TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/18 99/17/0261

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Veröffentlicht am 18.09.2002
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Index

L34006 Abgabenordnung Steiermark;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §115 Abs2;
BAO §20;
BAO §303 Abs1 litb;
BAO §303 Abs4;
B-VG Art130 Abs2;
LAO Stmk 1963 §18;
LAO Stmk 1963 §224 Abs1 litb;
LAO Stmk 1963 §224 Abs3;
LAO Stmk 1963 §93 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde 1. des GS und

2. des LS, beide in Graz und vertreten durch Held Berdnik Astner Held, Rechtsanwaltskanzlei Graz OEG in 8010 Graz, Schlögelgasse 1, gegen den Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom 17. Mai 1999, Zl. A 8 R - K 178/1994 - 3, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens und Aufhebung des Bescheides des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz vom 15. Februar 1995 in Angelegenheit der Vorschreibung eines Kanalisationsbeitrages, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführenden Parteien haben der Landeshauptstadt Graz Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 19. April 1994 schrieb der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz den beschwerdeführenden Parteien für den Anschluss der näher bezeichneten Liegenschaft an den öffentlichen Straßenkanal den Kanalanschlussbeitrag samt USt in Höhe von insgesamt S 1,670.937,40 vor. Dies mit der Begründung, den beschwerdeführenden Parteien sei mit Baubewilligungsbescheid vom 1. Juni 1989 die Bewilligung zur Errichtung eines dreigeschoßigen Wohn-, Büro- und Geschäftsgebäudes sowie von PKW-Abstellplätzen auf der genannten Liegenschaft erteilt worden. Nach der vom "Kanalbauamt" durchgeführten Überprüfung sei die Baulichkeit mit Wirksamkeit 1. Oktober 1991 benützt worden.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachten die beschwerdeführenden Parteien vor, wie das "Kanalbauamt" richtigerweise festgestellt habe, werde die Baulichkeit ab 1. Oktober 1991 benutzt. Sie hätten das Grundstück mit Vertrag vom 26. Juli 1990 an B. verkauft und das Eigentumsrecht dieses Erwerbers sei noch im Jahre 1990 grundbücherlich einverleibt worden. Im Jahre 1991 seien sie nicht mehr Eigentümer der Liegenschaft gewesen, sodass die Vorschreibung des Kanalisationsbeitrages, der auf die erstmalige Benützung der Baulichkeit abstelle, nicht zu Recht an die beschwerdeführenden Parteien ergangen sei.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 15. Februar 1995 gab der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz der Berufung Folge und hob seinen Bescheid I. Instanz mit der Begründung auf, die beschwerdeführenden Parteien seien am 1. Oktober 1991 nicht Eigentümer der Liegenschaft und daher nicht zur Leistung des Kanalisationsbeitrages verpflichtet gewesen.

Der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz schrieb mit Bescheid vom 20. April 1995 B., dem Erwerber der Liegenschaft, den Kanalisationsbeitrag vor.

Mit dem nicht in den vorgelegten Verwaltungsakten befindlichen Bescheid vom 29. Oktober 1997 gab der Gemeinderat der Berufung des Liegenschaftseigentümers B. - nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid - statt, weil die auf Grund des Berufungsvorbringens eingeleiteten Ermittlungen ergeben hätten, dass die erstmalige Benützung der Baulichkeit bereits im April 1990 erfolgt sei und B. in diesem Zeitpunkt noch nicht Eigentümer der Liegenschaft gewesen sei.

