Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
SPG 1991 §35;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 99/01/0173Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerden des M O A in Wien, geboren am 29. Oktober 1961, vertreten durch Dr. Georg Legat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 9/11, 1. gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 5. November 1998, Zl. UVS-02/P/16/00023/98, betreffend die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien in Anwendung des Sicherheitspolizeigesetzes (weitere Partei: Bundesminister für Inneres) und 2. wegen Verletzung der Entscheidungspflicht,
Spruch
zu 1.: zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge
Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
zu 2.: den Beschluss gefasst:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer zu 1. Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,--, der Beschwerdeführer hat dem Bund zu
2. Aufwendungen in der Höhe von EUR 311,50 jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsbürger, brachte am 14. April 1998 beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien - der belangten Behörde - eine Beschwerde "gemäß Art. 129a Abs. 1 B-VG und §§ 88 Abs. 1 und 2 (SPG), wegen rechtwidriger Ausübung von unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, verbunden mit einer Aufsichtsbeschwerde gemäß § 89 SPG wegen Verletzung von Richtlinien über das Einschreiten" ein. Nach dem in dieser Beschwerde dargestellten Sachverhalt sei der Beschwerdeführer am 19. März 1998 von zwei Sicherheitswachebeamtinnen (in der Folge: Beamtinnen) angehalten und nach seinem Reisepass gefragt worden. Da er diesen nicht bei sich gehabt habe, habe er sich bereit erklärt, mit den Beamtinnen zu seiner Wohnung, deren Adresse er genannt habe, zu fahren, um den Pass vorweisen zu können. Er sei dann aufgefordert worden, alle seine Taschen zu leeren. Dabei sei ein Zettel mit einer anderen Adresse als der, die er den Beamtinnen als seinen Wohnsitz bekannt gegeben habe, zum Vorschein gekommen. Die Beamtinnen hätten deshalb wohl Verdacht geschöpft und (zwei) männliche Kollegen (in der Folge: Beamte) gerufen, die die Kleidung des Beschwerdeführers durchsucht und ihn des Drogenbesitzes bzw. - handels verdächtigt hätten. Auf Grund dieser nur auf der Hautfarbe des Beschwerdeführers beruhenden Verdächtigung sei er verständlicher Weise laut geworden, habe seinen Unmut geäußert und die Beamten Rassisten genannt. Wegen dieses Verhaltens sei eine Organstrafverfügung ausgestellt worden, die zu bezahlen er auch bereit gewesen sei. Die Beamten hätten jedoch das Geld gleich aus seiner Geldbörse nehmen wollen, welcher Vorgangsweise er vehement widersprochen habe. Die Beamten hätten sodann beschlossen, ihn festzunehmen. Statt die Festnahme zu erklären, sei er von den Beamten zu Boden geworfen worden; dort seien ihm am Rücken Handfesseln angelegt worden. Dabei sei mehrmals gesagt worden, er solle nach Afrika zurückgehen, wenn ihm etwas nicht passe. Durch die dargestellte Vorgangsweise sei der Beschwerdeführer in den durch Art. 1 Abs. 4 und Art 2 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit und durch Art. 3 EMRK geschützten Rechten verletzt worden; es sei kein Grund für eine Festnahme vorgelegen. Mangels Anwendung von Gewalt durch den Beschwerdeführer gegen die Beamten sei das Anlegen der Handfesseln am Rücken nicht gerechtfertigt gewesen. Weiter hätten die Beamten dadurch, dass sie den Beschwerdeführer nur auf Grund seiner Hautfarbe einer Identitätsfeststellung unterzogen hätten, ihm im Zuge der Amtshandlung wegen seiner Hautfarbe voreingenommen gegenüber gestanden seien und ihn geduzt hätten, auch gegen § 5 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinienverordnung des Bundesministers für Inneres, worin solches Verhalten verboten würde, verstoßen.
