TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/17 99/01/0200

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Veröffentlicht am 17.09.2002
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
12/05 Sonstige internationale Angelegenheiten;

Norm

B-VG Art130 Abs2;
KriegsmaterialG 1977 §3 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde der G Gesellschaft m.b.H, vertreten durch Dr. Peter Schmautzer, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Lerchenfelderstraße 39, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. März 1999, Zl. 13.360/804-II/13/99, betreffend die Ausfuhr von Kriegsmaterial, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Gesellschaft Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit einem an die belangte Behörde gerichteten Ansuchen vom 5. Mai 1998 beantragte die beschwerdeführende Gesellschaft, ihr die Bewilligung zur Ausfuhr von drei "halb/vollautomatische(n) Maschinenpistole(n), 9 mm parabellum", Modell G18C, samt Verschluss und Lauf, nach Brasilien zu erteilen.

Die belangte Behörde holte gemäß § 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial, BGBl. Nr. 540/1977 (KMG), Stellungnahmen der beteiligten Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten und für Landesverteidigung sowie des anzuhörenden Bundeskanzlers ein, wobei Letzterer insbesondere im Hinblick auf die "Praxis außergerichtlicher Tötungen und Folter" Bedenken gegen die Erteilung der Bewilligung äußerte. Die beteiligten Bundesminister teilten mit, dass die Ausfuhr den von ihnen zu beurteilenden Kriterien nicht zuwider laufe.

Mit Schreiben vom 29. Juli 1998 wies die belangte Behörde die

beschwerdeführende Gesellschaft darauf hin, dass auf Grund der Stellungnahme des Bundeskanzlers und nach dem Inhalt der darin erwähnten Berichte davon auszugehen sei, dass das auszuführende Kriegsmaterial zur Unterdrückung von Menschenrechten verwendet würde. Diese Einschätzung ergebe sich etwa aus dem Länderbericht des US-State-Departement für das Jahr 1997, wonach "in Brasilien nach wie vor schwere und wiederholte Menschenrechtsverletzungen begangen werden - z.B. wurden allein in den ersten 6 Monaten des Jahres 1996 104 Fälle außergerichtlicher Tötungen durch Sicherheitsorgane der Stadt Sao Paulo bekannt". Die von der belangten Behörde beigebrachten Medienberichte und der "Human Rights Watch World Report 1997" würden diese Einschätzung bestätigen. Bei dieser Berichtslage müsse der Antrag abgewiesen werden, wobei es der beschwerdeführenden Gesellschaft aber freistehe, sich zu den bisherigen Stellungnahmen, den beigeschafften Medienberichten und den Berichten über die Menschrechtssituation in Brasilien zu äußern.

Die beschwerdeführende Gesellschaft brachte in ihrer Stellungnahme vom 28. August 1998 neben wirtschaftlichen Argumenten, die für einen Export der Waffen sprächen - Nachfolgeaufträge dieses Auftrages würden in Österreich Arbeitsplätze schaffen bzw. sichern -, vor, im Länderbericht für das Jahr 1997 würde auch Österreich die Verletzung von Menschenrechten vorgeworfen werden. Die drei Waffen würden "nur" beim "Police Force Departement" Verwendung finden, wobei kein Zusammenhang zwischen dieser Einheit und den in den Berichten erwähnten Menschenrechtsverletzungen gegeben sei.

In der Folge holte die belangte Behörde einen Bericht der österreichischen Botschaft in Brasilia ein, in dem der österreichische Botschafter unter anderem festhielt, dass in Brasilien immer noch Menschenrechtsverletzungen, vor allem durch mangelhaft ausgebildete Polizeiorgane, vorkämen. Es handle sich jedoch durchwegs um Übergriffe einzelner Personen, die weder "rechtlich, noch in dem politischen System" gestattet seien. In letzter Zeit würden derartige Übergriffe Einzelner intensiver strafrechtlich verfolgt.

