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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art10 Abs1 Z14;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 13. Juni 2000, Zl. UVS 22.3-1/1999-19, betreffend 1. Aufhebung eines Bescheides gemäß § 68 Abs. 2 AVG und 2. Verletzung von Richtlinien für das Einschreiten gemäß § 31 SPG (mitbeteiligte Partei: ADK in Graz, vertreten durch Dr. Christine Lanschützer, Verteidigerin in Strafsachen, Körblergasse 59, 8010 Graz), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem am 28. Mai 1999 zur Post gegebenen Schriftsatz erhob der Mitbeteiligte "Maßnahmenbeschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nach Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG" an die belangte Behörde, in der er vorbrachte:
"Sachverhaltsdarstellung: Am Morgen des 14.5.1999, wurde ich am Vormittag durch übermäßig lautes Geläute (ich hatte eine Schlaftablette genommen und wurde trotzdem geweckt), geweckt.
An der Türe wurde ich mit 2 Gendarmeriebeamten in Zivil konfrontiert, die Einlass begehrten.
Auf meine Frage nach einem Durchsuchungsbefehl, teilten sie mir mit, dass sie keinen hätten.
Es wurden keine spezifischen gegen mich gerichteten Anschuldigungen gerichtet.
Ich gab zu verstehen, dass ich in diesem Fall mein Recht auf Privatsphäre gewahrt wissen wollte.
Die Beamten sagten mir darauf hin, ein Durchsuchungsbefehl werde sofort eingeholt.
Nach kurzem Gespräch mit den Beamten, willigte ich ein, mit den Beamten ins Landesgendarmeriekommando f. Stmk, mitzukommen.
Nach stundenlangem Verhör, bei dem kein Rechtsbeistand anwesend war, da die Beamten mir, auf die Frage ob ich einen Rechtsbeistand hinzuziehen könne, mitteilten, dass es sinnlos wäre einen zu rufen, da dieser höchstens draußen vor der Tür warten könne, und froh sein kann wenn er von der Behörde überhaupt einen Sessel angeboten bekäme - (so einer der Beamten wörtlich -), wurde ich dann vor die Wahl gestellt, entweder eine 'freiwillige Nachschau' in meiner Wohnung zuzulassen, oder für 48 h eingesperrt zu werden.
Während dieser Zeit würde dann meine Wohnung durchsucht werden.
Solcherart genötigt, willigte ich schließlich in die 'freiwillige Nachschau' ein.
Diese endete am späten Nachmittag des selben Tages.
Sicher gestellt wurden Hanfblütenpulver + Hanfblätter im Grammbereich und zur religiösen Verwendung bestimmte Kultgeräte - (1 Chillum, eine Wasserpfeife sowie dazu gehörige Köpfe -).
Selbige werden zurückgefordert.
Die Photos nackter Frauen welche zwar beschlagnahmt aber nicht auf der Durchsuchungsbestätigung aufscheinen, überlasse ich den Beamten gerne.
Es wird beantragt, dass der Gerichtshof die Grundrechtsverletzungen feststellt, - wie das Recht auf ein faires Verfahren, Schutz meines Hausrechts, des Rechts auf persönliche Freiheit, der Freiheit der Religionsausübung (Ich bin HINDU), Recht auf körperliche Gesundheit etc., die auf Hanf bezogenen Gesetzesstellen des SmG, der SmVO und der PGmVO, sollen aus Grundrechtswidrigkeiten aufgehoben werden."
Die belangte Behörde übermittelte die Beschwerde gemäß § 89 Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) dem Landesgendarmeriekommandanten für die Steiermark.