Mit dem an die beschwerdeführenden Parteien ergangenen Bescheid vom 7. Mai 1998 verfügte der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz (Spruchpunkt a.) die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Berufungsvorentscheidung vom 15. Februar 1995 und hob (Spruchpunkt b.) den Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz vom 15. Februar 1995 auf. Dies mit der Begründung, der für das Entstehen des Abgabenanspruches maßgebliche Zeitpunkt der erstmaligen Benützung der Baulichkeit oder ihrer Teile sei bereits im April 1990 gegeben gewesen. Dieser Umstand sei im Verwaltungsverfahren erstmals auf Grund der Ausführungen des B. zu Tage getreten. In dem mit 23. Mai 1995 datierten Schriftsatz sei nämlich unter Anführung mehrerer Zeugen ausgeführt worden, dass das erworbene Gebäude bereits "im März 1990 und April 1990" benützt worden sei. Im weiteren Ermittlungsverfahren habe die Abgabenbehörde zweiter Instanz feststellen können, dass die erstmalige Benützung tatsächlich bereits im April 1990 stattgefunden habe. Die Tatsache des erstmaligen Benützungszeitpunktes April 1990 sei bereits zum Zeitpunkt des mit Berufungsvorentscheidung vom 15. Februar 1995 rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens existent gewesen, jedoch in dem die beschwerdeführenden Parteien betreffenden Verfahren nicht berücksichtigt worden. Es liege somit eine für die Wiederaufnahme des Verfahrens geeignete neue Tatsache vor. Ermessensbegründend sei festzuhalten, dass die Abgabenbehörde dem Kriterium der Zweckmäßigkeit und damit dem öffentlichen Interesse an der Einbringung der Abgaben gegenüber jenem der Billigkeit und damit den subjektiven Interessen der Abgabepflichtigen schon im Hinblick auf die Höhe des zur Vorschreibung anstehenden Kanalisationsbeitrages den Vorzug zu geben gehabt habe. Die beschwerdeführenden Parteien hätten gewusst, dass die von der Abgabenbehörde I. Instanz getroffene Feststellung über den erstmaligen Benützungszeitpunkt "1. Oktober 1991" nicht den Tatsachen entsprechen könne. Auch dieser Umstand spreche dafür, im Rahmen der Ermessensübung dem Kriterium der Zweckmäßigkeit den Vorrang zu geben. Ein allenfalls von der Abgabenbehörde zu vertretendes Verschulden schließe die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen nicht aus.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 8. Mai 1998 gab der Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz der Berufung der beschwerdeführenden Parteien gegen den Bescheid vom 19. April 1994 keine Folge und änderte die Vorschreibung des Kanalisationsbeitrages auf S 1,580.884,80 (inklusive Umsatzsteuer) ab.

Der Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz vom 7. Mai 1998 betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens und die genannte Berufungsvorentscheidung vom 8. Mai 1998 wurden gemeinsam in einer RSb-Sendung versandt und gleichzeitig zugestellt.

In der gegen den Bescheid vom 7. Mai 1998 erhobenen Berufung brachten die beschwerdeführenden Parteien vor, es möge zwar objektiv der materiellen Wahrheit entsprechen, dass das Gebäude bereits tatsächlich im April bzw. im Mai 1990 benutzt worden sei, dies stelle aber keinesfalls einen Wiederaufnahmsgrund dar. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen sei u.a. in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden seien. Es müsse darauf hingewiesen werden, dass in dem bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren das "Kanalbauamt" eindeutig ausgeführt habe, dass die Klosettanlage erst ab dem 1. Oktober 1991 benützt worden sei. Zu diesem Zeitpunkt seien die beschwerdeführenden Parteien nicht mehr Eigentümer der Liegenschaft gewesen. Ein Zutun der beschwerdeführenden Parteien zu dieser allenfalls falschen Feststellung liege nicht vor. Sie verwehrten sich entschieden dagegen, dass der in Rede stehende Umstand nunmehr als neue Tatsache, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sei, bewertet werde. Vielmehr sei bereits in dem ursprünglich abgeführten Verfahren die Frage, wann das Gebäude erstmals benutzt worden sei, offensichtlich gegenständlich gewesen. Der Umstand, dass das Gebäude bereits zu einem früheren Zeitpunkt erstmals benützt worden sei, möge eine "geänderte Tatsache" darstellen, könne aber keinesfalls als neue Tatsache gewertet werden. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass dies im Rahmen der Amtswegigkeit bereits im ursprünglichen Verfahren hätte erhoben werden müssen. Selbst wenn man davon ausginge, dass - was ausdrücklich bestritten werde - neue Tatsachen hervorgekommen seien, zeige sich ein außerordentliches Missverhältnis zwischen Wiederaufnahmegrund und Wiederaufnahmewirkung. Die nunmehr vorgeschriebene Abgabe stelle jedenfalls eine unbillige Nachzahlung dar, die außer Verhältnis zu der allenfalls neu hervorgekommenen Tatsache stehe. Der nunmehrige grundbücherliche Eigentümer der Liegenschaft sei Nutznießer des Kanalanschlusses und daher sei billigerweise jedenfalls auch diesem der Kanalisationsbeitrag vorzuschreiben. Nach Eintritt der Verjährung sei die Wiederaufnahme des Verfahrens unzulässig. Habe die Frist am 31. Dezember 1990 für die Wiederaufnahme des Verfahrens zu laufen begonnen, dann sei die Wiederaufnahme des Verfahrens mit Bescheid vom 7. Mai 1998 unzulässig. Es sei in keiner Weise nachvollziehbar, aus welchem Grund der Kanalisationsbeitrag nunmehr vorgeschrieben werde. Die Behörde habe ihr Ermessen missbraucht. Umstände, die gegen eine positive Ermessensübung sprächen, seien jedenfalls auch darin zu sehen, dass es die Behörde im Rahmen ihrer gesetzlichen Verpflichtung schuldhaft und rechtswidrig unterlassen habe, ihrer Bauaufsicht nachzukommen. Es sei vollkommen unbillig, die beschwerdeführenden Parteien nach fast einer Dekade mit einem derart hohen Kanalisationsbeitrag zu belasten, für den diese im Hinblick auf die vorliegende rechtskräftige Berufungsentscheidung weder Rücklagen bilden, noch allenfalls vertragliche Überwälzungen auf Rechtsnachfolger vornehmen hätten können. Ausdrücklich werde gerügt, dass ihnen ihr Recht auf rechtliches Gehör versagt worden sei, weil ihnen allfällige Beweisergebnisse nicht zur Kenntnis gebracht und ihnen Möglichkeiten einer Stellungnahme nicht eingeräumt worden seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab und führte aus, mit der Erlassung der stattgebenden Berufungsvorentscheidung vom 15. Februar 1995 sei die Verjährungsfrist unterbrochen worden, sodass der Lauf der fünfjährigen Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 1995 neu zu laufen begonnen habe. Die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen sei daher innerhalb der Verjährungsfrist erfolgt. Die Abgabenbehörde sei auf Grund der Mitteilung des "Kanalbauamtes" von der erstmaligen Benützung der Baulichkeit am 1. Oktober 1991 ausgegangen. Nach den durchgeführten Ermittlungen sei bekannt geworden, dass Wohnungen ab April/Mai 1990 vermietet worden seien und der Zeitpunkt der erstmaligen Benützung daher mit April/Mai 1990 gegeben sei. Die Abgabenbehörde habe dies erst anlässlich der Vorschreibung des Kanalisationsbeitrages an B., den Rechtsnachfolger im Grundeigentum, erfahren. Es sei der Wiederaufnahmegrund der neu hervorgekommenen Tatsache gegeben. Die Ausübung des Ermessens habe nach den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und Billigkeit zu erfolgen. Im Rahmen der Ermessensübung sei der Zweckmäßigkeit im Hinblick auf den vorzuschreibenden Abgabenbetrag und auf das Verhalten der beschwerdeführenden Parteien der Vorzug zu geben. Hinsichtlich der Verletzung des Verfahrensgrundsatzes des Parteiengehörs werde darauf hingewiesen, dass dem Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Parteien am 14. Mai 1998 Akteneinsicht gewährt worden sei und diesem Aktenteile in Fotokopie übergeben worden seien. Eine Verletzung des Parteiengehörs liege nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, mit der sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Die beschwerdeführenden Parteien erachten sich in ihrem Recht auf Nichtwiederaufnahme des Abgabenverfahrens verletzt.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist gemäß § 224 Abs. 1 Steiermärkische LAO, LGBl. Nr. 158/1963, stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und

a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, oder

c) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen ist gemäß § 224 Abs. 3 leg. cit. unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach Eintritt der Verjährung ist nach § 225 leg. cit. eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausgeschlossen, sofern ihr nicht ein vor diesem Zeitpunkt eingebrachter Antrag gemäß § 224 Abs. 1 leg. cit. zugrunde liegt.

Für den Neuerungstatbestand (§ 224 Abs. 1 lit. b Stmk. LAO) ist maßgebend, ob der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wieder aufzunehmenden Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können. Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe. Das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln ist aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen (vgl. Ritz, Bundesabgabenordnung Kommentar2, Rz. 10, 13 und 14 zu § 303 BAO und die dort angeführte Rechtsprechung).

Der Finanzabteilung des Magistrates der Landeshauptstadt Graz war von der Magistratsabteilung 10/2 ("Kanalbauamt") mitgeteilt worden, dass die Baulichkeit mit Wirksamkeit 1. Oktober 1991 benützt werde. Auf Grund dieses Umstandes erging der Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz vom 19. April 1994, weil die Behörde nach den ihr zur Verfügung stehenden Informationen die erstmalige Benützung mit 1. Oktober 1991 annahm. Andere Kenntnisse über den erstmaligen Benützungszeitpunkt standen der Behörde nach dem Inhalt der vorgelegten Akten nicht zur Verfügung.

