Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §1 Z4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des DG in Wien, geboren am 20. Juli 1977, vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. September 1999, Zl. 212.507/0-III/09/00, betreffend § 6 Z 1, § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer reiste am 30. Juli 1999 in das Bundesgebiet ein und stellte am 2. August 1999 einen Asylantrag. Als seine Staatsangehörigkeit gab der Beschwerdeführer bei seiner ersten Einvernahme am 31. Juli 1999 Sierra Leone an; bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 12. August 1999 gab er weiters an, in Sierra Leone geboren und noch als Kind mit seiner Familie nach Johannesburg gezogen zu sein. Zu seinen Fluchtgründen sagte der Beschwerdeführer bei der Einvernahme am 31. Juli 1999 aus, dass er Johannesburg verlassen habe, weil "mein Vater Alkoholiker (ist) und in meiner Heimat Krieg herrscht". Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 12. August 1999 gab der Beschwerdeführer an, keine Probleme mit den Behörden Südafrikas gehabt zu haben und bis zu seiner Ausreise keinen konkreten Verfolgungen aus politischen, religiösen, rassischen oder anderen Gründen ausgesetzt gewesen zu sein. Er habe keine Dokumente und müsste deshalb bei seiner Rückkehr nach Südafrika "um Geld betteln". In sein Geburtsland Sierra Leone könne er nicht reisen, weil es dort Krieg gebe. Er habe keinerlei sonstige Fluchtgründe vorzubringen. Er verfüge derzeit über keine Dokumente, habe aber einen südafrikanischen Personalausweis gehabt, der in Südafrika zurück geblieben sei. Seine Geburtsurkunde sei "von Sierra Leone gewesen".
In Bezug auf die aktuelle Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers wurde bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt zunächst festgehalten, er sei (offenbar: seinen Angaben zufolge) Staatsangehöriger von Sierra Leone (AS 19 und 25). Gegen Schluss der Einvernahme wurde eine "Anmerkung" protokolliert, wonach "auf Grund der Angaben" des Beschwerdeführers davon ausgegangen werde, dass er "Staatsangehöriger von Südafrika" sei. Zwar "könnte" sein "Geburtsland" tatsächlich Sierra Leone sein, doch habe er "sein ganzes Leben in Südafrika verbracht" und auch einen südafrikanischen "Personalausweis" besessen. Daher werde die Angabe zur Staatsangehörigkeit in der die Personalien betreffenden Datengruppe nachträglich geändert (AS 29 und 37).
Mit Bescheid vom 26. August 1999 wies das Bundesasylamt in Spruchpunkt I. den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 1 AsylG ab und erklärte in Spruchpunkt II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Südafrika gemäß § 8 AsylG für zulässig. Das Bundesasylamt stellte fest, der Beschwerdeführer habe Südafrika verlassen, weil er und sein Vater wegen der Trunksucht des Vaters die Unterkunft verloren hätten. Da der Beschwerdeführer den Aufenthaltsort seiner Eltern nicht kenne und nicht gewusst habe, was er in Johannesburg anfangen solle, habe er nach Deutschland reisen wollen, um dort Arbeit zu finden. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers lasse sich daher offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen, dass ihm im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung drohe. Da der Beschwerdeführer keinen Reisepass oder andere Dokumente besitze, stehe seine Identität nicht fest. Er habe zwar Sierra Leone als sein Geburtsland angegeben, jedoch verbinde ihn mit Sierra Leone nur die Tatsache, dass er dort angeblich geboren sei. Ob diese Behauptung den Tatsachen entspreche, könne vom Bundesasylamt nicht festgestellt werden; die Behauptung des Beschwerdeführers reiche für eine Glaubhaftmachung jedenfalls nicht aus. Da er jedoch glaubhaft angegeben habe, sein ganzes Leben, soweit er sich zurückerinnern könne, in Südafrika verbracht zu haben, und einen in Südafrika ausgestellten Personalausweis besessen habe, gehe das Bundesasylamt davon aus, dass es sich bei Südafrika um den "Herkunftsstaat" des Beschwerdeführers handle. Die Non-refoulement-Prüfung sei daher in Bezug auf Südafrika vorgenommen worden. In Bezug auf Südafrika liege beim Beschwerdeführer kein Abschiebehindernis vor.
Der Beschwerdeführer erhob gegen diese Entscheidung eine in englischer Sprache verfasste Berufung, in der er zunächst ausdrücklich behauptete, Staatsangehöriger von Sierra Leone zu sein. Probleme mit der eigenen Familie hätten seinen Vater veranlasst, zusammen mit dem Beschwerdeführer und dessen Mutter nach Südafrika zu übersiedeln, als der Beschwerdeführer noch sehr klein gewesen sei. In Südafrika hätten seine Eltern keine Arbeit gefunden, weil sie sich dort illegal aufgehalten hätten. Zu den Ereignissen vor seiner Flucht nach Europa führte der Beschwerdeführer in der Berufung aus, dass er bei dem Versuch, nach dem Verlust der Wohnung seine Mutter zu suchen, nach Sierra Leone gegangen sei. Dort habe er folgende "Probleme, über die man mich nicht befragt hat", gehabt:
"Als ich nach Sierra Leone zurückkehrte, hatte ich Probleme mit einer Gruppe von Männern, die mich dazu aufforderten, ihnen beizutreten und für meine Heimat zu kämpfen. Sie fragten mich nach meinem Namen und ich teilte ihnen diesen mit. Ein Mann brachte ein sehr großes Gewehr heraus und als ich es sah, wäre ich beinahe in Ohnmacht gefallen. Ich sagte dem Mann, dass ich darüber nachdenken müsste. Der Mann sagte mir, dass er FUDEY SANKOH hieß und er der Anführer seiner Gruppe sei und wir für unsere Heimat kämpfen müssten. So bat ich ihn um eine Frist von einigen Tagen zum Nachdenken. Da ich weinte, ließ er mich gehen. Diese Vorkommnisse erzählte ich auch der Caritas, als ich das erste Mal mit einem Vertreter von ihnen sprach. Ich kehrte dann schnell nach Südafrika zurück, hatte aber Angst, da dieser Mann mir gesagt hatte, dass ich nicht mehr zurückkehren dürfe, da ich andernfalls umgebracht würde. (Aus dem engl. Text geht nicht hervor, welcher gemeint ist; Anmerkung des Übersetzers). Ich schlief am Arbeitsplatz bis zum nächsten Morgen und sah dann auf dem Weg zwei Männer, die mir mitteilten, dass sie Leute nach Deutschland brachten. (...) Ich möchte nicht nach Südafrika zurückkehren, da dies nicht meine Heimat ist. Außerdem habe ich dort niemanden, der mir helfen würde. Ich weiß auch nicht, wo sich meine Eltern befinden."
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung ab. Sie begründete ihre Entscheidung damit, sie schließe sich den Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid in beiden Spruchpunkten an und erhebe diese zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides. Das Berufungsvorbringen sei "nicht geeignet, Anknüpfungspunkte dafür zu gewinnen", dass der Beschwerdeführer die Staatsangehörigkeit von Sierra Leone besitze. "Das Berufungsvorbringen, dass er als Staatsangehöriger von Sierra Leone anlässlich eines kurzfristigen Aufenthaltes in diesem Staat 'für die Heimat kämpfen sollte'", stelle ein gegenüber der niederschriftlichen Einvernahme vom 12. August 1999 "gesteigertes Vorbringen dar, das daher nicht glaubwürdig zu erscheinen vermag". Ein "Anknüpfungspunkt" für eine Staatsangehörigkeit von Sierra Leone sei "daher nicht zu gewinnen". Hingegen lägen Anknüpfungspunkte vor, die darauf schließen ließen, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Südafrika sei. Da Südafrika das Land des früheren gewöhnlichen Aufenthaltes des Beschwerdeführers gewesen sei und seine Reiseroute in Johannesburg (Südafrika) begonnen habe, gehe die belangte Behörde davon aus, dass "selbst im Falle der Staatenlosigkeit" des Beschwerdeführers sein Herkunftsstaat Südafrika sei. Da sich auch dem Berufungsvorbringen offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lasse, dass dem Beschwerdeführer in Südafrika Verfolgung drohe, wobei kein sonstiger Hinweis auf Verfolgungsgefahr in Südafrika vorliege, und in diesem Staat auch keine Gefährdung im Sinn des § 57 FrG gegeben sei, sei somit die Berufung abzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat den Asylantrag nach § 6 Z 1 AsylG als offensichtlich unbegründet beurteilt, weil sich dem Vorbringen des Beschwerdeführers offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lasse, dass ihm in Südafrika (als seinem Herkunftsstaat) asylrelevante Verfolgung drohe. Nach der Begriffsbestimmung des § 1 Z 4 AsylG ist Herkunftsstaat der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes. Bei der Abweisung eines Asylantrages nach § 6 Z 1 AsylG ist ausschließlich von den Angaben des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen mit der erforderlichen Eindeutigkeit keine Behauptungen im Sinne einer im Herkunftsstaat drohenden Verfolgung entnehmen lassen (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0531); für eine Beurteilung auf Basis ergänzender oder gar gegenteiliger Feststellungen ist in diesem Zusammenhang daher kein Raum. Auch in Bezug auf die Bestimmung des Herkunftsstaates ist daher im Falle der Abweisung eines Asylantrages nach § 6 Z 1 AsylG von den Sachverhaltsbehauptungen des Asylwerbers auszugehen.
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer jedenfalls in der Berufung eindeutig angegeben, die Staatsangehörigkeit von Sierra Leone zu besitzen, die er auch seinen früheren Angaben zufolge zumindest am Beginn seines Lebens offensichtlich gehabt haben musste. In der Beschwerde wird daran festgehalten, dass der Beschwerdeführer noch immer Staatsbürger Sierra Leones sei und dieses Land habe verlassen müssen, weil er sich geweigert habe, für die Rebellen zu kämpfen; überdies sei auf Grund des Vorbringens des Beschwerdeführers Sierra Leone als sein letzter gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen. Da zumindest nach dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers schon nicht davon ausgegangen werden kann, dass er seinen eigenen Angaben zufolge die Staatsangehörigkeit von Sierra Leone verloren habe, hat die belangte Behörde, indem sie seinen Asylantrag mit der dargestellten Begründung gemäß § 6 Z 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abwies, den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Aus den angeführten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 1 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 12. September 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999200618.X00Im RIS seit
07.11.2002