Über diesen Vorfall hatten die Beamten am 19. März 1998 Anzeige erstattet, in der dem Beschwerdeführer versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt zur Last gelegt wird. In der Anzeige werden Identitätsfeststellung und Personendurchsuchung des Beschwerdeführers damit begründet, "daß an dieser Örtlichkeit (Brigittenauer Lände 40) zahlreiche Schwarzafrikaner anzutreffen seien, welche vermehrt SG-Handel betreiben. Aus diesem Grund wurde von (Beschwerdeführer) durch (Beamtin) und (Beamtin) eine I-Feststellung, gemäß § 35 SPG, sowie eine Personsdurchsuchung, gemäß § 40 SPG, durchgeführt". Weiter heißt es in der Anzeige, der Beschwerdeführer habe durch das laute Schreien gemäß § 1 Abs. 1 Wiener Landessicherheitsgesetz 1993 (WLSG 1993) ungebührlich störenden Lärm erregt. Nach Ausstellung eines Organmandates, womit sich der Beschwerdeführer zunächst einverstanden erklärt habe, habe er wieder laut zu schreien begonnen und habe mit beiden Armen auf alle anwesenden Sicherheitswachebeamten eingeschlagen. Nachdem der Beschwerdeführer von der Festnahme in Kenntnis gesetzt worden sei, sei er immer aggressiver geworden. Da dies in klarer Absicht geschehen sei, eine rechtmäßige Amtshandlung bzw. Festnahme zu vereiteln, sei der Beschwerdeführer gemäß § 177 in Verbindung mit § 175 Abs. 1 Z 1 StPO vorläufig festgenommen worden. Die Festnahme sei nur unter Anwendung massiver Körperkraft durchzuführen gewesen. Erst als der Beschwerdeführer zu Boden gedrückt worden sei, wäre es möglich gewesen, ihm gemäß § 4 iVm § 2 Abs. 4 Waffengebrauchsgesetz (WGG) bei am Rücken fest gehaltenen Händen die Handfesseln anzulegen.
In dem auf Grund dieser Anzeige eingeleiteten Strafverfahren wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15. Mai 1998 vom Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1, erster Fall StGB mangels Schuldbeweises freigesprochen.
In einer am 6. Mai 1998 beim Bezirkspolizeikommissariat Brigittenau aufgenommenen Niederschrift, die Teil des von der Bundespolizeidirektion Wien in Kopie vorgelegten Aktes ist, heißt es auszugsweise:
"Ich,(Beschwerdeführer), wh in 22, (Straße) habe am 07.04.1998 schriftlich Beschwerde wegen einer behaupteten Richtlinienverletzung eingebracht.
Ich erkläre hiermit, dass ich aufgrund der Ausführungen des Gefertigten klaglos gestellt bin. Die Aufnahme der Niederschrift erfolgt, da dies gemäß § 89 Abs. 3 SPG ein Formerfordernis darstellt. Durch die Unterfertigung dieser Niederschrift nehme ich zur Kenntnis, dass ich in der gegenständlichen Beschwerdesache keine weitere Mitteilung erhalte..."
Unterhalb dieses Textes ist in Druckschrift der Name des Beschwerdeführers angeführt, über den eine Unterschrift gesetzt worden ist.
Die belangte Behörde führte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens am 24. September 1998 eine mündliche Verhandlung durch, in deren Verlauf der Beschwerdeführer zum Festnahmegrund aussagte:
"...Er sagte dann zu seinem Kollegen, der die Geldbörse (des Beschwerdeführers) in der Hand hatte, er solle die S 300,-- herausnehmen und ich meinte dann, daß sei nicht gerecht. Ich habe ihn aufgefordert, mir meine Geldbörse zurückzugeben, ich könnte das Geld selbst herausnehmen. Ich stand zwischen den beiden Polizeibeamten. Der Polizeibeamte, der geschrieben hatte meinte dann zu dem anderen, vergessen wir die Geldbörse, machen wir Widerstand gegen die Staatsgewalt.
Er hat aufgehört zu schreiben und versuchte mich zu fesseln, die Hände auf dem Rücken...."
Die beiden Beamten und eine der Beamtinnen - die zweite wurde nicht einvernommen - sagten im Wesentlichen übereinstimmend aus, der Beschwerdeführer habe einem Beamten das Organmandat aus der Hand gerissen und ihm einen Stoß versetzt, sodass dieser zurückgetaumelt sei. Daraufhin sei die Festnahme ausgesprochen und es seien dem Beschwerdeführer, weil er mit den Händen um sich geschlagen habe, die Handschellen angelegt worden.
Mit Bescheid vom 5. November 1998 wies die belangte Behörde die "auf § 67a Abs.1 Z 2 AVG gestützte Beschwerde des (Beschwerdeführers) wegen Festnahme und Anlegung einer Handfessel am 19.3.1998" ab. Weiters wurde der Beschwerdeführer zum Kostenersatz in der Höhe von S 6.865,-- verpflichtet. In der Begründung hielt die belangte Behörde unter Anderem fest, der Beschwerdeführer sei bezüglich der ebenfalls erhobenen Richtlinienbeschwerde gemäß § 89 Abs. 3 SPG klaglos gestellt worden. Nach Wiedergabe des Wortlautes der Beschwerde und der Aussagen des Beschwerdeführers sowie der beiden an der Festnahme beteiligten Beamten und der Aussage einer der Beamtinnen nahm die belangte Behörde folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
"Der Beschwerdeführer erregte bereits vor der Ausstellung der Organstrafverfügung störenden Lärm und wurde abgemahnt; nach Ausstellung der Organstrafverfügung versetzte er dem Polizeibeamten einen Stoß, worauf die Festnahme ausgesprochen wurde; nach dem Ausspruch der Festnahme schlug der Beschwerdeführer mit den Händen um sich und begann erneut laut zu schreien; anschließend wurde er geschlossen.
Der Umstand, daß der Beschwerdeführer - zu Recht - im Richtlinien-Beschwerdeverfahren klaglos gestellt wurde, ändert somit nichts an der Rechtmäßigkeit der hier verfahrensgegenständlichen Festnahme und Schließung."
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde - im Rahmen der rechtlichen Beurteilung - aus, sie sehe keinen Grund, an der Richtigkeit der Angaben der einvernommenen Polizeibeamten zu zweifeln, dass der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Z 2 WLSG 1993 verwirklicht worden sei und der Beschwerdeführer im Sinne des § 35 Z 3 VStG trotz Abmahnung diese strafbare Handlung fortgesetzt hätte. Die Angaben der Polizeibeamten über das Verhalten des Beschwerdeführers wären keinen Bedenken begegnet.
Bei ihrer rechtlichen Beurteilung ging die belangte Behörde im Wesentlichen davon aus, dass die Festnahmegründe des § 35 Z 3 VStG und des § 175 Abs. 1 Z 1 StPO vorgelegen seien, auch wenn der Beschwerdeführer im strafgerichtlichem Verfahren freigesprochen worden sei und der Beginn der Amtshandlung und teilweise auch deren weiterer Verlauf durchaus rechtswidrig gewesen seien. Bezüglich des Festnahmegrundes gemäß § 177 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 175 Abs. 1 Z 1 StPO sei in der Gegenschrift zu Recht darauf hingewiesen worden, dass bei Beurteilung der Frage, ob der für die Festnahme zwingend vorausgesetzte Tatverdacht vertretbarer Weise habe angenommen werden können, jener Sachverhalt zu Grunde zu legen sei, der sich den einschreitenden Behördenorganen zum Zeitpunkt der Anhaltung dargeboten habe; ob dieser Sachverhalt in der weiteren Folge zu einem Freispruch im strafgerichtlichem Verfahren geführt habe, sei nicht entscheidend. Wegen des bei der Festnahme vom Beschwerdeführer geleisteten Widerstandes sei die Anlegung der Handfessel als gelindestes Mittel sachlich gerechtfertigt gewesen, weshalb durch diese Maßnahme Art. 3 MRK nicht verletzt worden sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Zu 1.:
Zunächst behauptet der Beschwerdeführer, aus § 89 Abs. 3 SPG ergebe sich, dass eine Klaglosstellung durch mündliche Äußerung der Behörde hätte erfolgen und er - als Beschwerdeführer - diese Klaglosstellung durch mündliche Äußerung schriftlich oder niederschriftlich hätte erklären müssen. Da dies in Bezug auf seine Richtlinienbeschwerde nicht geschehen sei, halte er die diesbezüglichen Ausführungen in seiner Beschwerde an die belangte Behörde aufrecht.
