TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/12 2000/20/0348

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Veröffentlicht am 12.09.2002
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57;
Übk gegen Folter grausame und unmenschliche Behandlung Art3 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des AA in Wien, geboren am 4. April 1967, vertreten durch Mag. Kurt Kadavy, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Porzellangasse 45/7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Mai 2000, Zl. 215.998/0-II/39/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesh, der seinen Angaben zufolge am 30. August 1999 in das Bundesgebiet eingereist war, beantragte am 31. August 1999 Asyl. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 17. September 1999 gab er im Wesentlichen an, seit 1988 Generalsekretär der Bangladesh Freedom Party in Daudkandi gewesen und am 1. Jänner 1999 in einem von ihm mit "Shobibad" bezeichneten Ort an einer "Großkundgebung" der Vereinigung der Oppositionsparteien teilgenommen zu haben. Bei der Kundgebung sei es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit Teilnehmern einer Kundgebung der Awami League gekommen. Der Beschwerdeführer habe sich an dieser Auseinandersetzung nicht beteiligt, am nächsten Tag aber erfahren, dass er von einem Funktionär der Awami League wegen der Ermordung eines bei der Auseinandersetzung ums Leben gekommenen Mitgliedes der Awami League angezeigt worden sei. Am 3. Jänner 1999 sei die Polizei zum Beschwerdeführer nach Hause gekommen. Der Beschwerdeführer habe aber fliehen können und sich in weiterer Folge eine Woche lang in Chittagong und danach bis zum 15. August 1999 bei seiner Schwester in Sylhet aufgehalten. Er hätte in Bangladesh kein faires Gerichtsverfahren zu erwarten gehabt, weil die Awami League an der Macht sei und Einfluss auf die Gerichte ausübe. Im Falle einer Rückkehr nach Bangladesh erwarte ihn eine hohe Haftstrafe oder sogar die Todesstrafe.

In seiner Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29. Februar 2000, mit dem sein Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz abgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Bangladesh für zulässig erklärt wurden, brachte der Beschwerdeführer unter anderem vor, auch seine Frau und seine Kinder hätten aus dem Haus flüchten und sich bei Bekannten verstecken müssen, weil Mitglieder der Awami League das Haus angegriffen und beschossen hätten. Es sei ein übliches Vorgehen der Behörden, Regierungsgegner "unter Scheinvorwürfen zu verhaften, monatelang ohne Gerichtsverhandlung einzusperren und zu misshandeln. Dies alles mit dem alleinigen Ziel politisch Andersgesinnte zu verfolgen, Namen von Oppositionsmitgliedern zu erhalten und insgesamt politisch aktive Personen einzuschüchtern". Viele Parteifreunde des Beschwerdeführers seien unter dem Vorwurf des Mordes oder der Begehung terroristischer Handlungen verhaftet worden und auf unerklärliche Weise verschwunden. An die Polizei habe sich der Beschwerdeführer nicht gewendet, weil diese ihn gesucht habe und der Awami League nahe stehe. Die Verhaftungen im Anschluss an oppositionelle Kundgebungen fänden systematisch statt und dienten dem "einzigen Ziel", Regierungsgegner einzuschüchtern oder die Namen oder Adressen anderer Aktivisten zu erpressen. Amnesty International berichte davon, dass Regierungsgegner auf Grund des "Special Powers Act" unter vorgetäuschten Begründungen ohne Gerichtsverfahren in Haft genommen worden und verschwunden seien. Das gleiche Schicksal drohe dem Beschwerdeführer, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sei, sich unter den Schutz der Gerichtsbarkeit zu stellen. Diese sei weder Willens noch in der Lage, ihn vor der Verfolgung durch seine politischen Gegner zu schützen. Nach dem "Amnesty International-Bericht-98" komme es im Gewahrsam der Polizei immer wieder zu Folterungen und extralegalen Hinrichtungen. Folterungen seien weit verbreitet. Bei einer Abschiebung in seine Heimat drohe dem Beschwerdeführer die sofortige Verhaftung. Er liefe jedenfalls Gefahr, unmenschlicher Behandlung oder Strafe oder gar der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Die belangte Behörde führte eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in deren Verlauf der Beschwerdeführer ausdrücklich bestritt, dass die im erstinstanzlichen Bescheid getroffenen Feststellungen über die Gerichtsbarkeit in Bangladesh den Tatsachen entsprächen. Nach Vorhalt und Übersetzung eines Gutachtens vom 16. April 1999 sowie eines Schreibens des UNHCR vom 12. April 1999 jeweils zur Bangladesh Freedom Party gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, die Partei habe ab dem 13. August 1996 nicht mehr existiert. Das Bestehen einer inländischen "Fluchtalternative" verneinte er mit der Begründung, die Familie des Getöteten sei an seiner Verfolgung interessiert, verfüge über ein "gutes Informationsnetzwerk", mit dem sie den Beschwerdeführer überall ausforschen könne, und informiere die Polizei. Gegen den Beschwerdeführer bestehe ein offizieller Haftbefehl. Dass er bei der Ausreise keine Schwierigkeiten gehabt habe, sei damit zu erklären, dass das Fahndungssystem nicht so gut und vor allem nicht so schnell funktioniere wie in Europa und der Beschwerdeführer damals einen Bart getragen habe.

Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Bangladesh fest.

Diese Entscheidung begründete die belangte Behörde - im Anschluss an eine Wiedergabe des Verfahrensverlaufes und allgemein gehaltene Rechtsausführungen - wie folgt:

"In den in der Verhandlung herangezogenen Gutachten von Mag. Brüser vom 16.4.1999 sowie des UNHCR vom 12.4.1999 wird betont, dass die Mitglieder der weder formell aufgelösten noch verbotenen Bangladesh Freedom Party (BFP) wegen ihrer politischen Ausrichtung keine Verfolgung zu befürchten haben; die Verfolgung führender Mitglieder dieser Partei wurzelt in deren Involvierung in den Militärputsch 1975 und in die damit in Zusammenhang stehende Tötung des Sheik Mujibur Rahman.

Zur Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des 'Glaubhaft-Seins' im Sinne des § 7 AsylG ist es zwar nicht erforderlich, dass der maßgebliche Sachverhalt erwiesen ist, jedoch muss das Vorbringen des Einschreiters hinreichend substantiiert und in sich schlüssig sein.

Diese Voraussetzungen treffen aber im gegenständlichen Fall nicht zu, zumal es wenig glaubwürdig ist, dass trotz eines gegen den Berufungswerber angeblich bestehenden Haftbefehles eine ungehinderte und legale Ausreise aus Bangladesh möglich war. Aber selbst für den Fall, dass ein Haftbefehl gegen den Berufungswerber existiert, ist für seine Berufung daraus nichts zu gewinnen, da in jedem rechtsstaatlichen Land bei Verdacht auf Begehung eines Mordes oder auf Beteiligung an einem Mord eine derartige Vorgangsweise - vorläufige Inhaftierung zwecks Einvernahme - zu erwarten ist. Auf die in diesem Zusammenhang von der Erstbehörde bereits im angefochtenen Bescheid dargestellte Situation der Gerichtsbarkeit in Bangladesh wird verwiesen. Darüber hinaus haben sich anhand der o.a. Gutachten auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Berufungswerber, ein einfaches Mitglied der BFP, in einem Gerichtsverfahren auf Grund seiner politischen Gesinnung anders behandelt werden würde.

Hinsichtlich der geltend gemachten Verfolgung durch Angehörige des Ermordeten, eines Awami-League-Anhängers, welche im Gegensatz zu einer staatlichen Verfolgung als Verfolgung durch Private gewertet werden muss, konnte der Berufungswerber nicht glaubwürdig darlegen, dass ihm eine landesweite Verfolgung drohe, zumal er selbst angegeben hat, an verschiedenen Orten in Bangladesh ohne jeglicher Probleme auch über längere Zeiträume gelebt zu haben. So kann auch nicht die angebliche Nachfrage der Polizei beim Schwager des Berufungswerbers in Sylhet als fluchtauslösend angesehen werden, zumal sich der Berufungswerber diesbezüglich an keine Einzelheiten, wie insbesondere das Datum dieser Erkundigung, erinnern kann.