Mit Bescheid vom 4. März 1999 wies die belangte Behörde den Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft "gemäß § 3 Abs. 1 Z 2 und 3" KMG ab. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und einer Darstellung des § 3 KMG heißt es in der Begründung wie folgt:

"Das Bundeskanzleramt -Verfassungsdienst hat unter Berufung auf § 3 Abs. 1 Z 3 leg. cit. Bedenken gegen die Bewilligung des Kriegsmaterialexportes geäußert, da den Ausführungen des vom U.S.- State Departement herausgegebenen Länderberichtes für das Jahr 1997 über die Menschenrechtspraxis zufolge in Brasilien nach wie vor schwere und wiederholte Menschenrechtsverletzungen begangen werden - z.B. wurden allein in den ersten 6 Monaten des Jahres 1996 104 Fälle außergerichtlicher Tötungen durch Sicherheitsorgane der Stadt Sao Paolo bekannt - und weil typischerweise bei Kriegsmaterial dieser Art die Gefahr besteht, daß diese Materialien zur Unterdrückung von Menschenrechten verwendet werden.

In seiner 2. Stellungnahme zur Eingabe der Antragstellerin vom 28.08.1998 hat das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst darauf Bezug genommen, daß nach einem Bericht der Österreichischen Botschaft Brasilia neben den Reformmaßnahmen auch das Weiterbestehen von Menschenrechtsverletzungen im Polizeibereich festgestellt und daher von der gehäuften Praxis außergerichtlicher Tötungen und Folter ausgegangen werde. Überdies wurde hervorgehoben, daß nach den Angaben der Antragsstellerin der Empfänger des in Rede stehenden Kriegsmaterials das "Police Force Departement" sei und daß gemäß dem Bericht des US-Departement of State gerade Polizeikräfte die berichteten Menschenrechtsverletzungen begingen. Eine Lieferung des gegenständlichen Kriegsmaterials wäre geeignet, im Zusammenhang mit der Unterdrückung von Menschenrechten Verwendung zu finden und im Lichte der dargestellten Menschenrechtslage in Verbindung mit dem Empfänger bestünde daher die Gefahr, daß das gelieferte Kriegsmaterial zur Unterdrückung der Menschenrechte verwendet werde.

Die beschriebene Situation ist demnach als "schwere und wiederholte Menschenrechtsverletzungen" im Sinne des § 3 Abs. 1 Z. 3 des Kriegsmaterialgesetzes einzustufen."

Über die gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 1 KMG bedarf die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial, unbeschadet der nach anderen Rechtsvorschriften notwendigen Bewilligungen, einer Bewilligung nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes. § 3 Abs. 1 KMG in der Fassung BGBl. Nr. 358/1982 bestimmt hiezu Folgendes:

"Die Bewilligung nach § 1 wird vom Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten und dem Bundesminister für Landesverteidigung nach Anhörung des Bundeskanzlers, soweit keine anderen gesetzlichen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen entgegenstehen, unter Anwendung von Artikel 130 Abs. 2 B-VG erteilt. Hiebei ist darauf Bedacht zu nehmen, daß

1. die Ein-, Aus- oder Durchfuhr völkerrechtlichen Verpflichtungen oder außenpolitischen Interessen der Republik Österreich unter besonderer Berücksichtigung der immerwährenden Neutralität nicht zuwiderläuft;

2. die Aus- oder Durchfuhr nicht in ein Gebiet erfolgen soll, in dem ein bewaffneter Konflikt herrscht, ein solcher auszubrechen droht oder sonstige gefährliche Spannungen bestehen;

3. die Aus- oder Durchfuhr nicht in ein Bestimmungsland erfolgen soll, in dem auf Grund schwerer und wiederholter Menschenrechtsverletzungen die Gefahr besteht, daß das gelieferte Kriegsmaterial zur Unterdrückung von Menschenrechten verwendet wird;

4. Embargobeschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen unter Bedachtnahme auf die immerwährende Neutralität Österreichs entsprechend berücksichtigt werden;

5. der Ein-, Aus- oder Durchfuhr sicherheitspolizeiliche oder militärische Bedenken nicht entgegenstehen;

6. keine sonstigen vergleichbaren gewichtigen Bedenken bestehen."

