TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/12 2000/20/0268

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.09.2002
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des A B in Wien, vertreten durch Dr. Axel Nepraunik, Rechtsanwalt in 1190 Wien, Döblinger Hauptstraße 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. April 2000, Zl. 201.499/0-V/14/98, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 24. Mai 1996 in das Bundesgebiet ein und stellte am 30. Mai 1996 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 31. Mai 1996 führte der Beschwerdeführer aus, er habe sein Heimatland am 16. Dezember 1995 verlassen, um in Belgrad den Beruf als Schneider weiter zu erlernen, und bis dahin in Freetown seinen Lebensunterhalt durch Arbeit in seiner eigenen Schneiderei verdient. Er wisse nichts über den Aufenthaltsort seines Vaters, seine Mutter und seine Schwester seien im Februar 1996 verstorben. Sein Vater sei Mitglied der APC (All People Congress) gewesen, und der Beschwerdeführer müsse auf Grund dessen damit rechnen, getötet zu werden. Als Leiter des Bereiches Ostprovinz habe sein Vater u.a. die Aufgabe gehabt, Mitglieder anzuwerben. Die jetzige Regierung wolle sich an den APC-Mitgliedern rächen, und da der Beschwerdeführer der Sohn eines solchen sei, müsse er mit dieser Rache rechnen, zumal sein Vater verschwunden sei. Als die APC an der Macht gewesen sei, habe sie die Mitglieder der SLPP unterdrückt, wofür sich nun die SLPP, die jetzt an der Macht sei, rächen wolle.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. Juni 1996 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 Asylgesetz 1991 abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass APC-Mitglieder in Sierra Leone einer Verfolgung ausgesetzt seien. Diese Partei sei im Parlament Sierra Leones vertreten. Aus der eventuellen Mitgliedschaft des Vaters des Beschwerdeführers zu dieser Partei lasse sich jedenfalls keine Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer ableiten. Auch habe der Beschwerdeführer keine Verfolgung des Vaters behauptet. Er habe lediglich angegeben, dass sein Vater seit Jänner 1996 verschwunden sei. Zum Grund des Verschwindens habe er nichts vorgebracht.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer zu den Umständen des Verschwindens seines Vaters aus, er habe bei einem Telefonat mit einem Freund erfahren, dass im Jänner 1996 seine Mutter und seine Schwester von Rebellen der RUF getötet und sein Vater von diesen mitgenommen worden sei. Seither sei sein Vater verschwunden. Zwischen den Rebellen der RUF und der jetzt regierenden SLPP gebe es eine Zusammenarbeit, und mit großer Wahrscheinlichkeit führe die RUF auch Verfolgungshandlungen im Auftrag der SLPP durch. Sowohl die führenden Personen in der SLPP wie auch in der RUF gehörten der ethnischen Gruppe der Manda an, und finanziert werde die RUF von der SLPP seit Beginn der 90iger Jahre, um schließlich an die Macht zu kommen. Der Beschwerdeführer habe bisher lediglich deshalb keine Probleme mit den Behörden seines Heimatlandes gehabt, weil die SLPP nicht an der Macht gewesen sei. Dies habe sich nun geändert, weshalb der Beschwerdeführer fürchte, bei seiner Rückkehr nach Sierra Leone getötet zu werden.

Mit Schreiben vom 11. Februar 1997 legte der Beschwerdeführer die Ausgabe der Tageszeitung "Expo Times Souvenir" vom 1. Februar 1997 vor, in der in einem Artikel mit einem Foto von ihm berichtet werde, dass man ihn suche. Damit sei bewiesen, dass der Beschwerdeführer Verfolgung seitens der Behörden in seinem Heimatland ausgesetzt sei. Ein Freund habe ihm die Zeitung aus Sierra Leone geschickt.

