TE Vwgh Beschluss 2002/9/12 2002/20/0434

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Veröffentlicht am 12.09.2002
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über den Antrag des HZ in P, geboren am 9. November 1960, vertreten durch Mag. Andreas Neuner, Rechtsanwalt in 2340 Mödling, Josefsgasse 25, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, betreffend die Versäumung der Frist zur Einbringung der Beschwerde gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Februar 2002, Zl. 221.509/0-IX/27/01, sowie über die mit diesem Antrag verbundene Beschwerde gegen den angeführten Bescheid den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates (belangte Behörde) vom 19. Februar 2002 wurde die Berufung des nunmehrigen Antragstellers und Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Armenien (im Folgenden: Beschwerdeführer), gegen den seinen am 20. November 2000 gestellten Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Februar 2001 gemäß §§ 7, 8 AsylG abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde zur Erhebung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid mit hg. Beschluss vom 16. Mai 2002 die Verfahrenshilfe u. a. durch Beigebung eines Rechtsanwaltes bewilligt. Der Bescheid über die Bestellung zum Verfahrenshelfer wurde dem nunmehrigen Beschwerdevertreter am 6. Juni 2002 zugestellt. Die Frist zur Erhebung der Beschwerde endete daher gemäß § 26 Abs. 3 VwGG am 18. Juli 2002.

Die Beschwerde wurde von dem zum Verfahrenshelfer bestellten Beschwerdevertreter erst am 19. Juli 2002 zur Post gegeben, langte am selben Tag beim Verwaltungsgerichtshof ein und wurde zur hg. Zl. 2002/20/0381 protokolliert. Sie war mit dem Antrag verbunden, ihr die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Mit seinem am 1. August 2002 zur Post gegebenen Schriftsatz begehrte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist.

Nach den Ausführungen in diesem Schriftsatz sei es zur verspäteten Einbringung der zur Zl. 2002/20/0381 protokollierten Beschwerde aus folgenden Gründen gekommen:

Der zum Verfahrenshelfer bestellte Rechtsanwalt habe die Beschwerde rechtzeitig verfasst und beabsichtigt, diese fristgerecht am 18. Juli 2002 zur Post zu bringen. Aufgrund eines einmaligen, noch nie vorgekommenen Versehens seiner Kanzlei sei die Beschwerde nicht beim Kanzleipostamt in Mödling, das um 18.00 Uhr schließe, zur Post gegeben worden. Der Beschwerdevertreter habe diesen Umstand noch vor Mitternacht bemerkt und sei daraufhin selbst gegen 23.15 Uhr mit seinem PKW zum Postamt Wien-Südbahnhof gefahren, welches bis vor einiger Zeit über einen von 0.00 Uhr bis 24.00 Uhr geöffneten Schalter verfügt habe. In der Folge musste der Beschwerdevertreter jedoch bemerken, dass sowohl das Postamt Wien-Südbahnhof als auch das Postamt Wien-Westbahnhof, bei dem man ebenfalls früher bis 24.00 Uhr Poststücke aufgeben konnte, keinen Nachtschalter mehr führten und bereits geschlossen waren. Der Beschwerdevertreter habe daraufhin telefonisch in Erfahrung gebracht, dass das einzige Postamt, welches noch einen durchgehend geöffneten Schalter führe, das Postamt 1010 Wien, Fleischmarkt, sei. Er sei daraufhin sofort mit seinem PKW zu diesem Postamt gefahren, es sei jedoch nur ein einziger Schalter geöffnet gewesen, an dem auch noch andere Kunden vor dem Beschwerdevertreter abzufertigen waren, sodass die Beschwerde erst am 19. Juli 2002, 0.10 Uhr, zur Post gegeben werden konnte. Die Quittung sei nach Erledigung der Postaufgabe mit dem Datum 19. Juli 2002, 0.16 Uhr ausgestellt worden.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Dies gilt auch für den bestellten Verfahrenshelfer (vgl. z.B. den hg. Beschluss vom 16. Mai 2002, Zl. 2002/20/0182, 0183). Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt somit im Hinblick auf die Bestimmung des § 46 Abs. 1 zweiter Satz VwGG nur in Betracht, wenn dem Antragsteller und seinem Vertreter kein Versehen oder nur ein minderer Grad des Versehens angelastet werden kann.

Der Verwaltungsgerichtshof hat keinen Grund, an den auch durch die Datums- und Zeitangabe auf dem Poststempel und eine vom Verwaltungsgerichtshof bei der Österreichischen Post AG eingeholte Anfrage belegten Angaben des Beschwerdevertreters im Wiedereinsetzungsantrag zu zweifeln. Demnach hat der Beschwerdevertreter die Beschwerde am 19. Juli 2002 um 0.16 Uhr - also um sechzehn Minuten verspätet - zur Post gegeben, was darauf zurückzuführen war, dass die seit Jahrzehnten bis 24.00 Uhr geöffneten Postämter Wien-Südbahnhof und Wien-Westbahnhof nunmehr nur bis 22.00 Uhr (Südbahnhof) bzw. 23.00 Uhr (Westbahnhof) geöffnet haben.

Die Erledigung fristgebundener Schriftsätze am letzten Tag der Frist kann dem Rechtsanwalt - sofern er die organisatorische Vorsorge zur Wahrung der Frist trifft - nicht als sorgfaltswidrig angelastet werden (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 27. November 2001, Zl. 2001/18/0114). Auch ein erst am letzten Tag der Beschwerdefrist eingetretenes unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis kann daher das Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2001, Zl. 2000/20/0495).

Es begründete kein Verschulden, dass der Beschwerdevertreter die Beschwerde nicht, wie offenbar sonst üblich, bei dem nur bis 18.00 Uhr geöffneten Postamt in Mödling zur Post gab, weil er unter Berücksichtigung der angegebenen Abfahrtszeit und des Abfahrtsortes noch rechtzeitig abgefahren ist, um die Postaufgabe in Wien vornehmen zu können. Berücksichtigt man den Umstand, dass die Postämter Wien-Südbahnhof und Wien-Westbahnhof nach dem offenbar durch die langjährig bestandenen Öffnungszeiten geprägten Wissensstand des Beschwerdeführers bis 24.00 Uhr hätten geöffnet sein müssen, wobei die Öffnungszeiten erst vor nicht allzu langer Zeit geändert wurden, kann im vorliegenden Fall auch nicht gesagt werden, dem Beschwerdevertreter sei dadurch, dass er nicht sogleich zum Postamt 1010 Wien, Fleischmarkt 19 (das nunmehr als einziges Postamt in Wien bis 24.00 Uhr geöffnet hat) gefahren ist, ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden zur Last zu legen, zumal der Beschwerdeführer die Postaufgabe dort um lediglich eine Viertelstunde verspätet

vorgenommen hat. Da den Beschwerdeführer somit kein die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden trifft, war seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 lit. e VwGG gebildeten Senat stattzugeben.

Wien, am 12. September 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002200434.X00

Im RIS seit

29.11.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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