Mit Erledigung vom 23. August 1999 teilte der Landesgendarmeriekommandant für Steiermark dem Mitbeteiligten betreffend die Beschwerde über die Verletzung von Richtlinien gemäß § 31 SPG zusammengefasst mit, bei der Amtshandlung am 14. Mai 1999 hätten die Gendarmeriebeamten keine Zwangsbefugnisse (keine Festnahme, keine Hausdurchsuchung, keine Anwendung von Körperkraft etc.) gegen diesen ausgeübt. Nach Ansicht des Landesgendarmeriekommandos knüpften die im § 8 RLV normierten Informationspflichten unmittelbar an die Ausübung von Zwangsbefugnissen an. Der Mitbeteiligte sei nicht festgenommen worden, sondern freiwillig zur Befragung auf die Dienststelle mitgekommen. Die Gendarmeriebeamten hätten die Anschuldigungen des Mitbeteiligten - er wäre genötigt worden, eine freiwillige Nachschau zu gestatten, die Beamten hätten auch Fotos nackter Frauen beschlagnahmt, ohne dies zu vermerken - entschieden zurückgewiesen und hiezu angegeben, der Mitbeteiligte hätte sich am Schluss der freiwilligen Nachschau mit den Worten "Ich danke ihnen für die faire Behandlungen!" verabschiedet. Das Landesgendarmeriekommando komme nach Prüfung der vorliegenden Erhebungsergebnisse zum Schluss, dass die Beamten keine Richtlinie gemäß § 31 RLV (richtig: SPG) verletzt hätten.
In seinem Schriftsatz vom 2. September 1999 beantragte der Beschwerdeführer die Feststellung, dass er durch die gesamte Amtshandlung und insbesondere die in der Beschwerde einzeln angeführten Handlungen insbesondere in seinen Rechten auf Behandlung durch die Erhebungsbeamten gemäß §§ 4, 6 Z 2, § 8 RLV in Verbindung mit § 31 Abs. 2 Z 8 SPG, §§ 42 und 65 SPG verletzt worden sei.
In seiner Eingabe vom 9. September 1999 begehrte der Beschwerdeführer die Entscheidung der belangten Behörde gemäß § 89 Abs. 4 SPG. Insbesondere brachte er darin vor, ihm sei während der gesamten Amtshandlung keine Rechtsbelehrung erteilt worden. Dies stelle eine eindeutige Verletzung des § 31 Abs. 2 Z 8 SPG in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Z. 2 RLV dar. Sobald abzusehen sei, dass die Amtshandlung länger als eine Stunde dauern werde, müssten Vernehmungsbeamte von sich aus den Vernommenen auf sein Recht auf Beiziehung eines Rechtsbeistandes aufmerksam machen.
Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde - die in einem weiteren Spruchpunkt die Aufhebung eines vorangegangenen Bescheides nach § 68 Abs. 2 AVG verfügte - über den Antrag des Mitbeteiligten gemäß § 89 Abs. 4 SPG folgendermaßen ab:
"Durch die Unterlassung der Informationspflicht auf Beiziehung einer Vertrauensperson oder eines Rechtsbeistandes bei der Einvernahme des Mitbeteiligten im Landesgendarmeriekommando für Steiermark am 14. Mai 1999 wurde § 8 Abs. 1 Z 2 der Richtlinien-Verordnung (im Folgenden RLV) verletzt. Im Übrigen war die Beschwerde abzuweisen."