Erst auf Grund eines Ermittlungsverfahrens anlässlich der Vorschreibung des Kanalisationsbeitrages an B. ergab sich, dass die erstmalige Benützung der Baulichkeit tatsächlich bereits im April/Mai 1990 erfolgt sei. Dieser Zeitpunkt wurde in der Beschwerde nicht in Abrede gestellt. Entgegen der Ansicht der beschwerdeführenden Parteien kam es bei der Entstehung des Kanalisationsbeitragsanspruches nicht auf den Zeitpunkt der mit Bescheid erteilten Benützungsbewilligung, sondern auf die erstmalige Benutzung der Baulichkeit an.

Diese - im Zeitpunkt der Erlassung der Berufungsvorentscheidung vom 15. Februar 1995, mit dem der Berufung der beschwerdeführenden Parteien stattgegeben und der Bescheid I. Instanz aufgehoben wurde - bereits existente Tatsache der erstmaligen Benützung der Baulichkeit im April/Mai 1990 wurde der Abgabenbehörde erst nach dieser Bescheiderlassung bekannt und kam somit für diese erst nach der Bescheiderlassung hervor. Daher hat die Abgabenbehörde I. Instanz die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens mit Recht auf den Tatbestand der neu hervorgekommenen Tatsache gestützt.

Allfälliges Verschulden der Behörde an der Nichtausforschung von Sachverhaltselementen schließt die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens nicht aus. Ein solches behördliches Verschulden ist unter Umständen bei der Ermessensübung zu berücksichtigen (vgl. die bei Ritz, aaO, Rz 16 zu § 303 BAO angeführte Rechtsprechung).

Selbst das Verschulden der Behörde an der Nichtausforschung der tatsächlichen erstmaligen Benützung der Baulichkeit vor der Erlassung der Berufungsvorentscheidung vom 15. Februar 1995 hindert die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 224 Abs. 3 Stmk. LAO nicht. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob überhaupt bzw. in welchem Ausmaß dem Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz insofern ein Verschulden anzulasten war, wenn er sich auf die unzutreffenden und ihm zuzurechnenden Feststellungen seines Magistrates stützte. Auf die Rechtmäßigkeit des ausgeübten Ermessens wird noch näher eingegangen.

Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist innerhalb der Verjährungsfrist zulässig.

Gemäß § 156 Abs. 1 Stmk. LAO unterliegt das Recht, eine Abgabe festzusetzen, nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung.

Nach § 156 Abs. 2 Stmk. LAO beträgt die Verjährungsfrist fünf Jahre, bei hinterzogenen Abgaben zehn Jahre.

Gemäß § 157 lit. a Stmk. LAO beginnt die Verjährung in den Fällen des § 156 Abs. 2 mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist.

Nach § 158 Abs. 1 Stmk. LAO wird die Verjährung durch jede zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§ 54) von der Abgabenbehörde unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen.

Der Anspruch zur Entrichtung des Kanalisationsbeitrages ist im Zeitpunkt der erstmaligen Benützung, dies war im April/Mai 1990, entstanden. Die Verjährungsfrist begann mit Ablauf dieses Jahres zu laufen und wurde jedenfalls durch den an die beschwerdeführenden Parteien ergangenen Bescheid vom 19. April 1994 unterbrochen. Davon ausgehend endete die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 1999. Die mit Bescheid vom 7. Mai 1998 verfügte Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte somit innerhalb der Verjährungsfrist.

Von einer in der Beschwerde behaupteten Verletzung von Treu und Glauben kann schon deshalb keine Rede sein, weil die beschwerdeführenden Parteien - wie aus ihrer Berufung zu ersehen ist - über den Zeitpunkt der erstmaligen Benützung der Baulichkeit Bescheid wussten und daher nicht darauf vertrauen konnten, dass die Abgabenbehörde von dem zunächst unrichtig festgestellten Zeitpunkt der erstmaligen Benützung der Baulichkeit nicht abgehen werde, sondern auf ihrer für die beschwerdeführenden Parteien erkennbar unrichtigen Feststellung beharrte.