Bei der mündlichen Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde am 16. März 2000 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass sein Vater Mitglied der APC gewesen sei. Probleme mit den Behörden seines Heimatstaates hätten erst im Februar 1996 begonnen, nachdem der Beschwerdeführer sein Heimatland verlassen habe. Militär sei zum Haus seines Vaters gekommen und habe nach dem Beschwerdeführer gefragt. Sein Vater sei jedoch nicht zu Hause gewesen, weshalb seine Mutter getötet worden sei. Sein Vater habe nach Guinea flüchten können. Dies habe ihm ein Freund telefonisch aus Freetown mitgeteilt. Vermutlich sei sein Vater deswegen verfolgt worden, weil er Mitglied der APC gewesen sei. Er habe die Aufgabe gehabt, Mitglieder anzuwerben. Sein Vater werde beschuldigt, im Namen des Beschwerdeführers Geldgeschäfte getätigt zu haben. Zur Unterstützung dieser Behauptungen habe er auch den Zeitungsartikel vorgelegt. Sein Vater befürchte, in Gefahr zu sein, und der Beschwerdeführer glaube, dass er das auch sei. Aus dem Zeitungsartikel gehe hervor, dass der Beschwerdeführer und sein Vater wegen Betrugs verfolgt würden. Sein Vater werde verdächtigt, in die kriminellen Korruptionsaffären und Machenschaften der ehemaligen Regierung verwickelt gewesen zu sein, weshalb er mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen müsse. Da der Name des Beschwerdeführers auch in der Zeitung gestanden sei, sei auch er in diese Korruptionsaffäre involviert.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei nie Mitglied einer politischen Partei gewesen und habe auch nie Probleme mit den Behörden seines Heimatstaates gehabt. Sein Vater sei einfaches Mitglied der APC gewesen. Des weiteren ist in der Bescheidbegründung eine Übersetzung des Zeitungsartikels vom 1. Februar 1997 wiedergegeben, wonach unter der Überschrift "Vater und Sohn wegen Betrugs gesucht" ein Foto des Beschwerdeführers abgedruckt sei. In dem Artikel werde ausgeführt, dass ein Fall betrügerischen Umganges mit Millionen von Leones, in den einige Regierungsbeamte und frühere Politiker angeblich involviert seien, bald vor Gericht käme, was von Quellen, die der Rechtsabteilung der Regierung nahestünden, angedeutet werde. Unter den Verdächtigen befinde sich ein ehemaliger Politiker der abgesetzten früheren Regierung, der auch ehemals Parlamentsmitglied gewesen sei. Man sage, dass er seinen Sohn (den Beschwerdeführer), wohnhaft in 31 G-Straße, als Strohmann bei diesen Geschäften verwendet habe. Polizeiquellen hätten enthüllt, dass sie glaubten, dass der Beschwerdeführer und sein Vater in diesen Kriminalfall durch gewisse Leute hineingezogen worden seien, die möglicherweise Rache aus nicht bekannt gegebenen Gründen nehmen wollten. Der Betrag, um den es gehe, sei nicht bekannt.

Die belangte Behörde stellte weiters fest, dass Angehörige der früheren Regierung insbesondere dann mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen müssten, wenn sie in die im großen Stil üblichen Korruptionsaffären zu dieser Regierungszeit verwickelt gewesen seien. Eine bloße Zugehörigkeit zur APC "dürfte" nicht zur Verfolgung führen. Tragende Begründung für die Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung sei der Umstand, dass sein Vater krimineller Machenschaften verdächtigt werde und dass er befürchte, bei einer Rückkehr in sein Heimatland in diese Korruptionsaffäre hineingezogen zu werden. Daraus seien aber keine Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention abzuleiten. Die APC sei als Splittergruppierung im Parlament von Sierra Leone vertreten. Die Befürchtung, dass sein Leben in Gefahr sei, stelle eine subjektive Annahme des Beschwerdeführers dar, die jedenfalls keine hinreichende Basis für eine Asylgewährung bieten könne.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde erwogen:

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht. Dies ist der Fall, wenn ein Asylwerber wohlbegründete Furcht hat, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden.

Die belangte Behörde hat dem Vorbringen des Beschwerdeführers offenbar uneingeschränkt Glauben geschenkt. Insbesondere hat sie auch die Echtheit des vom Beschwerdeführer vorgelegten Zeitungsartikels nicht bezweifelt. Legt man aber zu Grunde, dass von Seiten der Regierung gegen den Vater des Beschwerdeführers und gegen diesen selbst ein Strafverfahren ohne sachlichen Hintergrund durchgeführt werden soll, sind die Schlussfolgerungen der belangten Behörde, dass gegen den Asylwerber keine Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention beabsichtigt seien, nicht nachvollziehbar.

Widersprüchlich ist die Begründung der belangten Behörde auch insofern, als nach dem von ihr offenbar für echt gehaltenen Zeitungsartikel der Vater des Beschwerdeführers ein ehemaliger Politiker der abgesetzten früheren Regierung und auch ein Parlamentsmitglied gewesen ist; damit stimmt es nicht überein, wenn die belangte Behörde an anderer Stelle ihrer Bescheidbegründung ohne nähere Begründung festhält, der Vater des Beschwerdeführers sei einfaches Mitglied der APC gewesen.

Die vom Beschwerdeführer befürchtete individuelle Verfolgung unter den angesprochenen konkreten Umständen kann auch nicht allein deswegen verneint werden, weil die APC als Splittergruppierung im Parlament von Sierra Leone vertreten ist. Ebenso können allgemein gehaltene Feststellungen darüber, dass am 7. Juli 1999 ein Friedensabkommen unterzeichnet worden und eine absolute Amnestie gewährt worden sei, die Möglichkeit einer individuellen Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer nicht ausschließen.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde daher insbesondere die Authentizität des vom Beschwerdeführer vorgelegten Zeitungsartikels zu prüfen und diesen sodann einer entsprechenden Beweiswürdigung zu unterziehen haben.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. September 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200268.X00

Im RIS seit

07.11.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten