TE Vwgh Erkenntnis 2002/9/25 2002/13/0167

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.09.2002
beobachten
merken

Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §303 Abs1 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Sellner, über die Beschwerde der P GmbH in Liqu. in W, vertreten durch Mag. Erich Stachl, Wirtschaftsprüfer in 1060 Wien, Marchettigasse 2-6, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat XI) vom 3. Juli 2002, Zl. RV/243-11/12/99, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer für das Jahr 1995, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Nach dem der Beschwerde angeschlossenen angefochtenen Bescheid hat die Beschwerdeführerin in ihrer am 8. Mai 1997 beim Finanzamt eingelangten Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1995 u. a. "abzugsfähige" Einfuhrumsatzsteuer von 87.061 S geltend gemacht. Mit Bescheid vom 10. Juni 1997 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für das Jahr 1995 erklärungsgemäß fest.

Am 24. März 1999 habe die Beschwerdeführerin - so die Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides - einen Antrag auf Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens 1995 gestellt. In diesem sei geltend gemacht worden, dass die Beschwerdeführerin in die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1995 (bei einem abweichenden Wirtschaftsjahr April 1994 bis März 1995) eine im Jahr 1994 vom "abwickelnden" Spediteur bezahlte Einfuhrumsatzsteuer nicht aufgenommen habe. Die zu Grunde liegenden Eingangsrechnungen hätten aus dem Jahr 1994 gestammt, wobei deren wirtschaftliche Zurechnung Anlass für ein Gerichtsverfahren gewesen sei. In diesem sei es darum gegangen, dass im Jahr 1994 von einem Angestellten der Beschwerdeführerin, Leonhard P., Einkäufe getätigt worden seien, die nach Ansicht der Beschwerdeführerin nicht ihr, sondern der P.-GmbH, für die Leonhard P. ebenfalls Geschäftsführer gewesen sei, zuzurechnen gewesen seien. Die von Leonhard P. beauftragte Spedition habe im Rahmen eines Rechtsstreites von der Beschwerdeführerin die Bezahlung der offenen Speditionsabrechnungen begehrt, weil Leonhard P. "als damaliger Geschäftsführer" der Beschwerdeführerin den Auftrag erteilt habe, die Lieferungen und Warenimporte zu tätigen. Gegenstand der offenen Rechnungen seien somit Leistungen für die Verzollung von Waren und die Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer gewesen. Die Beschwerdeführerin habe gegen die Forderungen der Spedition eingewandt, dass die zu Grunde liegenden Lieferungen und Leistungen nicht an sie, sondern an die P.-GmbH erbracht worden seien. Das Bezirksgericht für Handelssachen habe mit dem, dem Antrag beiliegenden Urteil vom 20. November 1997 der Klage der Spedition Folge gegeben. Die Berufung der Beschwerdeführerin sei mit dem ebenfalls beiliegenden Urteil vom 15. Dezember 1998 vom Handelsgericht abgewiesen worden. Die Gerichte hätten demnach rechtskräftig festgestellt, dass die Leistung der Spedition für die Beschwerdeführerin erfolgt und diese somit zur Zahlung verpflichtet gewesen sei. Es werde deshalb der Antrag gestellt, für 1995 zusätzlich einen Einfuhrumsatzsteuerbetrag von 85.231 S zu berücksichtigen. Bis zum Klagsverfahren sei der Beschwerdeführerin nicht bekannt gewesen, dass sie Eingangsrechnungen der Spedition erhalten habe. Mit dem nunmehr abschlägigen Urteil des Handelsgerichtes stehe der Beschwerdeführerin der Abzug der Einfuhrumsatzsteuer zu.