Die Beschwerden wegen Verletzung von Richtlinien für das Einschreiten (Richtlinienbeschwerden) waren in § 89 SPG in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 146/1999 wie folgt geregelt:
"§ 89. (1) Insoweit mit einer Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat die Verletzung einer gemäß § 31 festgelegten Richtlinie behauptet wird, hat der unabhängige Verwaltungssenat sie der zur Behandlung einer Aufsichtsbeschwerde in dieser Sache zuständigen Behörde zuzuleiten.
(2) Menschen, die in einer binnen sechs Wochen, wenn auch beim unabhängigen Verwaltungssenat (Abs. 1), eingebrachten Aufsichtsbeschwerde behaupten, beim Einschreiten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes, von dem sie betroffen waren, sei eine gemäß § 31 erlassene Richtlinie verletzt worden, haben Anspruch darauf, daß ihnen die Dienstaufsichtsbehörde den von ihr schließlich in diesem Punkte als erwiesen angenommenen Sachverhalt mitteilt und sich hiebei zur Frage äußert, ob eine Verletzung vorliegt.
(3) Von einer Mitteilung (Abs. 2) kann insoweit Abstand genommen werden, als der Beschwerdeführer schriftlich oder niederschriftlich erklärt, durch mündliche Äußerungen der Behörde klaglos gestellt worden zu sein.
(4) Jeder, dem gemäß Abs. 2 mitgeteilt wurde, daß die Verletzung einer Richtlinie nicht festgestellt worden sei, hat das Recht, binnen 14 Tagen die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates zu verlangen, in dessen Sprengel das Organ eingeschritten ist; dasselbe gilt, wenn eine solche Mitteilung (Abs. 2) nicht binnen drei Monaten nach Einbringung der Aufsichtsbeschwerde ergeht. Der unabhängige Verwaltungssenat hat festzustellen, ob eine Richtlinie verletzt worden ist.
(5) In Verfahren gemäß Abs. 4 vor dem unabhängigen Verwaltungssenat sind die §§ 67c bis 67g und 79a AVG sowie § 88 Abs. 5 dieses Bundesgesetzes anzuwenden. Der unabhängige Verwaltungssenat entscheidet durch eines seiner Mitglieder."
Die belangte Behörde hat über die Richtlinienbeschwerde nicht abgesprochen; sie vertrat die Meinung, es sei eine Klagloserklärung erfolgt. Die im Verwaltungsakt enthaltene, oben wiedergegebene Erklärung vom 6. Mai 1998 ist ihrem Inhalt nach als Erklärung der Klaglosstellung iSd § 89 Abs. 3 SPG zu werten. Es ist auch nicht zu sehen, weshalb diese Erklärung nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen sein soll, trägt sie doch seinen Namen und (s)eine Unterschrift. Letztlich ist auf diese Frage jedoch nicht einzugehen. Soweit erkennbar, hat der Beschwerdeführer nämlich nicht eine Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates nach § 89 Abs. 4 SPG - sei es, weil ihm mitgeteilt wurde, dass eine Richtlinienverletzung nicht vorliege, sei es, weil eine solche Mitteilung nicht ergangen ist - verlangt. Im Hinblick darauf war die belangte Behörde (noch) nicht entscheidungsbefugt; die allein in der Begründung des bekämpften Bescheides enthaltene Beurteilung, der Beschwerdeführer sei gemäß § 89 Abs. 3 SPG klaglos gestellt, konnte ihn keinesfalls in Rechten verletzen.