Nach Darstellung des Verfahrensganges führte die belangte Behörde begründend aus, am 14. Mai 1999, um ca. 9.30 Uhr, hätten zwei Beamte den Mitbeteiligten in seiner Wohnung aufgesucht. Grund hiefür sei ein Auftrag der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos Steiermark gewesen, um den Beschwerdeführer im Hinblick auf eine Suchtgiftangelegenheit zu vernehmen und eventuell eine freiwillige Nachschau in der Wohnung durchzuführen. Auf das Läuten hin habe der Mitbeteiligte die Wohnungstüre geöffnet und ein Beamter habe sich mit Dienstausweis ausgewiesen. Der Mitbeteiligte habe das Ansinnen der Beamten, in die Wohnung zu kommen, abgelehnt, weil kein Durchsuchungsbefehl vorhanden gewesen sei. In weiterer Folge habe er den Beamten mitgeteilt, sie könnten in die Wohnung kommen, weil er mit seiner Rechtsanwältin gesprochen hätte. Einer der Beamten habe dem Mitbeteiligten in der Wohnung mitgeteilt, dass in einer Suchtmittelangelegenheit ermittelt würde und eine Niederschrift im Landesgendarmeriekommando aufgenommen werden müsste. Der Mitbeteiligte habe eine freiwillige Nachschau in der Wohnung abgelehnt, weil er keine Unordnung in seiner Wohnung gewollt habe. Sehr wohl habe er eingewilligt, zum Landesgendarmeriekommando zu kommen und eine Niederschrift aufzunehmen. Die Einvernahme durch die beiden Beamten im Landesgendarmeriekommando habe von ca. 10.20 Uhr bis 12.15 Uhr gedauert. Hiebei habe der Mitbeteiligte von sich aus nie das Ansinnen gestellt, einen Rechtsbeistand beizuziehen, und sei auch von den Beamten von der Möglichkeit der Beiziehung einer Vertrauensperson oder eines Rechtsbeistandes nicht in Kenntnis gesetzt worden. Anschließend sei eine erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt worden. Bereits im Zug der Einvernahme habe der Mitbeteiligte einer freiwilligen Nachschau in seiner Wohnung zugestimmt, ohne dass ihm angedroht worden wäre, er würde im Falle der Verweigerung der Zustimmung 48 Stunden lang festgehalten werden.
Nach Darlegung der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht aus, gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 RLV hätten die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, sofern das Gesetz einem Menschen ein Recht auf Verständigung oder Beiziehung einer Vertrauensperson oder eines Rechtsbeistandes einräume, diesen von seinem Recht in Kenntnis zu setzen, sobald abzusehen sei, dass die Amtshandlung länger als eine Stunde dauern werde.
§ 8 Abs. 1 Z 2 RLV spreche ausschließlich von einer "Amtshandlung länger als eine Stunde" und darunter seien nicht nur solche zu verstehen, die die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zum Gegenstand hätten. Dass der Mitbeteiligte "freiwillig" der Aufforderung zur Einvernahme nachgekommen sei, könne keinesfalls den Entfall der Informationspflicht im Sinn des § 8 Abs. 1 Z 2 RLV nach sich ziehen. Durch die Unterlassung der Information sei diese Bestimmung der Richtlinienverordnung verletzt worden.
Gemäß Art. V EGVG seien die Bestimmungen des VStG über das Verwaltungsstrafverfahren auch auf die Amtshandlungen sinngemäß anzuwenden, die von den Verwaltungsbehörden im Dienste der Strafjustiz vorzunehmen seien, sofern sich aus den Vorschriften über das strafgerichtliche Verfahren nichts anderes ergebe. Über die Beiziehung eines Rechtsbeistandes im Rahmen einer Vorerhebung sei der StPO nichts zu entnehmen. § 40 Abs. 2 VStG führe aus, dass die Behörde den Beschuldigten zum Zwecke der Vernehmung laden oder ihn auffordern könne, nach seiner Wahl entweder zu einem bestimmten Zeitpunkt zu seiner Vernehmung zu erscheinen oder sich bis zu diesem Zeitpunkt schriftlich zu rechtfertigen. Dabei sei der Beschuldigte auf sein Recht hinzuweisen, zur Vernehmung einen Rechtsbeistand seiner Wahl beizuziehen. Zwar sei dem Landesgendarmeriekommando keine Behördenqualität zuzusprechen, jedoch könne in analoger Anwendung des § 40 Abs. 2 VStG in Verbindung mit § 8 RLV davon ausgegangen werden, dass der Mitbeteiligte bei Vorerhebungen im Rahmen einer Amtshandlung vom Recht auf Beiziehung eines Rechtsbeistandes zu informieren sei. Diese Überlegung greife umso mehr, als sich durch die Einvernahme Rechtswirkungen auf ein späteres strafgerichtliches Verfahren ergeben könnten. Weiters begründete die belangte Behörde die Abweisung der Beschwerde wegen Verletzung von Richtlinien im übrigen Umfang.
Über die gegen Spruchpunkt 2. dieses Bescheides gerichtete Amtsbeschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der Beschwerdeführer sieht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, die Beurteilung der Verletzung des § 8 Abs. 1 Z 2 RLV hänge davon ab, ob ein entsprechendes Recht auf Verständigung oder Beiziehung einer Vertrauensperson existiere, das gemäß Art. V EGVG auch auf Amtshandlungen sinngemäß anzuwenden sei, die von den Verwaltungsbehörden im Dienste der Strafjustiz vorzunehmen seien. Wenn schon gemäß § 97 Abs. 2 StPO bei der Vernehmung durch den Untersuchungsrichter ein Recht auf Beiziehung eines Verteidigers nicht bestehe, so könne ein solches Recht noch weniger für die Vernehmung durch die Sicherheitsbehörden und Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bestehen. Auch mit der Bestimmung des § 38 Abs. 3 StPO, die eine Vernehmung vor Gericht voraussetze und eine solche durch eine Sicherheitsbehörde nicht genügen lasse, könne nicht argumentiert werden, dass bei Einvernahmen vor Sicherheitsbehörden oder Organen der Bundesgendarmerie ein Recht auf Beiziehung eines Rechtsanwaltes bestehe. StPO und VStG regelten keine vergleichbaren Verfahren:
Während im VStG bis zur Entscheidung ein ordentliches Verfahren durchgeführt werde, gebe es in der StPO unterschiedliche, von differenzierten Förmlichkeit geprägte Verfahrensstufen bis zur Entscheidung. Daher sei auch aus diesem Grund für eine sinngemäße Anwendung von Rechten nach dem VStG eine strenge Prüfung geboten. Noch weniger komme eine Analogie in Frage, zumal Art. V EGVG eindeutig von einer sinngemäßen Anwendung der Bestimmungen des VStG über das Verwaltungsstrafverfahren auf die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden im Dienste der Strafjustiz spreche. Daher könne nach Ansicht des Beschwerdeführers auch keine planwidrige Lücke bestehen, die eine Anwendung des § 40 Abs. 2 VStG durch Analogie rechtfertige.
Der Amtsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.
Nach Art. 6 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb angemessener Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Gemäß Abs. 3 lit. c dieser Bestimmung hat jeder Angeklagte insbesondere das Recht, sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten.
Gemäß § 22 Abs. 3 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) haben die Sicherheitsbehörden nach einem gefährlichen Angriff unbeschadet ihrer Aufgaben nach der Strafprozeßordnung 1975 (StPO) die maßgebenden Umstände, einschließlich der Identität des dafür Verantwortlichen, zu klären, soweit dies zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich ist. Sobald ein bestimmter Mensch der strafbaren Handlung verdächtig ist, gelten ausschließlich die Bestimmungen der StPO; die §§ 57 und 58 sowie die Bestimmungen über den Erkennungsdienst bleiben jedoch unberührt.
Gemäß Art. V EGVG sind, sofern sich aus den Vorschriften über das strafgerichtliche Verfahren nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des VStG über das Verwaltungsstrafverfahren auch auf die Amtshandlungen sinngemäß anzuwenden, die von den Verwaltungsbehörden im Dienst der Strafjustiz vorzunehmen sind.
Sieht die Behörde nicht schon auf Grund der Anzeige oder der darüber gepflogenen Erhebungen von der Verfolgung ab, so hat sie nach § 40 Abs. 1 VStG dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben, sich zu rechtfertigen. Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung kann die Behörde den Beschuldigten zu diesem Zweck zur Vernehmung laden oder ihn auffordern, nach seiner Wahl entweder zu einem bestimmten Zeitpunkt zu seiner Vernehmung zu erscheinen oder sich bis zu diesem Zeitpunkt schriftlich zu rechtfertigen. Dabei ist der Beschuldigte auf sein Recht hinzuweisen, zur Vernehmung einen Rechtsbeistand seiner Wahl beizuziehen.
Zur Neufassung des § 40 Abs. 2 VStG durch die Novelle BGBl. Nr. 358/1990 führen die ErläutRV 1090 BlgNR 17. GP 17 aus:
"Die geltende Regelung des § 40 Abs. 2 wurde in der Weise übernommen, dass dessen letzter Satz nunmehr einen eigenen Absatz bildet. Der bisherige erste Satz des § 40 Abs. 2 VStG 1950 wurde dahingehend ergänzt, dass der Beschuldigte auf sein Recht hinzuweisen ist, einen Rechtsbeistand seiner Wahl beiziehen zu können. Diese Ergänzung ist durch Art. 6 Abs. 3 lit. c der Europäischen Menschenrechtskonvention bedingt.
..."
Gemäß § 24 StPO haben die Sicherheitsbehörden, unter denen auch die Bürgermeister (Gemeindevorsteher) begriffen sind, allen Verbrechen und Vergehen, sofern sie nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten untersucht werden, nachzuforschen und, wenn das unverzügliche Einschreiten des Untersuchungsrichters nicht erwirkt werden kann, die keinen Aufschub gestattenden vorbereitenden Anordnungen zu treffen, die zur Aufklärung der Sache dienen oder die Beseitigung der Spuren der strafbaren Handlung oder die Flucht des Täters verhindern können. Hausdurchsuchungen und die vorläufige Verwahrung von Personen dürfen die Sicherheitsbehörden und deren Organe zum Zwecke der Strafgerichtspflege nur in den in dieser Strafprozeßordnung vorgesehenen Fällen unaufgefordert vornehmen; sie haben von ihrem Einschreiten und dessen Ergebnis dem zuständigen Staatsanwalt oder Untersuchungsrichter sogleich Mitteilung zu machen.
Gemäß § 38 Abs. 3 StPO sind, soweit die den Beschuldigten betreffenden Vorschriften dieses Gesetzes nicht als ihrer Natur nach auf die Voruntersuchung beschränkt erscheinen, diese auch auf den Angeklagten und auf den anzuwenden, der als einer strafbaren Handlung verdächtig vernommen oder als solcher zur Vernehmung vorgeladen oder in Verwahrung oder Haft genommen wurde.
Gemäß § 39 Abs. 1 StPO kann sich der Beschuldigte in allen Strafsachen eines Verteidigers bedienen und dazu jeden wählen, der in der Verteidigerliste eines der Gerichtshöfe zweiter Instanz eingetragen ist. Über dieses Recht ist er spätestens bei der ersten gerichtlichen Vernehmung zu belehren.
Zu dem durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993, BGBl. Nr. 526, angefügten zweiten Satz des § 39 Abs. 1 StPO führen die ErläutRV 924 BlgNR 18. GP 17 aus:
"Der Beschuldigte hat in jeder Lage des gegen ihn geführten Strafverfahrens das Recht, sich eines Verteidigers zu bedienen. Die Ausübung dieses im § 39 Abs. 1 StPO festgeschriebenen und durch Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes setzt voraus, dass der Beschuldigte ehestmöglich entsprechend informiert wird. Im Widerspruch dazu sieht § 41 Abs. 1 derzeit vor, dass ...
Der Entwurf sieht im § 39 Abs. 1 StPO vor, dass der Beschuldigte spätestens bei der ersten gerichtlichen Vernehmung über seine Verteidigungsrechte zu informieren ist. Im Regelfall wird diese Belehrung zugleich mit der Verständigung von der Einleitung des Strafverfahrens, die im § 38 Abs. 4 vorgesehen ist ... vorzunehmen sein. Sie soll sich vor allem auch auf das Recht beziehen, unter bestimmten Voraussetzungen die Beigebung eines Verteidigers zu beantragen, dessen Kosten der Beschuldigte nicht zu tragen hat.
..."
Ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Bescheid, wonach die einschreitenden Beamten aus Anlass eines Verdachtes gegen den Mitbeteiligten wegen eines Deliktes nach dem Suchtmittelgesetz ermittelten, stellt ihr Einschreiten gemäß § 22 Abs. 3 SPG unzweifelhaft eine Amtshandlung im Dienste der Strafjustiz dar und fällt somit nicht unter den Begriff der Sicherheitsverwaltung, insbesondere der Sicherheitspolizei im Sinn des § 2 Abs. 2 SPG (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2000, Zl. 99/01/0339; Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, Kommentar2, Seite 218 ff; Wiederin, Sicherheitspolizeirecht, RZ 290 ff, insbesondere RZ 294).
Obzwar Amtshandlungen im Dienste der Strafjustiz nicht unter den Begriff der Sicherheitsverwaltung fallen, sind sie von der gemäß § 31 Abs. 1 SPG - im Einvernehmen mit den Bundesministern für Justiz und für öffentliche Wirtschaft und Verkehr - erlassenen Richtlinien-Verordnung (RLV) erfasst, handelt es sich doch bei der Frage, ob eine Richtlinie im Sinn des SPG verletzt ist, um eine Frage des "inneren Dienstes" im Sinn des Art. 10 Abs. 1 Z 14 B-VG (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 1997, Zl. 96/01/0001), unter den auch Amtshandlungen im Dienste der Strafjustiz fallen. Da § 91 Abs. 1 Z 1 SPG dem Bundesminister für Inneres die Amtsbeschwerde über Beschwerden gemäß dem § 89 SPG ohne Unterschied, ob etwa ein Einschreiten im Dienste der Strafjustiz oder im Rahmen der Sicherheitsverwaltung vorliegt, einräumt, erweist sich die vorliegende Amtsbeschwerde als zulässig.
Die Informationspflicht des § 8 Abs. 1 RLV stellt darauf ab, dass ein Recht auf Verständigung oder Beiziehung einer Vertrauensperson oder eines Rechtsbeistandes gesetzlich eingeräumt ist. Die Ansicht der belangten Behörde, im vorliegenden Fall sei das gesetzliche Recht auf Verständigung oder Beiziehung einer Vertrauensperson oder eines Rechtsbeistandes aus Art. V EGVG iVm § 40 Abs. 2 VStG - gerade auch im Hinblick auf die Bedeutung einer Einvernahme für ein späteres strafgerichtliches Verfahren - abzuleiten, begegnet vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. c EMRK, dessen Garantien nicht erst ab dem Zeitpunkt einer formellen Versetzung in den Anklagestand zu beachten sind (vgl. Kranewitter, Sicherheitsbehörden und Strafjustiz, 73 f, mwN; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar2, RZ 48 f zu Art. 6; IntKommEMRK (Vogler), Art. 6, RZ 204 ff) und - wie den zitierten Materialien zu entnehmen ist - in § 40 Abs. 2 zweiter Satz VStG Ausdruck finden, keinen Bedenken (Jabloner, Die Verwaltungsbehörden im Dienst der Strafjustiz, ÖJZ 1978, 533 ff, insbesondere 538, der etwa das Recht des Beschuldigten nach § 43 Abs. 3 VStG grundsätzlich gewahrt sieht; ebenso Kranewitter, aaO, 81 f).
