TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/12 2001/20/0310

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Veröffentlicht am 12.09.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des AT in Wien, geboren am 22. Juni 1976, vertreten durch Dr. Bettina Windisch, Rechtsanwältin in 1220 Wien, ARES-Tower, Donau-City-Straße 11, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. Februar 2001, Zl. 220.010/0-III/07/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 30. August 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte am 31. August 2000 einen Asylantrag. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 15. September 2000 gab der Beschwerdeführer an, er sei als Vorsitzender einer Jugendorganisation in dem (im Niger-Delta gelegenen) Igarra in Kämpfe rivalisierender Stämme bzw. Dörfer wegen Goldfunden auf dem Land eines der Dörfer verwickelt worden. Im Laufe von Kampfhandlungen seien Menschen getötet und Häuser niedergebrannt worden, sodass die nigerianische Regierung im Juli 2000 Soldaten entsandt habe, um die Kämpfe zu beenden. In seiner Funktion als Vorsitzender der "Igarra Youth Association" habe der Beschwerdeführer sich für den Frieden eingesetzt, er werde jetzt aber fälschlich beschuldigt, dass er für den Tod von Polizisten und den Diebstahl von Munition verantwortlich sei. Aufgrund dieser fälschlichen Anschuldigungen sei es bereits zu Festnahmen von Mitgliedern seiner Jugendorganisation gekommen. Einige der Verhafteten seien verschwunden, und er befürchte nun - wie andere festgenommene Jugendliche - in der Haft getötet zu werden. Die Regierung wolle "niemanden mehr anhören und alle umbringen".

Mit Bescheid vom 4. Oktober 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 AsylG als zulässig. Das Bundesasylamt begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die im Zuge der Auseinandersetzungen erfolgten Übergriffe und Bedrohungen keine gegen den Beschwerdeführer gerichtete asylrelevante Verfolgungshandlung darstellten. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er werde fälschlich eines strafbaren Verhaltens beschuldigt, könne die Gewährung von Asyl nicht rechtfertigen, weil es jedem Bürger widerfahren könne, wegen eines falschen Verdachtes in ein Straf- bzw. Ermittlungsverfahrens einbezogen zu werden. Insgesamt sei nicht glaubhaft gewesen, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat Verfolgung drohe. Seine den Abschiebeschutz versagende Entscheidung gemäß § 8 AsylG begründete das Bundesasylamt damit, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat von der Staatsgewalt nicht geschützt werden könne, und dass die nach Beendigung der Kampfhandlungen gesetzten Nachforschungen der Polizei, von denen der Beschwerdeführer betroffen sein könnte, nicht als unmenschliche Behandlung zu werten wären.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid machte der Beschwerdeführer geltend, dass er wegen seiner politischen Tätigkeit als Mitglied einer Jugendorganisation verfolgt werde. Im Falle einer Rückkehr liefe er Gefahr sofort verhaftet zu werden, was unmenschliche Behandlung, Strafe oder sogar Todesstrafe nach sich ziehen würde.

Die belangte Behörde stellte dem Beschwerdeführer zu Handen des von ihm - auch in der Berufung - angegebenen Zustellbevollmächtigten eine Ladung zur mündlichen Berufungsverhandlung am 12. Februar 2001 zu. Zu dieser Berufungsverhandlung erschien der Beschwerdeführer nicht.

Die belangte Behörde führte die Berufungsverhandlung in Abwesenheit der Parteien durch und hielt in der Verhandlungsschrift fest, dass die Behauptung des Beschwerdeführers, dass die in die gewalttätigen Auseinandersetzungen verwickelten Jugendlichen alle von der Polizei getötet werden sollten, nicht glaubhaft erscheine. Es wäre am Beschwerdeführer gelegen, seine diesbezüglichen Behauptungen zu konkretisieren und begründend darzutun, auf welche nachvollziehbare Grundlage er seine Mutmaßungen stütze. Überhaupt falle auf, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers sehr oberflächlich gehalten und wenig glaubhaft sei, sodass bei Durchsicht seiner erstinstanzlichen Angaben der Eindruck entstehe, dass der Beschwerdeführer eine nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmende Geschichte vorgetragen habe. Die belangte Behörde hielt dem - nicht anwesenden - Beschwerdeführer weiters einen Bericht des auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland zur asylrelevanten Verfolgung von Personen in Nigeria vor und vermerkte abschließend, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung, der er ferngeblieben sei, Gelegenheit gehabt hätte, seine Behauptungen zu konkretisieren und die von ihm geltend gemachte Bedrohung nachvollziehbar darzulegen.

Mit dem nach Schluss der Verhandlung verkündeten, nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei. Sie begründete ihre Entscheidung in der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides damit, dass dahingestellt bleiben könne, ob das Vorbringen des Beschwerdeführers wahr sei, weil die von ihm bei seiner erstinstanzlichen Einvernahme geltend gemachte Bedrohung seiner Person in keinem erkennbaren Zusammenhang mit einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe stehe. Die in der Berufung behauptete politische Dimension einer allenfalls gegen ihn gerichteten staatlichen Maßnahme hätte der Beschwerdeführer in der Berufungsverhandlung konkret und detailliert darlegen müssen. Von dieser Möglichkeit habe er aber aufgrund seines unentschuldigten Fernbleibens von dieser Verhandlung keinen Gebrauch gemacht. Die Entscheidung über den Abschiebeschutz begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der Asylwerber behauptet habe, dass er seine Ermordung durch Polizisten befürchte, weil die Regierung erbost darüber sei, dass sich die Einwohner der betroffenen Dörfer bekämpft hätten, und alle Festgenommenen in der Zelle vergiftet werden sollten. Angesichts dieses Vorbringens könne von einer glaubwürdigen Schilderung einer dem Beschwerdeführer drohenden unmenschlichen Behandlung oder Verfolgung nicht ausgegangen werden, zumal sich auch in namhaften Berichten über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria keine Anhaltspunkte dafür finden würden, dass angehaltene Personen Gefahr liefen, seitens der Polizeibehörden vergiftet zu werden. Vielmehr ergebe sich aus den Länderberichten übereinstimmend, dass sich seit der Machtübergabe an die Zivilregierung die Menschenrechtssituation in Nigeria stets verbessert habe, sodass nicht glaubhaft erscheine, dass der Asylwerber im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria von der Polizei getötet werden würde.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer hat bereits bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt ausgesagt, dass die Regierung alle an den durch einen Goldfund ausgelösten Auseinandersetzungen zwischen zwei Dörfern bzw. Stämmen Beteiligten umbringen lassen wolle, weil sie über die Auseinandersetzungen "erbost" sei und nun "niemanden mehr anhören" wolle. Die belangte Behörde hat das Vorbringen des Beschwerdeführers, er werde durch das Vorgehen der Polizei bedroht, im Asylteil des angefochtenen Bescheides nicht als unglaubwürdig qualifiziert, sondern rechtlich als "in keinem erkennbaren Zusammenhang mit einem der in der GFK genannten Gründe" stehend beurteilt. Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid in diesem Zusammenhang nicht auf die in der Berufungsverhandlung - zu der der Beschwerdeführer durch Zustellung der Ladung an seinen Zustellungsbevollmächtigten entgegen dem Beschwerdevorbringen wirksam geladen worden ist - protokollierten Überlegungen zur mangelnden Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers gestützt; mangelnde Glaubwürdigkeit der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Bedrohung wird erst dem den Abschiebeschutz betreffenden Teil der Entscheidungsbegründung zugrunde gelegt. Die dortigen Ausführungen erschöpfen sich aber in der nicht näher begründeten Bezeichnung der Aussage des Beschwerdeführers als "nicht stimmig" und dem Hinweis, aus der Berichtslage seien keine Anhaltspunke ersichtlich, dass von der Polizei angehaltene Personen Gefahr liefen, von den Polizeibehörden vergiftet zu werden, und enthalten keine weiteren die Annahme der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers tragenden Argumente.

Träfen die Behauptungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen zu, so wäre diese Bedrohung jedoch im Zusammenhang mit dem in der Beschwerde zutreffend relevierten und belegten Umstand, dass Auseinandersetzungen um Bodenschätze die Hauptstreitpunkte zwischen den gesellschaftlichen Gruppen in der betreffenden Region des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers (Niger-Delta) sind, als politisch begründetes Vorgehen zu werten. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, reicht es für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung, dass eine staatsfeindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. September 1997, 96/01/0871). Als politisch kann alles qualifiziert werden, was für den Staat, für die Gestaltung bzw. Erhaltung der Ordnung des Gemeinwesens und des geordneten Zusammenlebens der menschlichen Individuen in der Gemeinschaft von Bedeutung ist (vgl. Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999) Rz 408).

Da das Vorbringen des Beschwerdeführers somit nicht von vornherein als nicht asylrelevant qualifiziert werden kann, hätte sich die belangte Behörde schon in Bezug auf den Asylteil ihrer Entscheidung ausführlicher, als dies im angefochtenen Bescheid geschehen ist, mit der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens auseinandersetzen müssen. Um ihre den zweiten Spruchpunkt des Bescheides auch ihrer eigenen Ansicht nach allein tragende Beweiswürdigung schlüssig zu begründen, hätte sie die in der Beschwerde dargestellten Hinweise in den Berichten insbesondere auf extralegale Hinrichtungen im Zusammenhang mit der Beteiligung von Jugendorganisationen am Kampf um Ressourcen und Land nicht ausblenden dürfen, sondern in eine ins Einzelne gehende Prüfung der Frage, in welchen Punkten das Vorbringen des Beschwerdeführers mit der Berichtslage dessen ungeachtet nicht in Einklang stehe, einbeziehen und sich mit der Tragfähigkeit dieser Abweichungen für eine Verneinung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens auseinandersetzen müssen.

Da die belangte Behörde dies unterlassen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. September 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001200310.X00

Im RIS seit

07.11.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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