Eine Entscheidung nach dieser Gesetzesstelle stellt eine Ermessensentscheidung dar (vgl. den ausdrücklichen Hinweis auf Art. 130 Abs. 2 B-VG). Bei dieser Ermessensentscheidung kommt den Tatbeständen der Z 1 bis 6 nicht der Charakter absoluter Versagensgründe, sondern von Ermessensleitlinen zu. Demnach kann das Vorliegen der genannten Tatbestände die Versagung der Bewilligung zur Folge haben, muss diese Konsequenz aber nicht unbedingt nach sich ziehen (vgl. dazu und zu den folgenden Ausführungen zum Ermessen das diese Frage ausführlich behandelnde Erkenntnis vom 24. Juni 1998, Zl. 97/01/1156, mit weiteren Judikatur- und mit Literaturhinweisen). Welche Gesichtspunkte über die Kriterien der Z 1 bis 6 des § 3 Abs. 1 KMG hinaus in die behördliche Ermessensentscheidung einzufließen haben, sodass allenfalls ungeachtet eines "Versagungsgrundes" eine positive Entscheidung ergehen könnte, sagt das Gesetz nicht ausdrücklich. Aus dem Katalog des § 3 Abs. 1 KMG ergeben sich jedoch mittelbar auch Anhaltspunkte dafür, dass etwa außenpolitische, sicherheitspolizeiliche oder militärische Interessen für die Genehmigung einer Transaktion sprechen könnten. Dem aus § 3 Abs. 1 Z 1 bis 6 KMG hervorleuchtenden Sinn des Gesetzes, Kriegsmaterialexporte in Fällen eines aktuell drohenden Einsatzes gegen Menschen hintanzuhalten, entspricht es darüber hinaus, gegebenenfalls auch den Umstand in die Überlegungen miteinzubeziehen, dass nur eine unbedeutende Menge an Kriegsmaterial ausgeführt werden soll oder dass eine Menschen nicht gefährdende Verwendung sichergestellt ist.

Ermessensregelungen lassen der Behörde die Wahl zwischen mehreren möglichen Lösungen, die rechtlich gleichwertig sind. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bei solchen Entscheidungen auf die Prüfung zu beschränken, ob der Behörde Ermessensfehler (Ermessensüberschreitungen und Ermessensmissbrauch) unterlaufen sind und ob das Verfahren, das der Entscheidung vorausgegangen ist, den gesetzlichen Vorschriften entsprochen hat (vgl. das Erkenntnis vom 20. März 1991, 90/01/0236). Für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes auf seine Übereinstimmung mit dem Gesetz hat die belangte Behörde jedoch den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt festzustellen und in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensausübung maßgebenden Umstände und Erwägungen aufzuzeigen (vgl. das schon zitierte Erkenntnis vom 24. Juni 1998).

Diesen Anforderungen entspricht die Begründung des angefochtenen Bescheides in keiner Weise, wird doch nach der Darstellung des Verwaltungsverfahrens und der Rechtslage als "Ergebnis des Ermittlungsverfahrens" lediglich eine Passage aus der Mitteilung der belangten Behörde vom 29. Juli 1998 wörtlich wiederholt und als Abschluss des Begründungsteils - zusammengefasst - die (zweite) Stellungnahme des Bundeskanzlers vom 3. September 1998 wiedergegeben. Eigene Feststellungen, insbesondere zu dem die Abweisung des Antrages begründenden Tatbestand der Z 3 des § 3 Abs. 1 KMG, der von der belangten Behörde mangels weiter gehender rechtlicher Überlegungen offenbar -

fälschlich - als absoluter Versagungsgrund gewertet worden ist, hat sie keine getroffen (die im Spruch angeführte Z 2 leg. cit., auf deren Tatbestand in der Bescheidbegründung überhaupt nicht Bezug genommen wurde, soll gemäß der Gegenschrift der belangten Behörde irrtümlich in den Spruch aufgenommen worden sein). Eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der beschwerdeführenden Gesellschaft und den vorliegenden Beweismitteln fand nicht statt, sodass mangels nachvollziehbarer Ausführungen die angefochtene Entscheidung für den Verwaltungsgerichtshof nicht überprüfbar war.

Durch die dargestellten Begründungsmängel hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c) VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den geltend gemachten, aber nicht entstandenen Verhandlungsaufwand; von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 17. September 2002

Schlagworte

Ermessen besondere RechtsgebieteBeschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Ermessensentscheidungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999010200.X00

Im RIS seit

29.11.2002

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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