Zu der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Rechtswidrigkeit der Festnahme lauten die maßgeblichen Bestimmungen der StPO:
"§ 175. (1) Auch ohne vorangegangene Vorladung kann der Untersuchungsrichter die Vorführung oder vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen anordnen:
1. wenn der Verdächtige auf frischer Tat betreten oder unmittelbar nach Begehung eines Verbrechens oder Vergehens glaubwürdig der Täterschaft beschuldigt oder mit Waffen oder anderen Gegenständen betreten wird, die vom Verbrechen oder Vergehen herrühren oder sonst auf seine Beteiligung daran hinweisen;
....
§ 177. (1) Ausnahmsweise kann die vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen zum Zwecke der Vorführung vor den Untersuchungsrichter auch durch Organe der Sicherheitsbehörden ohne schriftliche Anordnung vorgenommen werden:
1.
in den Fällen des § 175 Abs. 1 Z. 1 sowie
2.
in den Fällen des § 175 Abs. 1 Z. 2 bis 4 und Abs. 2, wenn die Einholung des richterlichen Befehls wegen Gefahr im Verzug nicht tunlich ist.
...
(4) Festnahme und Anhaltung nach Abs. 1 und 2 sind nicht zulässig, soweit sie zur Bedeutung der Sache außer Verhältnis stehen."
§ 269 StGB lautet:
"Widerstand gegen die Staatsgewalt
§ 269. (1) Wer eine Behörde mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt und wer einen Beamten mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung an einer Amtshandlung hindert, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, im Fall einer schweren Nötigung (§ 106) jedoch mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.
(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer eine Behörde mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt oder einen Beamten mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Amtshandlung nötigt.
(3) Als Amtshandlung im Sinn der Abs. 1 und 2 gilt nur eine Handlung, durch die der Beamte als Organ der Hoheitsverwaltung oder der Gerichtsbarkeit eine Befehls- oder Zwangsgewalt ausübt.
(4) Der Täter ist nach Abs. 1 nicht zu bestrafen, wenn die Behörde oder der Beamte zu der Amtshandlung ihrer Art nach nicht berechtigt ist oder die Amtshandlung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstößt."
Der belangten Behörde ist zunächst darin zu folgen, dass bei der Prüfung des Vorliegens eines Festnahmegrundes (gemäß § 175 Abs. 1 Z 1 StPO) eine ex-ante Betrachtung vorzunehmen ist (vgl. das Erkenntnis vom 29. Juni 2000, 96/01/1071). Im vorliegenden Fall stützte die belangte Behörde ihre Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Festnahme auf die Feststellung, der Beschwerdeführer habe einem der Beamten einen Stoß versetzt. In der Beschwerde bestreitet der Beschwerdeführer diese Feststellung ausdrücklich. In Anbetracht der - oben wiedergegebenen - Angaben des Beschwerdeführers, die sich von den Aussagen der vernommenen Beamten insbesondere durch die Schilderung des Festnahmegrundes und des der Festnahme vorausgegangenen Geschehens unterscheiden, vermag die Beweiswürdigung der belangten Behörde, sie sähe "keinen Grund an der Richtigkeit der Angaben der einvernommenen Polizeibeamten zu zweifeln", ohne dass sich die belangte Behörde mit der Aussage des Beschwerdeführers auseinander gesetzt hätte, der dem Verwaltungsgerichtshof obliegenden Überprüfung auf ihre Schlüssigkeit nicht standzuhalten (siehe dazu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053).
Im Übrigen ist auf Grund des durch die getroffenen Feststellungen nicht hinreichend geklärten Sachverhaltes eine abschließende Beurteilung der wesentlichen Rechtsfragen ohnehin nicht möglich. Etwa kann danach nicht beurteilt werden, ob und allenfalls an welcher Amtshandlung der Beschwerdeführer gehindert haben soll. Auch kann die in der Beschwerde aufgestellte Behauptung, die Beamten hätten bereits alle Amtshandlungen, an der sie der Beschwerdeführer hätte hindern können, abgeschlossen gehabt, weshalb der Tatbestand des § 269 StGB gar nicht habe verwirklicht werden können, erst dann überprüft werden, wenn die belangte Behörde - auf Grund einer schlüssigen Beweiswürdigung - zu den näheren Umständen des Vorfalls Feststellungen getroffen hat. Ob das Anlegen der Handschellen rechtswidrig war, wird ebenfalls erst nach Vorliegen entsprechender Feststellungen beurteilt werden können.
Nach dem Gesagten wurden Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit.) b und c) VwGG aufzuheben war.
Zu 2.:
Die Beschwerde macht Säumnis der belangten Behörde hinsichtlich der Entscheidung über die am 14. April 1998 bei der belangten Behörde eingebrachten Beschwerde geltend; in dieser Beschwerde sei auch eine Rechtsverletzung des Beschwerdeführers durch die Identitätsfeststellung gemäß § 35 SPG behauptet worden.
Die belangte Behörde erwähnte im angefochtenen Bescheid die Feststellung der Identität des Beschwerdeführers mit keinem Wort und meinte dazu in ihrer Gegenschrift, sämtliche Ausführungen in der Maßnahmenbeschwerde an die belangte Behörde hätten sich auf die Festnahme und Fesselung bezogen, während die Identitätsfeststellung im Rahmen der Richtlinienbeschwerde bekämpft worden sei.
Zwar hat der Beschwerdeführer bei der allgemeinen Umschreibung des "Gegenstandes" der Beschwerde an die belangte Behörde auch die Identitätsfeststellung genannt und diese bei der Ausführung der Gründe für die Maßnahmenbeschwerde erwähnt; ausdrücklich wandte sich der Beschwerdeführer aber erst in dem die Richtlinien betreffenden Teil seiner Beschwerde gegen die Identitätsfeststellung, sodass - auch unter Bedachtnahme auf die Beschwerdeanträge - der von der belangten Behörde vorgenommenen Deutung des Inhaltes der an sie gerichteten Beschwerde, wonach die Identitätsfeststellung nur wegen Verletzung von Richtlinien in Beschwerde gezogen worden sei, nicht entgegen getreten werden kann. In diesem Fall liegt aber eine Säumnis der belangten Behörde schon deshalb nicht vor, weil - wie unter Punkt 1) gezeigt wurde - eine Pflicht der belangten Behörde zur Entscheidung über die Verletzung von Richtlinien nicht bestand. Die Säumnisbeschwerde war demnach mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 (zu 1.) bzw. Z 1 (zu 2.) VwGG abzusehen.
Bei der Entscheidung über den Aufwandersatz war von den §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Der Beschwerdeführer ist hinsichtlich des Bescheides zu Spruchpunkt 1. obsiegende Partei, weshalb ihm der Schriftsatzaufwand für die Bescheidbeschwerde zusteht. Hinsichtlich der (zurückgewiesenen) Säumnisbeschwerde ist die belangte Behörde obsiegende Partei und hat demnach Anspruch auf Ersatz ihres gesamten Schriftsatzaufwandes sowie des halben Vorlageaufwandes.
Wien, am 17. September 2002
Schlagworte
Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Grundsätzliches zur Parteistellung vor dem VwGH Allgemein Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Diverses Verletzung der Entscheidungspflicht Allgemein Behördliche Angelegenheiten Verletzung der Entscheidungspflicht Diverses Zurückweisung - EinstellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999010172.X00Im RIS seit
21.11.2002