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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
MRK Art8 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des SÖ in B, vertreten durch Dr. Guntram Lins, Rechtsanwalt in 6701 Bludenz, Bahnhofstraße 8, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 7. Dezember 2000, Zl. Ia 370-840/2000, betreffend Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und Erstreckung derselben, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 7. Dezember 2000 wies die Vorarlberger Landesregierung (die belangte Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) und auf Erstreckung der Verleihung auf seine Ehegattin und die beiden minderjährigen Kinder gemäß §§ 16, 17 und 18 StbG ab. Der 1957 geborenen Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, habe seit 11. Dezember 1991 ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz in Österreich. Seit 1985 sei er mit der (richtig:) 1967 geborenen Ersterstreckungswerberin verheiratet; dieser Ehe entstammten die beiden 1986 und 1991 geborenen Zweit- und Dritterstreckungswerber. Der Beschwerdeführer habe die Schulausbildung in der Türkei absolviert. Seit Februar 1995 sei er bei einem Unternehmen als Lkw-Fahrer beschäftigt. Umstände, die auf bereits erbrachte oder zu erwartende außerordentliche Leistungen des Beschwerdeführers hinweisen könnten, seien im Verfahren nicht geltend gemacht worden und auch nicht hervorgekommen. Für die Verleihung der Staatsbürgerschaft habe er als besonders zu berücksichtigenden Umstand vorgebracht, dass seine Kinder in Österreich geboren wären und hier zur Schule gingen. Weiters beabsichtigte er, in Österreich eine Eigentumswohnung oder ein Haus zu kaufen. Er wollte hier eine Existenz aufbauen und auch weiterhin hier leben. Andere Umstände, die auf besonders berücksichtigungswürdige Gesichtspunkte hinwiesen, seien im Verfahren nicht geltend gemacht worden und auch nicht hervorgekommen.
Von der Bezirkshauptmannschaft Bludenz sei er wie folgt bestraft worden:
"mit Bescheid vom 23.01.1996, Zl. BHBL-X-alt-1996/3/3121, wegen einer Übertretung nach § 22 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 400,--;
mit Bescheid vom 31.01.1996, Zl. BHBL-X-alt-1996/1901, wegen einer Übertretung nach § 101 Abs. 1 lit. a KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 800,--;
mit Bescheid vom 31.01.1996, Zl. BHBL-X-alt-1996/1901, wegen einer Übertretung nach § 102 Abs. 5 lit. a KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 200,--;
mit Bescheid vom 28.02.1996, Zl. BHBL-X-alt-1996/2796, wegen einer Übertretung nach § 101 Abs. 1 lit. a KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 800,--;
mit Bescheid vom 28.02.1996, Zl. BHBL-X-alt-1996/2796, wegen einer Übertretung nach § 102 Abs. 5 lit. a KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 200,--;
mit Bescheid vom 03.06.1996, Zl. BHBL-X-alt-1996/7373, wegen einer Übertretung nach § 101 Abs. 1 lit. a KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 3.000,--;
mit Bescheid vom 29.11.1996, Zl. BHBL-X-alt-1996/14527, wegen einer Übertretung nach § 101 Abs. 1 lit. a KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 1.200,--;
mit Bescheid vom 29.11.1996, Zl. BHBL-X-alt-1996/14527, wegen Übertretungen nach den §§ 102 Abs. 1 und 27 Abs. 3 KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 300,--;
mit Bescheid vom 17.12.1996, Zl. BHBL-X-alt-1996/15065, wegen einer Übertretung nach § 134 Abs. 1 KFG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 und 2d VO(EG) Nr. 3820/85 mit einer Geldstrafe von S 500,--;
mit Bescheid vom 17.12.1996, Zl. BHBL-X-alt-1996/15065, wegen einer Übertretung nach § 134 Abs. 1 KFG in Verbindung mit Art. 15 Abs. 5d VO(EG) Nr. 3821/85 mit einer Geldstrafe von S 300,--;
mit Bescheid vom 19.12.1996, Zl. BHBL-X-alt-1996/15280, wegen einer Übertretung nach § 101 Abs. 1 lit. a KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 1.500,--;
mit Bescheid vom 19.12.1996, Zl. BHBL-X-alt-1996/15280, wegen Übertretungen nach den §§ 102 Abs. 1 und 7 Abs. 1 KFG in Verbindung mit § 4 Abs. 4 KDV mit einer Geldstrafe von S 500,--;
mit Bescheid vom 14.08.1998, Zl. BHBL-X-alt-1998/10237, wegen einer Übertretung nach § 101 Abs. 1 lit. a KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 700,--;
mit Bescheid vom 18.01.1999, Zl. BHBL-X-alt-1999/0578, wegen einer Übertretung nach § 101 Abs. 1 lit. a KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 700,--;
mit Bescheid vom 19.10.1999, Zl. BHBL-X-alt-1999/10906, wegen einer Übertretung nach § 101 Abs. 1 lit. a KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 2.000,--;
mit Bescheid vom 29.05.2000, Zl. BHBL-X-9-2000/8802, wegen einer Übertretung nach § 101 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit Abs. 5 KFG mit einer Geldstrafe von S 2.000,--;
mit Bescheid vom 29.05.2000, Zl. BHBL-X-9-2000/8802, wegen einer Übertretung nach § 101 Abs. 4 KFG mit einer Geldstrafe von S 1.000,--;
mit Bescheid vom 29.05.2000, Zl. BHBL-X-9-2000/8802, wegen einer Übertretung nach § 101 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Abs. 5 KFG mit einer Geldstrafe von S 1.000,--;
mit Bescheid vom 29.05.2000, Zl. BHBL-X-9-2000/8802, wegen einer Übertretung nach § 102 Abs. 1 in Verbindung mit § 27 Abs. 3 KFG mit einer Geldstrafe von S 500,--."
Der Beschwerdeführer habe seit 1996 19 Verwaltungsübertretungen begangen. Neun Mal habe er dafür bestraft werden müssen, weil der von ihm gelenkte Lastkraftwagen überladen gewesen sei. Durch das Lenken eines überladenen Lastkraftwagens werde das Leben und die Gesundheit Dritter in erheblichem Ausmaß gefährdet, so verlängere sich z.B. der Bremsweg bei einem höheren Gewicht. Der Antragsteller habe sich auch durch wiederholte Bestrafungen nicht davon abhalten lassen, immer wieder die selben Übertretungen zu begehen. Der Beschwerdeführer sei Berufskraftfahrer und müsse daher in besonderem Maß Kenntnis von den geltenden gesetzlichen Vorschriften besitzen. Ihm seien daher die Konsequenzen, die eine Missachtung der kraftfahrrechtlichen Vorschriften nach sich zögen, besonders bekannt. Auch nach Einbringung des Antrages auf Verleihung der Staatsbürgerschaft habe er noch vier Verwaltungsübertretungen (Bescheide vom 29. Mai 2000) begangen. Das aufgezeigte Verhalten lasse den Schluss zu, dass der Beschwerdeführer möglicherweise auch in Zukunft wesentliche Vorschriften missachten werde, die zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bzw. für die anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen erlassen worden seien. Es könne daher derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer dafür Gewähr biete, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit und die anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zu sein. Der Beschwerdeführer erfülle daher die Voraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht. Diese Voraussetzung müsse aber für alle im Staatsbürgerschaftsgesetz vorgesehenen Verleihungstatbestände, ausgenommen für den des § 14 StbG, gegeben sein. Dieser Tatbestand sei jedoch gleichfalls nicht erfüllt, weil der Beschwerdeführer nicht, wie im § 14 StbG gefordert, staatenlos sei. Da der Verleihungsantrag abzuweisen gewesen sei, seien auch die Voraussetzungen für die Erstreckung derselben nicht gegeben.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde hat die Versagung der Verleihung der Staatsbürgerschaft - und Erstreckung derselben - ausschließlich mit dem Mangel der Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG in der Person des Beschwerdeführers begründet. Auf die Frage, ob ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für eine vorzeitige Verleihung vorliege, ist sie nicht substantiell eingegangen.
Die hier maßgebliche Bestimmung des Staatsbürgerschaftgesetzes 1985 in der Fassung der Staatsbürgerschaftsgesetz-Novelle 1998, BGBl. I Nr. 124, lautet auszugsweise:
"Verleihung
§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn
1. er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat;
2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist, ...
...
6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;
..."
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Beurteilung der belangten Behörde im Grund des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG mit dem Argument, sie habe den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht festgestellt, der den angeführten Bestrafungen zu Grunde liege. Ebenso habe sie nicht festgestellt, worin die konkrete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bestanden habe. Der Hinweis, durch Überladung verlängerte sich der Bremsweg, sei ohne weitere Feststellungen zum Tathergang nur bedingt richtig. Eine allgemeine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit könne allein aus dem Tatbestand des geringfügigen Überladens nicht abgeleitet werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung der besagten Verleihungsvoraussetzung vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, welches wesentlich (auch) durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt wird, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber - anders als nach § 10 Abs. 1 Z 2 StbG - nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter - erlassene Vorschriften missachten. In der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die - allenfalls negative - Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung solcher Gefahren erlassenen Gesetzen deutlich zum Ausdruck (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. April 2002, Zl. 2000/01/0487, mwN).
Mit Blick auf die Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG beschränkte sich die belangte Behörde darauf, die vom Beschwerdeführer übertretenen Verwaltungsstraftatbestände sowie hiefür über ihn verhängten Verwaltungsstrafen zu zitieren, ohne nähere Feststellungen über das diesen Bestrafungen zu Grunde liegende, einer Beurteilung im Grund des § 10 Abs. 1 Z 6 zuzuführende Verhalten des Beschwerdeführers zu treffen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde ist allein die Zahl der Verwaltungsübertretungen während eines Zeitraumes von knapp vier Jahren für die erforderliche Prognose noch nicht hinreichend aussagekräftig. Auch der weitere Umstand, der Beschwerdeführer sei hievon neun Mal wegen des Überladens des von ihm gelenkten Lastkraftwagens bestraft worden, vermag ohne nähere Ausleuchtung der für eine allfällige Gefährdung maßgeblichen Umstände eine im Grund des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG negative Prognose nicht zu rechtfertigen. Der angefochtene Bescheid entbehrt im Tatsachenbereich konkreter Aussagen insbesondere über das Ausmaß der Überladung, die die Schlussfolgerung der belangten Behörde tragen könnten, der Beschwerdeführer habe durch das Lenken eines überladenen Lastkraftwagens das Leben und die Gesundheit Dritter in erheblichem Maß gefährdet.
Die aufgezeigten fehlenden Feststellungen über das (verwaltungsbehördlich strafbare) Verhalten des Beschwerdeführers verwehren dem Verwaltungsgerichtshof die nachprüfende Kontrolle der von der belangten Behörde eingenommenen Ansicht, er erfülle nicht die Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Die im Betrag von S 2.500,-- entrichtete Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG war im Betrag von EUR 181,68 zuzusprechen. Die Abweisung des Mehrbegehrens gründet sich darauf, dass eine darüber hinausgehende Gebühr "für Beilage" gesetzlich nicht vorgesehen ist und im Übrigen auch nicht entrichtet wurde.
Wien, am 17. September 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001010032.X00Im RIS seit
07.11.2002