Unter Berücksichtigung aller Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens kann jedenfalls nicht davon gesprochen werden, dass im Herkunftsstaat des Berufungswerbers eine nicht sanktionierte ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen (siehe in diesem Zusammenhang VfGH vom 4.10.1994, B 986/94) herrscht. Es haben sich somit für die erkennende Behörde keine Anhaltspunkte für eine aktuelle politische und landesweite Verfolgung im Sinne der GFK ergeben und war daher spruchgemäß zu entscheiden."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat nicht näher begründet, inwiefern ihr das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht "hinreichend substantiiert und in sich schlüssig" erscheine. Sie hat sich in dieser Hinsicht nur auf die Behauptung eines Haftbefehles bezogen, ohne sich aber auch diesbezüglich mit den Argumenten des Beschwerdeführers zu befassen. Der Schwerpunkt der Bescheidbegründung liegt statt dessen auf Argumenten, die davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer das von ihm Geschilderte tatsächlich erlebt habe und auch ein Haftbefehl gegen ihn existiere. Dass dem Beschwerdeführer danach nur drohe, was "in jedem rechtsstaatlichen Land ... zu erwarten" sei, kann mit Rücksicht auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer seinem Vorbringen nach nicht wirklich des Mordes verdächtigt wurde, sondern dies nur ein Vorwand für seine Verfolgung aus politischen Gründen sein sollte, aber nicht nachvollzogen werden. Wenn die belangte Behörde in diesem Zusammenhang weiters auf die erstinstanzlichen Feststellungen über die Gerichtsbarkeit in Bangladesh verweist, so fehlt dabei nicht nur eine Auseinandersetzung mit der Bestreitung dieser erstinstanzlichen Feststellungen durch den Beschwerdeführer im Berufungsverfahren, sondern vor allem auch die Bedachtnahme darauf, dass der Beschwerdeführer sich zumindest im Berufungsverfahren in erster Linie auf die Gefahr berufen hat, ohne Gerichtsverfahren in Polizeihaft gehalten und dabei misshandelt zu werden und unter Umständen zu "verschwinden" (vgl. zur amtswegigen Ermittlungspflicht u.a. in Bezug auf das Vorgehen der Polizei beim Vollzug des "Special Powers Act" das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 2000/20/0570). Mit Feststellungen über das Ausmaß der politischen Beeinflussbarkeit der Justiz kann angesichts dieses - zuletzt vorrangig - auf das Vorgehen nicht der Gerichte, sondern der Polizei abstellenden Vorbringens kein Auslangen gefunden werden. Was die Frage einer inländischen Schutzalternative in einem für den Beschwerdeführer sicheren Landesteil anlangt, so lässt der angefochtene Bescheid nicht erkennen, aus welchen Gründen dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er hätte von der Familie des ums Leben gekommenen Mitglieds der Awami League überall in Bangladesh ausgeforscht werden können, nicht zu folgen sei, und dass die Polizei in Sylhet den Beschwerdeführer in einem solchen Fall nicht ihrerseits aus den von ihm behaupteten Gründen verfolgen, sondern vor einer Privatverfolgung durch die Angehörigen des Getöteten schützen würde. Die abschließenden Ausführungen der belangten Behörde über das Fehlen einer "nicht sanktionierten ständigen Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen" in Bangladesh beruhen nicht auf einer konkreten Auseinandersetzung mit bestimmten Ermittlungsergebnissen (wie etwa dem in der Berufung zitierten Bericht von Amnesty International). Sie betreffen davon abgesehen nur die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 FrG und auch in Bezug auf diese nur einen der "zu berücksichtigenden" Umstände, wobei die belangte Behörde mit der Bezugnahme auf eine "nicht sanktionierte" Praxis und mit der additiven statt alternativen Verknüpfung der genannten Arten von Menschenrechtsverletzungen noch zusätzliche Einschränkungen gegenüber dem Hinweis des Verfassungsgerichtshofes auf Art. 3 Abs. 2 Folterkonvention in dem zitierten Erkenntnis vom 4. Oktober 1994 vorgenommen hat. Aus einer diesbezüglichen Negativfeststellung könnte selbst dann, wenn sie schlüssig begründet wäre, nicht auf das Fehlen von "Anhaltspunkten" für die im vorliegenden Fall ausdrücklich behauptete Gefahr einer Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention geschlossen werden.

Der angefochtene Bescheid enthält somit insgesamt keine Gründe, die ausreichen würden, um eine ins Einzelne gehende beweiswürdigende Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit das Vorbringen des Beschwerdeführers der Entscheidung überhaupt zugrunde zu legen ist, zu erübrigen. Da der dem nicht Rechnung tragende Begründungsduktus der belangten Behörde - wie zuletzt ausgeführt - zumindest teilweise auf einer Verkennung der Rechtslage beruht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. September 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200348.X00

Im RIS seit

29.10.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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