Die "sinngemäße" Anwendung des § 40 Abs. 2 VStG auf Vernehmungen im Dienste der Strafjustiz (auf der Grundlage des § 24 StPO) erfährt entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auch dadurch keine Einschränkung, dass StPO und VStG "keine vergleichbaren Verfahren regeln", weil nicht erkennbar ist, dass alleine wegen einer unterschiedlichen Struktur der Verfahren Verteidigungsrechte des Verdächtigen im Rahmen strafprozessualer Vorerhebungen (sei es auf der Grundlage des § 24 StPO) in geringerem Maße ausgestaltet werden sollten als im unmittelbaren Anwendungsbereich des VStG. Die Zielrichtung des Art. V EGVG liegt darin, für Amtshandlungen der Gerichtspolizei im Dienste der Strafjustiz Grundlagen zu schaffen, soweit die StPO für Sicherheitsbehörden und ihre Organe keine speziellen Regelungen enthält (Jabloner, aaO, 538; Kranewitter, aaO, 67).
Die (sinngemäße) Anwendung des § 40 Abs. 2 VStG wird auch nicht schlichtweg durch Bestimmungen der StPO ausgeschlossen, weil sich der Vorbehalt in Art. V EGVG ("sofern ...") nur auf Anweisungen der StPO an Verwaltungsbehörden bezieht (vgl. Jabloner, aaO, 538; Kranewitter, aaO, 67). Schon aus diesem Grund vermag § 97 Abs. 2 StPO, der die Vernehmung des Beschuldigten durch den Untersuchungsrichter regelt, für die Vernehmung des Verdächtigen durch Sicherheitsbehörden im Dienste der Strafjustiz keine Bedeutung zu entfalten. Auch kann der Verwaltungsgerichtshof den vom Beschwerdeführer aus § 38 Abs. 3 StPO gezogenen Schluss, der Verdächtige käme erst mit der Vernehmung durch ein Gericht in den Genuss der Rechte des Beschuldigten nach der StPO, im Hinblick auf § 39 Abs. 1 zweiter Satz StPO - der ebenso wie § 40 Abs. 2 zweiter Satz VStG das aus Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK erfließende Recht sichern soll - nicht teilen. Wie den zitierten ErläutRV zu dieser Bestimmung zu entnehmen ist, kommt dem Beschuldigten in jeder Lage des Strafverfahrens das Recht zu, sich eines Verteidigers zu bedienen. Diese Bestimmung scheint ihrer Natur nach nicht auf die Voruntersuchung beschränkt und daher gemäß § 38 Abs. 3 StPO auch auf den Verdächtigen anwendbar. Im Übrigen würde die Auslegung des Beschwerdeführers, die auf eine gerichtliche Einvernahme abstellt, das im § 39 Abs. 1 zweiter Satz StPO gebrauchte Wort "spätestens" weitgehend einer Bedeutung berauben. Mit diesem Ergebnis stehen auch weitere in der StPO für die Sicherheitsbehörden vorgesehene Belehrungspflichten (vgl. etwa § 178 Abs. 1 StPO in der Fassung des Strafprozeßänderungsgesetzes 1993) im Einklang.
Ebenso begegnet es keinem Bedenken, dass die belangte Behörde § 8 Abs. 1 Z 2 RLV durch das Einschreiten von Beamten des Landesgendarmeriekommandos, dem Behördenqualität nicht zukommt, für verletzt erachtete (vgl. Kranewitter, aaO, 59 f).
Zusammenfassend ist damit davon auszugehen, dass dem Mitbeteiligten das Recht auf Beiziehung eines Rechtsbeistandes zukam. Auch der beschwerdeführende Bundesminister zieht nicht in Zweifel, dass im Hinblick darauf die in § 8 Abs. 1 RLV vorgesehene Belehrungspflicht zum Tragen kam. Die vorliegende Amtsbeschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 48 Abs. 3 Z 2 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 17. September 2002
Schlagworte
Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Grundsätzliches zur Parteistellung vor dem VwGH AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000010325.X00Im RIS seit
21.11.2002Zuletzt aktualisiert am
22.09.2008