Die Verfügung der Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens von Amts wegen nach § 224 Abs. 3 Stmk. LAO liegt im Ermessen der Behörde.

Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben, müssen sich nach § 18 Stmk. LAO in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Zweckmäßigkeit und Billigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.

Wenn die belangte Behörde bei der Verfügung der Wiederaufnahme dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit, der auf die Herstellung der Rechtsrichtigkeit und Sicherung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gerichtet ist, dem Prinzip der Billigkeit, das insbesondere die Partei in ihrem Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit des Bescheides und vor einer Unverhältnismäßigkeit des herangezogenen Grundes im Verhältnis zu den Folgen der Wiederaufnahme schützen soll, den Vorrang deswegen einräumte, weil die beschwerdeführenden Parteien Anzeigepflichten verletzt und den tatsächlichen Zeitpunkt der Benützung der Baulichkeit verschwiegen haben, dann hat sie ihr Ermessen im Sinne des Gesetzes ausgeübt. Eine Rechtswidrigkeit der Ermessensübung liegt nicht vor.

Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde stützte sich die belangte Behörde bei der Wiederaufnahme des Verfahrens nicht auch auf den Vorfragentatbestand (§ 224 Abs. 1 lit. c Stmk. LAO), sodass sich ein näheres Eingehen auf das Beschwerdevorbringen, die Voraussetzungen für eine solche Wiederaufnahme des Verfahrens lägen nicht vor, erübrigt.

Gemäß § 93 Abs. 2 leg. cit. ist den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interesse zu geben.

Die beschwerdeführenden Parteien rügen mit Recht, dass ihnen vor Ergehen des erstinstanzlichen Bescheides über die Wiederaufnahme des Verfahrens diesbezüglich keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und kein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist sowie kein Vorhalt ergangen ist. Demnach wurden Verfahrensbestimmungen missachtet. Bei ihrem Vorbringen übersehen die beschwerdeführenden Parteien allerdings auch, dass Mängel des Verfahrens I. Instanz, wie etwa die Verletzung des Rechts auf Parteiengehör, im Berufungsverfahren sanierbar sind und auch durch die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides saniert werden können (vgl. hg. Erkenntnis vom 23. Dezember 1991, Zl. 88/17/0010).

Mit dem Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz vom 7. Mai 1998 wurden den beschwerdeführenden Parteien alle Umstände bekannt gegeben, die für die Wiederaufnahme des Verfahrens entscheidend waren. Die beschwerdeführenden Parteien hatten ungeachtet der auch vorgenommenen Akteneinsicht in der Berufung Gelegenheit, vor der die Sache abschließenden Berufungsentscheidung ihre Rechte und rechtlichen Interessen uneingeschränkt geltend zu machen. Demnach liegt die behauptete Verletzung des Parteiengehörs nicht vor, weil der Verfahrensmangel der Verletzung des Rechts auf Parteiengehör vor Erlassung des Bescheides I. Instanz im Berufungsverfahren saniert wurde.

Gemäß § 228 Abs. 1 Stmk. LAO ist mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden.

Der Bescheid betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens und Aufhebung des Bescheides des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Graz vom 15. Februar 1995 ist mit 7. Mai 1998 datiert und der Bescheid betreffend Vorschreibung des Kanalisationsbeitrages ist mit 8. Mai 1998 datiert. Beide Bescheide wurden jedoch gemeinsam am 13. Mai 1998 mittels RSb zugestellt. Demnach wurden beide Bescheide gleichzeitig wirksam. Der in der Beschwerde erhobene Vorwurf, der die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügende Bescheid sei mit dem Bescheid über die abschließende Sachentscheidung nicht verbunden worden, ist im Beschwerdefall nicht berechtigt, weil die beiden Bescheide gleichzeitig ergangen sind und das Gesetz die Erlassung eines in einer Ausfertigung abgefassten Sammelbescheides nicht vorschreibt.

Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, dass die beschwerdeführenden Parteien durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten weder wegen der geltend gemachten noch wegen einer vom Verwaltungsgerichtshof aus eigenem aufzugreifenden Rechtswidrigkeit verletzt worden sind.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 1 Z 6 VwGG Abstand genommen werden, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Die Durchführung der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof war auch nicht unter dem Aspekt des Art. 6 MRK erforderlich, weil Abgabenangelegenheiten (hier: Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens) nicht "civil rights" betreffen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 18. September 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999170261.X00

Im RIS seit

20.01.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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