Im angefochtenen Bescheid gibt die belangte Behörde das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen vom 20. November 1997 auszugsweise wieder. Demnach habe das Bezirksgericht für Handelssachen bereits mit Entscheidung vom 10. Mai 1996 die Beschwerdeführerin im Sinne des Klagebegehrens schuldig erkannt. Das Handelsgericht habe der Berufung der Beschwerdeführerin Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Bezirksgericht zurückverwiesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Wiederaufnahmeantrag im Instanzenzug keine Folge. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin sowohl im Wiederaufnahmeantrag als auch in der Berufung gegen den abweisenden Bescheid des Finanzamtes sei zu entnehmen, dass sie den Wiederaufnahmegrund darin sehe, dass "Eingangsrechnungen erst im Rahmen des Gerichtsverfahrens zu Tage getreten seien und das Handelsgericht Wien mit rechtskräftigem Urteil vom 15. Dezember 1998 festgestellt habe, dass die zu Grunde liegenden Waren für die Bw. eingeführt worden seien, weshalb ihr auch die darauf entfallende Einfuhrumsatzsteuer als Abzugsposten zustehe". Die Bezugnahme der Beschwerdeführerin auf das Urteil des Handelsgerichtes Wien könne dahingehend verstanden werden, dass der Vorfragentatbestand des § 303 Abs. 1 lit. c BAO herangezogen werden wolle. Nach § 116 Abs. 2 BAO bestehe in Bezug auf Vorfragen eine Bindung allerdings nur insoweit, als in dem gerichtlichen Verfahren bei der Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen vorzugehen sei. An gerichtliche Entscheidungen im Zivilprozess sei die Abgabenbehörde wegen der dort geltenden "Parteienmaxime" nicht gebunden. Der Wiederaufnahmetatbestand des § 303 Abs. 1 lit. c BAO sei daher eindeutig nicht heranziehbar. Als Wiederaufnahmetatbestand komme demnach nur der "Neuerungstatbestand" des § 303 Abs. 1 lit. b BAO in Frage. Ein Wiederaufnahmeantrag könne nach dieser Bestimmung nur auf solche Tatsachen oder Beweismittel gestützt werden, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden gewesen seien, deren Verwertung der Partei aber erst nachträglich möglich geworden sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien Entscheidungen von Gerichten, die nach einem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren ergingen, als solche keine Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO und zwar weder hinsichtlich der darin getroffenen Sachverhaltsfeststellungen noch hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung. Nun sei aber der maßgebliche Sachverhalt, wie er im Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen vom 20. November 1997 festgehalten worden sei, der Beschwerdeführerin schon mit der Klage der Spedition, der mit dem später aufgehobenen Urteil vom 10. Mai 1996 Folge gegeben worden sei, bekannt gewesen. Dies bedeute, dass im Zeitpunkt der Einreichung der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1995 (8. Mai 1997) bzw. der Erlassung des entsprechenden Bescheides (10. Juni 1997) der Sachverhalt gegeben und lediglich strittig gewesen sei, ob als Empfänger der Rechnungsleistungen die Beschwerdeführerin oder die P.-GmbH zu betrachten sei. Damit sei aber die Tatsache, auf die die Beschwerdeführerin ihren Wiederaufnahmeantrag stütze, schon im Zeitpunkt des Abschlusses des wiederaufzunehmenden Verfahrens vorhanden gewesen. Die Beschwerdeführerin sei nicht gehindert gewesen, diese Tatsache schon im Rahmen der Einreichung der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1995 der Abgabenbehörde gegenüber offen zu legen und eventuell in einem anschließenden Berufungsverfahren den Ausgang des Rechtsstreites mit der Spedition abzuwarten. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin bis zuletzt an ihrer Ansicht festgehalten habe, dass das betreffende Rechtsgeschäft nicht mit ihr abgeschlossen worden sei, die Gerichte diese Rechtsauffassung "schlussendlich" aber nicht teilten, könne nicht dazu führen, dass "die Bw. unter dem Rechtstitel der Wiederaufnahme von der Abgabenbehörde eine erstmalige Auseinandersetzung mit der ihr schon längst bekannten Tatsache verlangen kann". Die Beschwerdeführerin hätte demnach schon im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren die Einfuhrumsatzsteuer geltend machen müssen. Es liege deshalb keine neu hervorgekommene Tatsache im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 1 BAO ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und (lit. b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, oder (lit. c) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde. Eine zusätzliche Voraussetzung für die Wiederaufnahme ist, dass die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Zur Versagung der beantragten Wiederaufnahme unter dem Titel des Neuerungstatbestandes nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO wird in der Beschwerde vorgebracht, den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, wonach der strittige Sachverhalt des Abzuges der Einfuhrumsatzsteuer bereits bei der Einreichung der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1995 (am 8. Mai 1997) der Abgabenbehörde gegenüber hätte offen gelegt werden können, könne nicht gefolgt werden. Tatsache sei vielmehr, dass man "bis zuletzt" nichts von den Rechnungen gewusst habe. Es lägen die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO vor, weil Tatsachen bzw. Beweismittel neu hervorgekommen seien, die im abgeschlossenen Verfahren ohne Verschulden der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht worden seien.

Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt. Mit dem unkonkretisierten Hinweis, "bis zuletzt" habe man "nichts von den Rechnungen" gewusst, wird nämlich in keiner Weise die im angefochtenen Bescheid in schlüssiger Weise - unter Bezugnahme auf das bereits die entsprechende Klage der Spedition betreffende Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen vom 10. Mai 1996 - dargelegte Annahme widerlegt, die Beschwerdeführerin habe vom Sachverhalt im Zusammenhang mit der Rechnungslegung bereits vor Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer 1995 (Bescheid vom 10. Juni 1997) gewusst (an anderer Stelle der Beschwerde weist die Beschwerdeführerin im Übrigen selbst darauf hin, es sei ihr "bis zum Klagsverfahren" nicht bekannt gewesen sei, dass sie Eingangsrechnungen der Spedition erhalten habe).

Zum "Vorfragentatbestand" hat die belangte Behörde zu Recht ausgeführt, dass eine Bindung der Abgabenbehörde an zivilrechtliche Urteile nicht gegeben ist, und schon deshalb eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 Abs. 1 lit. c BAO nicht in Betracht kam (vgl. beispielsweise das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Juli 1995, 95/13/0153). Ob laut Beschwerde die zivilrechtliche und wirtschaftliche Betrachtungsweise "zum selben Ergebnis, nämlich dass die Beschwerdeführerin auch verfügungsberechtigt ist und zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer berechtigt ist", führt, bedeutet nicht, dass die Abgabenbehörde an eine dahingehende Beurteilung durch ein Zivilgericht gebunden wäre.

Da somit schon der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung (die in Hinblick auf den angefochtenen Bescheid nur in der Versagung der Verfahrenswiederaufnahme hinsichtlich Umsatzsteuer 1995 gelegen sein konnte) nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 25. September 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002130167.X00

Im RIS seit

23.12.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten