdeführer einen mit 7. Dezember 2001 datierten, an das Bundesasylamt gerichteten Schriftsatz zur Post, in dem er beantragte, "das Bundesasylamt möge die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG genehmigen und mir den Bescheid zustellen", was er damit begründete, dass er bis zum 6. September 2001 in Linz, Lunzerstraße 44, wohnhaft gewesen, an diesem Tag aber verhaftet und in die Justizanstalt Linz überstellt worden sei. Er sei freigesprochen und aus der Justizanstalt am 30. November 2001 in die Schubhaft des Polizeigefangenenhauses Linz verlegt worden. Bei der fremdenpolizeilichen Einvernahme sei ihm mitgeteilt worden, dass das Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen sei, obwohl ihm der Bescheid nicht zugestellt worden sei. Durch seine Inhaftierung sei es ihm unmöglich gewesen, "meine neue Adresse dem Bundesasylamt mitzuteilen, weil ich aufgrund meiner ausländischen Herkunft Verständigungsschwierigkeiten hatte. (...) Außerdem war ich überzeugt, dass meine Anhaltung in der Justizanstalt und somit meine neue Adresse dem Bundesasylamt direkt oder dem Meldeamt bekannt gegeben wird, sodass sie durch eine Überprüfung jedem zugänglich ist."
Mit Schreiben vom 13. Dezember 2001 forderte das Bundesasylamt den Beschwerdeführer auf, innerhalb einer Frist von zwei Wochen mitzuteilen, welchen Zweck er mit seinem Anbringen vom 7. Dezember 2001 verfolge, weil er darin einerseits davon ausgehe, dass ihm der Bescheid vom 24. Oktober 2001 gar nicht zugestellt worden sei, sodass er dessen Zustellung beantrage, andererseits aber auch einen - jedenfalls verbesserungsbedürftigen - Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt habe.
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2001 beantwortete der Beschwerdeführer diesen Verbesserungsauftrag (u.a.) mit dem Hinweis, dass das Bundesasylamt seiner Pflicht "nicht nachgegangen ist, meine Adresse zu eruieren". Er beantrage, das Bundesasylamt "möge die Hinterlegung im Akt als nichtig erklären" und ihm den erstinstanzlichen Bescheid zustellen.
Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 7. Jänner 2002 ab. Das Bundesasylamt begründete seine Entscheidung damit, dass es am 6. November 2001 bei der Bundespolizeidirektion Linz eine Meldeüberprüfung durchgeführt habe, welche ergeben habe, dass der Beschwerdeführer seit 11. September 2001 nach Georgien abgemeldet sei. Durch die Festnahme des Beschwerdeführers sei dieser nicht daran gehindert gewesen, der Behörde seinen Aufenthaltsort bekannt zu geben. Da der Beschwerdeführer es unterlassen habe, der Behörde die Änderung seiner bisherigen Abgabestelle bekannt zu geben, der Behörde die Abgabestelle des Beschwerdeführers unbekannt gewesen sei und auch nicht ohne Schwierigkeiten habe festgestellt werden können, sei der Bescheid durch Hinterlegung wirksam zugestellt worden.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde gemäß § 8 Abs. 2 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 ZustG abgewiesen. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die ohne vorausgehenden Zustellversuch vorgenommene Hinterlegung des Asylbescheides vom 24. Oktober 2001 rechtswirksam gewesen sei, weil der Beschwerdeführer nach seiner Festnahme und Anhaltung in der Justizanstalt dem Bundesasylamt seine neue Anschrift nicht bekannt gegeben und eine Meldeanfrage des Bundesasylamtes ergeben habe, dass der Beschwerdeführer seit 11. September 2001 nach Georgien abgemeldet sei. Zum Zeitpunkt der Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheides im Akt (am 7. November 2001) sei es dem Bundesasylamt somit trotz Meldeanfrage nicht möglich gewesen, eine Zustelladresse des Beschwerdeführers ausfindig zu machen. Die neuerliche Zustellung des betreffenden Bescheides habe der Beschwerdeführer daher zu Unrecht begehrt.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Dem vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Zustellung des über seinen Asylantrag absprechenden Bescheides vom 24. Oktober 2001 wäre vom Bundesasylamt zurecht keine Folge gegeben worden, wenn durch die ohne Zustellversuch vorgenommene Hinterlegung dieses Bescheides bereits dessen Zustellung bewirkt worden wäre. Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die von den Verwaltungsbehörden vorgenommene Deutung des Anbringens als Zustellantrag und bekämpft erkennbar die Ansicht der belangten Behörde, die erwähnte Zustellung sei rechtswirksam vorgenommen worden.
§ 8 Zustellgesetz (ZustG) lautet:
"(1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.
(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann."
§ 23 Abs. 4 ZustG lautet:
"(4) Die so hinterlegte Sendung gilt mit dem ersten Tag der Hinterlegung als zugestellt."
Voraussetzung für die als Zustellung geltende Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch nach § 8 Abs. 2 ZustG ist somit die Änderung der bisherigen Abgabestelle, die Unterlassung der Mitteilung hievon und die Unmöglichkeit, eine (andere, neue) Abgabestelle ohne Schwierigkeiten festzustellen. Das Tatbestandsmerkmal der Änderung der bisherigen Abgabestelle im Sinne des § 8 Abs. 1 ZustG wird - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat - durch eine Inhaftierung für sich genommen noch nicht bewirkt. Eine solche Änderung liegt vielmehr erst dann vor, wenn die Partei die Abgabestelle nicht nur vorübergehend, sondern dauernd verlässt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 14. Dezember 1994, Zl. 94/01/0135, und vom 21. Juni 2001, Zl. 2001/20/0050, sowie Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze2 I Anm. 4 zu § 8 ZustG).
Mit der Frage, ob und gegebenenfalls wann die Inhaftierung des Beschwerdeführers zu einer Aufgabe der bisherigen Abgabestelle des Beschwerdeführers im Sinne der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führte, hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht näher auseinander gesetzt. Die belangte Behörde ging vielmehr ohne weiteres davon aus, die dem Bundesasylamt unbekannte "Anhaltung" des Beschwerdeführers habe (jedenfalls) eine Änderung der Abgabestelle bedeutet und das Bundesasylamt daher zu einem Vorgehen nach § 8 ZustG berechtigt. Im vorliegenden Fall war dem Bundesasylamt aber vom Zusteller am 25. Oktober 2001 mitgeteilt worden, dass der Beschwerdeführer an der bisher bekannten Adresse "derzeit ortsabwesend" sei, was der Annahme einer Aufgabe der bisherigen Abgabestelle entgegenstand. Im Hinblick auf den Widerspruch dieses Vermerkes des Zustellers vom 25. Oktober 2001 zu der sich aus der in der Folge eingeholten Meldeauskunft ergebenden Abmeldung des Beschwerdeführers "nach Georgien" bereits seit 11. September 2001 konnte das Bundesasylamt daher ohne weitere Ermittlungen nicht davon ausgehen, dass die für ein Vorgehen nach § 8 Abs. 2 ZustG vorausgesetzte Änderung bzw. Aufgabe der bisherigen Abgabestelle im Sinne des Abs. 1 dieser Gesetzesstelle gegeben war. Dieser offensichtliche Widerspruch zwischen dem Bericht des Zustellers und der Auskunft der Meldebehörde, die überdies offen ließ, durch wen die Abmeldung erfolgt war, hätte daher die erstinstanzliche Behörde veranlassen müssen, weitere Ermittlungen über die Frage der bloßen Ortsabwesenheit oder Aufgabe der bisherigen Abgabestelle anzustellen (z.B. durch Anfrage beim bisherigen Unterkunftgeber, der wohl dem Zusteller die Auskunft über die "derzeitige" Ortsabwesenheit des Beschwerdeführers gegeben haben musste).
Bei der im vorliegenden Fall gegebenen Sachlage durfte das Bundesasylamt daher ohne solche Ermittlungen nicht davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer die bisherige Abgabestelle dauernd aufgegeben und damit eine Änderung der Abgabestelle im Sinne des § 8 Abs. 1 ZustG vorgenommen habe.
Indem die belangte Behörde dies verkannte, hat sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 12. September 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2002200229.X00Im RIS seit
20.01.2003